IWF-TAGUNG: „Die größte Datenaktion der Polizei“ [1]

von Lena Schraut

Zu Jahresbeginn richtete das Bundeskriminalamt (BKA) eine Informations- und Nachrichtensammelstelle (NASISTE) ein, die alle Erkenntnisse im Zusammenhang mit der Tagung sammelte, aufbereitete und weiterleitete. Die Landeskriminalämter (LKÄ) bildeten „IWF-Ermittlungsgruppen“, die ihre Erkenntnisse an die NASISTE gaben. Berlin erhielt eine Zweigstelle der NASISTE. Also organisiert machten sich die Sicherheitsbehörden an die Arbeit und legten ein engmaschiges Fahndungsnetz über das Land, in dem sich möglichst jede IWF KritikerIn schon vorher verfangen sollte.

* Personenkontrollen nach dem Allgemeinen Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG), der Straßenverkehrsordnung, dem Kontrollstellenparagraphen 111 der Strafprozeßordnung (StPO),
* Auswertung von Publikationen,
* Überwachung von Anti-IWF-Veranstaltungen, Gruppen und Organisationen,
* Abgleich und Auswertung der Datensammlungen von Polizei und Verfassungsschutz – auch ausländische Sicherheitsbehörden wurden miteinbezogen – lieferten der Polizei Anhaltspunkte und Verdachtsmomente.

Anfang Juli war genügend Material über die Anti-IWF-Szene gesammelt, um eine eigene PIOS-Datenbank zu füllen. Diese – die Arbeitsdatei PIOS politisch motivierte Straftaten (APMS) – richtete das BKA am 5.7.88 im Auftrag Berlins ein. 2)
Welches Ausmaß die Datensammelei zu IWF hatte, zeigt sich an der Tatsache, daß Ende September – nach knapp drei Monaten ihres Bestehens – 3.000 Personendatensätze aus dieser Datei gelöscht wurden, ohne daß sie deswegen aufgelöst wären. Das läßt auf eine sehr niedrige Speicherungsschwelle schließen, die bisher bei PIOS-Verfahren nicht üblich war. Das und die Tatsache, daß ein Land ein eigenes PIOS-Verfahren vor einem Großereignis einrichtet, stellt einen neuen Qualitätssprung der polizeilichen Datenerhebung dar.

Bei vergleichbar großen Ermittlungen – auch einer politischen Szene – werden von der Polizei Spurendokumentationsverfahren (SPUDOK) eingesetzt, um die umfangreichen Spurenkomplexe mit tausenden von Hinweisen überschaubar zu halten. Ein SPUDOK verbindet die Vorteile freitextlicher und formatierter Datenbeschreibung. Es gliedert sich in einen Indexbereich – bestehend aus mehreren formatierten Dateien z.B. Personen- oder Kfz-Datei – und die Spurendatei, in der Volltexte mit Fundstellenverweisen abgespeichert sind. Datenschutzrechtlich sind SPUDOK-Verfahren sehr bedenklich, weil große Mengen personenbezogener Daten registriert werden, bei denen sich ein Verdacht nie erhärtet, die aber trotzdem über einen längeren Zeitraum in der Datei bleiben. SPUDOKs haben im allgemeinen eine Art „Vorfluterfunktion“ vor den PIOS-Verfahren, die nur relevante Erkenntnisse aufnehmen sollen. Anscheinend wird diese Filteraufgabe eines SPUDOK bei politischen Großeereignissen nicht mehr benötigt, weil jeder Hinweis relevant ist.

Auch PIOS-Datenbanken enthalten eine Vielzahl noch nicht durchrecherchierter Informationen zu Personen; darunter solcher, die weder Verdächtige noch Beschuldigte, sondern sog. „3. Personen“ sind. Zum Datensatz jeder – auch der sog. 3. Personen – gehören personenbeschreibende Merkmale. Sie können mehrere 100 Einzelinformationen von genauen Körper- und Verhaltensbeschreibungen bis zu erkennungsdienstlichen Daten enthalten.

PIOS-Arbeitsdateien sind Aktenerschließungssysteme, die der „Verdachtsverdichtung“ dienen. Durch Querverbindungen zwischen den einzelnen Datenbankbereichen und Recherchen im System, sollen auch solche PErsonen als verdächtig ermittelt werden, die zunächst – bezogen auf die einzelnen Informationen – noch nicht verdächtig waren.

Die erste PIOS-Datenbank wurde vom BKA 1976 für den Bereich Terrorismus eingerichtet. Eine PIOS-Datenbank gliedert sich in 5 Bereiche (früher 4): PERSONEN, INSTITUTIONEN, OBJEKTE, SACHEN, EREIGNISSE, die ihrerseits wieder untergliedert sind in formatierte Daten, freie Texte, Fundstellen und Verknüpfungen. Fast alle Formatdaten sind Suchbegriffe. Die Verknüpfungshinweise enthalten kriminalistisch bewertete Zusammenhänge zwischen den in anderen Datenbankbereichen erfaßten Daten. Datenbankstruktur und benutzerfreundliche Auswertungsprogramme machen das Verfahren sehr effektiv.

Der Aufbau einer PIOS-Datenbank erfordert ein großes Datenvolumen. Im Gegensatz zu SPUDOK-Verfahren, die am Ende der Ermittlung aufgelöst werden, indem die Dateien teils gelöscht, teils in andere Verfahren übernommen werden, sind PIOS-Systeme auf Dauer eingerichtet. Auch die Arbeitsdatei PIOS politisch motivierte Straftaten (APMS), die zwar anläßlich der IWF/Weltbank-Tagung eingerichtet wurde, besteht weiter, auch wenn 3.000 Personendatensätze nach Abschluß der Tagung gelöscht wurden.

Kontrollstellen nach 111 StPO:

Wieviele Personendaten aus den Kontrollstellen in APMS oder andere Dateien flossen, läßt sich nicht feststellen. Die Bundesregierung sieht sich nicht in der Lage, Anzahl, Ort und Zeitpunkt der Kontrollstellen zu nennen, noch Angaben über Personenspeicherungen zu machen.

Die ersten Kontrollstellen in Berlin wurden am 4. August an den Grenzübergängen Heiligensee und Dreilinden eingerichtet. Bei den ersten von insgesamt 10 bekannt gewordenen Kontrollstellen hat die Berliner Polizei die Daten aller angehaltenen Personen in Listen festgehalten. Das BKA rügte die Registrierung, weil keine Anordnung nach 163 StPO (Schleppnetzfahndung) ergangen war und die Listen somit rechtswidrig waren. Das BKa setzte sich durch, die Listen wurden so nicht weitergeführt und Ende September vernichtet. 3)

Die Daten der angehaltenen Personen wurden mit der Berliner Datenbank Informationssystem für Verbrechensbekämpfung (ISVB) und den Arbeitsdateien beim BKA PIOS Innere Sicherheit (APIS) , PIOS Landfriedensbruch (APLF), PIOS Gefährdete Personen (APG) und APMS abgeglichen. 4)

Die Treffer wurden vermerkt. Ob in dem Fall der Datensatz in den oben aufgezählten Dateien mit einem „IWF-Merkmal“ versehen oder ob der Datensatz in APMS eingestellt wurde oder ob beides erfolgte, darüber konnte oder wollte der Berliner Datenschutzbeauftragte keine Auskunft geben. Der Abgleich mit dem INPOL-Fahndungsbestand, der parallel mit allen anderen Landesrechnern auch im ISVB geführt wird, zeigte diejenigen Personen, die zur polizeilichen Beobachtung (PB) ausgeschrieben sind. Ihre Daten und die ihrer Begleiter gingen zusammen mit Ort, Zeit und Anlaß dem ausschreibenden LKA zu, das sie in der entsprechenden Datei speicherte. Die Arbeitsdatei APLF wurde wahrscheinlich den LKÄ für die Dauer der Kontrollstellenanordnung zur Verfügung gestellt und war zusammen mit dem INPOL-Fahndungsbestand abfragbar.

In der Arbeitsdatei APLF werden die Daten gespeichert, die alle Bundesländer – außer Hamburg und Saarland – im Zuge des Meldedienstes Landfriedensbruch und verwandte Straftaten an das BKA übermitteln. Sie enthält ca. 1.500 Personendatensätze (Stand: Januar 1988). Im Datenbankbereich „Sachen“ sind vor allem Kfz-Daten, Waffen und Mittel der aktiven und passiven Bewaffnung gespeichert. Zahlenangaben zu diesem wie zu anderen Datenbanken fehlen. Im Gegensatz zu anderen PIOS-Dateien enthält APLF keine 3. Personen. Hier werden „nur“ Angaben über Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren wegen – im einzelnen aufgeführter – Straftaten eingeleitet wurde. Der Straftatenkatalog umfaßt Landfriedensbruch, schweren Hausfriedensbruch, Führung von Waffen, Taten mit Gewalttätigkeiten gegen Personen oder Sachen, Plünderung und Mitführen von Waffen oder verbotenen Gegenständen, soweit diese Straftaten im Zusammenhang mit „politisch bestimmten öffentlichen Versammlungen“ stehen.

Über die Arbeitsdatei PIOS Gefährdete Personen (APG) ist sehr wenig bekannt. Sie enthält nicht nur Angaben über Personen, die durch terroristische Anschläge gefährdet sind, wie z.B. den Staatssekretär Tiedmeyer, sondern auch personenbezogene Daten aus den Bereichen Landfriedensbruch und Terrorismus.

Die Speicherung von Volkszählungsboykotteuren in der Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit (APIS) war das erste Indiz dafür, welch geringfügige Anlässe ausreichen, um vom Staatsschutz registriert zu werden. Was bei der VZ noch wie der Versuch aussah, schon den Widerspruch gegen staatliche Vorhaben als Speicherungsgrund einzuführen, ist – ungeachtet aller Kritik daran – polizeiliche Praxis geworden, wie die Datenerhebung bei IWF zeigt. Die Arbeitsdatei PIOS Innere Sicherheit (APIS) wurde im Januar 1986 in Betrieb genommen. Sie ist eine Verbunddatei beim BKA, auf die die Staatsschutzabteilungen aller LKÄ Zugriff haben. In APIS werden alle bei den einzelnen LKÄ zu einer Person vorhandenen Informationen verschmolzen. Alle Teilhabe sind zu Veränderungen aller Datensätze berechtigt.

APIS enthält ca. 29.000 Personen, 5.700 Institutionen (Organisationen, Firmen, Vereine), 18.000 Sachen (Autos, Waffen), und 83.000 Ereignisse. Angaben zu Objekten fehlen.

Die Arbeitsdatei ist eine Mischung aus Daten zum zweck der Strafverfolgung, der vorbeugenden Straftatenbekämpfung und der Gefahrenabwehr. Gemeinsam ist ihnen nur der Staatsschutzbezug. Hier sind Daten über strafrechtliche Verurteilungen, eingeleitete Ermittlungsverfahren, VErdachtsfälle, Daten über Personen, die weder Beschuldigte noch Verdächtige sind und Daten zum Zweck der Gefahrenabwehr gespeichert.

Unabhängig davon, ob beim Abgleich der an den Kontrollstellen erhobenen Personendaten mit den oben aufgeführten Dateien Treffer erzielt und registriert wurden, sind aber auch die Daten der Personen in APMS eingestellt worden, bei denen die Polizei an der Kontrollstelle IWF-Erkenntnisse gewonnen hat.

Personenkontrollen und Festnahmen nach ASOG

In den Wochen vor der IWF-Tagung fanden zahlreiche Überprüfungen von Personen „in der Nähe gefährdeter Objekte“ statt. Aus diesem Grund wurden z.B. die TeilnehmerInnen der Antiimperialistischen Stadtrundfahrt insgesamt 5mal kontrolliert. Davon waren 220 Personen betroffen, bei 215 lagen bereits Erkenntnisse vor (Tsp., 22.9.88).

Das Verfahren bei den ASOG-Überprüfungen war dasselbe wie bei den Kontrollstellen. Die Daten wurden mit den PIOS-Dateien APLF, APIS und APMS abgeglichen, wobei in 465 Fällen „bereits gespeicherte Erkenntnisse vorlagen“. 5)

Bei ca. 100 Personen wurden beim Abgleich mit APLF Treffer erzielt und in APMS eingestellt. 6)

Am 21. September waren allein aus Berlin 579 Personen aus diesen Überprüfungen in APMS geraten. Für eine Aufnahme personenbezogener Daten in APMS war nicht in jedem Fall die vorherige Speicherung ausschlaggebend. Irgendwelche Verdachtsmomente, die sich bei der Überprüfung ergaben, reichten aus, um die betreffende Person abzuspeichern.

Der Mitarbeiter des Berliner Datenschutzbeauftragten, Dr. Garstka, teilte mit, daß von den Personen – vor allem TeilnehmerInnen der Antiimperialistischen Stadtrundfahrt – die in Eingaben um Auskunft über die Speicherung ihrer Daten gebeten hatten, niemand wegen IWF in APIS registriert sei. Auch die APMS-Speicherung dieser Personen sei Ende September gelöscht worden. 7)
Nach Angaben des Ermittlungsausschuß sind während der Aktionstage 932 Personen festgenommen worden. Laut Polizei waren es 552 Personen (Tsp., 2.10.88).

Ihre Personalien wurden in Listen registriert und mit APMS, APIS und dem ISVB abgeglichen. „In 152 Fällen waren die Daten der festgenommenen Personen in den Dateien bereits enthalten“. 8)

Die Daten derjenigen Personen, gegen die ein Ermittlungsverfahren eingeleitet wurde, kamen in das ISVB. Die Daten der übrigen „sind in keiner Datei/Kartei oder sonstigen Sammlung gespeichert worden“. 9)

Vor der IWF-Tagung führte der Staatsschutz bei ca. 10.000 Berliner Arbeitnehmern, vor allem aus dem Dienstleistungsbereich, Sicherheitsüberprüfungen durch. Die Daten von Hotelangestellten, TaxifahrerInnen wurden von den Arbeitsgebern auf Listen an den Staatsschutz übermittelt. Dieser gleich die Daten mit dem ISVB und APIS ab. Ob sich aus den Sicherheitsüberprüfungen irgendwelche Konsequenzen für ArbeitsnehmerInnen ergeben, ist nicht bekannt.

1) Dr. Garstka, Mitarbeiter des Berliner Datenschutzbeauftragten am 10.11., taz vom 11.11.88
2) Garstka, Sitzung des Unterausschuß Datenschutz des Berliner Abgeordnetenhauses am 10.11.88
3) Garstka, Mitarbeiter des Berliner Datenschutzbeauftragten, s.o.
4) vgl. Anfrage der Grünen vom 7.10.88, Bundestagsdrucksache 11/3130
5) Kleine Anfrage der AL Nr. 5303 vom 28.10.88
6) Unterausschuß Datenschutz des Berliner Abgeordnetenhauses am 10.11.88
7) Kleine Anfrage der AL, Nr. 5267 vom 26.10.88
8) Kleine Anfrage der AL, Nr. 5267 vom 26.10.88

Foto: Peter Homann/Gegendruck