Der Polizeibeauftragte – Ein Gespräch mit Ibrahim Böhme, dem Polizeibeauftragten des Magistrats von Berlin

Am 10. Juli d.J. wurde Ibrahim Böhme, langjähriger Aktivist der Bürgerbewegung und Gründungsmitglied der DDR-SPD, zum Polizeibeauftragten des Magistrats von Berlin (Ost) berufen. „Der Polizeibeauftragte muß“ – so Stadtrat Krüger aus Anlaß der Berufung Böhmes – „gerade jetzt in der schwierigen Übergangszeit in neue demokratische Verwaltungsstrukturen ein kompetenter Vermittler und Ansprechpartner sein für die unterschiedlichen Bedürfnisse zwischen Bürger, Polizei und Verwaltung. Stichworte sind: innerstaatlicher Versöhnungsprozeß, mehr Bürgernähe, neues Rollenverständnis für die Polizei als Dienstleistung am Bürger…“. Der Polizeibeauftragte hat beratende, also keine hierarchisch-administrative Funktion.

CILIP: Für uns zählt es zu den großen Auffälligkeiten der DDR-Entwicklung seit November ’89, daß die Volkspolizei so gut wie gar nicht in den Fokus öffentlicher Kritik kam, abgesehen von ihrer Rolle in den „Tagen und Nächten“ vom 7. bis 9. Oktober.

Böhme: In der Tat konzentrierte sich zu Recht die Kritik in so kompakter Weise auf das ehemalige Ministerium für Staatssicherheit, daß andere Apparate, die auch repressiv gewirkt haben – als Verlängerung des MfS oder auch selbständig – ein bißchen aus dem Blickfeld gerieten. Und auch die Ereignisse vom 7. – 9. Oktober, zu denen die Führung der Volkspolizei sich in öffentlichen Untersuchungs- und Kontrollausschüssen stellen mußte, waren ja ebenfalls in den Handlungsweisen vorrangig vom MfS und vom damaligen Wachregiment der Stasi getragen gewesen. Aber Ihr Eindruck stimmt nicht ganz. Verdeckt von den spektakulären Ergebnissen, die die MfS-Aufarbeitung schon seit November gezeitigt hat, gab es eine ganze Reihe von Runden Tischen – gerade in den einzelnen Stadtbezirken Berlins und in Leipzig – wo Polizeiführungskräfte sich befragen lassen mußten.

Die Kritik an der Polizei hat vor allem ab Februar/März entscheidend zu-genommen, einmal durch die Öffentlichkeit, aber auch als Kritik von Polizisten an der Polizeiführung. Tatsächlich ist es so, daß natürlich die Kritik an der Polizei und die notwendigen Korrekturen noch nicht ausreichend sind. Im Moment wird dieser Prozeß forciert durch die Entwicklung von demokratischen Gremien innerhalb der Polizei, d.h. den neuen Polizeigewerkschaften.

CILIP: Sie sind erst am 10.07. zum Polizeibeauftragten ernannt worden, so daß Sie bisher kaum Zeit hatten, dieses für Sie selbst, für die Polizisten und für die Bevölkerung völlig neue Amt zu prägen. Dies vorausgeschickt, was sind Aufgaben und Ziele des Polizeibeauftragten?

Böhme: Nicht nur, daß ich bisher wenig Zeit hatte, konzeptionelle Vor-stellungen für die Aufgaben des Polizeibeauftragten zu entwickeln. Mir wird auch nur wenig Zeit bleiben.

Ich habe mich sehr schwer getan, dieses Amt zu übernehmen, weil ich natürlich – ohne Kenntnisse der Polizeistruktur – wußte, daß eine Menge Probleme auf mich zukommen würden, die vordergründig Polizeiprobleme sind, aber insgesamt gesellschaftliche.

Zum zweiten habe ich zur Bedingung der Übernahme dieses Vertrauens-Amtes gemacht, daß ich die Zustimmung alle Parteien des Magistrats erhalte, weil ich glaube, daß dies nur eine überparteiliche Institution sein kann. Ich fühle mich als Sozialdemokrat, der gegenüber allen kritischen Kräften zuerst Demokrat ist und erst in zweiter Linie Sozialdemokrat sein möchte. Im Gegensatz zu vielen Auffassungen der Bürgerbewegung glaube ich, daß ein Polizeibeauftragter nur der jetzigen komplizierten Übergangsphase geschuldet sein kann. Ich würde die Gefahr sehen, daß, wenn man in sogenannten normalen Zeiten einen Polizeibeauftragten hält, das entweder ein Posten ist, der in unnötiger Weise vom Gehaltsbudget des Magistrats oder des Berliner Senats zehrt oder aber, wenn er tatsächlich eine anerkannte Autorität ist, der sogar in die Gefahr gerät, gewerkschaftliche oder parlamentarische Wirkungsfelder so zu besetzen, daß er in der Konsequenz Demokratie behindert.

CILIP: Sind Ihr Aufgaben relativ klar definiert worden?

Böhme: Sie konnten nicht klar definiert werden, weil es keine Erfahrung mit einem solchen Amt gibt. Sie wissen, daß wir Bürger- und Polizisten-sprechstunden durchführen. Gerade aus diesen Sprechstunden ist ein Katalog von ca. 35 Problembereichen herausdestilliert worden. Sie reichen von der Beschleunigung bestimmter Ermittlungsverfahren bis hin zur Hilfe in Rehabilitierungsprozessen, die mit politischem Hintergrund entlassene ehemalige Mitarbeiter der Volkspolizei führen. Ich glaube, daß es möglich sein wird, bis zum 6. – 8. Oktober eine Funktionsbeschreibung zu versuchen, mit der das Modell eines Polizeibeauftragten der Öffentlichkeit angeboten werden kann. Ich weiß, daß einige fordern, den Polizeibeauftragten nach dem 3. Oktober beizubehalten. Wenn es also einen Polizeibeauftragten geben sollte, dann wird er sich vor allem als eine demokratische Begleitinstitution verstehen müssen, die Empfehlungen erteilt. Dies beispielsweise – um einen Problembereich zu nennen, der auf uns sehr stark zukommen wird – in Fragen der Sozialbetreuung bis hin zur Suchtbetreuung und dergleichen. Es ginge dahin, gesellschaftliche und politische Gremien zu beraten, Vorgehensweisen zu empfehlen, eventuell zu helfen, Dinge öffentlich aufzuhellen. Ich sehe, das möchte ich eindeutig sagen, in dem Grundsatz „Bürger beobachten die Polizei“ etwas ausgesprochen Demokratisches. Wenn es einen Polizeibeauftragten gibt, müßte er mit solchen Bürgerinitiativen, egal aus welcher Partei oder aus welcher politischen Ecke sie kommt, zusammenarbeiten.

CILIP: Unabhängig von der geringen Chance, eine solche Institution für die kommende Polizei Gesamt-Berlins durchzusetzen, ist es also auch Ihr eigenes Votum, demnächst die traditionellen rechtsstaatlichen Kontrollstrukturen zu stärken und nicht ein solches Amt?

Böhme: Ja, ich glaube, daß es einen Polizeibeauftragten in den kommenden Jahren nach Zusammenführung der beiden Polizeikräfte nicht geben kann, weil man wirklich erst die parlamentarische Kontrolle erhöhen sollte.

Ich halte es unter den Gegebenheiten für sinnvoller, die gewerkschaftlichen und die parlamentarischen Kontrollmöglichkeiten gegenüber der Polizei so zu verstärken, daß Polizeitätigkeit auch nach außen für den Bürger akzeptabler wird. Nach dem Verschmelzen der beiden Polizeikräfte unter rechtsstaatlichen und sozialen Prämissen würde diese Position in die Gefahr geraten, als Vertrauensbeauftragter parlamentarische und gewerkschaftliche Wirkungsfelder zu besetzen und Demokratie und demokratische Kontrolle damit eher zu behindern.

CILIP: Der Polizeibeauftragte ist Ihrem Selbstverständnis nach keine reine Kontrollinstanz gegenüber der Polizei, so wie es in England, den USA oder in Amsterdam die polizeiunabhängige Klageinstitution sind, an die sich der Bürger mit Beschwerden wenden kann? Liegt für Sie der Akzent auf der Mittlerposition zwischen der Polizei und den Bürgern?

Böhme: Ja; aus diesem Grund sage ich eindeutig, ich verstehe mich vorbehaltlos nicht als parteilicher Vertreter der Bürger oder der Polizei, sondern möchte es der Position des Polizeibeauftragten überlassen, wie er sich nach Kenntnisnahme von Vorgängen jeweils konkret entscheidet.

CILIP: Sie sprachen von Sprechstunden für Polizisten wie für die Bevölkerung. Ist das Amt schon von der Bevölkerung angenommen worden?

Böhme: Es sieht so aus, daß an den Mittwochnachmittagen und auch an den Sonnabenden immer 15 bis 20 Bürger mehr kommen, als sich haben voranmelden lassen. Und tatsächlich ist es so, daß jedes Anliegen auch von dem nichtangemeldeten Bürger letztlich so dringend ist, daß wir bis in die Nachtstunden hinein Probleme besprechen müssen. Aus diesem Grund mußten auch die Sprechzeiten, mit denen wir gute Erfahrungen machen, gerade am weitgehend arbeitsfreien Sonnabend erheblich erweitert werden.

CILIP: Geht es überwiegend um Vergangenheitsbewältigung, also um das Aufnehmen alter Probleme oder sind es mehr aktuelle Entwicklungen, mit denen Bürger zu Ihnen kommen?

Böhme: Natürlich geht es sehr stark um Vergangenheitsbewältigung. Im Vordergrund allerdings stehen die aktuellen Probleme. Bei Polizisten sind es nicht nur soziale Anliegen, sondern auch ihre Handlungsunsicherheit in Auseinandersetzungen mit überkommenen Strukturen aus der Volkspolizei von gestern. Andererseits kommen Freunde aus der Hausbesetzerszene. Und so freue ich mich auch, daß gerade Hausbesetzer aus der Mainzer Straße es angenommen haben, uns in den Sprechstunden aufzusuchen und ihre Probleme vorzutragen. Schließlich wollen mich auch Bürger sprechen, die aus der Volkspolizei aus politischen Gründen entlassen worden sind, sich um Rehabilitierung bemühen und daran interessiert sind, mit ihren Erfahrungen und mit dem Abstand, den sie in einem zivilen Berufsleben gefunden haben, am Aufbau einer demokratischen Polizei mitzuarbeiten.

CILIP: Heißt dies, gemessen an der Resonanz bei Bürgern wie bei Polizisten, daß der Rollenkonflikt, der in dieser Mittlerfunktion zwischen Bürgern und Polizei begründet ist, für Sie als Problem nicht auftaucht?

Böhme: Nein, dies ist nicht das Problem. Ich muß aber sagen, daß die meisten Bürger – und auch die meisten Polizisten – mit Mißtrauen diese Institution betrachten, zum Teil aus einem verständlichen, wenn auch nicht richtigen, Traditionsbewußtsein, was die Gehorsamspflicht gegenüber der Polizei anbelangt, zum Teil führe ich dieses Mißtrauen aber auch darauf zurück, daß im Moment die gesamtgesellschaftlichen Prozesse der DDR in einer solchen Beschleunigung verlaufen und auch zum Teil so unverantwortlich von Politikern beschleunigt werden, daß es den Bürgern insgesamt, also auch den Polizisten, kaum noch möglich ist, über gesellschaftliche Vorgänge und über ihre Rolle zu reflektieren. Es ist eine allgemeine Verunsicherung, die eigentlich aus jeder Beschwerde, aus jeder Bitte um Hilfe herausschallt.

CILIP: West-Berlins GdP-Vorsitzender hat sich, nachdem Sie berufen worden sind, deutlich erklärt: „ein völlig überflüssiges Amt“. Wie sind Ihre Erfahrung mit den neuen Polizeigewerkschaften in der DDR?

Böhme: Ich nehme nur dann polizeigewerkschaftliche Dinge wahr, wenn ich um konkrete Hilfe gebeten werde. Dann sehe ich mich auch berechtigt, Ratschläge zu erteilen. Herr von Walsleben hat sicherlich sein Polizeiverständnis. Die Ost-Berliner Angehörigen der GdP stehen, soweit ich mit ihnen Kontakt habe durch Vorgänge, die zu prüfen waren, sehr offen der Position des Polizeibeauftragten gegenüber. Ich kann im Moment auch das gleiche von der Deutschen Polizeigewerkschaft sagen und vor allem vom Bund Deutscher Kriminal-beamter.

CILIP: Meinen Sie, daß etwas vom demokratischen Übermut, der sich in der DDR seit Oktober/November gezeigt hat, wert wäre und Chancen hätte, ins vereinigte Deutschland hinübergerettet zu werden? Oder strahlt der bundesdeutsche rechtsstaatliche Alltag vor der schwarzen Folie des SED- oder Stasi-Regimes so persilweiß, daß jenseits der brennenden wirtschaftspolitischen Probleme aus der DDR an das vereinte Deutschland kaum neue Forderungen heranzutragen wären?

Böhme: Wenn unsere Menschen etwas gelernt haben, aus den nicht nur, aber auch unsäglichen 40 Jahren ihrer Vergangenheit, dann das, daß sie Momente einer anderen politischen Kultur, eines anderen Umgehens miteinander in die politische Szene des vereinigten Deutschlands einbringen könnten. Und ich hoffe, daß sie es lernen, ihre Vergangenheit aufzubereiten, daß jeder für sich seine eigene Verantwortung zu erfahren bereit ist.
Ich glaube, daß die Nachdenklichkeit wieder zunehmen wird, über die eigene Identität und über die eigene politische Rolle, die man in einem einheitlichen Deutschland spielen wird. Es wird komplizierter werden, aber es wird genug Bürger geben, die nicht nur bereit sind, in rechtsstaatliche Sprachhülsen zu schlüpfen, um sich in einem anderen politischen Umfeld zu tarnen, sondern die jetzt wirklich Bürger sein wollen und politische Moral miteinzubringen gedenken in die gesamtdeutsche Entwicklung. Und ich glaube, daß dieser Wille sich durch alle politischen Fraktionen ziehen wird, egal, ob sie im Parlament vertreten sein werden oder nicht.

CILIP: Um es auf eine konkrete Frage zuzuspitzen: Zwar ist die Stasi halbwegs aufgelöst, doch werden Sie ab 3. Oktober „Landesämtern für Verfassungsschutz“ bekommen. Das heißt erneut, daß „inoffizielle Mitarbeiter“ angeworben und Dossiers angelegt werden, daß Geheimdienste den Zugriff auf alle Kaderakten im öffentlichen und semiöffentlichen Bereich haben werden.

Böhme: Ich habe meine grundsätzliche Meinung vom zweiten Runden Tisch am 19. Dezember 1989 nicht geändert. Eine demokratische Gesellschaft kommt sehr gut ohne alle geheimen Dossiers, ohne alle geheimdienstlichen Tätigkeiten aus. Die wirklich schwarzen Stellen in den demokratischen Ländern sind von de-mokratischen Journalisten entdeckt, veröffentlicht und bekämpft worden. Die Geheimdienste haben meistens erst im Nachtrag reagiert. Ich sehe in jeder geheimdienstlichen Tätigkeit eine Verletzung der Würde der Menschen. Und ich hoffe von den Linken in der Sozialdemokratie, daß sie – wenn auch schon einiges älter geworden – an ihre Einstellung als Jusos sich beispielsweise erinnern werden, d.h. an Positionen, die sie im Jahre 1967/68/69 in dieser Frage eingenommen haben.

Das Gespräch wurde am 27.5. d.J. geführt. Diese Niederschrift ist kräftig gekürzt.

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