ÖPNV: Ein Sicherheitskonzept in Berlin

Die Sicherheit in öffentlichen Nahverkehrsmitteln zu gewährleisten, ist ein lokalpolitisches Dauerthema von überregionaler Bedeutung. Denn Bahnhöfe, Bahnen und Busse sind faktisch öffentliche Räume (mit Straßen vergleichbar), rechtlich handelt es sich jedoch um private Betriebsteile. Damit ist der Konflikt zwischen der Verantwortung des das Hausrecht ausübenden Betreibers und der für die öffentlichen Sicherheit zuständigen Polizei vorprogrammiert. Unterschiedliche Interessenlagen stoßen bei der Organisation eines Sicherheitsdienstes für den Personennahverkehr aufeinander. Das Berliner Beispiel zeigt, wie der Einsatz privater Wachfirmen Auswege aus diesen Konflikten zu bieten scheint – auch wenn die Vor- und Nachteile dieses Modells kaum absehbar sind.

Die Vorgeschichte des gegenwärtigen Sicherheitskonzepts für die U- und S-Bahnen der Stadt geht auf das Ende der 70er Jahre zurück. Berliner Verkehrs-Betrieben (BVG) und Polizei einigten sich auf ein gemeinsames Konzept, in dessen Mittelpunkt der „Mobile Ordnungsdienst“ (MOD) stand. Durch das MOD-Modell wurden Steifen eingeführt, die aus zwei BVG-Mitarbeitern und einem Polizisten bestanden. In den folgenden Jahren stieg die Zahl der in den Streifen eingesetzen BVG-Mitarbeiter ständig: 1984 wurden 41, Anfang 1985 67 und Ende 1985 bereits 85 Personen eingesetzt; für 1986 war eine Erhöhung auf 118 geplant (dieses Ziel wurde jedoch bis heute nicht erreicht). Auch die Zahl der eingesetzten Polizisten stieg zwischen Anfang 1984 und Ende 1985 von 24 auf 37. Die Ausgaben der BVG für den MOD wuchsen in dieser Zeit von 3 auf 3,4 Mio. DM. Die BVG rekrutierte ihr Personal intern. Die MODler durchliefen eine sechsmonatige Grundausbildung sowie eine einmonatige psychologische, rechtliche und körperliche Vorbereitung. Die Schutzpolizisten wurden jeweils für zwei Monate für die MOD-Streifen abgeordnet. Die nach den ersten beiden Jahren vorgelegte Erfolgsbilanz der gemeinsamen Streifen verwies auf 2.000 angezeigte Straftaten (davon 738 wegen Hausfriedensbruch). 962 Personen hatten die Streifen festgenommen und 106 Haft- und Unterbringungsbefehle waren vollstreckt worden.

Das neue Berlin

Erst nach dem Fall der Mauer nahm die Diskussion über die Sicherheit im öffentlichen Nahverkehr zu. Im Westteil der Stadt stiegen Kriminalität (vor allem Taschendiebstähle), Angriffe auf Fahrgäste und Personal, Belästigungen sowie Sachbeschädigungen sprunghaft an. Darüber hinaus beeinflußte die Situation in Ostberlin, vor allem im weitläufigen S-Bahn-Bereich, die Diskussion um die neue Sicherheitslage. 1990 wurden mehrere Möglichkeiten zum Ausbau des Sicherheitsdienstes bei den Verkehrsbetrieben diskutiert. Gleichzeitig mit der Ankündigung des Innensenators, die Polizei vermehrt in den Bahnen einzusetzen, berichteten die Verkehrsbetriebe von ihrem Vorhaben, private Firmen am Sicherheitsdienst zu beteiligen. Allerdings sollten diese nur Anlagen und abgestellte Züge überwachen und gegen Zerstörungen schützen. An den Einsatz der Privaten in den Zügen denke man nicht.

Bereits am 6.8.1990 begann ein zunächst auf drei Monate angelegter Versuch, bei dem private Wachmänner bei der BVG eingesetzt wurden – entgegen den Ankündigungen jedoch auch in den Zügen. Laut Mitteilung der Verkehrsbetriebe sollten die Privaten auf drei U-Bahnlinien eingesetzt werden und den MOD verstärken. Die Dreierstreifen sollten auf zwei Personen reduziert werden und jeweils aus einem Mitarbeiter der BVG und einem Polizisten oder einem privaten Wachmann bestehen. Zunächst wurden 40 private Wachmänner (und 14 Hunde) einsetzt. Die Kosten für die drei Monate beliefen sich auf 2,1 Mio. DM. Der Versuch wurde schließlich verlängert und Mitte 1991 stand fest, daß die privaten Streifen zu einer Dauereinrichtung werden sollten.

Das BVG-Konzept

Das Sicherheitskonzept der BVG besteht aus zwei Säulen: Verbesserung der Technik und Erhöhung der personellen Präsenz. Zur Verbesserung der Sicherheit der Fahrgäste sollen z.B. die Trennwände zwischen U- oder S-Bahnwagen durch Glasfenster bzw. Türen ersetzt, außerhalb der Stoßzeiten sollen die Züge verkürzt, die U-Bahnen sollen mit einer Sprechverbindung zwischen jedem Wagen und dem Fahrer nachgerüstet, auf den Bahnhöfen sollen Notrufsäulen installiert werden, dunkle Zugänge in Bahnhöfen sollen beseitigt werden etc. Zum gegenwärtigen, für die Erhöhung der Sicherheit in ihren Bussen, Zügen und Bahnhöfen eingesetzen Personal zählen die Verkehrsbetriebe fünf unterschiedliche Personengruppen:
– 108 Mitarbeiter der Verkehrsbetriebe für den MOD,
– 63 Schutzpolizisten für den MOD,
– 246 private Wachmänner,
– 294 Kontrolleure und
– 500 auf ABM-Basis eingestellte „Fahrgastbetreuer“.

Die „Fahrgastbetreuer“ sollen der Orientierung der BVG-Benutzer dienen. Sie ersetzen das in den vergangenen Jahrzehnen weitgehend durch Automaten verdrängte Schalterpersonal. Getreu der Maxime, daß in Deutschland eine Uniform zumindest das Sicherheitsgefühl erhöht, erlaubt allenfalls ihre uniformähnliche Bekleidung, sie zum „Sicherheitspersonal“ zu zählen. Die Zahl der eingesetzten Schutzpolizisten war zuletzt am 1.3.91 von 45 auf 63 erhöht worden; eine weitere Erhöhung ist derzeit nicht vorgesehen. Massiv ausgebaut wurde hingegen der Einsatz des privaten Wachschutzes.
In den Koalitionsvereinbarungen hatten sich CDU und SPD Anfang 1991 auf zusätzliche Ausgaben von 20 Mio. DM für die Erhöhung der Sicherheit in U- und S-Bahnen geeinigt. Durch diese Mittel wurde der vor allem der Einsatz zusätzlicher privater Wachmänner ermöglicht: Von den über 37 Mio. DM, die die BVG 1992 für Sicherheitspersonal ausgeben, entfallen nur 8 Mio. auf ihre MOD-Kräfte und mehr als 4 Mio. auf „Regiekräfte“ für die Fahrgastbetreuer. Die Leistungen der privaten Wachmänner kosten der BVG im jetzigen Umfang jährlich 25 Mio. DM.

IHS

Die privaten Wachmänner sind Angestellte der Sicherheitsfirma IHS (Industrie- und Handelsschutz GmbH mit Sitz in Feldkirchen). Die IHS hat mittlerweile auch Sicherheitsaufgaben bei den Verkehrsbetrieben in Frankfurt/M. und Ludwigshafen übernommen. Vor dem Berliner Engagement waren IHS-Mitarbeiter bereits bei der Bundesbahn eingesetzt worden. Die 246 IHS-Wachmänner und -frauen versehen ihren Dienst in den BVG-Bahnen und Bahnhöfen in Doppelstreifen, die während der gesamten Betriebszeit auf bestimmten Routen eingesetzt werden. Die Streifen sind nicht bewaffnet, führen jedoch z.T. einen Wachhund (mit Maulkorb) mit sich.

Die Beschäftigen der IHS kommen nach Presseberichten zu 70% aus dem Ostteil der Stadt oder aus Brandenburg. Die BVG teilte 1991 mit, daß rund 40% der damals eingesetzten Privaten ehemalige Volkspolizisten seien; gegenüber der BVG mußte die IHS sich verpflichten, keine ehemaligen Stasi-Mitarbeiter (und niemanden, der an der Mauer Dienst getan hat) einzusetzen. Während der Berliner Ableger der IHS pauschal auf die betriebsinterne „umfangreiche Ausbildung“ des Personals hinweist, sollen die Frankfurter IHSler eine eineinhalbjährige Ausbildung durchlaufen.

Die IHS bemüht sich in haljährlichen Bilanzen die Effektivität ihrer Einsaätze nachzuweisen. Für die ersten neun Monate meldeten die Steifen über 167.000 Einsätze: In 35.300 Fällen wurden Fahrgäste wegen Alkoholgenuß von der Beförderung ausgeschlossen, fast 46.000 Personen wurden zum Verlassen der Bahnhöfe aufgefordert, knapp 25.000 mal wurden Obdachlose zur Ordnung gerufen und in genau 15.653 Fällen wirkten sie auf lautstarke Jugendliche ein. Bei 38 Fahrgästen schritten die IHS-Mitarbeiter wegen deren Schußwaffen ein. Sie schliechteten in mehr als 2.000 Fällen bei Streitigkeiten zwischen Fahrgästen; gingen 213 mal gegen Personen vor die sie selbst oder BVG-Personal angriffen und in 155 Fällen wurden sich prügelnde Personen getrennt. In der Bilanz für den Juni 91 war zudem mitgeteilt worden, daß die Wachhunde neunmal eingesetzt worden waren.

Nicht nur die IHS selbst, auch die Verkehrsbetriebe und die zuständige Senatsverwaltung bilanzieren den Einsatz der Privaten positiv. Daß die Zahl der Angriffe auf Personen, der Sachbeschädigungen und Diebstähle wieder zurückgegangen ist, wird auf die vermehrten Streifen zurückgeführt. Kritik hat es bisher kaum gegeben. Neben der durch die mitgeführten Hunde hervorgerufenen Einschüchterung wurden nur Klagen über den rüden Umgangston der Streifen laut. Von größerem Fehlverhalten oder gar Übergriffen ist nichts bekanntgeworden.

Bilanz

Die Beteiligung eines privaten Unternehmens am Sicherheits- und Ordnungsdienst war die wesentliche Änderung im Konzept der Berliner Verkehrsbetriebe. Nach den Vorteilen, die diese „Lösung“ gegenüber einem Ausbau des MOD-Modells (mit oder ohne Polizei) hat, muß man länger suchen. Die Privaten nehmen das Hausrecht im Auftrag der BVG wahr; sie haben keine hoheitlichen Befugnisse (können die Feststellung der Personalien nicht erzwingen, keine Verhaftungen vornehmen etc.). Im Ernstfall können sie Personen nur festhalten, die Polizei verständigen und auf deren Eintreffen warten. Ihr Nutzen ist also kleiner als der der MOD-Streifen; auch die Entlastung der Polizei dürfte gering sein. Andererseits, da die IHSler auch nicht bewaffnet sind, ist die vor allem von der GdP heraufbeschworene Gefahr, das Gewaltmonopol des Staates werde ausgehöhlt, kaum mit der Sache zu begründen. Denn die Privaten bleiben letztlich auf die Polizei angewiesen. Die Attraktivität der privaten Lösung resultiert für die BVG aus betriebswirtschaftlichen und für die Verkehrs- und Innenverwaltung aus interessenspolitischen Gründen. Betriebswirtschaftlich sind externe Dienstleistungen billiger und unter den Bedingungen des öffentlichen Dienstrechts mit weniger dauerhaften Haushaltsbindungen belastet. Als neue Größe entschärfen sie den Konflikt zwischen (erstens) der Verkehrsverwaltung, die die Attraktivität der Verkehrsmittel nicht durch eine Sicherheitsdebatte sinken lassen, gleichzeitig aber ihr Haushaltsdefizit nicht vergrößern will und (zweitens) der Polizei, die andere Aufgaben für wichtiger hält als die dauerhafte Präsenz im öffentlichen Nahverkehr und schließlich (drittens) jenen Interessenvertretern, die keine Möglichkeit auslassen, die Position der eigenen Klientel zu verbessern.

Gegenüber derartigen Bedenken liegen die Probleme der Beteiligung Privater in deren Kontrolle und Kontrollmöglichkeit durch die Öffentlichkeit einerseits sowie in der mit ihrer Hilfe bewerkstelligten Verdichtung der Kontrolle quasi-öffentlicher Räume, die zwar mit Sicherheitsbedürfnissen legitimiert wird, sich aber faktisch – siehe die Leistungsbilanz – gegen bestimmte Bevölkerungsgruppen und -verhaltensweisen wendet, die nichts oder nur sehr wenig mit der Sicherheit im ÖPNV zu tun haben.

Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.