Sicherheit als Ware und Dienstleistung – zur Entwicklung einer zukunftsträchtigen Industrie

von Detlef Nogala

Sicherheitsindustrie – ein aufstrebender und prosperierender Wirtschaftszweig – umfaßt eine ganze Reihe teilweise sehr unterschiedlicher Produktpaletten und Dienstleistungen. Ihre Struktur läßt sich in Anlehnung an eine US-amerikanische Definition von „private security“1 vielleicht am besten als die Gesamtheit der Freiberufler und Privatfirmen beschreiben, die gegen Bezahlung sicherheitsbezogene Dienstleistungen erbringen, indem sie Personen, Eigentum oder Interessen vor Gefahren zu schützen versuchen. Neben den Wachmännern (so sind z.B. nur 5% der Pförtner im Tagesdienst Frauen) wird dieses Aufgabenspektrum von Leibwächtern, Kurieren, Detektiven und nicht zuletzt von den dazugehörigen Ingenieuren, Technikern und Managern abgedeckt. Von einer Industrie kann insofern die Rede sein, als sich Dienstleistung, Beratung, Schulung und Marketing von der industriellen Herstellung und der professionalisierten Anwendung von sicherheitsspezifischen Produkten eigentlich nicht mehr scheiden läßt.

Nach Meinung neoliberaler ökonomischer Theorien läßt sich aus jedem knappen Gut ein Geschäft machen und so ist es schon aus diesem Grunde nicht verwunderlich, wenn sich zwecks profitabler Bedienung diverser Si-cherheitsbedürfnisse eine vielgestaltige und wirtschaftlich erfolgreiche Indu-strie ausgebildet hat. Diese handelt mit Dienstleistungen und bietet Waren an, die den Gebrauchswert ‚Mehr Sicherheit‘ für die Belange des Käufers versprechen. Natürlich geht es dabei nach den herrschenden Marktgesetzen zu, was voraussetzt, daß die Nachfrage nach dem Gut ‚Sicherheit‘ nur bei entsprechender Ausstattung mit Kaufkraft befriedigt wird. Kurzum: Neben dem Staat und seinen Organen kümmern sich mittlerweile eine ganze Reihe diverser privatwirtschaftlicher Organisationen und Unternehmen um die Aufrechterhaltung von Ordnung und die Gewährleistung von Sicherheit.

Der feine Unterschied besteht jedoch darin, daß der Staat und seine Institutionen (in diesem Falle die Polizei) diese Dienstleistung als eine raison d’etre eigentlich jedermann, egal ob ‚Berber‘ oder Millionär, zu gewähren haben, Sicherheitsunternehmen hingegen spezielle Schutzbedürfnisse nur gegen cash und Profit zu bedienen bereit sind. Der Tausch Geld gegen Sicherheit ist dabei, historisch gesehen, eine Gewohnheit2 und somit unspektakulär, hat aber in den entwickelteren kapitalistischen Gesellschaften in den letzten Jahrzehnten ein spezifisches Gesicht bekommen und tangiert sowohl Staat wie Gesellschaft.

Die Sicherheitsindustrie in Zahlen

In den USA übersteigt die Zahl der Beschäftigten in der Sicherheitsindustrie nach den Erhebungen des ‚Hallcrest-Reports‘ inzwischen bei weitem die der beamteten Polizisten. In der Mitte der 80er Jahre wurde die Gesamtzahl der in der Sicherheitsindustrie Tätigen auf 1,1 Millionen geschätzt (ohne ziviles Bewachungspersonal von Bundesbehörden und Militäreinrichtungen), wobei 449.000 in eigenen Unternehmensabteilungen, 641.000 in Vertragsunternehmen tätig waren.3 Der Nachfolgebericht stellt für den Beginn der 90er Jahre 600.000 beamteten Polizisten 1.500.000 privat beschäftigte Sicherheitsbedienstete gegenüber.4 Eine ähnliche Entwicklung läßt sich für Großbritannien aufzeigen. Einer geschätzten Zahl von etwa 250.000 Beschäftigten der Sicherheitsindustrie5 entsprechen 120.000 Polizeibeamte.

In Deutschland arbeiten ggw. etwa 105.000 Menschen im Bewachungssektor, wovon etwa 40.000 dem firmeninternen Werkschutz angehören und der Rest von Sicherheitsunternehmen gestellt wird. Auf 100.000 Deutsche kommen damit 140 Angehörige des privaten Wachdienstes. Das Verhältnis von Polizei und Bewachungskräften belief sich nach offiziellen Angaben für 1991 auf 70:30,6 was einer Zahl von ca. 245.000 Polizeibeamten entspricht (siehe auch S. 59).

Der Umsatz der gesamtdeutschen Sicherheitsindustrie wird für 1991 mit 11 Mrd. DM angegeben, wobei knapp die Hälfte auf mechanische Sicherheit (Geldschränke, Schlösser, Zäune, Gitter, Gläser incl. Montage) und je ein gutes Viertel auf elektronische Sicherheit (Einbruch- und Brandmeldetechnik, Zugangskontrollsysteme, Video-Überwachungsanlagen, incl. Installation und Instandhaltung) und Dienstleistungen (Bewachung, Beratung) entfielen. Ge-genüber 1989 (8,3 Mrd. DM) ist das eine Steigerung von 32,5 %, wobei der Nachholbedarf der Neufünfländer einen erheblichen Anteil der Expansion er-klärt. Dennoch: welche andere Branche kann solche Steigerungsraten vorweisen? In Großbritannien hat sich der Umsatz der Sicherheitsindustrie von 1981 – 1986 gar nahezu verdoppelt; für 1987 wurde er auf 807 Mill. Pfund geschätzt.7

Die Sicherheitsindustrie bedient einen Markt, der sich in erster Linie aus den diversen Sicherheitsinteressen von Wirtschaftsunternehmen und Behörden ergibt, aber inzwischen auch stärker die privaten Konsumenten erfaßt (Alarm-anlagen und Bewegungssensoren werden in Werbeprospekten den Haushalten angedient). Mehr und mehr wird nun auch die öffentliche Nachfrage nach Sicherheit privatwirtschaftlich beantwortet, sei es bei der Bewachung und dem Schutz von Asylunterkünften (ein neuer Markt, wie die Messegesell-schaft zu vermelden wußte) oder bei der Sicherung öffentlicher Räume wie Bahnhöfe, S-Bahnen, Einkaufszentren etc.(siehe S. 32).

Was bietet die Sicherheitsindustrie?

Das Angebot der Sicherheitsindustrie richtet sich auf all jene Nachfrage und Kaufkraft, die ein Sicherheitsinteresse artikuliert, dem mit den Mitteln von Bewachung/ Schutz oder Informationsermittlung/ Geheimhaltung (je durch Personal oder über technische Vorrichtungen) entsprochen werden kann. Der Hauptanteil aller Anstrengungen liegt dabei auf dem Gebiet der Vermögens-sicherung, d.h. in der Absicherung (bzw. dessen Versprechen) gegen Verlust, Zerstörung oder Diebstahl. Den Naturgewalten und der technischen Umwelt mit ihren Katastrophen kommt zwar aus Sicht der Branche ein nicht unerhebliches Risikopotential zu, das Hauptproblem aber wird in der „krimi-nellen Energie“ von Straftätern gesehen. Diese müssen als Diebe, Erpresser und Spione nicht unbedingt immer nur von außen kommen; ein Gutteil der branchenspezifischen Skepsis richtet sich auf die Beschäftigten der Wirt-schaftskunden selbst. Neben der unbefugten Mitnahme von Gegenständen beklagt man verstärkt wieder den sog. „Zeitdiebstahl“ von Mitarbeitern, womit gemeint ist, daß nicht jede Sekunde der verkauften Arbeitskraft auch wirklich allein dem Unternehmensprofit zugute kommt.

Das technische Angebot ist kaum noch zu überblicken. In diesem Jahr waren 540 Aussteller und Anbieter aus dem In- und Ausland auf der Essener „Security“-Messe vertreten. Die Video-Technik wurde perfektioniert und flexibilisiert, das Problem der Überwachung der aufgezeichneten Szenen mit Langzeitrecordern und Aufzeichnungskompression angegangen. Zugangskontrollsysteme mit den dazugehörigen Karten, ob per Eingabe oder berührungslos im Vorübergehen und -fahren, sind längst verbreitet, wobei das Interesse an biometrischen Systemen für Hochsicherheitsanwendungen nachgelassen zu haben scheint. Ein relativ neues Angebot ist hingegen die Satellitenortung von Fahrzeugen (etwa LKW oder Werttransporte) über das GPS-System (Global Positioning System), die von verschiedenen Firmen angeboten wird. Eher traditionelle Technik, wie Brand- und Einbruch-Alarmanlagen, machen zwar einen Großteil des Branchenumsatzes aus, sind aber aus kriminologischer Sicht nicht ganz so interessant wie Firmen, die ganze Gefängnisse schlüsselfertig anbieten oder etwa Panzerglas, das die Kugel des Angreifers zwar aufhält, aber einer entsprechenden Beantwortung von der anderen Seite keinen entscheidenden Widerstand entgegensetzt – sozusagen per Einweg-Verfahren Schutz und freie Schußbahn in einem bietet. Neben allerlei High-Tech-Spielzeug werden natürlich auch Dinge für die unmittelbare Auseinandersetzung angeboten. Für den Beobachter besonders beeindruckend ist dabei eine Vorrichtung zur schnellen Errichtung von Stacheldrahtumzäumungen per Kfz und speziellem Anhänger. Diese effektive Aufstandbekämpfungsmethode wurde (wundert es jemanden?) am südafrikanischen Stand im Video vorgeführt.

Gute Aussichten

Die bundesdeutsche Sicherheitsindustrie hat in den jetzigen Zeiten des Wachstums wenig Sorgen. Gedanken macht sie sich eher um ihr Image und über Maßnahmen, Qualität und Seriosität der Branche zu verbessern und zu sichern. Abwartend steht man dem kommenden europäischen Binnenmarkt gegenüber. Hier scheint ein etwas mühsamer Gang der Anpassung von Normen und Vorschriften vor den Verbänden zu liegen. Der eher nationale Schwerpunkt der verschiedenen Ländermessen kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, daß der Sicherheitsmarkt ein internationaler, ein globaler Markt geworden ist, auf dem Konzerne wie Sony, Panasonic, Grundig und Siemens fleißig mitzumischen gedenken. Es dürfte nicht schwer sein einzusehen, daß dieser Markt und die in ihm gebundenen Interessen einen erheblichen Einfluß auf die Struktur und das konkrete Aussehen der Systeme sozialer Kontrolle haben. Die mit dem Wachsen der Sicherheitsindustrie und der Privatisierung von Sicherheitsleistungen verbundenen sozialen, politischen, kriminologischen und juristischen Fragen und Probleme sind enorm – eine intensivierte Diskussion darüber unerläßlich.8

Detlef Nogala ist Diplom-Kriminologe und arbeitet z.Zt. an seiner Dissertati-on über „Technik & soziale Kontrolle“
1 vgl. Timm, H.W. & Christian, K.E. (1991), Introduction to Private Security, Pacific Grove, California: Brooks/Cole Publishing Company, S. 3 ff
2 vgl. Lipson, M. (1988), Private Security (A Retrospective). The Annals of the American Academy of Political Science (The Private Security Industry), 498 (July 1988), S. 11-22; McCrie, R.D. (1988), The Development of the U.S. Security Industry (A Retrospective), ebd. S. 23-33; Johnston, L. (1992), The Rebirth of Privat Policing, New York, Routledge
3 vgl. Cunningham/Taylor 1985, zit. n. Timm/Christian 1991, S. 10
4 vgl. Cunningham et.al 1991, zit. n. Voß, M. (1992, i.D.), Privatisierung öf-fentlicher Sicherheit, in: Frehsee, D.; Löschper, G.; Schumann, K.F. (Hg.), Strafrecht, soziale Kontrolle, soziale Disziplinierung. (Jahrbuch für Rechtssoziologie und Rechtstheorie, Band 15), Opladen, Westdeutscher Verlag
5 South, N. (1988), Policing for Profit (The Private Security Sector), London, Sage
6 Rede des Parlamentarischen Staatssekretärs beim BMI Eduard Lintner anläßlich der Eröffnung der Messe Security ’92 am 13. Oktober 1992 in Essen (Manuskript)
7 vgl. Johnston aaO, S. 74
8 siehe Hoogenboom (1991), Grey Policing: A Theoretical Framework, Policing and Society, Vol. 2, S. 17-30; Johnston aaO; South aaO; Voß aaO (1992, i.D.)

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