von Tony Bunyan
Das Thema Polizei und Rassismus reicht in Großbritannien zurück bis weit zur Jahrhundertwende und muß sich somit im Rahmen dieses Beitrages einer eingehenderen Betrachtung entziehen. Um die gegenwärtige Beziehung zwischen der Polizei und der ‚black community‘ (dieser Begriff umfaßt alle nichtweißen Gruppen) richtig zu verstehen, bedarf es zumindest jedoch eines Rückblickes auf die 80er Jahre. Nur so läßt sich nachvollziehen, was sich seitdem auf diesem Gebiet weiterentwickelt hat.[1]
Die Geschichte dieser Periode beginnt im April 1979 in Southall im Westen Londons, als die dortige asiatische Bevölkerung und ihre UnterstützerInnen gegen ein Treffen der faschistischen ‚National Front‘ protestierten. Zehntausende blockierten die Straßen. Die Polizei reagierte mit einem Angriff auf die DemonstrantInnen und verhaftete mehr als 350 Personen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen tötete ein Mitglied der ‚Special Patrol Group‘ (SPG), einer paramilitärischen Einheit zur Aufstandsbekämpfung (heute: ‚Territorial Support Group‘), den weißen Lehrer Blair Peach. In St. Pauls in Bristol formierten sich daraufhin Jugendliche gegen die Polizei und sperrten über Stunden den gesamten Bezirk, bis die Polizei aus umliegenden Revieren Verstärkung erhielt. Polizeifahrzeuge wurden mit Brandsätzen angegriffen und umgestürzt. Die Polizei reagierte darauf mit einer zusätzlichen Ausbildung nicht nur für die Sondereinsatzgruppen, sondern für alle Einheiten. Diese Ausbildungselemente zur Aufstandsbekämpfung sind unterdessen Bestandteil der regulären Ausbildung geworden und werden durch regelmäßige Fortbildungen aufgefrischt.
Trotz all dieser Vorbereitungen wurde die Polizei von den 1981 zunächst im Londoner Stadtteil Brixton und bald darauf in über 25 Städten erneut ausbrechenden Unruhen völlig überrascht. Die von schwarzen Jugendlichen angeführten Aufstände (einzelne Stadtteile und Orte wurden wegen des dort herrschenden offenen Rassismus regelrecht angegriffen)[2] entsprangen nicht nur der allgemeinen Arbeitslosigkeit und Armut, sondern wurzelten zudem in einem tiefen Haß auf den ständig erlebten polizeilichen Rassismus.
Der ‚Scarman-Report‘ und der ‚Newman-Plan‘
Die Regierung reagierte auf diese Unruhen mit der Ernennung von Lord Scarman zum Sonderberichterstatter, der die Unruhen und ihre Ursachen untersuchen sollte. Der ‚Scarman-Bericht‘ setzte sich auch mit den sozialen Hintergründen für die Unruhen – Arbeitslosigkeit, soziale Benachteiligung, ‚rassische Benachteiligung‘ – und den Beziehungen zwischen den schwarzen Jugendlichen und der Polizei auseinander. Er führte aus, es sei erforderlich, daß sich die Polizei mit eigenen rassistischen Einstellungen und Belästigungen der Bevölkerung auseinandersetze. Den institutionellen Charakter des polizeilichen Rassismus allerdings erkannte Scarman nicht. Statt dessen zog er es vor, das Problem zu individualisieren, indem er es auf einige ‚faule Äpfel‘ und den allgemeinen Verfall familiärer Werte innerhalb der Gemeinde reduzierte.
Die Londoner Polizei reagierte auf diese indirekte Kritik mit der Veröffentlichung von rassistisch gezeichneten Kriminalitätsstatistiken, die auf einen dramatischen Anstieg von Raubüberfällen und der Beteiligung von Schwarzen daran hinwiesen.
Die wichtigsten Empfehlungen von Lord Scarman, insbesondere hinsichtlich Arbeitslosigkeit und Armut, wurden von der Regierung schlicht ignoriert. Statt dessen wurde die Polizei erneut aufgerüstet, um die öffentliche Sicherheit und Ordnung aufrechtzuerhalten. Der Entwurf für ein neues Polizeigesetz mit einer deutlichen Erweiterung der polizeilichen Machtbefugnisse wurde vorbereitet und die entsprechenden Beratungsgruppen eingerichtet. An allen Fronten wurde die gemeindebezogene bzw. ressortübergreifende Polizeiarbeit propagiert. Die Idee der gemeindebezogenen Polizeiarbeit entfachte in den Medien, im Parlament und unter AkademikerInnen eine breite Debatte – mündete jedoch so gut wie überhaupt nicht in konkrete Tätigkeiten ein.
Ressortübergreifende Polizeiarbeit ist in der Folge dann tatsächlich aufgegriffen und umgesetzt worden. Sie beinhaltete im wesentlichen eine Intensivierung der Kooperation zwischen der Polizei und MitarbeiterInnen anderer Ressorts, wie z.B. SozialarbeiterInnen, MitarbeiterInnen der Wohnungsverwaltungen, BewährungshelferInnen, usw.
Im Oktober 1982 wurde Sir Kenneth Newman, bis dahin Polizeichef in Nordirland, zum Chef der ‚Metropolitan Police‘ (der höchsten Polizeistelle des Landes) ernannt. Er verkündete den sogenannten „Newman Plan“: „weiche“ oder „gemeindebezogene“ Polizeiarbeit wurde von der Tagesordnung gestrichen. Statt dessen wurde nun die „zielgerichtete“ Verfolgung von vermeintlichen Kriminellen zentraler Gegenstand der Arbeit, die Kennzeichnung von „symbolischen Orten“ (meist die Versammlungsorte schwarzer Jugendlicher), die Einrichtung von polizeilichen Beratungsgruppen (was binnen kürzester Zeit von allen Polizeien nachgeahmt wurde) sowie die Förderung von Wachkomitees der örtlichen Zivilbevölkerung (aus den USA importiert) vorangetrieben. Newman ließ in seiner Beschreibung des ‚Problems‘ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig:
„Es gibt ein Problem mit den jungen Menschen, insbesondere den jungen Westindern… In einigen Gegenden gibt es eine Art der Obstruktion und der Feindseligkeit, die zu bewußt inszenierten Konfrontationen mit der Polizei geführt hat. Es wird deshalb zur Priorität, daß die Ordnung in solchen Gegenden wieder hergestellt wird.“[3]
Beratungsmodelle wurden nun nicht mehr ins Leben gerufen, um mit der ‚black community‘ ins Gespräch zu kommen (wie dies in den 70er Jahren mit den Gemeindebeziehungsräten der Fall gewesen ist), sondern um die örtlichen Kirchengemeinden, Jugendklubs, Läden, Geschäfte und örtlichen Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens in die eigenen Konzepte einzubinden. Ihre Rolle sollte darin bestehen, als Puffer zwischen der Gemeinde und der Polizei zu funktionieren. Im wesentlichen handelt es sich daher um Gesprächsrunden, in denen die Polizei das Wort ergreift. Die übrigen vertretenen Gruppen haben zudem nur wenige Kontakte zur Jugend.
Nachdem im Herbst 1985 die schwarze Hausfrau Cherry Grace von einem Polizeibeamten angeschossen wurde, kam es im September und Oktober zunächst in Brixton und dann in Liverpool, Handsworth/Birmingham und in ‚Broadwater-Farm‘, einem Komplex im Londoner Stadtteil Tottenham, erneut zu Aufständen.
Die Newmansche Polizeistrategie, die unterdessen auch in anderen Städten angewandt wurde, rief gewaltsamen Widerstand hervor. Stundenlang hinderten Hunderte von Jugendlichen die Polizei daran, das Gelände von ‚Broadwater Farm‘ zu betreten, dabei fand auch ein Polizist, Keith Blakelock, den Tod. (Drei schwarze Männer kamen wegen des Mordes ins Gefängnis und erst Jahre später nach umfangreichen Gerichtsverfahren wurden sie wieder auf freien Fuß gesetzt und die Urteile aufgehoben.)
Die heutige Situation
Das Ausbildungszentrum der Metropolitan Police in Hendon benutzt inzwischen das Handbuch „Focus on fair treatment for all – A handbook to support learning in the area of equal opportunities in Metropolitan Police probationer training“ (Brennpunkt faire Behandlung für alle – Ein Handbuch zur Lernförderung auf dem Gebiet der Chancengleichheit während der Ausbildung in der Probezeit bei der Londoner Polizei). Dieses umfangreiche Handbuch liefert detaillierte Beschreibungen der multikulturellen Hintergründe Londons und dessen Bevölkerung und setzt sich mit Rassismus und Sexismus auseinander. Sämtliche neueingestellten PolizistInnen Londons absolvieren einen entsprechenden Lehrgang. Ebenso verkünden alle Polizeichefs seit Newman ihre antirassistische Haltung. Der neue Polizeipräsident, Paul Condon, der im Januar 1993 sein Amt antrat, hat bereits verkündet, daß rassistische und faschistische Gruppen nicht toleriert würden. Erfahrungsgemäß werden sich sämtliche Polizeichefs und Polizeipräsidenten in England dieser Losung anschließen, doch welche Wirkung kann dies noch zeitigen? Die Frage von Polizeiarbeit und Rassismus betrifft nur zum Teil die Beziehungen zwischen der Polizei und der ‚black community‘, sie gilt ebenso auch für polizeiliche Reaktionen auf rassistische Mordfälle, rassistische Überfälle und Gewalttätigkeiten (einschließlich der Brandstiftung von Wohnungen usw.). Und schließlich gibt es noch das Problem, daß trotz aller noch so intensiven Ausbildung die sog. „Kantinenkultur“ der Polizei einen nachhaltigen Einfluß auf die neuen Rekruten ausübt, und diese trieft von rassistischen und sexistischen Einstellungen:
- So entstanden im Jahre 1991 zufällig Tonaufnahmen während der Verhaftung von Malkjit Natt. Darauf hört man die Beamten sagen: „Geh nach Hause, verstehste, nach Indien oder Pakistan oder wo du verdammt noch einmal herkommst“. Die Beamten wurden mit dem Entzug von einem Tag Besoldung bestraft.
- In Stoke Newington, im Norden Londons, wurde ein Polizist im Jahre 1992 zu einer Gefängnisstrafe verurteilt und mehrere andere vom Dienst suspendiert, die Drogen bei Menschen versteckt hatten, die zu Gefängnisstrafen verurteilt worden waren. Inzwischen wurden die Gerichte gezwungen, eine ganze Reihe von Menschen aus der Haft zu entlassen, weil ähnlich gefälschte Beweismittel im Spiel waren.
- Eine 1991 veröffentlichte Studie hebt hervor, daß bei einer Untersuchung von 75 dokumentierten Todesfällen im Gefängnis, im Polizeigewahrsam oder in Polizeikrankenhäusern festgehalten werden kann, daß Todesfälle von Schwarzen keine gute Presse bekommen, besonders dann nicht, wenn sie sich im Gewahrsam ereignen.[4]
- Die ‚Strathclyder Police Authority‘, die größte Polizeiorganisation Schottlands, unternahm selbst da nichts, als heftige Kritik an ihrem Vorsitzenden, Leslie Sharp, geäußert worden war. Sharp soll während eines Banketts, zu dem er als Gastredner eingeladen worden war, einen, später als „geschmacklos“ verharmlosten Witz über Experimente mit Robot-Schiedsrichtern für Kricketspiele, erzählt haben. Die „Pointe“ des Witzes bestand darin, daß Sharp erklärt haben soll, Versuche mit schwarzen Robotern seien vollkommen fehlgeschlagen, da diese „sofort angefangen hätten, Haschisch zu rauchen, alte Damen zu überfallen und Ladendiebstähle zu begehen.“
Schlußbetrachtung
In gewisser Weise wiederholt sich heute die Entwicklung: Sowohl 1981 wie auch die gegenwärtige Situation waren durch ein Ansteigen der Arbeitslosigkeit gekennzeichnet. (Heute sprechen selbst offizielle Statistiken von mindestens drei Millionen Arbeitslosen.) Am stärksten davon betroffen sind die ‚black communities‘. Vor diesem Hintergrund ist die Alltagskriminalität in bisher nicht gekannte Höhen gestiegen.
Dennoch stehen die Beziehungen zu den ‚black communities‘ für die Polizei nicht ganz oben auf der Prioritätenliste. In den ‚communities‘ selbst gibt es unterdessen bereits wieder Kampagnen, die sich mit dem polizeilichen Verhalten bei rassistisch motivierten Überfällen beschäftigen. Allein 1992 wurden bei derartigen Überfällen acht Menschen getötet. Auch Todesfälle während der Haft oder die allgemeine Brutalität der Polizei gegenüber der ‚black community‘ zählen zu den Themen.
Zwar gibt es wohlklingende antirassistische Verlautbarungen hochrangiger Polizeibeamter und auch in der Ausbildung hat sich einiges getan (obwohl dies nach offizieller Darstellung ohnehin seit Jahren der Fall ist). Die ‚Nagelprobe‘ findet jedoch bei den Erfahrungen statt, die Nichtweiße auf der Straße, auf den Polizeirevieren und in den Gefängnissen machen – und auf dieser Ebene hat sich in den letzten zehn Jahren sehr wenig geändert.
Tony Bunyan ist Redakteur des in London erscheinenden Informationsdienstes „STATEWATCH“.
[1] Schlüsseltexte zum Verständnis: Racism and Black Resistance, Robin Moore, Pluto Press, 1975; Policing Against Black People, evidence compiled by the Institute of Race Relations, including one report completed in 1979 and the second in 1987, IRR, 1987; Berichte sind auch in einigen Zeitschrift enthalten, so: Policing London, 1902-1980, Greater London Council; Searchlight bis 1990 und die Campaign Against Racism and Fascism (CARF) seit 1991.
[2] vgl. hierzu die Sonderausgabe von Race & Class, Rebellion and Resistance, 1981
[3] vgl. Report of the Commissioner of the Metropolitan Police, Jahresbericht für 1992
[4] vgl. Deadly Silence, Black Deaths in custody (Tödliche Stille – schwarze Todesfälle in Polizeigewahrsam), Institute of Race Relations, 1991