Literatur – Rezensionen und Hinweise

Literatur zum Schwerpunkt

Wer sich über die Privatisierung polizeilicher Aufgaben informieren will, muß seinen Blick zunächst der englischsprachigen Literatur zuwenden. Nicht, weil man dort etwas über Deutschland erführe (es wird i.d.R. nicht einmal erwähnt), sondern weil einerseits die Entwicklungen im Ausland unsere mögliche Zukunft andeuten und andererseits deren wissenschaftliche Reflexion unser Interesse auf die wirklich spannenden Fragen lenken kann.

Shearing, Clifford D.; Stenning, Philip C.: Modern Private Security. Its Growth and Implications, in: Crime and Justice Vol. 3, 1981, pp. 193-246
Spitzer, Steven; Scull, Andrew T.: Privatization and Capitalist Development: The Case of the Private Police, in: Social Problems Vol. 25, 1978, pp. 18-29
Die kanadischen Kriminologen Shearing/Stenning haben sich in vielen Veröf-fentlichungen mit dem Thema beschäftigt. Die Güte ihres Aufsatzes besteht darin, daß er die unterschiedlichen Erklärungsansätze für die Zunahme privaten Sicherheitsgewerbes präzise benennt: 1. Die „Vakuum-Theorie“, wonach das Wachstum der (öffentlichen) Polizei hinter den gesellschaftlichen Bedürfnissen nach Sicherheit zurückgeblieben ist und private Anbieter diese Lücke geschlossen haben. 2. Ein polit-ökonomischer Erklärungsversuch, der das Wachstum durch die Veränderungen der allgemeinen Produktionsverhältnisse erklärt: Das Wissen der Arbeitnehmer (und damit auch die Über-prüfung von ihrer Verläßlichkeit) sei wichtiger geworden, die Produktions-anlagen teurer (deshalb schutzbedürftiger), und die Herstellung der Rahmen-bedingungen einer ungestörten Konsumtion gehöre mittlerweile mit zu den Produktionskosten. (Diese Version wird explizit im Aufsatz von Spitzer/ Scull vertreten.)
Hier schließt sich der 3. Erklärungsansatz an, den Shearing/ Stenning favori-sieren: Die Zunahme des von ihnen „mass private property“ Genannten, also jener halböffentlichen Räume, die in privatem Besitz sind, aber öffentlich genutzt werden (etwa: Einkaufszentren, private Wohnanlagen), habe ent-scheidenden Anteil am Wachstum privater Sicherheitsdienste. Konsequenzen
dieser Entwicklung für das Verständnis des Privatisierungsprozesses deuten die Autoren in der Einleitung des von ihnen herausgegebenen Sammelbandes an:

Shearing, Clifford D.; Stenning, Philip C. (eds.): Private Policing, Newbury Park 1987 (327 S.)
Die Zunahme des „mass private property“ und die daraus resultierenden Folgen für die Polizei stellten, so die Herausgeber, die liberale Trennung von öffentlichen und privaten Räumen und die an sie gebundene Polizeikonzeption infrage. Der Band ist derzeit das Standardwerk zum Thema und enthält interessante Beiträge zum Konzept des „private policing“, seiner Geschichte, zu vergangenen und gegenwärtigen Versuchen der Realisierung sowie zu den Folgen der Privatisierung.

Shearing, Clifford D.; Stenning Philip C.: Private Security: Implications for Social Control, in: Social Problems Vol. 30, 1983, No. 5, pp. 493-506
Die These, wonach es sich bei privaten Sicherheitsdiensten im Grunde um die „Juniorpartner der Polizei“ handele, wird hier zurückgewiesen. Vielmehr handele es sich um eine kooperative Beziehung, die auf dem gegenseitigen Austausch von Informationen und Dienstleistungen beruhe. Trifft diese Cha-rakterisierung zu (s.a. einen entsprechenden Beitrag von G.T. Marx im ge-nannten Sammelband), dann ergäben sich daraus auch Konsequenzen für den polizeilichen Apparat und dessen Verhältnis zur Gesellschaft.

Dance, O.R.: To What Extent Could or Should Policing be Privatized?, in: Police Journal Vol. 63, 1990, No. 4, pp. 288 – 297
Nach Ansicht des Autors können, sofern ein angemessener rechtlicher Rahmen besteht, alle Aufgaben der Polizei privatisiert werden, die nicht mit dem Einsatz von Zwangsgewalt verbunden sind. Als zentrales Bedenken gegen diesen weitgehenden Vorschlag nennt er die Rückwirkungen auf die (öffent-liche) Polizei, denn sie werde zum „Gewaltspezialisten“, während weniger eingreifende Tätigkeiten den Privaten überlassen blieben.

Grabosky, P.N.: Law enforcement and the Citizen: Non-governmental Participants in Crime Prevention and Control, in: Policing & Society Vol. 2, 1992, No. 4, pp. 249-271
Der australische Kriminologe gibt eine Übersicht über die verschiedenen Formen nicht-öffentlicher Sicherheitsproduktion. In Abwandlung früherer Schemata ordnet er die privaten „Dienstleistungen“ den Begriffspaaren „freiwillig – kommerziell“ und „offen – repressiv“ zu, wobei er unter „offen“ jene Formen versteht, die mit den Prinzipien einer liberal-demokratischen Gesellschaft in Einklang stehen. Zwischen privater und öffentlicher Sicherheitswahrung sieht er ein gegenseitiges Bedingungsverhältnis. Ziel müsse sein, die richtige Balance zwischen bürgerschaftlicher Beteiligung und staatlichem Handeln zu finden.

Hoogenboom, Bob: Grey Policing: A Theoretical Framework, in: Policing & Society Vol. 2, 1991, No. 1, pp. 17-30
Hoogenboom skizziert ein von ihm „grey policing“ genanntes Modell privat-öffentlicher Zusammenarbeit, in dem die Grenzen zwischen beiden faktisch verschwinden und das trotz legaler Restriktionen jedem ‚Partner‘ die Res-sourcen des anderen eröffnen könnte. Die empirische Überprüfung dieses Konzepts steht allerdings noch aus.

Zum Abschluß sei auf die wichtigsten Veröffentlichungen zu den Privatisie-rungstendenzen im Ausland hingewiesen:

– Für die USA:
Kakalik, James S.; Wildhorn, Sorrel: Private Police in the United States, Washington 1971 (5 Bde.)
National Advisory Committee on Criminal Justice Standards and Goals: Private Security. Report of the Task Force on Private Security, Washington 1976
Cunningham, William C.; Taylor, Todd: Private Security and Police in America, Boston 1985
Cunnigham, William C.; Strauchs, John J.; Van Meer, Clifford W.: Private Security: Patterns and Trends 1970 to 2000, Boston 1990

– Für England:
South, Nigel: Policing for Profit, London 1988

– Für Frankreich:
Ocqueteau, Frédéric: Gardiennage, surveillance et sécurité privée. Commerce de la peur et/ ou peur du commerce?, Paris 1992 (Déviance et controle social, CESDIP, No. 56) (330 S.)
Le marché de la securité privée, in: Les Cahiers de la Sécurité Intérieure 1991, No. 3 (Schwerpunktheft)

Von all dem ist in Deutschland wenig zu spüren. 1982 hat die Bundesregierung eine bereits damals schon dürftige Bestandsaufnahme vorgelegt:

Bundesminister des Innern: Bericht zur privaten Wahrnehmung von Wach- und Sicherheitsaufgaben, in: Innere Sicherheit 1982, Nr. 64, S. 28-38
Rechtliche Probleme, so der Bericht, der 1986 fortgeschrieben wurde, bestünden nicht, man werde die Entwicklung beobachten und ggf. die Kontrollen verstärken.

Hoffmann-Riem, Wolfgang: Übergang der Polizeigewalt auf Private? Überlegungen zur Entwicklung gewerblicher Sicherheitskräfte, in: Zeitschrift für Rechtspolitik (ZRP) 9. Jg., 1977, H. 11, S. 277-284
Nach wie vor der wichtigste Beitrag zur politischen Diskussion: Der Aufsatz weist auf das Entstehen eines unabhängigen Machtpotentials durch die Privaten als Gefährdung des staatlichen Gewaltmonopols hin, er prognostiziert die vor allem untere soziale Schichten treffenden Folgen der Privatisierung und bestreitet die Gültigkeit der „Jedermann-Rechte“ (Notwehr, Nothilfe etc.) für die gewerblichen Sicherheitsdienste. Diese Thematik hat die deutsche Diskussion bis heute nicht verlassen; da es keine zureichenden empirischen Studien gibt, wohl auch nicht verlassen können.

Greifeld, Andreas: Öffentliche Sachherrschaft und Polizeimonopol. Gewerbliche Ordnungskräfte im Dienst des Staates, in: Die Öffentliche Verwaltung 34. Jg., 1991, H. 23, S. 906-913
Ob öffentliche, bisher der Polizei zugeschriebene Gefahrenabwehr überhaupt von Privaten wahrgenommen werden darf und ob diesen dabei die „Jeder-mann-Rechte“ zustehen, ist Gegenstand juristischer Interpretation geworden. Greifeld vertritt hier eine verneinde Minderheitenmeinung.

Mahlberg, Lothar: Gefahrenabwehr durch gewerbliche Sicherheitsunternehmen, Berlin 1988
Diese Dissertation bejaht hingegen uneingeschränkt beide Fragen: Neben den rein rechtlichen Erwägungen verkehrt der Autor das soziale Argument in sein Gegenteil: Wenn sich die Reichen ihre Sicherheit durch Private erkauften, so könnte sich die Polizei den Sicherheitsproblemen der anderen Schichten zu-wenden.

Roßnagel, Alexander: Zum Schutz kerntechnischer Anlagen gegen Angriffe von außen, in: Zeitschrift für Rechtspolitik 16. Jg., 1983, H. 3, S. 59-64
Im Zusammenhang mit der Beteiligung Privater am Schutz von Atomkraftwerken ist hier u.a. auf das Kontrollproblem aufmerksam gemacht worden: Privaten fehlt eine besondere strafrechtliche Verantwortlichkeit, beamtenrechtliche Bindungen und die demokratische Kontrollierbarkeit.

Stümper, Alfred: Verlust des staatlichen Gewaltmonopols?, in: Kriminalistik 29. Jg., 1975, H. 5, S. 193-196
Neben Juristen beschäftigt die Privatisierung von Sicherheitsleistungen vor allem die Polizei. Dabei hat sich die polizeiliche Argumentation seit Stümpers Aufsatz kaum verändert. Zwar werden einige Gefahren benannt (Privatarmee, soziale Folgen etc.), grundsätzlich wird die private Initiative jedoch begrüßt – unter der Voraussetzung, daß sie mit der staatlich-polizeilichen Tätigkeit abgestimmt wird.

Schuster, Leo: Privates Sicherheitsgewerbe – Bedrohung des staatlichen Ge-waltmonopols oder Notwendigkeit?, in: Die Polizei 79. Jg., 1989, H. 1, S. 5-11
Bleck, Siegfried: Wer Sicherheit produzieren will, gehört zunächst selbst auf den Prüfstand, in: Die Polizei 83. Jg., 1992, H. 7, S. 178-180
Vor allem von leitenden Polizisten wird Stümpers pragmatisch motiviertes „Juniorpartner-Modell“ propagiert. Gefahren der Privatisierung wie die Un-verzichtbarkeit privater Beteiligung werden betont, um dann als Ausweg eine stärkere staatliche Aufsicht über das Sicherheitsgewerbe zu fordern.

Rößmann, Egon: Zum künftigen Verhältnis zwischen Polizei und gewerblichen Sicherheitseinrichtungen, in: Schriftenreihe der Polizei-Führungsakademie 1977, Nr. 1, S. 74-81
Geradezu zur Suche nach privaten Partnern der Polizei, die helfen könnten, die wachsenden Aufgaben zu erfüllen, wurde auf einer die „Security“-Messe 1976 begleitenden Arbeitstagung aufgerufen.

Heyn, Horst: Privatisierung im Bereich der inneren Sicherheit, in: Bereit-schaftspolizei – heute 11. Jg., 1982, Nr. 6, S. 2-4
Von Teilen der Polizei wird hingegen jede Privatisierung polizeilicher Auf-gaben abgelehnt. Exemplarisch für diese Position ist dieser Beitrag, der eine Antwort auf den o.g. Bericht des Innenministeriums darstellt.

Für zwei Teilbereiche sei noch auf folgende Veröffentlichungen hingewiesen:

Bauer, Regina: Werkschutz. Seine rechtliche und gesellschaftliche Stellung, insbesondere im Hinblick auf die Bekämpfung der Betriebskriminalität, Hei-delberg 1985
Diese rechtswissenschaftliche Dissertation verläßt zwar weder ihren engen Gegenstand noch die juristische Mehrheitsmeinung, bietet also weder theore
tische Anregung noch kritische Argumente. Sie bleibt jedoch einstweilen die umfassendste und deshalb unverzichtbare Arbeit über den Werkschutz in Deutschland.

Wirsching, Rainer W.: Den Schnüfflern auf der Spur. Die geheimnisvolle Branche der Detektive, Ingelheim 1986
Von ganz anderer Art, nämlich weitgehend als journalistische Recherche ent-standen und geschrieben, ist dieses Buch.
Es bietet viele Einblicke in die Branche, nennt Fakten, Arbeitsweisen, Orga-nisationsformen. Mehr allerdings nicht.

Jenseits dieser spärlichen deutschen Literatur bleiben dem an privaten Sicher-heitsdiensten Interessierten nur die ‚Primärquellen‘, insbesondere die Zeit-schrift Wirtschaftsschutz & Sicherheitstechnik, aus der sich die Entwicklung des Gewerbes und dessen Selbstverständnis ablesen lassen. Darüber hinaus ist auf verschiedene rechtlich-praxisbezogene Handbücher (vor allem zum Werk-schutz, zur Sicherheitsfachkraft, zum Detektivgewerbe) hinzuweisen, die in den Verlagen Kriminalistik, Boorberg, Schmidt-Römhild erschienen sind.
(sämtlich: Norbert Pütter)

Polizeiveröffentlichungen

Stümper, Alfred: Internationale Kriminalität im Umbruch – Stehen wir vor einer weitgehenden Veränderung des gesamten Kriminalitätslagebildes?, in: Die Polizei 83. Jg., 1992, H. 7, S. 161-166
Trotz seines Ruhestands scheut der vormalige baden-württembergische Lan-despolizeipräsident keine Mühen, dem Fachpublikum die neuesten Erkenntnisse der Kriminalistik zu vermitteln. Bevor der führende deutsche Polizeiphilosoph jedoch zu den Niederungen des irdischen Jammertals – von der deutschen und europäischen Einigung bis zur umfassenden Internationalisierung und Integrierung – kommt, ordnet er die Ausgangspunkte, die „totale Umbruchsituation“, in der sich die Menschheit seit ca. 50 Jahren befindet: Dazu gehört z.B. die „eruptiv“ sich entwickelnde Bevölkerungssituation: „Seit Urbeginn der Menschheit bis 1940“ hatte es diese gerade einmal auf 2,5 Mrd. gebracht, um „in der (demgegenüber menschheitsgeschichtlich gesehenen) Augenblicksphase von 1940 bis 1991“ auf 6 Mrd. zu schnellen. Bei diesen Erkenntnissen bleibt er aber nicht stehen: „Makrokosmosbereich – Es ist in den letzten Jahrzehnten gelungen, den uralten, für nie erfüllbar gehaltenen Menschheitstraum zu verwirklichen, nämlich die Erdschwere zu überwinden und ins Weltreich vorzustoßen. (…) Mikrokosmosbereich – Das lange Zeit als letzter und unteilbarer Baustein geglaubte Molekül löste sich zunächst in Atome und dann in eine Vielzahl noch kleinerer Materien auf, wobei das Verhältnis von Materie zu Energie alte bisherige Vorstellungen völlig überholt. (…) Genetik – Schließlich ist es der Menschheit in dieser Zeitepoche auch gelungen, in die Geheimnisse des Lebens vorzudringen und Entwicklungen des Lebens zu beeinflussen sowie zu manipulieren mit all den – wie bekannt – großen Gefahren, aber auch großen Chancen.“
Fürwahr: Hier hat einer die Erdschwere wirklich hinter sich gelassen.
(Heiner Busch)

Neuerscheinungen:

Hannover, Heinrich: Terroristenprozesse. Erfahrungen und Erkenntnisse eines Strafverteidigers, Terroristen und Richter 1, Hamburg (VSA) 1991, 248 S., DM 39,80
Overath, Margot: Drachenzähne. Gespräche, Dokumente und Recherchen aus der Wirklichkeit der Hochsicherheitsjustiz, Terroristen & Richter 3, Hamburg (VSA) 1991, 285 S., DM 39,80
Der erste von Heinrich Hannover verfaßte Band präsentiert Informationen, Eindrücke, Einsichten, Leiden und Zorn eines der erfahrendsten Strafanwälte der Bundesrepublik. Ein höchst subjektiver und darum ein wahrhaftes Schlaglicht auf die politische Justiz der BRD werfender Bericht. Dennoch bleibt er enger als der Haupttitel des Buches verheißt, da sich der Autor im wesentlichen auf die Erfahrungen beschränkt, an denen er selbst als gewählter Anwalt der Angeklagten beteiligt gewesen ist. Das war freilich in so vielen Fällen quer durch die Geschichte der Bundesrepublik der Fall, daß diese Republik im Spiegel Hannovers in ihrem strafenden Profil füllig erkannt werden kann.
Die Geschichte der politischen Strafjustiz in Deutschland wird bis zurück ins 2. deutsche Kaiserreich präsent; deutlich wird, daß während der Weimarer Republik ‚der Feind‘ durchgehend ‚links‘ gesucht und schuldig gesprochen wurde; die enthemmte Strafjustiz der Nationalsozialisten spitzte diese Tradi-tion nur ‚extremistisch‘ zu. Und die BRD? Was Hannover am meisten umtreibt, das ist die Restauration dieser (politischen) Strafjustiz in ihren strafge-setzlich-prozessualen Grundlagen, in ihren Hauptpersonen, die weiter „für Recht erkannten“ und nicht zuletzt in ihrem STAATs-anwaltlichen manichäischen Geist. Daß in der BRD aus dem Nationalsozialismus nicht oder kaum gelernt worden ist, macht ihn bitter.
Hannover, zuerst mit Posser im Düsseldorfer Friedenskomitee-Prozeß 1959/60 verteidigend, schildert die Tradition des notorischen ideologischen Antikommunismus der Gerichte, der im Anti-Terrorismus zugespitzt worden ist. In der Freund-Feind-Welt bedurfte bzw. bedarf es keiner auf den einzelnen Fall bezogenen skrupulösen Belege. Mitgliedschaft hier oder dort reicht/e aus.
Das insgesamt trefflich geschriebene Buch enthält in Sachen Anti-Terrorismus eine Fülle einschlägiger Informationen:
– über die Freund-Feind-Basis der Gerichte,
– die „Verstammheimerung“ der Prozesse,
– wie sich Justiz in dem von ihr mitgeschaffenen Angst-Kokon selbst fängt,
– über den Populismus der Strafgerichtsbarkeit,
– die Sippenhaft, in die die Verteidigung von als politischen Straftätern schon vorab Verurteilten genommen wird,
– den erpresserisch-inhumanen Umgang mit dem Angeklagten nicht zuletzt am Beispiel der Kronzeugenregelung,
– die gerichtliche Kunst der „beweislosen Wahrheitsfindung“,
– warum sich Verteidigung dennoch lohnt.
Zuweilen irritiert, wie mühelos Hannover von der Weimarer Republik oder dem Nationalsozialismus in die Bundesrepublik überwechselt. Muß aber die Irritation nicht der greifbaren Kontinuität gelten? Auch agiert Hannover im lose geknüpften Netz des Strafverteidigers zuweilen allzu kontextfrei. Zu be-dauern ist, daß kein Prozeß systematisch rekonstruiert worden ist und daß eine Summe des politischen Strafprozesses in Deutschland gezogen in radi-kaldemokratisch-menschenrechtlicher Absicht aussteht. Doch bleiben Fest-stellungen und Einsichten in jedem relativierenden Kontext schlimm genug.

Margot Overaths Schilderungen schließen mit einem Gespräch mit der Familie von Braunmühl aus dem Jahre 1987. Dort sagt Hermann v. Braunmühl: „… Jetzt sehe ich etwas besser, daß durch Mechanismen wie Haftbedingungen, wie Prozeßabläufe es offensichtlich eine verstärkte Enttäuschung bei manchen Gruppen gibt, die sich dann wieder in die terroristischen Gruppen hineinbegeben …“ Overath ihrerseits trägt durch Interviews und Rekonstruktionen einzelner Prozesse dazu bei, besser zu verstehen, warum die RAF eine Tradition erhielt, ja zum ‚Mythos‘ wurde. Hervorzuheben sind vor allem die Berichte über das SPK (= „Sozialistisches Patientenkollektiv“), Klaus Jün-schke und den Prozeß gegen „Reinders u.a.“. Eine der spannendsten Infor-mation in ihrem analytisch sparsamen und kontextfreien Buch liegt in der Be-schreibung der Hindernisse, die ihrem Informationsgewinn entgegengestellt wurden. Daneben werden die inhumanen Haftbedingungen sensibel darge-stellt, die in der Regel nur Lernprozesse mit tödlichem oder verräterischem Ausgang erlaub(t)en. Die der griechischen Kadmos-Sage entlehnten Drachen-zähne vermitteln im Bild die bedrückend-stimmige These der Autorin: Die Art der Straferkenntnis und -verfolgung in der BRD produziert genau die Tä-terInnen, die angeblich mit Hilfe des Strafsystems vermieden werden sollen. Die Drachenzähne werden im unerbittlich einsichts- und gnadlosen Anti-Terrorismus in die Ackerfurchen schlechter Normalität gelegt. Damit sie kräftig gedeihen. (Bd. 2, Rolf Gössner: Das Anti-Terror-System – Politische Justiz im präventiven Sicherheitsstaat, siehe Bürgerrechte & Polizei/CILIP 41 (1/92))
(Wolf-Dieter Narr)

Wagner, Martin: Auf Leben und Tod – Das Grundgesetz und der „finale Rettungsschuß“, ca. 145 S., Verlag Vandenhoeck & Ruprecht, Göttingen 1992, DM 17,80
Daß es vernünftig und notwendig ist, sich im Schulunterricht mit Fragen nach dem Wert des menschlichen Lebens zu beschäftigen, wird man gerade heute, wo „Neger aufklatschen“ unter Jugendlichen immer beliebter zu werden droht, kaum bestreiten können. Daß in einem solchen Rahmen auch eine Befassung mit polizeilichem Schußwaffengebrauch sinnvoll sein kann, ist ebenfalls einsichtig. Daß daraus ein ganzes Schulbuch werden mußte, schon weniger. Genau dies ist im vorliegenden Fall geschehen. Laut Eingangsbeschreibung handelt es sich um „Entwürfe, Konzepte, Modelle für den Unterricht in der Sekundarstufe I und II“ für das Fach Ethik/Religion. Dies wird vom Verfasser in seiner Einleitung noch um die Fächer Politik, Sozialwissenschaft, Philosophie und Pädagogik erweitert (S. 12). Damit wird der mögliche Einsatz des Buches zwar erheblich vergrößert, erklärt jedoch nicht, warum ein derartiges Spezialthema auch noch hemmungslos zergliedert werden mußte – bis hin zu einem Abschnitt „Stellungnahmen von Polizeipfarrern“ (S. 100). Bleibt unter dem Strich nur festzustellen, daß ein solches Schulbuch zumindest nicht schaden kann.
(Otto Diederichs)

Geheimdienste/Terrorismus

Reese, Mary Ellen: Organisation Gehlen – Der Kalte Krieg und der Aufbau des deutschen Geheimdienstes, ca. 300 S., Rowohlt Berlin, 1992, DM 34,–
Brenner, Michael: Bundesnachrichtendienst im Rechtsstaat – Zwischen ge-heimdienstlicher Effizienz und rechtsstaatlicher Kontrolle, 225 S., Nomos Verlagsgesellschaft Baden-Baden 1990, DM 58,–
Nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bot sich der einstige Chef der Stabsabteilung „Fremde Heere Ost“ innerhalb der Nazi-Geheimdienste, Ge-neralmajor Reinhard Gehlen, den Amerikanern zum Aufbau eines neuen Dienstes unter ihrer Aufsicht an. Bekanntermaßen wurde dieses Angebot angenommen und mit der sog. Organisation Gehlen der Grundstein für den heutigen Bundesnachrichtendienst (BND) gelegt. Der amerikanischen Juristin und Journalistin Reese ist es nun erstmals gelungen – z.T. mittels des ‚Freedom of Information Act‘ -, aus den Archiven amerikanischer Ministerien und Geheimdienste Akten und Unterlagen zu erhalten, die es erlauben, die Ursachen und amerikanischen Interessen näher zu beleuchten und vor dem Hintergrund der seinerzeitigen historischen Situation zu bewerten. Gespräche mit ehemals beteiligten Offizieren und Agenten runden das Bild ab.
Selbstverständlich sind damit noch längst nicht alle Schleier gelüftet (schon allein, weil längst nicht alles vorhandene amerikanische Material zur Verfü-gung stand), die über diese seltsame Kooperation gebreitet wurden. Dennoch füllt dieses Buch eine wichtige Lücke, die bereits jetzt dazu zwingt, einiges, was bisher als gesichert galt, neu zu überdenken.
Demgegenüber gehört das Buch von Brenner – eine Dissertation – in die Rei-he jener Werke, für die man sinnvollerweise kein Geld ausgeben sollte. Daß sich der Autor ausschließlich mit der rechtlichen Seite beschäftigt, weist be-reits der Titel aus. Das wäre zu tolerieren, zeigte er unbeabsichtigt nicht mehrfach, daß er von der Materie der Geheimdienste nichts versteht. So findet sich etwa zum Thema Gegenspionage als eindrucksvollstes Beispiel die Passage: „Inwieweit in diesem Zusammenhang die Ausübung von Druck oder gar Erpressung eine Rolle spielt, kann nicht beurteilt werden. Doch dürfte die Anwendung erpresserischer Methoden aus ‚Praktikabilitäts-gründen‘ eher unwahrscheinlich sein, da in einem solchen Fall – worauf Borgs mit Recht hinweist – der Agent bei nächster Gelegenheit den BND entweder hintergehen oder gar überlaufen würde. Im übrigen würde die Anwendung erpresserischer Mittel gegen Vorschriften des Strafrechts verstoßen, an die selbstverständlich auch BND-Agenten gebunden sind“ (S. 99). Daß bei der geheimdienstlichen Arbeit der Beschaffung sog. Kompromate ein besonderes Interesse gilt, ist Brenner offenbar ebenso entgangen wie der Sinn, der hinter solchem Interesse steckt. Daß er sich zur Absicherung seiner Ansicht mit Borgs zudem auf einen der wichtigsten systemimmanenten Kommentatoren des Geheimdienstrechts beruft, spricht für sich.
(Otto Diederichs)

Seale, Patrick: Abu Nidal – Der Händler des Todes. Die Wahrheit über den palästinensischen Terror, ca. 400 Seiten, C. Bertelsmann Verlag München 1992, DM 42,–
Patrick Seale gilt nicht nur seinem Verlag als exellenter Kenner des Nahen Ostens mit guten Informationszugängen. So setzen der anspruchsvolle Titel des Buches und die darin benannten Informanten zunächst denn auch hohe Erwartungen frei, und in der Tat ist das Buch randvoll mit Daten und Fakten. Gleichwohl hält der Text nicht das, was er verspricht. Obwohl erkennbar gegliedert, fehlt dem Buch eine klare Struktur. Ständig springt Seale in einzelnen Geschehensabläufen hin und her, wiederholt sich mehrfach oder verheddert sich in Details, die z.T. schon heftig ins Belanglose gehen, wenn etwa selbst die Preise von Druckmaschinen angegeben werden. So bleibt selten etwas Dauerhaftes beim Leser zurück. Wirklich ärgerlich jedoch macht der Umgang mit Seales (möglicherweise sogar richtigen) Hauptthese, einer Verbindung des israelischen MOSSAD mit der Terrorgruppe Nidals. Da werden Indizien und Gerüchte flugs zu Beweisen erklärt, von denen der Autor wenige Sätze weiter selbst meint, sie seien letztlich wohl doch nicht ausreichend. Die verbleibende Hoffnung, das Buch wegen seiner unbestreit-baren Informationsfülle zumindest als Nachschlagewerk zum Gegenlesen anderer Texte und Meldungen nutzen zu können, schwindet beim Blick in das Namens- und Sachregister. Da beide unvollständig sind, ist es also auch für diesen Zweck nur bedingt geeignet.
(Otto Diederichs)

Meier, Stephan Richard: Carlos – Demaskierung eines Topterroristen, ca. 270 S., Droemersche Verlaganstalt Th. Knaur Nachf. München 1992, DM 12,80
Vor diesem Buch sei gewarnt. Die Art, in der gegenwärtig die Zeit des (internationalen) Terrorismus der 70er und 80er Jahre aufgearbeitet wird, ist ohnehin erschreckend. Das gilt insbesondere für das Buch von Meier. Kaum bestreitbar ist wohl, daß dem Autor – Sohn des langjährigen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz Richard Meier – Informationen und Ak-tenmaterial in- und ausländischer Geheimdienste zugänglich waren. Weniges davon (dies zudem durchgängig nebensächlich) wird dokumentiert. Zwanglos mischt Meier solche Insider-Informationen mit Zeitungsberichten und munterer Spekulation – und würzt das Ganze schließlich noch mit einem ordentlichen Schuß schlechter Krimi-Phantasie. Herausgekommen ist dabei ein ungenießbarer Brei, bei dem es dem Leser in den seltensten Fällen noch möglich ist, die Herkunft zu erahnen, geschweige denn zu erkennen und entsprechend zu gewichten. Dieses Buch gehört ins Altpapier.
(Otto Diederichs)