Vom Zerfall der alten und der Freude über eine neue Staatsmacht

Wie immer man den plötzlichen Zerfall der DDR und den geschwinden Vereinigungsprozeß in der Folge auch beurteilen mag, zu den erfreulichsten Erfahrungen des letzten Jahres zählt, daß, wenn die historische Situation reif geworden ist, selbst jene Sicherheitsapparate in Agonie verfallen können, die über Jahrzehnte dafür aufgebaut und gedrillt wurden, als letzte Instanz das politisches Regime unter Einsatz aller verfügbaren Mittel und Waffen zu stützen.

Hatte die STASI ihrem obersten Chef, dem Genossen Erich Mielke, bereits seit September letzten Jahres gemeldet, daß die Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse zu wünschen übrig lasse, die Genossen Kämpfer massenweise aus den Kampf-gruppen austreten und andere ankündigen würden, daß sie gegen die eigene Bevölkerung nicht vorgehen würden, so zeigte sich alsbald, daß auch die brutalen Einsätze der Volkspolizei und der STASI in den „Tagen und Nächten des 07. – 09. Oktober“ ’89 nur noch ein letztes, halbherziges Aufbäumen waren.

Die Öffnung der Mauer in Berlin, Bornholmer Straße am Abend des 09. November durch verunsicherte STASI-Offiziere inner-halb der Grenztruppen, die in der politisch unübersichtlichen Situation nicht mehr die Entschlossenheit besas-sen, notfalls mit Waffengewalt die Richtung West-Berlin drängenden Menschenmassen zurückzuhalten, lei-tete das endgültige Ende dieses auch gegenüber der eigenen Bevölkerung so extrem hochgerüsteten Staates ein. Die Einsatzmoral der „Machtorgane der Arbeiterklasse“ – sie war am Null-punkt angelangt – begünstigt u.a. durch die von Gorbatschow eingelei-tete, welthistorisch neue Situation.

1. „Sicherheitspartnerschaft“

Heute, ein Jahr später, sind STASI und Kampfgruppen längst aufgelöst. Geblieben sind einige zehntausend verängstigte, um ihre berufliche Existenz bangende Volkspolizisten und einige Tausend STASI-Leute, denen zunächst unter der Regierung Modrow und anschließend unter Innenminister Diestel die Chance geboten wurde, in das weniger verhaßte Uniformtuch der Vopo zu schlüpfen. Daß die Vopo in so unvergleichlich geringerem Maße Haß und Kritik auf sich gezogen hat, zählt zu den besonderen Auffälligkeiten des letzten Jahres. Selbst Angehörige eines Apparates, der ‚wie die Polizeien der Bundesrepublik den Äm-tern für Verfassungsschutz‘ ständig der STASI zuarbeiten mußte und mit STASI-Mitarbeitern durchsetzt war, flüchtete sich die Volkspolizei sehr schnell in die Distanz zur STASI. Und dies wurde honoriert. Bei der Bewachung der gestürmten STASI-Zen-tralen kam es zur „Sicherheitspartner-schaft“ zwischen Bürgerkomitees und Vopo, in Berlin bot die Vopo Hausbesetzern die „Sicherheitspart-nerschaft“ beim Schutz vor rechtsradi-kalen Angriffen an. Einzig die Forde-rung personelle Veränderungen in den Führungsetagen der Vopo vorzuneh-men, wurde öffentlich artikuliert. Es scheint, daß die Vopo selbst noch vom STASI-System profitierte. Die alltägliche politische Repression durch die STASI war so durchgreifend, daß es zu größeren öffentlichen Demon-stratio-nen des politischen Wider-spruchs wie in der Geschichte der Bundesrepublik nie gekommen ist, von der Anfangs- und Endphase der DDR einmal abgesehen. In der Kon-sequenz gab es, völlig anders als in der Bundesrepublik, für die Bevöl-kerung der DDR kaum Erfahrungen mit kasernierten Polizeiverbänden, die bei Bedarf ausrückten, um den Geg-nern der herrschenden Politik Gehorsam einzu-bleuen. In den Monaten seit November letzten Jahres war dieser Mangel an Vopo-Kritik vielleicht auch eine (ungeplante) Chance. Für die Vopo gab es kaum Druck, aus der gemeinsamen Abwehr von Kritik und Haß eng mit den STASI-Kollegen zu-sammenzurücken, d.h. zum Schulterschluß überzugehen, wie es noch auf den Straßen von Leipzig und Berlin, Erfurt und Magdeburg zwischen dem 07. – 09. Oktober letzten Jahres geschehen war.

Wenn im letzten Jahr Kritik aufkam, dann Kritik völlig neuer Art. Seit Mo-na-ten gescholten wird die Vopo eher dafür, daß sie nicht mehr in Alltags-situationen ein- und durchgreift. Sei es im Umgang mit Verkehrsrowdies oder angesichts wachsender Alltags-gewalt – verängstigte und moralisch verunsicherte Volkspolizisten ver-drücken sich möglichst, schauen weg, wo ihr Einsatz angebracht wäre. Wo sind sie nur geblieben, jene an den Transit-Strecken Strafgelder kassie-renden Vopos, die auf Nachfrage, wie sie denn belegen könnten, daß man ein Verkehrsdelikt begangen habe, als Antwort heraus-raunzten: „Bei uns vertraut man dem Staat!“

2. „Ich freue mich auf meinen neuen Staat“

Trotz jener Seelenmassage, die Innen-minister Diestel zu Zeiten der de Maizière-Regierung seinen Vopos zur Stärkung der Einsatzmoral zukommen ließ, ist die Einsatzfreude bis in die Gegenwart so gebrochen, daß ihren neuen Her-ren langsam Angst und Bange wird, obwohl sie kräftig dazu beigetragen haben, eine sich verängstigt in Ecken drückende Vopo zu erhalten.

„Ich freue mich auf meinen neuen Staat“ – so formulierte bereits vor Monaten in der Süddeutschen Zeitung ein DDR-Kripomann seine Haltung. Doch vor der Festanstellung im neuen Staat liegen Monate der personellen Überprüfung und des Bangens um den Erhalt des Arbeitsplatzes. So teilen die Beschäftigten der ehemaligen Vo-po das Schicksal der meisten DDR-Bürger in diesen Monaten. Nicht auffallen, heißt die Devise. So sehr sie offenbar bereit sind, sich neuen Zei-ten (eilfertig) anzupassen, der Verlust der alten Autorität ist noch nicht ver-daut. Die Umerziehung in „Demo-kratisierungsschnellkursen“ an bun-desdeutschen Polizeischulen oder durch bundesdeutsche Polizeiführer, die an die neuen Bundesländer ausgeliehen werden, hat noch keineswegs zu einer neuen Verhaltenssicherheit geführt. Wie sollte dies auch geschehen unter der Peitsche anhaltender Existenzangst und angesichts eines Polizeiumbaus, der sich nur als von außen übergestülpter exekutiver Zwangsakt vollzieht?

Da ist auch nicht im Ansatz in öffentlicher politischer Diskussion, die einzig die Legitimität der künftigen Polizei neu hätte begründen können, über die Neubestimmung polizeilicher Auf-gaben und Befugnisse, über neue or-ganisato-rische Formen gesprochen und entschieden worden, geschweige denn, daß auch nur die Frage auf-getaucht wäre, ob es nicht Elemente der alten Vopo geben könne, die bei einer Neugestaltung der polizeilichen Sicherung des Alltags in den neuen Bundesländern zu bewahren und zu integrieren wären. Welche Ergebnisse auch immer eine solche gesell-schaftliche Diskussion erbracht hätte – es wäre ein Weg gewesen, der dem artikulierten Demokratisierungsan-spruch gemäß gewesen wäre.

Die Form des derzeitigen Umbaus polizeilichen Gefüges in den ehemaligen Ländern der DDR garantiert – so ist zu fürchten – hingegen nur eines: daß jene, die in den kommenden Jahren als Berufsbeamte in die Polizei endgültig übernommen werden, nicht nur in den habituellen Autoritarismus der alten DDR-Polizisten zurückfallen sondern eifernd sich an der Bevölkerung für die Zeit des demütigen Ausharrens gar noch rächen werden. Und die Chancen hierfür sind allemal am Horizont. Zwar ist der Ost-West-Systemgegensatz, der über Jahrzehnte die Sicherheitsapparate in beiden Teilen Deutschlands definierte, zuende gegangen. Nur ist schon wieder ablesbar, daß zwischen- und innergesell-schaftliche Konflikte gerade in den neuen Bundesländern umso mehr ausbrechen werden. So haben die nun neu eingekleideten alten DDR-Polizisten alle Chancen, in eine Rolle hineinzuwachsen, die sie im politischen Alltag der früheren DDR aufgrund des spezifischen Gewichts der STASI nahezu nie erfüllen mußten, nämlich freiheitlich-demokratische Prügelknaben der Nation zu werden.