Chronologie

zusammengestellt von Kea Tielemann

November 1992

03.11.: Die ehemaligen RAF-Mitglieder Peter-Jürgen Boock und Christian Klar werden vom Stuttgarter Oberlandesgericht unter Einbeziehung früherer Strafen zu lebenslangen Gesamtstrafen verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen eines Überfalls mit Todesfolge auf eine Züricher Bank und wegen Mordversuchs schuldig. Die Verurteilten verbüßen wegen anderer Straftaten bereits lebenslange Haftstrafen. Sowohl Generalbundesanwalt von Stahl als auch die Anwälte legen gegen das Urteil Revision ein.

04.11.: Der Schalck-Untersuchungsausschuß legt nach 17monatiger Arbeit den ersten Zwischenbericht vor, der hauptsächlich aus Akten der STASI und der „Kommerziellen Koordinierung“ besteht. Ein Großteil der über eine Million Dokumente sei bislang nicht annähernd ausgewertet.
Für einen im September begangenen Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Ketzin wird ein 21jähriger Täter zu sieben Jahren Haft verurteilt; ein 20jähriger Mitangeklagter erhält eine vierjährige Jugendhaftstrafe. Am 6.11. legt die Potsdamer Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof Revision ein, da sie härtere Strafen fordert.

05.11.: Die Berliner Justiz eröffnet gegen den ehemaligen STASI-Chef Erich Mielke die vierte Anklage. Ihm wird vorgeworfen, im März 1950 die Entführung und Inhaftierung des KPD-Bundestagsabgeordneten Kurt Müller veranlaßt zu haben. Im Prozeß um die Todesschüsse an der Berliner Mauer (Honecker-Prozeß) beschließt das Berliner Landgericht am 17.11. die vorläufige Einstellung des Verfahrens gegen Mielke wegen körperlicher Überlastung.
In Brandenburg wird eine ‚Sonderkommission zur Bekämpfung rechtsorientierter Gewalt‘ eingerichtet.
‚Die Republikaner (REP)‘ sind in Nordrhein-Westfalen und in Hamburg Beobachtungsobjekt des Verfassungsschutzes. Der Berliner Verfassungsschutz teilt mit, daß sowohl die Berliner PDS, als auch die REP nicht beobachtet werden. Am 14.12. bestätigt der saarländische Verfassungsschutz, daß die REP und die Scientology-Sekte auf Verfassungstreue überprüft werden und im Einzelfall V-Leute eingesetzt werden. Am 15.12. ordnet Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) die Beobachtung der REP durch das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) an. Am 8.2.93 untersagt das Verwaltungsgericht Hannover dem niedersächsischen Verfassungsschutz, die REP weiter zu beobachten, da das zur Überprüfung vorgelegte Material hauptsächlich aus Nordrhein-Westfalen stammte.
Karl-Heinz Dellwo erklärt im Namen weiterer sieben RAF-Gefangener die Absicht, nach ihrer Freilassung nicht zum bewaffneten Kampf zurückzukehren. Diese Erklärung zum Gewaltverzicht wird sowohl vom BfV als auch von der Bundesanwaltschaft positiv gewertet. Am 11.2.93 lehnt das Oberlandesgericht Düsseldorf die Aussetzung der Strafen von Karl-Heinz Dellwo, Hannah Krabbe und Lutz Taufer zur Bewährung ab, da die Verurteilten sich weigern, sich vor ihrer mündlichen Anhörung einer psychiatrischen Untersuchung zu unterziehen.

06.11.: Die Synode der Evangelischen Kirche in Deutschland beschließt, alle Mitglieder ihrer Leitungsgremien auf frühere STASI-Kontakte überprüfen zu lassen.

08.11.: In Berlin demonstrieren 350.000 Menschen gegen Ausländerfeindlichkeit und die Änderung des Artikels 16 des Grundgesetzes (Asylrecht). 2.500 Polizeibeamte und 1.000 Bundesgrenzschützer sind im Einsatz. Bei der Schlußkundgebung wird die Rede des Bundespräsidenten von einigen hundert Demonstranten u.a. durch Eierwürfe gestört. Ein Beamter des Bundeskriminalamtes feuert bei den Auseinandersetzungen drei Schüsse in die Luft ab. Von den 14 festgenommenen Personen werden am 9.11. fünf einem Haftrichter vorgeführt.

10.11.: Der Bundesbeauftragte für die STASI-Akten, Joachim Gauck, gibt bekannt, daß bisher 1.483.005 Anträge auf Akteneinsicht bzw. auf Auskunft bei der Gauck-Behörde gestellt wurden. 311.000 Anfragen seien abschließend beantwortet worden. Nur fast jeder fünfte der Antragsteller sei in irgendeiner Weise in den Akten erfaßt. Bei ca. 10 % der überprüften Personen seien Hinweise auf eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit gefunden worden. Das Gesamtmaterial sei bisher zu ca. 50 % erschlossen.

12.11.: In Berlin beginnt der Prozeß gegen Erich Honecker und fünf weitere Mitglieder der früheren DDR-Staats- und Parteiführung wegen der Todesschüsse an der ehemaligen deutsch-deutschen Grenze. Am 7.1.93 wird das Verfahren gegen Honecker aufgrund seines Gesundheitszustandes abgetrennt. Am 12.1. wird es eingestellt und der Haftbefehl aufgehoben. Nach seiner Entlassung fliegt Honecker nach Chile.

15.11.: In Halbe werden ca. 1.500 Polizisten und Bundesgrenzschützer eingesetzt, um einen Aufmarsch von Neonazis auf dem dortigen Soldatenfriedhof zu verhindern. 32 Personen werden vorübergehend festgenommen.

21.11.: In Berlin wird der 27jährige Hausbesetzer Silvio Meier bei einem Streit mit rechten Jugendlichen erstochen. Zwei Freunde des Opfers werden schwer verletzt. Am 23.11. stellt sich einer der Täter; am 24.11. wird ein weiterer verhaftet.

23.11.: Im schleswig-holsteinischen Mölln begehen Neonazis Brandanschläge auf zwei Wohnhäuser. Hierbei werden drei Türkinnen getötet und neun weitere Menschen verletzt. Die Bundesanwaltschaft übernimmt nun erstmals ein Verfahren wegen ausländerfeindlicher Straftaten und ermittelt wegen dreifachen Mordes sowie versuchten Mordes. In den folgenden Tagen werden 12 Tatverdächtige einer rechtsextremen Gruppe aus Schleswig-Holstein verhaftet. Am 1.12. legen zwei Mitglieder dieser Gruppe Geständnisse ab.
Das Landgericht Berlin stellt das Verfahren gegen einen Bereitschaftspolizisten ein, der während eines Einsatzes bei der IWF- und Weltbank-Tagung in Berlin 1988 einen Fotoreporter geschlagen und dessen Kamera beschädigt hatte, und verhängt eine Geldbuße in Höhe von 3.000 DM. In erster Instanz hatte das Amtsgericht Tiergarten auf eine Strafe in Höhe von 6.000 DM erkannt.

24.11.: Ein Moabiter Schöffengericht verurteilt einen ehemaligen STASI-Major, der als Angestellter der Gauck-Behörde dem Berliner Landesamt für Verfassungsschutz fünf STASI-Karteikarten angeboten hatte, zu sechs Monaten Haft auf Bewährung.

26.11.: Berlins Innensenator Heckelmann kündigt die Schaffung einer Polizei-Sondereinheit zur Extremismusbekämpfung an, die aus 80 Schutzpolizisten bestehen soll. Auch beim Staatsschutz seien besondere Einheiten zur Bekämpfung fremdenfeindlicher Straftaten eingerichtet und beim Landesamt für Verfassungsschutz der Bereich ‚Rechtsextremismus‘ personell verstärkt worden.
Das Berliner Abgeordnetenhaus beschließt das neue Verfassungsschutz-Gesetz, das auch den „großen Lauschangriff“ erlaubt.
Bundesinnenminister Seiters erklärt, daß der Stellenabbau beim Bundesamt für Verfassungsschutz gestoppt werde. Ursprünglich sollte die Anzahl der BeamtInnen innerhalb von fünf Jahren um 414 auf 2.040 gekürzt werden. Die Zahl der mit Rechtsextremismus befaßten Mitarbeiter sei verdoppelt, die Zahl der mit Linksextremismus befaßten halbiert worden.
Das Berliner Abgeordnetenhaus wählt den Pfarrer und Mitbegründer der Ost-SPD, Martin Gutzeit, zum STASI-Landesbeauftragten, ohne ihn allerdings mit einem eigenen Haushalt auszustatten.

27.11.: Bundesinnenminister Seiters beschließt das Verbot der neonazistischen ‚Nationalistische Front (NF)‘. Bei führenden NF-Mitgliedern werden an mehr als 40 Orten Hausdurchsuchungen durchgeführt, um Akten, Propagandamaterial und Vermögensgegenstände zu beschlagnahmen. Am 10.12. wird die ‚Deutsche Alternative (DA)‘ verboten und am 22.12. die ‚Nationale Offensive (NO)‘. Am 16.2.93 wird bekannt, daß die NPD in Brandenburg vom Verfassungsschutz beobachtet wird, da sie von Mitgliedern der verbotenen DA unterwandert sei.
Bei einer Razzia im brandenburgischen Spremberg werden während eines „Kameradschaftstreffens“ 46 Neonazis vorläufig festgenommen.
Brandenburgs Innenstaatssekretär Werner Ruckriegel teilt mit, daß die Verbeamtung bei der Polizei abgeschlossen sei und ca. 5.600 Polizisten in ein Beamtenverhältnis auf Probe übernommen worden seien.

28.11.: In Leipzig kommt es zu einer mehrstündigen Straßenschlacht zwischen 180 Polizisten und ca. 100 Jugendlichen, nachdem Polizeibeamte zwei randalierende Jugendliche festnehmen wollten. Die Polizei gibt zwei Warnschüsse ab, wobei ein Jugendlicher an der Hüfte getroffen wird. Für 30 der 41 vorläufig Festgenommenen wird Haftbefehl ausgestellt.

Dezember 1992

02.12.: Ein Demonstrant, der 1990 in Frankfurt/M. von einem Wasserwerfer getroffen wurde, als er versuchte, dessen Einsatz mit Handzeichen und Zurufen zu verhindern, erhält ein Schmerzensgeld von 2.000 DM, da der Einsatz nach Ansicht des Frankfurter Schöffengerichts unnötig war. Gleichzeitig wird das Verfahren wegen Körperverletzung gegen den Polizeibeamten eingestellt.
Bei einer bundesweiten Razzia gegen Schwarzarbeit werden bei 120 von 185 überprüften Betrieben Rechtsverstöße festgestellt.

03.12.: Das Bundeskriminalamt führt ein automatisches Fingerabdruck-Identifizierungssystem (AFIS) ein, mit dem zunächst die Fingerabdrücke aller Asylbewerber erfaßt werden sollen. 400.000 Erfassungen pro Jahr sind geplant.

04.12.: Sechseinhalb Jahre nach dem Anschlag auf die Berliner Diskothek ‚La Belle‚ erhebt die Staatsanwaltschaft beim Berliner Kammergericht die erste Anklage gegen einen Palästinenser, dem Verabredung zum Mord vorgeworfen wird.

07.12.: Die Bonner Koalitionsparteien und die SPD einigen sich auf einen ‚Asylkompromiß‚: In einem neuen Art. 16a des Grundgesetzes soll festgelegt werden, daß niemand Anspruch auf Asyl hat, der aus einem Drittstaat einreist, „in dem die Anwendung der Genfer Konvention und der Europäischen Menschenrechts-Konvention sichergestellt ist“. Hierzu werden auch Polen und die CSFR gezählt.

08.12.: 113 Rumänen, darunter 46 abgelehnte Asylbewerber und 67 illegale Grenzgänger, werden nach Bukarest abgeschoben. Grundlage ist der am 1. November in Kraft getretene ‚Rückübernahmevertrag‘ mit Rumänien. Bis Ende Januar 1993 werden insgesamt über 3.000 Rumänen zurücktransportiert.

09.12.: Das Bundeskabinett beschließt, beim Bundesverfassungsgericht ein Verfahren zur Aberkennung von Grundrechten nach Art. 18 der Verfassung gegen den Gründer der Deutsch-Nationalen Partei, Thomas Dienel, und den hessischen Neo-Nazi Heinz Reisz einzuleiten.
Das Bezirksgericht Potsdam verhängt gegen einen früheren DDR-Grenzsoldaten die bisher höchste Strafe in einem Mauerschützenprozeß: Es verurteilt ihn zu sechs Jahren Haft, weil er 1965 einen bereits gestellten Flüchtling erschoß.

11.12.: Unter Vorsitz des Bundesamtes für Verfassungsschutz wird eine Bund-Länder-Informationsgruppe gegen Rechtsextremismus aus Vertretern der Strafverfolgungsbehörden, verschiedener Ministerien und der Verfassungsschutzämter gebildet.
Der Bundestag stimmt einer Verlängerung der Kronzeugenregelung bis Ende 1995 zu. Am 14.1.93 billigt der Bundesrat diese Entscheidung.

14.12.: Es wird bekannt, daß sich die Generalstaatsanwälte der Bundesländer mit dem Generalbundesanwalt bei einer Konferenz am 23./24.11. darauf geeinigt haben, künftig härtere Strafen für rechtsextremistische Straftäter zu beantragen.

15.12.: Der Berliner Senat beschließt, den ca. 2.500 Mitgliedern der Freiwilligen Polizeireserve (FPR) künftig mehr Befugnisse zu übertragen. Am 3.2.93 teilt Berlins Polizeipräsident Hagen Saberschinsky mit, daß fünf Mitglieder der FPR in internationalen Waffenhandel verwickelt waren. Am 13.2.93 wird bekannt, daß 89 von 200 überprüften Reservisten der neonazistischen Szene zugerechnet werden müssen oder schwerer Straftaten wie Raub, gefährlicher Körperverletzung oder sexuellem Mißbrauch von Kindern verdächtig sind. Daraufhin werden 40 Polizeibeamte für die Überprüfung aller 2.500 FPR-Mitglieder eingesetzt.

16.12.: Das Berliner Landesarbeitsgericht bestätigt die Entlassung des ehemaligen Rektors der Humboldt-Universität, Heinrich Fink, da es seine wissentliche STASI-Mitarbeit durch Hinweise aus STASI-Akten als erwiesen ansieht.

18.12.: Die Pressestelle des Polizeipräsidiums München teilt mit, daß gegen den Polizeipräsidenten Roland Koller alle Verfahren wegen des ‚Münchner Kessels‘ beim internationalen Wirtschaftsgipfel im Juli 1992 eingestellt wurden.

22.12.: Das Bundesverfassungsgericht beschließt, daß es gegen das Grundrecht auf Demonstrationsfreiheit verstößt, wenn Strafgerichte wegen der Weigerung, sich unverzüglich zu entfernen, eine Geldbuße gegen Demonstrationsteilnehmer verhängen, ohne daß die Rechtmäßigkeit des Auflösungsbeschlusses geprüft wurde. (Az.: 1BvR 88/91 und 576/92)

30.12.: Nahe der deutschen Grenze wird eine 19jährige Deutsche von tschechischen Zollgrenzbeamten erschossen, die versucht hatten, ihr Fahrzeug für eine Kontrolle zu stoppen. In der Annahme, es handele sich um einen Überfall, gaben die PKW-Insassen jedoch Gas. Daraufhin feuerten die Grenzbeamten mehrere Schüsse ab, von denen einer die Frau tödlich traf.
Der mutmaßliche Waffenhändler Gerd Kaden wird bei der Einreise aus der Schweiz nach Bayern festgenommen. Gegen den früheren Hauptkommissar der DDR-Volkspolizei wird wegen Verstoßes gegen das Kriegswaffenkontrollgesetz ermittelt, da er Journalisten des ARD-Magazins ‚Monitor‘ 15 Kampfflugzeuge, Kriegsschiffe, Uran und Plutonium aus Osteuropa angeboten hatte.

Januar 1993

01.01.: Der Bundesgrenzschutz Ost übernimmt die Zuständigkeit für die Luftsicherheit der Flughäfen Tegel und Tempelhof.
Ein interner Bericht der Berliner Zentralen Ermittlungsstelle Regierungs- und Vereinigungskriminalität wird bekannt, in dem der bei der Vereinigung entstandene Schaden auf 18 Mrd. DM geschätzt wird. Bisher war man von 6 Mrd. DM ausgegangen. Die Zahl der an der ehemaligen DDR- Grenze umgekommenen Personen wird mit 400 angegeben.

04.01.: Beim Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge in Zirndorf werden künftig 50 Bundeswehrsoldaten für die Bearbeitung von Asylanträgen eingesetzt.
Der ehemalige Chef der STASI-Bezirksverwaltung Magdeburg wird wegen Verwahrbruch und Beihilfe zur Unterschlagung zu zwei Jahren und drei Monaten Haft verurteilt, da unter seiner Verantwortung in den Jahren 1985-89 etwa 350.000 DM aus westlichen Postsendungen entnommen und jährlich bis zu 500 Telefonanschlüsse abgehört wurden. Drei weitere leitende Offiziere erhalten Bewährungsstrafen.
Bei der Berliner Staatsanwaltschaft wird ein Sonderdezernat mit sieben Staatsanwälten zur Bekämpfung extremistischer Gewalttaten eingerichtet. Die Politische Staatsanwaltschaft war in Berlin 1990 unter dem rot-grünen Senat abgeschafft worden.

05.01.: Der Sprecher der Grenzschutzdirektion in Koblenz erklärt, in den ersten elf Monaten des Jahres 1992 seien 53.732 Menschen bei der illegalen Einreise gefaßt worden; 1991 waren es 34.554 Personen.

07.01.: Die Bundesanwaltschaft ermittelt gegen die RAF-Gefangene Eva Haule-Frimpong wegen dreifachen Mordes und 23fachen versuchten Mordes, da sie 1985 an der Ermordung eines US-Soldaten und am Bombenanschlag auf die US- Air-Base in Frankfurt beteiligt gewesen sein soll. Der Tatverdacht ergibt sich aus zwei in der Haftzelle einer anderen RAF-Angehörigen gefundenen Briefen, in denen sie angeblich ihre Beteiligung einräumt.

11.01.: Der Präsident des Bundeskriminalamtes (BKA), Hans-Ludwig Zachert, und der Leiter der italienischen Anti-Mafia-Behörde, Giovanni Tavormina, vereinbaren die Bildung einer gemeinsamen Anti-Mafia-Arbeitsgruppe und den Austausch von Verbindungsbeamten.

12.01.: Das BfV teilt mit, daß 1992 2.285 Gewalttaten mit rechtsextremer Motivation registriert wurden; das sind über 50 % mehr als im Vorjahr. Dabei wurden 17 Menschen getötet.

15.01.: Das Berliner Kammergericht setzt den Haftbefehl gegen den wegen Spionage für die STASI angeklagten früheren RAF-Anwalt Klaus Croissant außer Vollzug. Croissant bleibt in Haft, da die Bundesanwaltschaft Beschwerde einlegt, der am 3.2. vom Bundesgerichtshof stattgegeben wird.

19.01.: Mehr als 150 Polizeibeamte aus Berlin und Rheinland-Pfalz durchsuchen im Rahmen einer Razzia gegen eine internationale Waffenschieberbande in sieben Bundesländern 36 Wohnungen und Geschäftsräume.
Der Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Eduard Lintner (CSU), gibt die Zahl der Drogentoten für 1992 mit 2.096 an. Sie hat damit im Vergleich zu 1991 (= 2.100) leicht abgenommen.
In Gorleben löst die Polizei mit Tränengas und Hunden eine Sitzblockade von 500 Atomkraftgegnern auf.

22.01.: In Freiburg wird eine 24jährige Frau aus der autonomen antifaschistischen Szene durch eine Paketbombe getötet. Die Polizei setzt eine 20köpfige Sonderkommission ein. Auf Demonstrationen in Freiburg und Berlin fordern Autonome Ermittlungen in der rechtsextremistischen Szene.
Auf dem Hof des Polizeireviers von Staßfurt bei Magdeburg wird ein unter dem Verdacht des Diebstahls festgenommener Rumäne erschossen, als er flüchten will.
Das Spezialeinsatzkommando der Berliner Polizei besteht 20 Jahre. In insgesamt 7.302 Einsätzen wurden 2.714 Gewalttäter überwältigt und 2.030 Schußwaffen sichergestellt, ohne daß es zu einem Schußwaffengebrauch kam.

23.01.: Es wird bekannt, daß die beiden bei dem Brandanschlag in Hünxe im Oktober 1991 schwer verletzten libanesischen Mädchen keinen Entschädigungsanspruch nach dem deutschen Opferentschädigungs-Gesetz haben.

25.01.: Der 1986 wegen Unterstützung der RAF zu neuneinhalb Jahren Haft verurteilte Karl-Friedrich Grosser wird vorzeitig entlassen. Das letzte Drittel seiner Strafe wird auf vier Jahre zur Bewährung ausgesetzt.

31.01.: Eine Umfrage der Wickert-Institute ergibt, daß 89 % der 4.000 Befragten glaubt, die Gewalt in der Bundesrepublik werde weiter zunehmen. 88 % fühlen sich auch persönlich bedroht.

Februar 1993

01.02.: Der Bundesgerichtshof beschließt, daß von der Telekom aufgezeichnete Autotelefondaten in einem Strafprozeß als Beweismittel verwendet werden dürfen. (Az.: 5 StR 394/92)

02.02.: Der Berliner Innensenat und das brandenburgische Innenministerium vereinbaren die gemeinsame Anpassung ihrer Anschlüsse an das Informationssystem INPOL. Als erstes erfolgt der Datenaustausch in den Bereichen rechtsradikale Gewalt und Kraftfahrzeugdelikte.
Berlins Justizsenatorin Limbach erklärt, daß von den 371 Richtern und Staatsanwälten der ehemaligen DDR, die sich um Übernahme in Berlin beworben hatten, lediglich 33 Richter und zehn Staatsanwälte übernommen wurden.

03.02.: ‚amnesty international‘ legt einen Bericht vor, der zahlreiche Beispiele rassistisch motivierter Polizeiübergriffe gegen Ausländer in westeuropäischen Staaten aufzeigt.
Die Polizei führt bei rechtsradikalen Bands und deren Produzenten wegen Volksverhetzung und Aufstachelung zum Rassenhaß bundesweit Hausdurchsuchungen durch.

10.02.: Bei einer Fahrzeugkontrolle erschießt ein Polizeibeamter einen 22jährigen Autofahrer in Wolfratshausen bei München. Der tödliche Schuß löste sich, als der Beamte mit seiner Waffe die Fensterscheibe des Autos einschlug, um eine Flucht zu verhindern.

11.02.: Der Ministerpräsident von Mecklenburg-Vorpommern Berndt Seite (CDU) entläßt Innenminister Lothar Kupfer (CDU), der sich weigerte, die politische Verantwortung für den gescheiterten Polizeieinsatz bei den ausländerfeindlichen Gewalttaten von Rostock im August 1992 zu übernehmen. Unmittelbarer Auslöser für die Entlassung ist die Präsentation von Ministeriumsakten am 10.2., die im März 1992 auf einer Müllkippe gefunden worden sind. Als Nachfolger wird am 19.2. der ehemalige rheinland-pfälzische Innenminister Rudi Geil (CDU) benannt. Erstmals muß sich am 23.02. ein 22jähriger wegen versuchten Mordes während der Rostocker Krawalle verantworten. Ihm wird vorgeworfen, eine Brandflasche auf einen Polizisten geworfen zu haben.
In Frankfurt/M. entführt ein 20jähriger Äthiopier einen Airbus der Lufthansa und erzwingt mit einer an Bord geschmuggelten Waffe einen Flug nach New York. Es ist die erste Flugzeugentführung in der Bundesrepublik seit 1985.

12.02.: Der Bundesgrenzschutz wirbt in den ostdeutschen Gemeinden entlang der Grenze zu Polen und der Tschechischen Republik ca. 1.600 Hilfspolizisten an, die für drei Jahre angestellt werden sollen, um die illegale Einreise von Ausländern zu verhindern.

15.02.: Der Koordinator für die deutschen Nachrichtendienste, Schmidbauer, und der russische Geheimdienstchef Primakow vereinbaren die Zusammenarbeit der Geheimdienste bei der Drogen- und Terrorismusbekämpfung.
Das Landgericht Ellwangen stellt die Prozesse gegen die Teilnehmer der Anti-Raketen-Blockaden vor dem US-Militärdepot in Mutlangen vor ca. neun Jahren ein, da die Diskussion zur atomaren Nachrüstung „mittlerweile gegenstandslos geworden“ sei. (Az.: NS 88/853 KV 1/92)

16.02.: Die Telekom bestätigt eine Mitteilung des Bundesdatenschutzbeauftragten, daß von 1989 bis 1992 das Telefonverhalten von 4.000 Kunden heimlich überwacht wurde.
Eine Konferenz der Innen- und Justizminister aus 33 europäischen Staaten beschließt in Budapest Richtlinien über eine juristisch einheitliche Bekämpfung des Menschenschmuggels sowie des illegalen Grenzübertritts und spricht sich für die Verschärfung von Grenzkontrollen aus.

18.02.: Ein Sprecher des Grenzschutzpräsidiums Ost bestätigt, daß der BGS bereits seit Anfang Februar elektronische Warnsysteme auf Radar- und Infrarotbasis an der deutsch-polnischen Grenze erprobt. Am 27.2. spricht sich der brandenburgische Innenminister Alwin Ziel als erster sozialdemokratischer Innenminister für diesen Einsatz sowie die geplante Einstellung von BGS-Hilfskräften aus.

19.02.: Das Landgericht Hamburg verurteilt den Innensenat zur Zahlung von Schmerzensgeld in Höhe von 4.000 und 2.500 DM an zwei Männer, die 1989 bzw. 1991 von Beamten einer Sondereinheit der Hamburger Polizei mißhandelt wurden.
Das Landgericht Dresden verurteilt zwei junge Männer wegen versuchten Mordes an drei Ausländern zu Haftstrafen von siebeneinhalb und vier Jahren. Sie hatten im August 1992 im sächsischen Pirna Brandflaschen auf die Unterkunft einer peruanischen Folkloregruppe geworfen.

21.02.: In Thüringen wird ein Autofahrer erschossen. Er hatte eine Polizeisperre durchbrochen, nachdem er in Eisenach an einer Tankstelle seine Benzinrechnung nicht bezahlt hatte.

22.02.: Wegen des Karnevals ist der Verfassungsschutz in Mainz zwei Tage lang nicht erreichbar. Gefeiert wird auch in anderen Landesämtern.

23.02.: Das Verwaltungsgericht München stellt fest, daß der bayerische Verfassungsschutz über eine Journalistin jahrelang rechtswidrig Daten gespeichert hatte. Der Vorgang war im Mai 1989 bekanntgeworden.
In Magdeburg wird Haftbefehl gegen einen 22jährigen Polizisten erlassen, der an einem rechtsradikalen Überfall auf eine Gaststätte in Calbe beteiligt war.
In Hoyerswerda erhängt sich ein Mitglied einer rechtsradikalen Gruppe nach seiner Festnahme in der Polizeizelle. Er war nach einem Überfall auf einen Jugendclub festgenommen worden, bei dem ein Musiker lebensgefährlich verletzt wurde und später starb.

24.02.: Das Oberlandesgericht in Hamburg lehnt die Strafaussetzung der zur RAF gerechneten Christine Kuby ab, da die besondere Schwere der Tat die Verbüßung einer 16jährigen Haftstrafe erfordere. Kuby war wegen zweifachen versuchten Mordes an Polizeibeamten zu lebenslänglich verurteilt worden.
Der am 28.1. festgenommene stellvertretende NPD-Vorsitzende von Schleswig-Holstein Heinrich Förster wird freigelassen. Ihm war vorgeworfen worden, Jugendliche zum Anschlag auf ein Asylbewerberheim angestiftet zu haben.

25.02.: Das Bundesarbeitsgericht befindet, daß Unterlagen der Gauck-Behörde nur dann für eine Kündigung herangezogen werden dürfen, wenn auch der Betroffene die Akten gesehen hat. (Az.: AZR 274/92)
Die Bundesanstalt für Arbeit bestätigt Berichte, wonach ca. 800 Zöllner, die durch die Einführung des EG-Binnenmarktes freigesetzt wurden, künftig zur Überprüfung von Schwarzarbeitern eingesetzt werden. 450 seien bereits im Einsatz.

26.02.: Der Bundesgerichtshof weist die Revisionsanträge von Bundesanwaltschaft und Verteidigung im sog. Startbahn-Prozeß zurück. Das Urteil gegen den 28jährigen Andreas Eichler wegen zweifachen Totschlags und versuchten Totschlag zu 15 Jahren Haft ist damit rechtskräftig.

Kea Tielemann ist Redaktionsmitglied von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.