Von der Post- zur Kommunikationskontrolle: Der Änderungsantrag der CDU/CSU zum „Gesetz zur Neustrukturierung des Post- und Fernmeldewesens und der deutschen Bundespost“ (PostStruktG)

Stellungnahme

Im Handstreich haben Bonner Koalitionsabgeordnete dem lange diskutierten PostStrktG wenige Wochen vor der rechtskräftigen Verabschiedung dieses Gesetzes am 20.4.d.J. eine „Ergänzung“ nachgeschoben, die die staatlichen Überwachungsbefugnisse auf alle neuen Kommunikationsformen und -techniken ausdehnt. Zeit für öffentlichen Widerspruch gab es so gut wie nicht.

1. Die Angst vor Nischen

In kaum einem der „Sicherheitsgesetze“ tritt die Denkweise und -logik der exekutiven Rechtsproduzenten so klar zu Tage, wie bei diesem unscheinbaren Änderungsantrag zum Poststrukturgesetz: „Aus sicherheits- und strafverfahrensrechtlicher Sicht bedarf es der Änderung“ (der bisherigen Regelungen im G-10-Gesetz und der StPO) „da sonst die große Gefahr besteht, daß Nischen entstehen, in die z.B. die organisierte Kriminalität und der internationale Terrorismus ausweichen können.“ Dieser Satz aus der Begr. ist verräterisch. Die Gesetzesgeber versuchen nicht einmal mehr den Eindruck zu erwecken, als hätten sie darüber nachgedacht, wo zur Abwehr schwerwiegender Gefahren Eingriffe in die immer transparenter werdenden Formen der menschli-chen Kommunikation und die Kontrolle des dabei Verarbeiteten „unabweisbar notwendig“ sei.

Nein, Terrrorismus und organisierte Kriminalität werden als Stichworte, die größte Bedrohung von Staat und Gesellschaft symbolisieren, einfach beispielhaft angeführt. Es sind die Nischen an sich die als Bedrohung benannt werden. Diese durch die neuen Kommunikationstechniken und die Privatisierung von Teilbereichen des Kommunikationsgeschäfts enstehenden Räume sind es, die a priori der Kontrolle unterworfen werden sollen. Vom Zugriff der Sicherheitsapparate kontrollfreie Räume darf es nach dieser Logik der Gesetzesmacher nicht geben. Denn:“Nach den Erfahrungen der Sicherheitsbehörden würden potentiell Betroffene die sonst fehlenden Überwachungsmöglichkeiten erkennen und verstärkt nutzen.“

Wenn aber die „potentiell Betroffenen“- und das sind potentiell alle Bürger – die Überwachung erkennen, was dann? Sie – und mit höherer Professionalität sicher auch Waffenschieber, Hersteller von Giftgasanlagen, korrupte Politiker und Terroristen werden weiter Nischen suchen und finden zur vertraulichen Kommunikation. Und weil nicht etwa nur der im Entwurf angeführte mobile Funkrufdienst sich „generell zur konspirativen Kommunikation von Personen“ eignet, sondern generell jede vertrauliche Form des Gesprächs, des Austauschs von Zeichen auch der Verschwörung dienen kann, wird der Druck wachsen, auch diese Formen der Kommunikation in den Griff zu bekommen: Video-überwachung, Richtmikrophone, Wanzen usw. kurz nachrichtendienstliche Mittel und Möglichkeiten verdeckter Ermittlungen müssen zum Einsatz kommen, um weitere Nischen auszuleuchten.

Die liberalen Rechts- und Staatstheorien des 19. Jahrhunderts gingen von der Vorstellung eines in seiner Kommunikation freien und vor staatlicher Kontrolle geschützten Bürgers aus, als Voraussetzung „eines auf Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit seiner Bürger begründeten freiheitlichen demokrati-schen Gemeinwesens“- so ganz in dieser Tradition das BVerfG im Volkszählungsurteil. Der vorliegende Entwurf geht demgegenüber von der Notwendigkeit der Auflösung aller, nur als Nischen wahrgenommenen bürgerlichen Freiräume aus und damit vom Postulat eines umfassenden staatlichen Kontrollanspruchs. Konsequenterweise werden die in dem Entwurf enthaltenen schwerwiegenden Beschränkungen des Post- und Fernmeldegeheimnis nicht einmal mehr erwähnt.

2. Die rechtliche „Lösung“ im Entwurf

Dies geschieht im vorliegenden Entwurf nun nicht dadurch, daß neue Eingriffsvoraussetzungen in die Kommunikation von Bürgern formuliert werden. In diesem Punkt bezieht man sich schlicht auf 100 StPO mit seinen weitreichenden Anwendungsmöglichkeiten (etwa Ermittlungen wegen 129a) und auf das in seinen strategischen Kontrollmöglichkeiten noch weitergehende G-10-Gesetz. Doch dem Grundrecht auf Unverletzlichkeit der Privatsphäre und der informationellen Selbstbestimmung, das mit dem G-10-Gesetz schon im Zuge der Notstandsgesetzgebung weitgehend ausgehöhlt worden war, wie Konrad Hesse zu-treffend vermerkt 1), wird durch den vorliegenden Entwurf der Boden völlig entzogen. Denn in weit höherem Maße als früher vollzieht sich menschliche Kommunikation heute über technische Medien, wie die digitalisierte Vermittlung von Telephongesprächen durch ISDN, Telefax, BTX, die Datenüber-mittlung durch Datex-L und Datex-P. Diese Medien werden immer weitere, auch privateste Formen des Verkehrs der Bürger mit seiner Umwelt umfassen, seinen Kontakt mit Behörden, seine Finanzen, sein Konsum, seine Freizeitgewohnheiten usw. Diese Medien ermöglichen jedoch nicht nur Kommunikation, sondern machen es in ganz anderem Maße als früher möglich, diese auch als Daten festhalten.2) Dies gilt zum einen für die Erfassung der Kom-munikationsstruktur: wer also mit wem, wann telephoniert oder sonst Nachrichten ausgetauscht hat 3). Zum anderen aber gestatten die neuen Medien „zunehmend auch die Überwachung der Kommunikationsinhalte“; dort insbesondere, wo digitalisierte Daten und Texte übermittelt werden. „Mittels geeigneter Programme lassen sich Mitteilungen mit interessanten Inhalten herausfiltern und aufzeichnen.“4)

Indem nun Fernschreiben nicht mehr nur mitgelesen und Telephongespräche nicht mehr nur abgehört und auf Tonträger aufgenommen werden dürfen (so die alte Fassung), sondern „überwacht“ und aufgezeichnet werden dürfen (gemacht hat man dies nach freimütigem Bekunden der Bundesregierung ohnehin schon), wird die Überwachung der privaten Kommunikation intensiviert und extensiviert: Intensiviert durch die effektiveren Kontrollmöglichkeiten bei den neuen Medien; extensiviert dadurch, daß über die neuen Medien immer weitere Felder privater und gesellschaftlicher Kommunikation erfaßt werden können. Rechtlich findet dies seinen Ausdruck in
a) dem neu formulierten 1 Abs.1 des G-10-Gesetzes
b) der schlichten Ersetzung der Formulierung „Aufnahme des Fernmeldeverkehrs auf Tonträger“ durch „Aufzeichnung“ des zunehmend digitalisierten Fernmeldeverkehrs in 100 a und b StPO (auf Bändern und nicht mehr auf Ton-trägern).
Art.10 GG wird so zum bloßen Symbol am Wertehimmel der Verfassungsordnung, während die vielfältigsten gesellschaftlichen Kommunikationsformen ob der in ihr liegenden Konspirationsgefahr der staatlichen Totalkontrolle unterworfen werden: sicher nicht alle, doch potentiell jede (etwa im Zuge der strategischen Kontrolle nach 3 des G-10-Gesetzes).

Mit den Regelungen nähern wir uns dem vorkonstitutionellen Zustand im Österreich Metternichs oder in Bayern Montgelas.5) Der Sache nach übersteigen die heutigen technischen Möglichkeiten all das, wovon ein Fouché oder der preussische Generalpostmeister Nagler je träumen konnte. Der institutionellen Form nach wird jedoch mit dem neuen Poststrukturgesetz der entgegengesetzte Weg eingeschlagen. Wurde im Absolutismus nicht zuletzt aus Gründen der Staatssicherheit der Postdienst verstaatlicht, so werden jetzt wichtige Teilbereiche privatisiert. Um den Zugriff der Sicherheitsapparate auf die privaten Betreiber von Einrichtungen der Telekommunikation abzusichern, wird mit dem vorliegenden Änderungspaket die hoheitliche Kontrolle abgesichert.

Dies ist seine zweite Hauptfunktion. Sie kommt in vier Punkten zum Ausdruck:

1. Zunächst einmal wird im G-10-Gesetz ( 1 Abs.2) und in 100 b Abs.3 der StPO die Pflicht, den Anordnungen der Sicherheitsbehörden oder eines Richters oder Staatsanwaltes im Falle 100b StPO Folge zu leisten, auch auf private Betreiber von Fernmeldeeinrichtungen ausgedehnt.

2. Danach wird dem im Privatsektor für die Überwachung und Aufzeichnungen zuständige Personal der Status von Geheimnisträger verliehen, die nach der für den öffentlichen Bereich geltenden Verschlußsachenanordnung einer Si-cherheitsüberprüfung unterworfen werden (Art.1 Abs.2 G-10-Gesetz)

3. Durch eine Änderung des Gesetzes über Fernmeldeanlagen werden den so zu quasihoheitlichen Geheimnisträgern ohne Pensionsanspruch erhobenen Anzapf- und Lauschspezialisten Freiheitsstrafen bis zu zwei Jahren angedroht für den Fall, daß sie die Tatsache der Überwachung des Fernmeldeverkehrs einem anderen mitteilen ( 10). Die Unternehmen wiederum haben mit empfindlichen Geldbußen für den Fall zu rechnen, daß sie sich gegen die Anordnungen der Sicherheitsbehörden zur Wehr setzen ( 11 Abs.1 Nr.1) oder keine sicherheitsüberprüften Angestellte „bereithalten“ ( 11 Abs.1 Nr.2).

4. Schließlich wird die Geltung des 354 StGB über die Postbediensteten hinaus auch auf das private Personal im Fernmeldebereich erstreckt. Bei diesem Paragraph, der beim Vorliegen eines bloß privaten Interesses genau das unter Strafe stellt, was im Interesse des Staates zu tun ist – nämlich die Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses – haben die Gesetzgeber typischerweise darauf verzichtet, die Tatbestände der Verletzung des Post- und Fernmeldegeheimnisses den Bedingungen der mondernen Telekommunikation an-zupassen.

Zusammengesehen mit den neuen Befugnissen zur Kommunikationsüberwachung in den Geheimdienstgesetzen, dem Versammlungsgesetz ( 12a) und dem Entw. eines Strafverfahrensgesetz 1988 ist ein nahezu lückenloses rechtliches Reservoir entstanden zur Überwachung, Kontrolle und Aufzeichnung jedweder vertraulichen Kommunikation in jedweder sozialen Situation.

1) Konrad Hesse, Grundzüge der Verfassung der Bundesrepublik Deutschland, RN.377, Heidelberg 1984, 14. Aufl.
2) Siehe ausführlich zum Problem den 7. Tätigkeitsbericht (1988) des Hamburger Datenschutzbeauftragten, S.15 ff.
3) Daß diese Möglichkeit auch denen noch nicht bewußt ist, die solche Gesetze verabschieden und anwenden, illustrierte der Fall Barschel eindrücklich, indem nicht zuletzt die registrierten Daten über seine Kommunikation sein Lügengebäude zusammenstürzen ließen.
4) 7.Datenschutzbericht (1988), Hamburg, a.a.0., S.18
5) vgl. zur damaligen Postkontrolle Wolfram Siemann, „Deutschlands Ruhe, Sicherheit und Ordnung,“ Tübingen 1985