Neues Mitglied im Interpol-Exekutivkomitee – aus dem Folterkeller zum amerikanischen Delegierten

von Heiner Busch und Helmut Dietrich

Anfang Oktober fand auf der zu den niederländischen Antillen gehörenden Karibik-Insel Arruba die Generalversammlung der ‚Internationalen Kriminalpolizeilichen Organisation‘ (IKPO) – besser bekannt unter ihrem Kürzel ‚Interpol‘ – statt, bei der u.a. einige neue Mitglieder des 14-köpfigen Exekutivkomitees gewählt wurden. Mit Nelson Mery Figeroa, dem Chef der chilenischen Kriminalpolizei, wurde dabei eine Person in das Komitee berufen, die während der Diktatur an Folterungen und Verschleppungen beteiligt gewesen ist.

Während der Regierung Allende stand Mery noch in dem Ruf, der ‚Unidad Popular‘ nahezustehen. Nach dem Putsch aber schienen sich für ihn die Zeiten gewandelt zu haben. Vertreter/Innen chilenischer Menschenrechtsorganisationen und ehemalige politische Gefangene geben an, Mery sei eine der Schlüsselfiguren für die Organisation der Repression in der Region Linares gewesen, deren Kriminalpolizei er seinerzeit leitete.

Merys Grill

In dieser Funktion organisierte er im Verbund mit der berüchtigten Geheim-polizei ‚DINA‘ und dem militärischen Geheimdienst die Verhaftung von Gewerkschaftler/Innen und Linken, die dann in den Kellern der Artillerieschule von Linares inhaftiert wurden. Seine Beteiligung an den dortigen Folterungen wurde bereits in einer Ende 1992 herausgegebenen Dokumentation des ‚Comité de defensa de los derechos del pueblo‘ (CODEPU) benannt und wird nun unter dem Titel „Merys Grill“ erneut in der September-Ausgabe von Punto Final herausgestellt.

In den meisten Berichten der Opfer wird Mery nicht als der unmittelbare Folterer bezeichnet. Er bestimmte allerdings, wer verhaftet und wer gefoltert wurde. Im Zusammenhang mit den Folterungen selbst nahm er vor allem die Rolle des ‚Guten‘ ein, der selbst keine Gewalt anwendete, sondern nach der Folter den Weg zu Kooperation und zur Aussage ebnen sollte. „Mery war der Ideologe während der Folter und des Verhörs. Er war immer vor dem Folterraum, aber er entschied, wann der Zeitpunkt gekommen war, an dem die Folter beendet und die Kooperation versucht wurde“, so Solidia Leiva von der ‚Vereinigung der Familienangehörigen von Verschwundenen‘. Silvia Sepúlveda, in den 70er Jahren Vorsitzende der Bauerngewerkschaft ‚Luciano Cruz‘, und in Linares gefangen und gefoltert, beschreibt, daß Mery den Gefangenen klarzumachen versuchte, daß weiteres Schweigen sinnlos sei. „Mery hat mir gesagt, ich solle alles sagen, was ich weiß, dann würde ich schnell freigelassen.“

Frau Sepúlveda berichtet weiter, daß sie sah, wie Mery den Gefangenen Alejandro Mella dazu bringen wollte, eine Erklärung über seine Freilassung zu unterschreiben. Gefangene, die eine solche Erklärung unterschrieben, wurden anschließend häufig sofort umgebracht. Derartige Dokumente gehörten ins feste Repertoire der Verschleppung: So konnte die Polizei ihre Hände in Unschuld waschen, da sie nachweisen konnte, den Gefangenen freigelassen zu haben.

Ahnungslose Interpol?

Sicher wird man nicht annehmen können, daß sämtliche Delegierte der Interpol-Generalversammlung über die Rolle des chilenischen Kripo-Chefs informiert waren. Vollständige Unkenntnis dürfte aber kaum einer für sich beanspruchen können. Dies gilt um so mehr, als die Teilnehmer der Generalversammlung gegenüber einem Sicherheitsbeamten aus der Zeit der chilenischen Diktatur generell hätten Vorsicht an den Tag legen müssen. Angesichts der Tatsache, daß sich die Organisation in Artikel 2 ihrer Statuten ausdrücklich auf die Erklärung der Menschenrechte bezieht, kann eine solche Wahl nicht als Kleinigkeit gewertet werden. Die Versuche, Folterer und andere Verantwortliche für schwerste Menschenrechtsverletzungen durch Amnestien vor einer Verurteilung zu bewahren, das Beharren der Militärs auf einer Teilhabe an der Macht im Land, sind in allen seriösen Zeitungen nachzulesen. Mit der Wahl Mery Figeroas in eine Schlüsselposition beteiligt sich die Interpol-Ge-neralversammlung an der nachträglichen Rechtfertigung der Menschenrechts-verletzungen während der Diktatur.

Die nach Kontinenten gewählten Delegierten sollen vor allem die polizeiliche Zusammenarbeit in ihrer Region befördern – ein Vorhaben, das Interpol seit den 80er Jahren verstärkt betrieben hat. Als einer von zwei Delegierten übernimmt Mery für Amerika im Exekutivkomitee eine bedeutende Position in der einzigen weltweiten Polizeiorganisation, der mittlerweile über 170 Länder angehören. Das Exekutivkomitee von Interpol hat die Aufgabe, die Arbeit des Generalsekretariats in Lyon zu überwachen. Auch hierfür scheint Mery kaum der geeignete Mann zu sein, denn auch unabhängig von seiner Rolle während der Militärdiktatur des General Pinochet ist er – heute höchster Kriminalbeamter Chiles – eine durchaus beachtenswerte Person für die Herren von Interpol. So veröffentlichte z.B. die chilenische Zeitschrift ‚Apsi‘ im vergangenen Jahr einen längeren Bericht über den Drogenhandel in Chile. Darin findet sich auch ein Foto, das ihn in einer freundlichen Begrü-ßungsszene mit Cabro Carrera zeigt. Der Handschlag der beiden, so betont das Blatt, sei keineswegs ein Einzelfall gewesen. Carreras Name steht in Chile für Drogenhandel, illegales Glücksspiel und andere Delikte, die Hans-Ludwig Zachert, Präsident des Bundeskriminalamtes und ebenfalls neu gekürtes Mitglied des Interpol-Exekutivkomitees, hierzulande sonst mit dem Titel „organisierte Kriminalität“ kennzeichnet.

Heiner Busch ist Redaktionsmitglied von Bürgerrechte & Polizei/CILIP; Helmut Dietrich ist Geschäftsführer des Berliner ‚Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika‘ (FDCL)
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.

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