Kinder des Kalten Krieges – Zur Geschichte der Apparate „innerer Sicherheit“ in der Bundesrepublik und in der DDR

von Falco Werkentin

„In der Bundeshauptstadt Bonn am Rhein
fürchtet sich der Kommunist,
wenn man weiter östlich wohnt,
fürchtet sich,
wer keiner ist“

1. Eine auch innenpolitisch historisch neue Situation

Bush und Gorbatschov symbolisierten es unlängst per Handschlag – der Kalte Krieg ist vorbei. Unstrittig ist, welche Seite den Triumph davongetragen hat. Der Anschluß der DDR an die Bundesrepublik zum 3. Oktober besiegelt den Erfolg der Sieger. Fortan haben Kommunisten auch „weiter östlich“ im Gebiet der DDR sich zu fürchten.

Sowjetische Sicherheitsbedürfnisse vor allem sind es, die erzwungen haben, daß das demnächst vereinte Deutschland mit nur noch 360.000 Militärs sich zu begnügen hat – zuviel noch immer, doch immerhin die Hälfte dessen, was derzeit an deutschem Militär noch unter Waffen steht – kein schlechter Anfang.
Doch nicht nur Volksarmee und Bundeswehr waren Waffen, die geschmiedet wurden, um im Kalten Krieg zu bestehen. Gleiches gilt für Kasernierte Volkspolizei und Bereitschaftspolizei, für Grenztruppen und Bundesgrenzschutz, für das Ministerium für Staatssicherheit und die Ämter für „Verfassungsschutz“.
Als alleinige Konsequenz des historischen Umbruchs den neuen Ländern im Gebiet der DDR nun bundesdeutsche Strukturen, Rechts- und polizeiliche Verfahrensformen aufzustülpen und die inneren Waffenträger „minzgrün“ anzustreichen, ansonsten aber alles beim alten zu belassen, hieße, innenpolitisch keine Folgerungen aus der historisch neuen Situation zu ziehen.

Nicht nur bei den militärischen Apparaten, auch bei den Apparaten „innerer Sicherheit“ im künftigen vereinten Deutschland stünde ein grundsätzliches Revirement an mit dem Ziel, sich „innerer Sicherheit“ durch den radikalen Abbau von staatlichen Herrschaftsmitteln zu versichern. Es gilt, nicht nur die militärische sondern auch die innerstaatliche Angriffsfähigkeit zu minimieren, innerstaatliche Angriffsunfähigkeit zu institutionalisieren.

2. Die politische Ausgangslage im geteilten Nachkriegs- Deutschland

Die Angst vor einer Revolution im westlich besetzten Nachkriegsdeutschland, die Furcht vor der „Konterrevolution“ im Gebiet der sowjetischen Besatzungszone – sie bestimmen nach 1945 in vielen Elementen spiegelbildlich Werden und Wachsen jener Apparate in beiden Teilen Deutschlands, die die von den konkurrierenden Siegermächten installierten politischen Systeme innen-politisch sichern sollten.

Der Unterschied:
Das radikale Bemühen in der SBZ, nicht nur politische Strukturen sondern gesellschaftliche Verhältnisses insgesamt zu revolutionieren, vollzog sich nahezu ausschließlich als eine Revolution von oben, gestützt auf Bajonette und Panzer sowjetischer Besatzungstruppen – ein Unterfangen, dessen aktuell offenkundiges Scheitern damit bereits angelegt war.

In den westlichen Besatzungszonen hatten die Bejonette der Besatzungsmächte nach der bedingungslosen Kapitulation des „Dritten Reiches“ leichteres zu leisten – und zu schützen. Keine Revolution gesellschaftlicher Grundstrukturen war das Ziel. Vielmehr galt es nur, den politischen „Überbau“ zu ändern, Nachkriegs-Westdeuschland den bürgerlichen Verfassungsstaat aufzunötigen, ansonsten aber gerade traditionelle gesellschaftliche Herrschaftsstrukturen festzuschreiben. Zwar gab es eine kurze Phase, in der selbst die CDU mit So-zialisierungsgedanken spielte – im Ahlener Wirtschaftsprogramm für Nordrhein-Westfalen aus dem Jahre ’47 ist es festgehalten. Nur lag der amerikanischen Siegermacht nichts ferner, als sozialistische Experimente in ihrer Besatzungs- und Einflußzone zuzulassen, mochten auch in druckfrischen Länderverfassungen der westlichen Besatzungszonen solche Träumereien noch durchscheinen.
„Die Sieger, selbst Bürgernation … hatten und konnten garnicht die Absicht haben, die deutsche Bourgeoisie zu entmachten“, wie es ein Zeitgenosse 1951 verbittert formulierte, um mit Anspielung auf Beginn und Ende der Entnazifizierung in den westlichen Besatzungszonen fortzufahren:

„Das deutsche Bürgertum als Klasse wäre den Anforderungen der Stunde schwerlich gewachsen gewesen, hätte man daraus entfernt, was immer davon nazistisch angefault war… Je nun, die Sieger schwankten erst eine Weile, ob sie die Operation ausführen sollten, und unterließen sie dann.“

Den unterschiedlichen Zielen der jeweiligen Siegermächte entsprach die unterschiedliche soziale Basis in den jeweils besetzten Zonen, die für die Ziele der Siegermächte zu mobilisieren war, respektive mit den Zielen sich arrangieren konnte.

Mochten Bodenreform und Enteignung der Großindustrie in der SBZ noch breite Zustimmung bei den arbeitenden Massen finden, so war es gleichwohl nicht ihre Revolution, sondern ein Akt der Obrigkeit. So blieb in der Folgezeit die Furcht der neuen Herrscher in der DDR vor der „Konterrevolution“ umso berechtigter, als die zu verteidigenden „revolutionären Errungenschaften“ in ihrer Legitimität nicht begründet waren als Ergebnis eines von der zur „Herr-schenden“ erklärten Arbeiterklasse selbst erstrittenen revolutionären Sieges. Den „Sieg“ der Arbeitserklasse galt es selbst noch vor der Arbeiterklasse gewaltbewehrt zu schützen, wie spätestens der 17. Juni ’53 dramatisch anzeigte.

Und auf Seiten der gesellschaftlichen Kräfte im Nachkriegs-Westdeutschland? Kaum war der Rauch über den Trümmern der westdeutschen Städte – und über den Krematorien der faschistischen Massenvernichtungs-Fabriken – verflogen, zeigte sich der vom faschistischen Terrorsystem aufgezwungene antifaschistische Grundkonsens von Sozialdemokraten und Kommunisten in seiner ganzen Brüchigkeit. Die Verfolgung von Sozialdemokraten in der SBZ, schließlich die Zwangsvereinigung mit der KPD vertieften die wiederaufgebrochenen Risse.

Und die alte bürgerliche Gesellschaft? Sie ergriff mit ihren „Politiker-Gar-nituren…, die vor 1933 bereits ein vollgültiges Zeugnis ihrer politischen Unfähigkeit gegeben hatten“ – erneut das politische Ruder – und das Bündnis mit der Nachkriegssozialdemokratie. Es war eine durch den „Zusammenbruch“ schier unverändert gebliebene „gute“ Gesellschaft“, die sich nun wieder aufs politische Geschäft einließ und viele Störenfriede vom linken Rand zu fürchten nicht mehr brauchte, da sie im Faschismus abhanden gekommen waren. Sich mit den westlichen Besatzungsmächten in Freundschaft und Geschäften zu ar-rangieren, fiel dieser alten Gesellschaft allemal leicht.

3. Der Kalte Krieg als Geburts- stunde der Apparate innerer Sicherheit in Ost und West

Insoweit war die politische Ausgangslage in den Westzonen für die sich wieder etablierende Parteienlandschaft der Weimarer Republik und die von diesen Parteien repräsentierten gesellschaftlichen Kräften allemal günstiger als der Versuch in der SBZ, die machtgesicherte Vorherrschaft einer Partei und eines neuen Entwicklungsmodells gegen den Mehrheitswillen der Bevölkerung durchzusetzen – ganz abgesehen davon, daß die ausgeblutete Sowjetunion keinen Marshallplan auflegen konnte, sondern im Gegenteil mit erheblichen Reparationsforderungen den Neuaufbau in der SBZ – und damit die wirt-schaftliche Erholung – behinderte.

3.1 Innere Rüstung in der Bundesrepublik

Parallel zur Furcht vor der Konterrevolution in der SBZ lebte in den Westzonen die Furcht vor der Gefahr einer Revolution auf, sich untrennbar verschmelzend mit der Angst vor dem sowjetischen „Expansionismus“.
SPD-Vorstandsmitglied Walter Menzel faßte 1951 das ihn, seine Partei und das bürgerliche Lager Nachkriegsdeutschlands in eine große Koalition der Angst vor inneren Unruhen führende Gefühl in der Formulierung zusammen, daß in den Jahren nach 1945 „Zustände wie nach 1918 in noch stärkerem Maße“ geherrscht hätten. Und so zog dann sein Parteifreund Carl Severing, weiland sozi-aldemokratischer Innenminister in Preußen, bereits im Herbst 1945 durch die zerstörten Länder in den Westzonen, um für schwerbewaffnete Truppenpolizeien die Werbetrommel zu rühren. Fünf Jahre bedurfte es – und des Ausbruchs des Korea-Kriegs im Juni 1950 als Katalysator – bis die westlichen Besatzungsmächte lizensierten, was von bundesdeutscher Seite bereits seit Jahren gefordert ward: eine geheime politische Polizei und von ehemaligen Militärs geführte Kasernierte Truppenpolizeiformationen. So übten dann ab 1951 die Bereitschaftspolizei der Länder mit 10.000, der Bundesgrenzschutz mit zunächst 10.000 Mann (ab 1953 20.000), ausgerüstet mit MGs, Panzerfäusten und Handgranaten, etwa im Industriegebiet um Salzgitter den Bürgerkrieg, indem sie die Erfahrungen ihrer Offiziere bei der Partisanenbekämpfung im 2. Weltkrieg nutzten.

Für die repressive Feinarbeit – fürs sortieren von Freund und Feind – kamen ab 1950/51 die Ämter für „Verfassungsschutz“ hinzu – gewiß keine „geheime politische Polizei“ mit Exekutivgewalt, wie 1948 von deutscher Seite gefordert , jedoch in der Kommunistenverfolgung nicht ohne Biß. Für diese wurde zudem 1951 ein politisches Strafrecht verabschiedet, das die staatsschützerische Verteidigungslinie weit ins Vorfeld konkreter Angriffe auf die politische Ordnung der Bundesrepublik verlegte.

„Der allseits anerkannte Hauptzweck des Gesetzes ist es, den gewaltlosen Umsturz zu erfassen, einschließlich derjenigen Betätigungen, die das Land dazu reif machen sollen.“

Damit es wirksam wurde, erhielt es seinen weiteren institutionellen Unterbau, d.h. gerichtliche Sonderzuständigkeiten für politische Strafverfahren, die auf wenige OLGs konzentriert wurden (die sog. 74a-Kammern) und politische Kommissariate bei den Polizeien der Länder sowie die „Sicherungsgruppe Bonn“ des neuen Bundeskriminalamtes als polizeiliche Zentrale des repressiven Staatsschutzes. Die den BürgerInnen vermittelte Botschaft hieß:

„Wir müssen ein Freiheitsopfer bringen, um die Freiheit zu bewahren.“

Gegen ca. 125.000 mutmaßliche Kommunisten wurden zwischen 1951 bis 1968 förmliche staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren geführt ; die Zahl der durch polizeiliche Ermittlungen und Maßnahmen der Ämter für „Verfassungsschutz“ malträtierten lag weit darüber. So konnte schon die „Anforderung von Informationsmaterial in Ost-Berlin, die Sammlung von Unterschriften für eine Vietnam-Resolution in einem Betrieb und sogar die Bitte eines Doktoranden … um Auskunft über die Zahl der Ermittlungsverfahren gegen Kommunisten“ polizeiliche Ermittlungen auslösen. Nur die wenigsten staatsanwaltschaftlichen Ermittlungsverfahren, kaum 5%, führten allerdings zur Verurteilung, der Strafrahmen blieb in der Regel weit unter der gesetzlichen Obergrenze, in 2/3 der Verurteilungen lag er unter der 9-Monatsgrenze. Als Resümee: nicht die gerichtliche Verurteilung, das Ermittlungsverfahren selbst mit seiner disziplinierenden Wirkung war das zentrale Mittel der politischen Verfolgung in diesen Jahren. Die Verfolgung traf, war wirkungsvoll, blieb jeoch kalku-lierbar, rechtliche Gegenwehr begrenzt erfolgreich. Kurz, die Merkmale rechtsstaatlicher politischer Justiz, die justizförmige Verfolgung politischer Gegner nach vorher festgelegten Regeln und Verfahrenssicherungen, die garantierten, daß der Ausgang politischer Verfahren offen war, blieben im Kern erhalten. Es ist ein unübersehbarer Unterschied zu dem, wie in der DDR zur gleichen Zeit politische Strafverfahren inszeniert wurden.

3.2 Innere Rüstung in der DDR

Die gewaltbewehrte Absicherung der politischen und sozialen Restauration in der BRD – sie wurde dadurch begünstigt, daß der „reale Sozialismus“ in seinen stalinistischen Herrschaftsformen in einem Maße gegen sich selbst zu agitieren begann, als hätten antikommunistische Strategen in Washingtoner Braintrusts die Regie geführt.

So wurde mit dem Aufbau Kasernierter Volkspolizeiverbände in der SBZ ab 1948 mit leichter Infantriebewaffung nicht nur früher mit dem Potsdamer Abkommen gebrochen. In der Militärgeschichtschreibung der DDR wurde dies später als Ausdruck der „Weitsicht der Partei“ gewürdigt. Auch die offene politische Verfolgung von Sozialdemokraten und anderen Gegnern des stalinistischen Sozialismus in der DDR begann Jahre früher als die offen repressive Verfolgung von Kommunisten in der BRD. Das Ministerium für Staatssicherheit, im selben Jahr gegründet wie die Ämter für „Verfassungsschutz“, erhielt hier seine zentrale Rolle.

Und war das bundesdeutsche politische Strafrecht in seinen rechtlichen Formen mit dem der DDR auch ähnlich, so war die Anwendung dieses „Rechts“ in der DDR doch unvergleichbar brutaler. Dies galt für die Rechtlosigkeit der Beschuldigten gleichermaßen wie für die ausgesprochenen Strafen. Und innerparteiliche Linienauseinandersetzungen der Form nach den Gerichten und ihren Schauprozessen zu überantworten, wie es Janka, Harich, Zaiser und viele andere in der DDR zu ertragen hatten – auch dies zählte nicht zu den Stilmit-teln der politischen Auseinandersetzung im Nachkriegs-Westdeutschland.

„Waffen, die geschmiedet wurden, um im Kalten Krieg zu bestehen“

Was immer der Kalte Krieg an wechselseitigen Beschuldigungen und Ängsten bei den Denkern und Lenkern beider Seiten des geteilten Deutschlands pathologisch schuf – nicht wegzustreiten ist, daß er als Kalter Krieg von beiden Seiten auch kräftig munitioiniert wurde. Politische Entführungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik durch sowjetische und DDR-Geheimdienstler standen Sabotagean-schläge auf dem Gebiet der DDR von Seiten westlicher Dienste und ihren bundesdeutschen Hilfskräften wie der „Kampfgruppe gegen die Ummenschlichkeit“ oder dem Ost-Büro der SPD gegenüber.
Parallel verlief auch der Weg der Wiederaufrüstung. Wie in der BRD der Bundesgrenzschutz im Jahre 1955, wurden auch in der DDR die Verbände der Kasernierten Volkspolizei 1956 herangezogen, um offen Militär zu installieren.

Der Mauerbau des Jahres ’61 – so merkwürdig es klingt – schuf „on the long run“ zwischen beiden Teilen Deutschlands Frieden. Entspannungspolitik war weltweit und im deutsch-deutschen Verhältnis war angesagt.
Doch die Vorbereitungen auf innere, politische Notstandsfälle gingen auf beiden Seiten weiter.

Die Notstandsgesetze in der Bundesrepublik, 1968 verabschiedet und u.a. mit der nun verfassungsrechtlich abgesicherten „Chance“ verbunden, notfalls die Bundeswehr gegen die eigene Bevölkerung einzusetzen, zeigen an, worauf sich weiter vorzubereiten Sozial- wie Christdemokraten für notwendig hielten.
Sozialdemokratische Ängste dieser Zeit formulierte Günther Nollau, zeitweilig Chef des Bundsamtes für „Verfassungsschutz“. Einst aus der DDR geflüchtet, wurde er zum exemplarischen Vertreter sozialdemokratischen Willens, sich in Sachen „innerer Sicherheit“ von Konserva-tiven nicht überholen zu lassen. Daß sein BND-Kollege Gehlen ihn gleichwohl zum KGB-Agenten erklärte, zählt zu den Blüten geheimdienstlicher Pathologie.

„Das Bewußtsein der Massen wird eines Tages reif sein zu erkennen, daß ihre Arbeitsbedingungen, insbesondere die Folgen der Arbeitsteilung, inhuman sind, das heißt, ihrer Lage als ganzheitliche menschliche Wesen nicht entsprechen. Wenn dieses Gefühl von einer politischen Bewegung umgesetzt werden kann in eine massenhafte Empörung gegen diese Ungerechtigkeit, dann wird die Lage kritisch … Ob unsere Demokratie die Kraft hätte, Maschinengewehre gegen revoltierende Arbeitermassen zu richten, bezweifle ich. Ein Noske, der 1919 erklärte: einer muß den Bluthund machen, scheint mir nicht am Horizont.“

Daß die politisch herrschenden Kräfte der Bundesrepublik nie in Versuchung kamen, „Maschinengewehre gegen revoltierende Arbeitermassen zu richten“, ist zu verdanken dem gewaltigen „Liberalisierungshelfer“ dieses Landes: der prosperierenden Ökonomie. Daß diese gedüngt wird vom Elend und der Verzweiflung in den Ländern der Dritten Welt, die als billige Roh-stofflieferanten und billigstes Arbeitskräfte-Reservior Teil unseres kapitali-stischen Weltzusammenhanges sind, wurde und wird allzugern dann übersehen.

4. Veränderungen seit den 70er Jahren in beiden Teilen Deutschlands

Außenpolitisch war Entspannung angesagt, offensichtlich jedoch nicht im Innern beider Teile Deutschlands. Denn die innere Rüstung setzte sich fort.
Neue innere Feinde tauchten auf, die nicht mit so leichter Hand mehr den „äußeren“ zuzuschlagen waren.
In der Bundesrepublik war es neben dem politischen Terrorismus der geistige „Extremismus“. Neben – und teilweise in scharfer politischer Abgrenzung zur DKP und DDR – entwickelten sich neue außerparlamentarische politische Formen, Stilmittel und Bewegungen in einer Vielfalt, die die armen Schnüffelämter zur Verzweiflung hätten bringen müssen. – nein, nicht zur Verzweiflung, sondern zum rapiden Personal- und Befugnisausbau Doch vor allem sozialliberale Gönner in den Regierungskoalitionen der 70er Jahre bei Bund und Ländern statteten die „Ämter“ und die Polizeien großzügig mit neuen Stellen und Befugnissen aus. So verdoppelte und verdreifachte sich das Personal der Ämter für Verfassungsschutz gerade in diesen Jahren – und in herausragende Weise gerade in jenen Ländern, die sozialdemokratische Regierungshochburgen waren. Und der Bundesgrenzschutz? Auch er verdankt den Brandt/Schmidt-Genscher-Koalitionen alles. Keine 16.500 Mann hatte er unter Waffen, als Willy Brandt mit dem Versprechen „Mehr Demokratie zu wagen“ 1969 antrat. Als 1982 die Wende kam und F.D.P.ler mit Kohl eine neue Koalition eingingen, erbten sie 22.7OO BGSler. Hoch anzurechnen ist es dem längjährigen CSU-Bundesinnenminster Zimmermann, den BGS zu seiner Zeit wieder auf ca. 20.500 heruntergebracht zu haben.

Die „neue Unübersichtlichkeit“ von politischen Formen und Gruppierungen seit den 70er Jahren entwickelte sich als Phänomen aber auch in der DDR. Sie trieb auch das SED- Regime dazu, die Stasi – und das politische Strafrecht – kraftvoll immer weiter auszubauen. Meist unter dem Mantel der evangelischen Kirche entwickelten sich auch hier neue Formen der Opposition, die nicht mehr in die Schemata der 50er Jahre zu pressen waren. Und trotz jener unvergleichbar größeren Personaldecke von 85.000 Hauptamtlichen beim Stasi kam’s auch bei diesem Apparat zu einem Aufschrei, den wir von bundesdeutschen „Schützern der Verfassung“ seit den 70er Jahren kennen.

„… die Vielfalt entstehender Gruppen und Grüppchen läßt eine Kontrolle aller nicht mehr zu.“

Aber was trieb die bundesdeutschen Politiker der „inneren Sicherheit“ dazu, die Geheimdienste und die Länderpolizeien, das BKA und den BGS seit Beginn der 70er Jahre so rapide auszubauen? Einen Hinweis gibt der „Landesentwicklungsplan Niedersachsen 1985“, den eine sozialliberale Landesregierung im Sommer 1973 vorlegte:
„Die wachsende Kompliziertheit des gesellschaftlichen Lebens mit ihren durch die Demokratie nur in langwierigen Prozessen zu lösenden Problemen, sowie das steigende politische Bewußtsein der Bevölkerung werden wahrscheinlich dazu führen, daß die Neigung zur öffentlichen Konfrontationen ansteigt. Die Polizei geht deshalb davon aus, daß auch im kommenden Jahrzehnt eine erhebliche Anzahl von Einsätzen aus Anlaß von Demonstrationen notwendig werden wird…“
Und gewiß, nach mehr als 15 Jahren des erstickenden Miefes und politischen Desinteresses der bundesdeutschen Nachkriegsgesellschaft begann es in diesem Lande, seit Mitte der 60er Jahre politisch munterer zu werden. Ein Indikator ist die seit diesen Jahren vom Bundesinnenministerium geführte Statistik der „Demonstra-tionstätigkeit“.

Entwicklung der Zahl der Demonstrationen in der BRD

Jahr Demonstrationen
insgesamt

1970 1.383
1975 2.551
1980 4.471
1985 5.691
1988 7.103

Politiker aller Parteien, die sehr gut mit dem politischen Desinteresse der Gesellschaft gelebt hatten, sie rüsteten nun innenpolitisch mächtig auf.

5. Konsequenzen einfordern

Der Kalte Krieg ist endgültig vorbei. Nicht vorbei sind die Gefahren inner- und zwischengesellschaftlicher Konflikte. Aber gerade deshalb ist es dringlich, daß mit dem deutsch-deutschen Vereinigungsprozeß die Apparate des Kalten Krieges aus der DDR – wie etwa die Bereitschaften der Volkspolizei und die Grenztruppen – nicht bloß in ein neues, bundesdeutsches Uniformtuch hineingesteckt und mit rechtsstaatlichen Feindbildern versorgt werden.

Vielmehr stünde gesamtdeutsch an, aus dem Ende des Kalten Krieges Folgerungen für die Apparate „innerer Sicherheit“ insgesamt zu ziehen.
Sie sollen insbesondere in Gestalt der Bereitschaftspolizeien der Länder, in Gestalt des Bundesgrenzschutzes und der Ämter für „Verfassungsschutz“ munter weiter existieren, als hätten nicht auch sie das Kains-Zeichen des Kalten Krieges im Gepäck. Ohne Zweifel, gemessen am Auftritt und Erscheinungsbild der alten DDR-Apparate, waren die bundesdeutschen Truppenpolizeien seit den 70er Jahren vielfältigen Modernisierungsprozessen ausgesetzt. Ihre innnenpolitische Angriffsfähigkeit hingegen ist seit den 70er Jahren noch gewachsen. Nur hatten wir Bundesbürger das Glück, daß diese Fähigkeit nur immer „potentiell“ und nie real sich zeigen mußte. Denn jene politische Erziehung mit dem Knüppel und CN-Gas, die beachtlich viele BundesbürgerInnen in den letzten zwei Jahrzehnten absolvieren mußten – sie war kaum mehr als ein Vorspiel, gemessen an dem, was mit diesen Apparaten an Gewalt möglich wäre.

Nicht neue Aufgaben für diese Apparate sind zu suchen – die Geheimdienste eingeschlossen. Es stünde der breite gesellschaftliche Streit für ihre ersatzlose Auflösung in Sachsen und Thüringen, in Bayern und in Niedersachsen an.

Personalstärke der „Apparate innerer Sicherheit“ in der Bundesrepublik und in der DDR vor der Wende 1989

Für die BRD ohne: Ordnungsdienst des Bundestages, Bundesamt für das Befragungswesen, Freiwillige Polizeireserven in Berlin (W) und Baden-Württemberg, V-Leute der Geheimdienste und Polizeien

Für die DDR ohne: Kampfgruppen, Helfer der Volkspolizei, inoffizielle Mitarbeiter der Stasi und Kripo

Bundesrepublik Deutschland Deutsche Demokratische Republik

Polizei der Länder, ca.: 195.000 Volkspolizei, incl.
Kripo, Transport-Pol.;
VP-Bereitschaften, ca.: 114.000
Polizei des Bundes:
Bundesgrenzschutz ca.: 20.500 Grenztruppen ca.: 25.000
Bundeskriminalamt ca.: 3.600
Bahnpolizei ca.: 2.900

insgesamt ca.: 222.000

Exekutivkräfte Zoll ca.: 15.000 Zoll, ca.: 8.000

Geheimdienste:
Landesämter für
„Verfassungsschutz“ ca.: 2.700
Bundesamt für VfS: 2.360
Bundesnachrichtendienst ca.: 8.500
Militärischer Abschirm- Ministerium für
Dienst ca.: 2.000 Staatssicherheit
Geheimdienste insgesamt ca.: 15.500 (incl. Wachregiment) ca.: 86.000

„Sicherheitskräfte“ „Sicherheitskräfte“
insgesamt ca.: 252.500 insgesamt ca.: 233.000
„Sicherheitskräfte“ pro „Sicherheitskräfte“ pro
100.000 der Bevölkerung: 394 100.000 der Bevölkerung: 1.370
(ca. 64 Mio. Einwohner) (ca. 17 Mio. Einwohner)
Quellen: Hierzu vgl. die Fußnote 17

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.