Symbolische Politik gegen Rechts – Alibi für generelle Strafrechtsverschärfungen

von Wolfgang Gast

Nach dem Brandanschlag in Mölln am 23. November 1992, bei dem eine türkische Frau und zwei türkische Mädchen ums Leben kamen, überboten sich in Bonn die Politiker, Gesetzesverschärfungen zu fordern: Unter dem Eindruck der Vielzahl rechtsradikaler Überfälle auf AusländerInnen und Asylsuchende beantragte das Bundeskabinett beim Bundesverfassungsgericht, zwei führenden Neonazis die bürgerlichen Rechte abzuerkennen. Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) wollte Nazi-Rockgruppen wegen Aufrufs zum Mord verfolgen lassen. Und für die Sozialdemokraten schlug deren Wehrexperte Erwin Horn vor, 70.000 Soldaten zur Bekämpfung des Rechtsextremismus an den Bundesgrenzschutz abzukommandieren. Parteiübergreifend wurde ein weiteres, vermeintlich probates Mittel zur Radikaleneindämmung aus der Tasche gezogen. Ob der FDP-Abgeordnete Jürgen Starnick, der SPD-Innenexperte Günther Graf oder der innenpolitische Sprecher der CDU/CSU-Bundestagsfraktion Erwin Marschewski – alle erkannten: „Der Radikalenerlaß, wie er in den 70er Jahren für die Linksradikalen galt, könnte ein geeignetes Mittel sein, Neonazis aus dem öffentlichen Dienst fernzuhalten“.

Noch im November und Dezember 1992 verbot das Innenministerium die ‚Nationalistische Front (NF)‘, die ‚Deutsche Alternative (DA)‘ und die ‚Nationale Offensive (NO)‘. Die Karlsruher Bundesanwaltschaft reagierte ähnlich. Hatte der oberste Ankläger der Republik, Generalbundesanwalt Alexander von Stahl, im Vorfeld des Möllner Brandanschlages stets dementiert, daß im rechtsextremen Lager bereits die konstituierenden Bedingungen für kriminelle oder terroristische Vereinigungen gegeben seien – nach dem Anschlag ermittelte er gegen die Attentäter wegen der Bildung und Unterstützung einer terroristischen Vereinigung nach § 129a des Strafgesetzbuches.

Experten, die es wissen müssen, führen den Gesinnungswandel allerdings nicht auf neue Erkenntnisse der Karlsruher Behörde zurück. Von Stahl, nach dem Brandanschlag ins Bonner Justizministerium einbestellt, soll von der Ministerin ultimativ aufgefordert worden sein, endlich von seinen Kompetenzen Gebrauch zu machen. Anderenfalls, so sei gedroht worden, könnten personelle Konsequenzen gezogen werden. Der Öffentlichkeit gegenüber wurde das vorherige lange Zögern der Bundesanwälte mit einem zu geringen Kompetenzrahmen der Karlsruher verklärt. Sie prüfe, ließ die Ministerin verbreiten, „ob die Zuständigkeiten des Generalbundesanwaltes auf Dauer ausreichen, um den rechten Terror wirkungsvoll zu bekämpfen“.[1]

Wo die Justizministerin lediglich eine Ausweitung der Verfahrenszuständigkeiten von Stahls in den Raum stellte, ging der Vorsitzende des Innenausschusses im Bundestag, Horst Eylmann (CDU), gleich einen Schritt weiter. Über die Ausweitung der Karlsruher Befugnisse hinaus setzte er sich für weitere Verschärfungen im Strafrecht ein. Nach dem Vorbild der Bekämpfung des Linksterrorismus wurde analog zur ‚Koordinierungsgruppe Terrorismusbekämpfung (KGT)‘[2] ein ebensolches Gremium für die Verfolgung rechtsextremistischer Straftaten ins Leben gerufen. Verfassungsmäßig höchst problematisch, denn unter Verstoß gegen das im Grundgesetz festgelegte Trennungsgebot zwischen Strafverfolgungsbehörden und Geheimdiensten, sitzen seither Bundesanwaltschaft, Bundeskriminalamt, die verschiedenen Bonner Ministerien und die Verfassungsschutzbehörden aus Bund und Ländern an einem Tisch, um Daten auszutauschen und gemeinsame Konzepte gegen die sprunghaft gestiegene Anzahl ausländerfeindlicher Straftaten zu entwickeln. Von der KGT unterscheidet sich die neue ‚Bund-Länder-Informationsgruppe gegen Rechtsextremismus‘ nur insofern, als der Vorsitz des neuen Gremiums nicht beim Bundeskriminalamt, sondern beim Kölner Bundesamt für Verfassungsschutz liegt.

Untauglicher Aktionismus

Wenige Monate nach dem spektakulären Anschlag entpuppen sich die Bonner Anstrengungen nun weitgehend als symbolische Politik, als untauglicher gesetzgeberischer Aktionismus. Die größte Schlappe droht Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) mit seinen Parteiverboten. NF, DA und NO haben beim Bundesverfassungsgericht und beim Bundesverwaltungsgericht Klage gegen seine Verbotsverfügung erhoben. Sie berufen sich auf den Artikel 21 des Grundgesetzes, wonach Parteien nur vom Verfassungsgericht, nicht aber vom Bundesinnenminister verboten werden können. In seinen Verfügungen hatte Seiters den Parteiencharakter der ‚Nationalistischen Front‘, der ‚Nationalen Offensive‘ und der ‚Deutschen Alternative‘ schlicht bestritten – vermutlich um ein langwieriges Verfahren vor dem Verfassungsgericht umgehen zu können. Die mit heißer Nadel gestrickten Dekrete könnten so vor dem obersten Gericht umstandslos verworfen werden. Seiters Ministerium hat jedoch nicht nur versäumt, die Frage der Parteieigenschaft eingehend zu prüfen. Wie das Nachrichtenmagazin ‚Der Spiegel‘ berichtete, wurde in der Verbotsverfügung gegen die ‚Nationale Offensive‘ diese Gruppe mehrfach mit der ‚Deutschen Alternative‘ verwechselt.

Ein Flop droht dem Minister auch bei den von ihm angestrengten Verfahren, dem DA-Chef Thomas Dienel und dem Aktivisten der ‚Freiheitlichen Arbeiterpartei (FAP)‘, Heinz Reisz, die Grundrechte aberkennen zu lassen. Zwar wird Seiters Antrag vom gesamten Bundeskabinett mitgetragen, entscheiden aber muß auch hier das Bundesverfassungsgericht. Würde dem Antrag stattgegeben, so wäre dies das erste Mal seit Bestehen der Bundesrepublik, daß von der Möglichkeit des Artikel 18 Grundgesetz Gebrauch gemacht würde. Beiden Neo-Nazis würde dann untersagt, öffentlich ihre politische Meinung zu äußern, sich an politischen Versammlungen oder an Wahlen zu beteiligen. Zwar gab es bereits zu Beginn der 50er Jahre einen entsprechenden Antrag gegen den seinerzeit bekannten Alt-Nazi Remmers; dieser verlief ebenso im Sande wie ein anderes Verfahren gegen den Vorsitzenden der ‚Deutschen Volksunion (DVU)‘ Gerhard Frey, Ende der 60er Jahre.

Die jüngsten Pläne des Bundesinnenministers fügen sich allerdings nahtlos in die Bestrebungen der Christdemokraten, den Rechtsstaat generell erneut aufzurüsten. Unter dem Stichwort „Initiativen für eine wirksamere Verbrechensbekämpfung“ präsentierte Seiters bereits Ende September 1992 einen Katalog dessen, was künftig an gesetzlichen und administrativen Regelungen verschärft werden soll. Rechtsradikale Ausschreitungen, „Asylmißbrauch“ und Rauschgiftkriminalität nahm er dabei zum Anlaß, vor den Mitgliedern der CDU/CSU-Bundestagsfraktion einen diffusen zehn Punkte umfassenden Sicherheits-Katalog aufzustellen. Kernaussage: „Unser Staat muß sich in dieser Situation als wehrhafte Demokratie bewähren“.[3]

Bei näherem Hinsehen erweisen sich die geforderten Maßnahmen als Pläne, die von Unionsseite seit Jahren – bislang erfolglos – umgesetzt werden sollen. Seiters Katalog sieht vor, „vor dem Hintergrund jüngster Erfahrungen“ den Landfriedensbruch-Paragraphen zu verschärfen. Gewalttätern soll damit erschwert werden, „aus einer selbst keine Gewalttaten begehenden Menge heraus zu handeln, beziehungsweise in dieser Menge unterzutauchen“.[4] Nahezu wortgleich hat dies die Union im Streit um AKW-Standorte, besonders im Zusammenhang mit den Auseinandersetzungen um die geplante Wiederaufbereitungsanlage (WAA) in Wackersdorf Anfang der 80er Jahre gefordert.

… ohne Ende

Ebenso soll das Haftrecht verschärft werden, „um des Landfriedensbruch dringend Tatverdächtige bei Wiederholungsgefahr in Untersuchungshaft nehmen zu können“.[5] Eine ähnliche, heftig umstrittene Regelung, der sog. „Unterbindungsgewahrsam“, ist von Bayern bereits im Zusammenhang mit dem geplanten Bau der WAA verabschiedet worden. Andere Bundesländer weigerten sich bisher, diese Regelung zu übernehmen. Folgt man den Überlegungen des Innenministers, müssen künftig auch „die Möglichkeiten des Versammlungsgesetzes für ein befristetes und räumlich geltendes Demonstrationsverbot konsequent genutzt werden“.[6]

Nichts fehlt, was die Union nicht schon bei der Bekämpfung sozialer Bewegungen forderte, das bislang aber am hohen Stellenwert, den das Bundesverfassungsgericht dem Demonstrationsrecht einräumt, scheiterte. Gleiches gilt für einen Entschließungsantrag zur Inneren Sicherheit, der von der CDU/CSU-Bundestagsfraktion am 6. Oktober 1992 verabschiedet wurde. Gefordert wird darin der Einsatz verdeckter Ermittler, die Ermächtigung für den sog. „großen Lauschangriff“, die Ausweitung der ‚Sicherungshaft‘, eine „praxisgerechte Ausgestaltung des Tatbestandes des Landfriedensbruches“ und eine leichtere Ausweisung und Abschiebung straffälliger Ausländer. Nicht zuletzt fordern die Unionisten auch den „beschleunigten Aufbau des Verfassungsschutzes in den neuen Länder und den Aufschub des Stellenabbaus in den alten Ländern, der in den letzten Jahren aufgrund der politischen Entwicklungen eingeleitet worden war“. Strafverfahren, „insbesondere solche mit einfacher Beweislage“[7] sollen beschleunigt und das Strafmaß bei Gewaltstraftaten erhöht werden.

Ein weiteres verfassungsrechtlich äußerst riskantes Lieblingsprojekt der CDU/CSU-Rechtsexperten soll dabei dann gleich mit auf den Weg gebracht werden: Der Verfassungsschutz soll die Vorfeldbeobachtung im Bereich der Organisierten Kriminalität übernehmen, der Bundesnachrichtendienst im Inland den Spuren möglicher Waffenhändler nachgehen dürfen.

Wolfgang Gast ist Redakteur der tageszeitung in Berlin.
[1] die tageszeitung v. 1.12.1992
[2] siehe Bürgerrechte & Polizei/CILIP 42 (2/1992)
[3] Bundesinnenminister Rudolf Seiters von der CDU-/CSU-Bundestagsfraktion am 22.8.1992
[4] ebd.
[5] ebd.
[6] ebd.
[7] die tageszeitung v. 30.11.1992

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