Der „Genetische Fingerabdruck“ – Verfahrensstand und rechtspolitische Diskussion

von Bernhard Gill *

Insbesondere durch den Bericht der Enquete-Kommission „Chancen und Risiken der Gentechnologie“ wurde hierzulande ein Verfahren bekannt (1), das Mitte der 80er Jahre in den USA und England unter dem Namen „Genetic Fingerprinting“ eingeführt worden war. Der amerikanische Sprachgebrauch markiert dabei recht genau den vornehmlichen Zweck des Verfahrens, die Identifzierung von Personen durch die Strafverfolgungsbehörden. Erstmals in der bundesdeutschen Kriminalgeschichte wurde im August 1988 in Berlin ein „Genetischer Fingerabdruck“ als Beweismittel akzeptiert und darauf gestützt ein Haftbefehl erlassen. Inzwischen haben weitere Gerichte dieses Verfahren akzeptiert.

1. Was ist ein „Genetischer Fingerabdruck“?

Der „Genetische Fingerabdruck“ baut auf der in der Biowissenschaft allgemein vorherrschenden Hypothese auf, mit der im Zellkern eingelagerten DNS ein sehr stabiles und zugleich interindividuell unterscheidbares Biomolekül gefunden zu haben, das als das „erbliche Programm“ des einzelnen Lebewesens angesehen wird. Diese Prämisse soll die einidentische Zuordnung von Zellmaterial zu einer Person erlauben, ganz gleich, wo dieses Zellmaterial (Blut, Haare, Sperma etc.) als „Spur“ zurückgelassen wurde. Der gentechnischen Methode kommt es also zunächst darauf an, Abschnitte im menschlichen Genom zu identifizieren, die für alle Körperzellen eines Individuums gleich, von allen anderen Personen aber verschieden sind.

Diese Anforderungen werden mittlerweile von mehreren gentechnischen Verfahren erfüllt, die sich neben technischen Details in einem wesentlichen Punkt unterscheiden, nämlich der Frage, ob die Untersuchung an „kodierenden“ oder „nicht kodierenden“ Abschnitten des menschlichen Genoms vorgenommen wird. Unter „kodierenden Abschnitten“ versteht man solche Sequenzen der DNS, die für den Bau und die Funktion des Körpers wichtige Informationen enthalten; als „nicht kodierend“ sieht man solche Abschnitte an, die nach heutigem Erkenntnisstand als funktionslos gelten. Durch die Verwendung von „nicht kodierenden“ Abschnitten glaubt man, den Zweck des Verfahrens allein auf die einidentische Zuordnung von „Spur“ und „Spurenleger“ eingrenzen und die Gewinnung „überschüssiger Information“, etwa zur Feststellung der Schuldfähigkeit, ausschließen zu können.

Diese Zuordnungen waren schon zum Teil durch herkömmliche Verfahren der Blutgruppenbestimmung und andere biochemische Verfahren zur Untersuchung von Proteinen möglich, mit denen sich ebenfalls Verwandtschaftsbeziehungen (Vaterschaftsgutachten !) und Spurenidentifzierung vornehmen ließen.

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Gegenüber den herkömmlichen Methoden werden dem „Genetischen Fingerabdruck“ (GF) mehrere Vorteile zugeschrieben:
* aufgrund statistischer Erwägungen wird der GF als präziser angesehen: es bestehe eine geringere Wahrscheinlichkeit der falsch positiven Identititätszuschreibungen,
* universellere Anwendbarkeit, weil die DNS in allen Körperzellen vorhanden sei,
* Möglichkeit der Untersuchung von älteren Spuren (bis zu 2 Jahren gegenüber 1/2 Jahr bei herkömmlichen Methoden),
* Möglichkeit der Untersuchung von geringeren Spuren-Mengen, eine einzige Zelle (Haarwurzel) soll bereits ausreichen.

2. Bisherige Anwendung des „Genetischen Fingerabdrucks“

In England und den USA, wo entsprechende Methoden zuerst entwickelt wurden, hat dieses Verfahren bereits in relativ großem Umfang Einzug in den behördlichen Alltag gehalten.

England

Im britischen Leicestershire County gelang es der Polizei 1987, einen mutmaßlichen Vergewaltiger und Mörder zu ermitteln, nachdem sie von 5500 Männern im Alter zwischen 13 und 30 Jahren, die in der Umgebung des ländlichen Tatorts wohnten, Blut- und Speichelproben abgenommen hatte (2). Nach Angaben von Superintendent Painter seien die Zellmaterial-Proben freiwillig abgegeben worden. Der jetzt Angeklagte habe allerdings versucht, sich dem Test zu entziehen. Unklar bleibt, ob schon die Weigerung als Haftgrund ausreichte; Painter kommentierte lediglich, mit seiner Weigerung habe der Mann „nur sein gesetzlich verbrieftes Recht ausgeübt“. Haftbefehl erging jedenfalls noch bevor das Ergebnis eines in Frage kommenden Zwangstest vorgelegen haben konnte (Der Spiegel, Nr.41/1987). Durchgeführt wurden diese Tests von Cellmark Diagnostics, einer Tochterfirma des britischen Chemiekonzern ICI (3). Sie monopolisiert bislang das Geschäft in England, wo das Verfahren schon gelegentlich von Gerichten und von einigen Privatpersonen, aber vor allem von den Einwanderungsbehörden nachgefragt wird. Da mit dem Verfahren auch Verwandtschaftsgrade überprüft werden können, nimmt die Einwanderungsbehörde den Service von Cellmark Diagnostics in Anspruch, um beim Nachzug von Familienangehörigen aus Commonwealth-Ländern strittige Abstammungsverhältnisse zu überprüfen. Gegen das Ansinnen des Home office, entsprechende Tests bei den jährlich etwa 12 000 Einwanderern aus Bangladesh und Pakistan als Routine-Prozedur einzuführen, wurde von deren Repräsentanten schwere Bedenken erhoben. Neben der allgemeinen Einschränkung der Bürgerrechte sei zu befürchten, daß Tragödien in den sehr konservativen asiatischen Familienstrukturen heraufbeschworen würden, etwa wenn eine bisher als selbstverständlich akzeptierte Vaterschaft durch den Test plötzlich widerlegt würde. (4)

USA

Auch aus den USA wird gemeldet, daß dort vergleichbare Tests als Beweismittel in Gerichtsverfahren vorgelegt worden seien. Im August 1988 wurde in Arlington (Virginia) erstmals ein des Mordes Beschuldigter zum Tode verurteilt, nachdem die Täterschaft mit Hilfe dieser Methode nachgewiesen worden war (Frankfurter Rundschau, 19.8.88).
Immerhin ist es in den USA noch umstritten, ob das DNS-„Fingerprinting“ gegenwärtig die im amerikanischen Recht geltenden Kelly-Frye-Regeln erfüllt. Diese schreiben vor, daß die wissenschaftliche Zuverlässigkeit einer Technik erwiesen sein muß, bevor sie als Beweis vor Gericht zuzulassen ist. Vom kalifornischen Justizministerium wird allerdings schon jetzt eine Datenbank zur Speicherung von DNS-„Fingerab-drücken“ aufgebaut, die der Verfolgung und Identifzierung von Wiederholungstätern dienen soll. Weil die Jeffreys-Methode einen zu großen Datensatz liefert, wird zur Zeit von staatlichen Wissenschaftlern an der Auswahl anderer Verfahren gearbeitet; im Gespräch ist dabei besonders eine Methode der Cetus Corporation – die Firma möchte einen Set entwickeln, mit dem jedes Labor diese Methode anwenden kann. Zwischenzeitlich wurden in die kalifornische Datenbank bereits die DNS-„Fingerabdrücke“ aus mehr als 5 000 Blut- und Speichelproben eingespeichert, die von überführten Sexualstraftätern in den letzten fünf Jahren gesammelt wurden. (5)

Bundesrepublik

In der BRD waren erste Hinweise auf die Einführung des Verfahrens seit Frühjahr letzten Jahres zu registrieren. Im März inserierte das Hessische Landeskriminalamt: „Diplombiologen/innen gesucht, die über biochemische/gentechnologische Grundlagen“ verfügen, im April suchte die Berliner Polizeitechnische Untersuchungsstelle für „sofort“ per Anzeige wissenschaftliche Mitarbeiter/innen „für die Entwicklung neuer Verfahren (z.B. DNS-Finger-printing) und deren Überführung in die Routine“ (Hamburger Rundschau, 13.10.88, S.7). Sigrid Hermann, die sich später auf einer Pressekonferenz als Inhaberin der für Berlin ausgeschriebenen Stelle zu erkennen gab, taucht allerdings bereits im Tätigkeitsbericht des Bundesgesundheitsamts (BGA) von 1987 als Mitunterzeichnerin eines Artikels auf, in dem die Anstrengungen zur Standardisierung des DNS-„Fingerabdrucks“ in den Labors des Ro-bert-Koch-Instituts beschrieben werden; als Kooperationspartner des BGA ist dort bereits für 1987 das LKA Berlin erwähnt (6). Von der Hannoverschen Allgemeinen Zeitung wurde im Mai 88 gemeldet, daß in Stuttgart-Bad Cann-statt die notwendigen Geräte schon im Kriminaltechnischen Institut (KTI) bereitstünden. Dem Gen-ethischen Informationsdienst bestätigte der zuständige LKA-Sprecher Brestrich daraufhin im Juni auf Anfrage, daß das Verfahren in Einzelfällen schon angewandt werden könne, während der Leitende Regierungsdirektor des KTI, Dr. Klimmich, alles dementierte, weil man in der Gemeinsamen Arbeitsgruppe der LKAs Berlin und Baden-Württemberg und des BKA Stillschweigen vereinbart habe (7). Wie das BMI in seinem Hausblatt „Innere Sicherheit“ (3/1988) im August l.J. meldete, sei diese Arbeitsgruppe seit März 1987 dabei, die Verwendung der Gen-Analyse für kriminalpolizeiliche Ermittlungen zu prüfen.

Auf einer Pressekonferenz am 12.8.88 in Berlin wurde die erste Verwendung des DNS-„Fingerab-drucks“ in der BRD vorgestellt. Spurenmaterial, das bei einer Vergewaltigung mit anschließendem Mord sichergestellt worden war, war zusammen mit einer Blutprobe des Tatverdächtigen an die o.g. Firma Cellmark Diagnostics in England geschickt worden. Diese legte ein Gutachten vor, das die Identität von Tatspur und Verdächtigtem nahelegte (Volksblatt Berlin, 13.8.88). In diesem Verfahren (Mordfall Mrosek) verzichtete das Berliner Landgericht schließlich darauf, dieses Beweismittel zu verwenden, da der Beschuldigte ein Geständnis abgab, erklärte aber gleichwohl, daß dieses Verfahren ein gültiges Beweismittel sei (Tagesspiegel, 15.12.88).

Erstmals als Beweismittel förmlich verwendet wurde dieses Verfahren in einem Prozeß um den sexuellen Mißbrauch von Kindern vor dem Landgericht Darmstadt. Der Beschuldigte wurde nach einem entsprechenden Gutachten vom Vorwurf des sexuellen Mißbrauchs eines Kindes freigesprochen; die Staatsanwaltschaft kündigte einen Revisionsantrag mit dem Ziel an, dieses Verfahren vom Bundesgerichtshof anerkennen zu lassen (Frankfurter Rundschau, 5.5.89). Nach Berlin und Rheinland-Pfalz sollen nun auch in Hessen der Polizei technische Mittel für entsprechende Untersuchungen zur Verfügung gestellt werden.

3. Die Anhörung vor dem Rechtsausschuß des Bundestages

Während von der Exekutive längst Tatsachen geschaffen wurden, ist es in den Beratungsorganen der Legislative immer wieder zu Verzögerungen gekommen. (8)

Am 12. Oktober letzten Jahres fanden sich schließlich im Bundeshaus 11 Sachverständige ein, um dem Rechtsausschuß Rede und Antwort zu stehen.

Die Gutachten unterscheiden sich deutlich im Tenor ihrer Empfehlungen, die vom generellen Verbot der Genomanalyse im Strafverfahren (Wächtler) über die Zulassung unter verschieden intensiv gestaffelten Vorkehrungen rechtlicher, organisatorischer und technischer Natur bis hin zur schrankenlosen Durchführung ohne eigene gesetzliche Regelung (Schmitter als Vertreter des BKA) reichen. Bei der Mehrzahl der Sachverständigen, die die Einführung unter Berücksichtigung entsprechender Kautelen für zulässig hielten, zeigte sich ein systematischer Unterschied: Während die Juristen prinzipiell mehr Phantasie an den Tag legten, was die Frage möglicher Mißbräuche anbetrifft, konnten die Naturwissenschaftler, die über Erfahrungen in Blutgruppengutachten verfügen, lediglich technische Probleme bezüglich der Validität der Ergebnisse erkennen und verbaten sich ansonsten jeden Eingriff in ihre professionelle Autonomie. Innerhalb der Gruppe der Juristen ist weiterhin festzustellen, daß die Intensität ihrer Bedenken davon abhing, ob sie die Unterscheidung zwischen kodierenden und nicht-kodierenden Sequenzen (s.o.) als Ausgangsprämisse der Fragestellung akzeptierten oder diese Differenzierung erst als Konsequenz forderten. Wo die Unterscheidung bereits als Prämisse akzeptiert wird, ist auch die Phantasie über weitgehendere Verwendungen der Genomanalyse im Strafverfahren erheblich eingeschränkt. Von den Naturwissenschaftlern, die sich in ihrer Argumentation allein auf die Erfahrungen in herkömmlichen Blutgruppengutachten bezogen, und dem Vertreter des BKA wurde bereits in den Vorreden darauf verwiesen, daß die Themenstellung der Anhörung unzulässig sei, weil es ihrer Ansicht nach allein um die Identitätsfeststellung durch DNS-„Fingerpriniting“ gehen könne; weitergehenderer Informationsgewinn wäre „leicht auszuschließen“ (Driesel v. Dechema-Institut, Henke v. Laboratorium f. forensische Blutkunde) bzw. sei „von Natur aus unmöglich“ (Schmitter v. BKA).

3.1. Möglichkeiten des Einsatzes der Genomanalyse durch die Strafverfolgungsbehörden

Die Sachverständigen kamen übereinstimmend zu dem Ergebnis, daß alle erdenklichen Anwendungsmöglichkeiten der Genomanalyse so gut wie keiner spezialrechtlichen Einschränkung (etwa nach StPO) unterlägen. Allerdings wurden verschiedentlich verfassungsrechtliche Bedenken angemeldet, die sich sowohl auf das vom BVerfG formulierte Recht auf informationelle Selbstbestimmung als auch auf den durch Art.2 und Art.1 GG begründeten Schutz der Intimsphäre bezogen.

Insbesondere Gössel (9) und Keller (10) führten aus, daß im rechtlichen Sinne nicht allein die auf 81a StPO gestützte zwangsweise anzuordnende Blutprobe zu diskutieren sei, sondern alle Vorgänge im Verlauf polizeilicher Spurensicherung von Bedeutung seien. Hier sei die Gewinnung von Zellmaterial durch freiwillige Herausgabe, durch Beschlagnahme nach 94 StPO, im Zusammenhang mit Durchsuchungen nach 102 u. 103 StPO sowie durch körperliche Untersuchung an anderen Verfahrensbeteiligten nach 81c StPO zu berücksichtigen. Die Problematik der Genomanalyse ergäbe sich nämlich kaum aus dem körperlichen Eingriff, der als solcher medizinisch harmlos sei, sondern vielmehr aus dem weitreichenden Informationsgewinn, der gegenwärtig und im noch umfassenderem Maß zukünftig aus dem gewonnenen Material gezogen werden könne. Die gegenwärtigen Regelungen der StPO, so Keller, seien auf die modernen Methoden der Informationsgewinnung, -speicherung und -verknüpfung, mit denen Behörden in die Freiheit der Rechtsunterworfenen eingreifen könnten, noch nicht abgestimmt, weil bei ihrer Verabschiedung durch den Gesetzgeber diese technische Entwicklung nicht absehbar gewesen sei. Er führte weiterhin aus, daß schon die Sicherstellung von anonymen Spuren rechtlich gegen die informationelle Selbstbestimmung abzuwägen sei, weil ja der Zweck des Verfahrens schließlich auf die Deanonymisierung der Spur abziele. Besonders Gössel, der die Genomanalyse tendenziell ohnehin für verfassungswidrig hält, weil sie in Kernbereiche der Persönlichkeit eingreife und ihre Zulassung als Beweismittel gegen Beschuldigte im Strafverfahren deshalb fraglich sei, machte darauf aufmerksam, daß aus einem möglichen gerichtlichen Verwertungsverbot, wie es tatsächlich etwa für den Lügendetektor gelte, auch die Unzulässigkeit der Beweismittelerhebung durch die Polizei abzuleiten sei.

Keller wies darauf hin, daß die Genomanalyse entgegen gegenteiliger Behauptungen für die Fahndung sehr wohl von Interesse sei. Neben der Feststellung äußerer Merkmale (z.B. Geschlecht) anhand von Spurenmaterial, die durch 81b StPO abgedeckt sei, erfolge schon jetzt eine widerrechtliche Speicherung von medizinischen Dokumenten (z.B. Röntgenbilder, Blutuntersuchungen) durch das BKA, die Aufschluß über das Körperinnere geben könnten. Daß die Genomanalyse jedenfalls zukünftig Aufschluß über Verhaltensmerkmale von Personen erbringen könne, sei aus den psychogenetischen Forschungsanstrengungen unschwer abzulesen. Ein entsprechendes Verwertungsinteresse durch die Ermittlungsbehörden habe sich schon bei der Terroristenfahndung gezeigt, bei der aus anderen Beobachtungen gewonnene Verhaltensprofile zum Zuge gekommen seien. Daß auch schon herkömmliche Methoden der Identitätsfeststellung trotz gegenteiliger Behauptungen einen Informationsüberschuß liefern, belegt (unfreiwillig) ein von Henke zur Einsicht gegebenes Blutgruppen-Gutachten: „Dementsprechend finden sich bei ihm rassencharakteristische Phänotypen, die fast ausschließlich in der negriden Bevölkerung zu finden sind.“ (11)

Der Bundesdatenschutzbeauftragte Einwag erklärte die Feststellung von äußerlichen Merkmalen durch Genomanalyse zu Fahndungszwekken für zulässig, sofern sie vom Richter angeordnet würde. Die Speicherung in SPUDOK solle nach denselben Kriterien erfolgen, wie sie auch für gewöhnliche Fingerabdrücke gelten. Um der Gefahr von Massentests, wie in England schon geschehen (s.o.) und für die BRD in anderem Zusammenhang erwähnt (12), zu begegnen, hielt es Jung (13) für erforderlich, daß der Test gegenüber Verdächtigten nur „auf freiwilliger Grundlage“ vorgenommen werden dürfte, wenn er andernfalls auch zwangsweise angeordnet werden könnte.

Daß die Genomanalyse anstelle des Identitätsnachweises auch geeignet sein könnte, zur Feststellung der Schuldfähigkeit (nach 21 u. 22 StGB) und für die Sozialprognose bezüglich der Strafzumessung (u.a. 56 StGB) im Strafverfahren herangezogen zu werden, betonten besonders Wächtler, Keller und Gössel. Gössel wies außerdem darauf hin, daß auch eine am Opfer vorzunehmende Genomanalyse im Verlauf des Strafprozesses angeordnet werden könnte, etwa um zu beweisen, daß eine strafbegründender Gesundheitsschaden nicht durch die Tat hervorgerufen, sondern erblich bedingt sei. Ferner führte er aus, daß die Genomanalyse auch zu Klärung von Verfahrensvoraussetzungen (z.B. Verhandlungsfähigkeit, Verwandtschaftsbeziehungen) im Zuge des sog. Freibeweises eingesetzt werden könnte, dann aber nur mit Einwilligung der Betroffenen zulässig sei. Mehrfach stellten die Gutachter fest, daß die Genomanalyse in Verfahren wegen Verletzung der Unterhaltspflicht nach 170 StGB von Bedeutung sei. Einwag vertrat die Auffassung, daß zur Feststellung der Schuldunfähigkeit infolge von Geisteskrankheit die Genomanalyse einer einstweiligen Unterbringung nach 126a StPO als „milderes Mittel“ vorzuziehen sei, wenn der Beschuldigte dem zustimme.

Die Gefahr der unkontrollierten Speicherung und Umwidmung von genetischen Daten wurde besonders von Wächtler betont, der auf einen Fall verwies, in dem sich die Polizei geweigert hatte, die erkennungsdienstlichen Unterlagen eines rechtskräftig Freigesprochenen zu löschen. In einem anderen Fall sei von der Koblenzer Staatsanwaltschaft die Blutprobe eines flüchtigen Verdächtigen, die noch von einem früheren Alkoholtest übrig war, für eine Genomanalyse herangezogen worden (Der Spiegel, Nr.36/1988, S.59). Die Polizei habe auch zur Speicherung von anderen personenbezogenen Merkmalen Datenbanken aufgebaut, für die es (zunächst) keine Rechtsgrundlage gegeben habe. Sie folge hier „Erkenntnissen der Kriminologie“, die umfangreiche Personenkreise als „Trieb-, Neigungs-, Hang- und Gewohnheitstäter“ (14) in Betracht zöge. Demgegenüber behauptete Schmitter (BKA), daß eine erkennungsdienstliche Erfassung von genetischen Daten unsinnig sei, weil nur in seltenen Fällen – etwa bei Sexualdelikten von Serientätern und bei Einbrechern, die sich regelmäßig verletzen – entsprechend verwertbares Spurenmaterial zurückgelassen würde (15).

Auf eine mögliche Auswertung genetischen Materials durch die Kriminalbiologie wiesen Wächtler und Keller hin. Sie referieren einen aus den USA bekanntgewordenen Vorgang, als in den 60er Jahren Reihenuntersuchungen an Neugeborenen erfolgten, weil man eine Korrelation zwischen dem Auftreten der chromosomalen XYY-Konstitution und einer Neigung zu kriminellen Verhalten entdeckt zu haben glaubte. Bedenken hätten sich, so Keller, erst ergeben, als man über die Problematik nachdachte, daß die spätere Mitteilung des Befunds für die Betroffenen als self fullfilling prophecy wirken könnte. Wächtler berichtete, daß die Hamburger Humangenetikerin Stoeckenius den XYY-Befund noch unlängst zur Ausstellung der eugenischen Indikation herangezogen habe, obwohl dessen Stichhaltigkeit in der Fachwelt längst bestritten sei. Gössler teilte mit, daß der Hamburger Biologe Mull eine noch ältere Untersuchungsmethode, nämlich den gewöhnlichen Fingerabdruck, ebenfalls zur Feststellung von Erbkrankheiten heranziehe. Keller bekräftigte schließlich, daß sich aus der modernen Genomanalyse noch viel weitreichendere Aufschlüsse ergeben werden, indem die Genetiker sich anschickten, z.B. die Dispositionen für „so komplexe Erscheinungen wie Schizophrenie und Depression“ aufzuklären. Die häufige Verwendung der Genomanalyse im Strafverfahren werde auch eine nachfolgende Reihenuntersuchung durch die Kriminalbiologie ermöglichen. Die zu beobachtende Renaissance der kriminologischen Erblichkeitstheorie berge in sich die Tendenz, die Gesellschaft von der Verantwortung für die Entstehung von Kriminalität zu entlasten; legitim erscheine dann, daß die staatlichen Instanzen mit sichernden Maßnahmen gegen konstitutionell gefährliche Einzelne oder Gruppen vorgehe. Darüber hinaus zeigte Wächtler, daß die Heranziehung der Genomanalyse zur Begründung der Schuldunfähigkeit und ihre Funktion als wissenschaftliche Methode der Kriminalbiologie untrennbar miteinander verwoben sind.

3.2. Vorschläge für rechtspolitische Konsequenzen

Wächtler, der gegenüber dem drohenden Mißbrauch der Genomanalyse im Strafverfahren deren generelles Verbot empfiehlt, hält eine Unterscheidung zwischen nicht-kodierenden und kodierenden Sequenzen (16) sowie zwischen repressivem und präventivem Einsatz für praktisch undurchführbar. Trotz der zum Teil erhobenen schweren Bedenken halten andere Gutachter eine rechtliche Einhegung für möglich. Die Vorschläge der Regelungsoptimisten seien hier lediglich summarisch aufgeführt, da ihre rechtsdogmatische Konsistenz in den einzelnen Gutachten ohnehin nicht näher erörtert wurde:
* Anordnung nur durch den Richter
* Qualifizierter Verdacht
* Verhältnismäßigkeit der Zwecke (die Anordnung sei auf gesetzlich abschließend benannte Delikte einzugrenzen)
* Verhältnismäßigkeit der Mittel (Genomanalyse nur, wenn herkömmliche Mittel versagen)
* Festlegung der Methode, Bezeichnung der beauftragten
Institution, Festlegung des Untersuchungsziels
Als Vorkehrungen gegen die Zweckentfremdung wurden genannt:
* Zulassung der Untersuchungsinstitute durch den Justizminister
* Keine Untersuchungsstellen bei der Polizei
* Keine Untersuchungsstellen bei Instituten mit kriminalbiologischem Interesse
* Das Untersuchungsmaterial sei dem Institut anonymisiert zuzuschicken
* Festzuschreiben sei die Schweigepflicht der Institute
* Sichere Aufbewahrung des Materials

Als Vorkehrungen gegen die präventive Verwendung wurden vorgeschlagen:
* Datenschutz auch für zunächst anonyme Spuren
* Beschränkung der Genomanalyse auf Tatspuren
* Das Untersuchungsmaterial sei nach Abschluß des Verfahrens zu vernichten
* Die Auswertungsergebnisse seien zu den Gerichtsakten zu nehmen
* Eine zentrale Speicherung sei zu unterbinden

Als technische Vorkehrungen zur Qualitätssicherung wurden angesprochen:
* Ringversuche zur Qualitätskontrolle der Labors
* Einrichtung von Sicherheitslabors (Gentechnik!)

Sonstige Vorschläge aus dem Gutachterkreis:
* Gesetzliche Festlegung der Untersuchungsmethoden
* Ein strafbewehrtes Verbot der Untersuchung an kodierenden Sequenzen
* Eine Neuregelung des Beweisrechts

4. Resümee

Abschließend sei festgestellt, daß in keinem der Gutachten eine detailliertere Auseinandersetzung mit der technisch Zuverlässigkeit der einzelnen genbiologischen Methoden des DNS-„Fingerabdrucks“ erfolgte (17).
Die Tatsache, daß diese Zusammenfassung verstärkt die kritischeren Einwände berücksichtigt hat, sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß in absehbarer Zeit mit einer förmlichen Legalisierung des „genetischen Fingerabdrucks“ zu rechnen sein wird. Die schon beginnende Praxis der Gerichtsbarkeit, dieses Verfahren anzuerkennen, ebnet hierfür den Weg.

(1) BT-Drucksache 10/6775, S.175 ff.
(2) International Herald Tribune 23.9.87: „U.K. Police Test Genes in 5 500 Men to Identify a Suspect in 2 Murders“
(3) Nature 317 (1985), S.818
(4) Nature 3.9.87 : „UK immigration authorities may use DNA fingerprinting“
(5) vgl. Meldung im Gen-ethischer Informationsdienst Nr.29, S.17, die sich auf einen Bericht aus Nature (Jan. 1988) stützt
(6) Tätigkeitsbericht des BGA für 1987, S.189 ff
(7) Vgl. Gen-ethischer Informationsdienst Nr.33, S.3
(8) Gen-ethischer Informationsdienst Nr. 33, S. 3
(9) Vors. Richter am Landgericht München I
(10) Priv. Doz., Universität Hannover
(11) Zusammenfassung der schriftlichen Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung am 12. Oktober 1988, S.76
(12) Die Hamburger Rundschau v. 13.10.88 berichtet: „Zur Aufklärung des sogenannten Sylvester-Mordes an einer 79jährigen Frau in Rheine hat die Staatsanwaltschaft Münster eine ungewöhnliche Fahndungsmethode veranlaßt. Die Mordkommission forderte knapp 2000 Männer im Alter von 15 bis 30 Jahren auf, sich freiwillig bei der Polizei in Rheine Handabdrücke nehmen zu lassen. Am Tatort hatte man einen Handabdruck gefunden.“ (S.7)
(13) Prof., Universität des Saarlandes
(14) Wächtler zitiert hier: Samper/Honnacker, PAG, 14.Aufl.1987, Anm.2 zu Art. 13; entsprechende Kommentierungen finden sich ebenso zu 81b 2.Alt. StPO, vgl. z.B. Kleinknecht/Meyer, 38.Aufl. 18/ 81b
(15) Dagegen Keller, der sich auf das von R. Rupprecht herausgegebene Polizeilexikon (1986, S.128) beruft: „Das BKA sammelt und speichert als Zentralstelle Fingerabdrücke, Röntgenaufnahmen, Gebißprüfungen, Blut-, Haar-, Speicheluntersuchungen.“ In seiner Stellungnahme hat Schmitter überdies ausgeführt, daß der Einsatz des DNS-„Fingerabdrucks“ möglich sei, „um durch Vergleich von Spuren aus mehreren Fällen vermutete Tatzusammenhänge zu erhär-ten“.
(16) Professor Rittner in Mainz arbeitet bereits mit kodierenden Sequenzen, u.a. weil diese sicher seien. Jeffreys statistische Berechnungen über seine Methode seien „mit Vorsicht zu genießen“, vgl. Dt. Allg. Sonntagsblatt 49/88: „Beweise aus dem Zellkern“
(17) Die Angaben zur Präzision des genetischen „Fingerabdrucks“, die stellenweise mit 1 zu 30 Milliarden angegeben werden, beruhen lediglich auf theoretischen (populationsgenetischen) Erwägungen. Bei der praktischen Durchführung ist zu berücksichtigen, daß es schwierig sein dürfte, das Bandenmuster tatsächlich so genau aufzulösen, daß sich ein solcher Diskriminierungseffekt auch optisch nachvollziehen läßt (vgl. auch die Abbil-dung im Tätigkeitsbericht des BGA 1987, S.190, die die Unterscheidung von lediglich 5 verschiedenen Proben nicht gerade überdeutlich werden läßt). Hier verfügen die herkömmlichen Blutgruppenuntersuchungen über den Vorteil, daß ca. 20 Unterscheidungssysteme mit jeweils ca. 3 bis 20 Varianzmöglichkeiten (Allelen) miteinander kombiniert werden.
* Politologe, spezialisiert auf Fragen der Gen- und Biotechnologie