Ausbildung und ‚Praxis-Schock‘ – Mißverhältnis zwischen Berufserwartung, Ausbildung und Berufsalltag

von Burkhardt Opitz

Wenn sich heute junge Schulabgänger für den Polizeiberuf entscheiden, geschieht dies in der Regel aus zwei Hauptgesichtspunkten. Zum einen ist das Interesse durch Eltern, Verwandte oder Bekannte, die selbst den Polizeiberuf ausüben, geweckt worden, zum anderen auf die in der Öffentlichkeit durchgeführten Werbekampagnen der Einstellungsreferate der Länderpolizeien. Insbesondere aus dem zweiten Punkt ergeben sich Ansätze für den späteren ‚Praxis-Schock‘.

Seitens der Medien bzw. durch Einstellungsberater der Polizei wird insbe-sondere mit folgenden Punkten geworben: Den Berufsanfänger erwarten Per-spektiven, wie etwa ein vielseitiges Betätigungsfeld in interessanten Aufga-benbereichen, günstige und zügige berufliche Aufstiegschancen sowie eine überdurchschnittliche finanzielle Ausbildungsvergütung. Desweiteren werden überwiegend Tätigkeiten des polizeilichen Einzeldienstes vorgestellt.

Entscheidet sich ein jugendlicher Schulabgänger – in der Regel im Alter von 16 Jahren mit absolvierter mittlerer Reife – für eine Ausbildung im mittleren Dienst der Schutzpolizei/Polizeiverwaltung, so erwartet ihn nach bestandener Einstellungsprüfung und gesundheitlicher Eignung eine dreijährige Ausbildung. Neben der Vermittlung polizeispezifischer Rechtsfächer werden insbesondere Grundlagen im Hinblick auf praktische Dienstkunde auch Grundlagen demokratischer Rechtsstaatlichkeit und Gepflogenheiten gelehrt. Ergänzt werden diese grundlegenden Dinge durch Ausbildungsinhalte wie z.B. einsatzbezogenes Training/Formalausbildung, Verhaltenstraining, psychologische Schulung und Konfliktbewältigung sowie Absolvierung mehrwöchiger Berufs- und Sozialpraktika. Weiterhin werden ebenfalls allgemeinbildende Fächer wie Deutsch, Englisch und Geschichte ergänzt bzw. erweitert.

Vom Motivationsverlust…

Bei der überwiegend theoretisch gehaltenen Ausbildungsstruktur kommt es schon sehr früh zu dem Problem, die ursprüngliche Motivation, den Polizeiberuf zu ergreifen, mit der tatsächlichen Ausbildung in Übereinstimmung zu bringen. Insbesondere deshalb, weil für den kritischen Auszubildenden ersichtlich wird, daß das eingesetzte Ausbildungspersonal bei der Vermittlung von praxisorientierten Inhalten nicht immer auf dem aktuellen Stand der öf-fentlichen Diskussion ist. Selbst die praxisorientierten Ausbildungsabschnitte lassen sich in ihrem Ablauf nicht mit dem Idealbild und der bisherigen Vor-stellung davon, was es heißt Polizeibeamter/in zu sein, in Einklang bringen. Die praxisorientierte Ausbildung ist z.Zt. vom Grundsatz nicht so struktu-riert, daß bestimmte Inhalte zwingend vermittelt werden müssen. Vielmehr liegt es am erlebten ‚Tagesgeschäft‘ (z.B. Begleitung einer Funkstreife /Gruppenstreife), was die Auszubildenden für ihren späteren beruflichen Ein-satz lernen. Hier hängt es an der Gutwilligkeit der jeweiligen Stammbesatzung, inwieweit Erklärungen zu Hintergründen beim Einschreiten in bestimmten polizeilichen Lagen gegeben werden. Durch den hierarchischen Aufbau der Polizei in Befehl- und Unterstellungsverhältnis und die allgemeine Unsicherheit der Auszubildenden, wird von deren Seite die in der Theorie erlernte polizeiliche Praxis im Hinblick auf die Fertigung von spezifischen Formularen und den Umgang mit den Bürgern nicht hinterfragt.

Durch eine stetige Erweiterung der Ausbildungskapazität für den vermehrten Bedarf an Polizeibeamten/innen und ein Abdriften in einen reinen Schulbetrieb ist im Rahmen der Ausbildung eine individuelle Betreuung der Dienstanwärter/innen seitens der Fachausbilder oder der Fachlehrer kaum noch möglich. Bestimmte Defizite und Unklarheiten der Auszubildenden können so nur in den wenigsten Fällen erkannt bzw. ausgeräumt werden. Dieser Umstand schlägt sich nach Beendigung der Ausbildung in der praktischen Umsetzung des Erlernten oftmals negativ nieder.

Weiterhin erscheint es wichtig, darauf hinzuweisen, daß die Polizeischü-ler/innen nach Beendigung ihrer Ausbildung nicht nur in den vermehrt ver-mittelten Einzeldienst (Funkstreifendienst) entsandt werden, sondern in glei-chem Maße auch zu ‚Geschlossenen Einheiten‘ (GE) kommen. Die Tätigkeiten in beiden Bereichen weichen jedoch erheblich voneinander ab. Bestim-men im Einzeldienst selbständige und oftmals auch schon eigenverantwortliche Tätigkeiten direkt „am Bürger“ den täglichen Arbeitsablauf, so liegt beim Dienst in den ‚Geschlossenen Einheiten‘ der Bereitschaftspolizei der Schwer-punkt der Tätigkeiten im Verband oder der Gruppe. Ein direkter Kontakt zum Bürger und Einzelnen ist dabei leider oft nicht gegeben. Konfliktsituationen werden und können nicht praktisch aufgearbeitet werden. Der/die einzelne Polizeibeamte/in kommt somit gerade im Anfang seines/ihres Berufslebens nicht in erforderlichem Maße dazu, die erlernten fachtheoretischen Inhalte umzusetzen. Dies führt insbesondere in den ‚Geschlossenen Einheiten‘ bereits zu Beginn der Laufbahn zu starken Motivationsverlusten und einer hohen Frustration.

… zum ‚Praxis-Schock‘

Erfährt der/die Beamte/in im Einzeldienst eine unmittelbare Bewertung sei-ner/ihrer Tätigkeiten durch den Bürger bzw. Vorgesetzten, ist dies in den GE erst nach längerer Beobachtungszeit durch die jeweiligen Vorgesetzten möglich. Außerdem sind der im Rahmen der Ausbildung vermittelte „Teamgeist“ und das kooperative Verhalten in den festen Strukturen der GE nicht immer erwünscht.

Leider neigen insbesondere dienstältere Kollegen/innen oft auch dazu, jungen Mitarbeiter/innen unliebsame und stupide Tätigkeiten zu übertragen. Es er-scheint nicht logisch, warum gerade die ‚Neuen‘ im vermehrten Maße z.B. die vollen Mülleimer entleeren oder im Einsatz den auf Dauer recht unhandlichen und schweren Feuerlöscher tragen müssen. Auch hier werden Frustrationen und ‚Schockerlebnisse‘ hervorgerufen.

Ein weiterer Umstand für das krasse Mißverhältnis zwischen prophezeiter und tatsächlicher Tätigkeit wird im Bereich der Polizeiverwaltung deutlich. Es ist keine Seltenheit, daß aufgrund der Personalknappheit neue Mitarbeiter/innen schon kurz nach Beendigung der eigenen Ausbildung (und ohne daß ihnen hier genügend Einarbeitungszeit zur Verfügung gestanden hätte) selbst mit herangezogen werden, im Rahmen von Praktika neue Auszubildende anzulernen bzw. anleiten zu müssen. Hinzu kommen dann auch noch sogenannte gut gemeinte Ratschläge dienstälterer Kollegen, „keine neuen Sitten einzuführen“ bzw. im Hinblick auf gezeigten Arbeitseifer und Kreativität neuer junger Mitarbeiter/innen „die Preise nicht zu versauen“. Aus den vorgenannten Einzeldarstellungen ergibt sich zwangsläufig ein Mißverhältnis zwischen den Vorstellungen vom Polizeiberuf und der tatsächlichen täglichen Dienstverrichtung, kurz zu beschreiben als der ‚Praxis-Schock‘. Das über-wiegend jugendliche Alter der Beamten/innen nach Beendigung der Ausbildung und das hautnahe Erleben von Veränderungen im Sozial- und Freizeitverhalten lassen eine Abfederung dieses Praxis-Schocks oftmals nicht zu.

Da im allgemeinen Schulsystem der Bundesrepublik heute die intellektuellen Voraussetzungen nicht mehr in ausreichendem Maße vermittelt werden, hat dies auch Auswirkungen auf die Persönlichkeit der Berufsanfänger. Dabei ist es im Beruf des/der Polizeibeamten/in besonders wichtig, das Wechselspiel von Kritik und Anerkennung zu beherrschen. Polizisten/innen haben im Einsatz Bürgerkontakte, die nicht selten von Aggressionen gekennzeichnet sind. Dies läßt die euphorische Grundhaltung bei der Wahl des Polizeiberufs sehr schnell in einen gedämpften Arbeitswillen umschlagen.

Ansätze bei der Änderung der polizeilichen Ausbildung lassen für die Zukunft betrachtet leider keine Besserung erkennen.

Burkhardt Opitz ist Landesjugend-vorsitzender der ‚Jungen Gruppe‘ in der ‚Gewerkschaft der Polizei Berlin‘ (GdP)