Notizen zu einer Europäischen Polizeiführungsakademie

von Peter Klerks

In einigen Bereichen haben die Niederländer schon immer den Drang verspürt, die übrige Welt von der Überlegenheit des „niederländischen Ansatzes“ zu überzeugen. Insbesondere auf dem Gebiet der Polizeiarbeit waren es die Niederlande, die Mitte der 70er Jahre im Rahmen von Beratungen der Trevi-Gruppe (Trevi = Terrorisme, Radicalisme, Extremisme, Violence International ) zwischen den europäischen Staaten die Initiative ergriffen hatten. Heute scheint die Frage einer Harmonisierung und Kompatibilität von Ausbildungsprogrammen bei den verschiedenen europäischen Polizeien weit oben auf der Prioritätenliste einer europäischen Harmonisierung zu stehen.

Betrachtet man jedoch die Qualität der niederländischen Polizeiakademie und der spezialisierten Ausbildungs- und Forschungszentren, so scheint für ihre Empfehlung als Modell für die Polizeien anderer Staaten nicht sehr viel zu sprechen. Eine Übersicht europäischer Polizeiausbildungszentren, die 1990 vom niederländischen Innenministerium erarbeitet wurde, attestierte der nie-derländischen Polizeiakademie lediglich ein durchschnittliches Ausbildungs-niveau, etwa vergleichbar mit dem Rang einer Fachhochschule in der Bun-desrepublik. In anderen Staaten, z.B. Portugal und Luxemburg erfolgt die Ausbildung der polizeilichen Führungskader hingegen auf Universitätsebe-ne.

Anfang des Jahres 1993 wurde die bereits (wegen der massiven Reorganisierung bzw. Regionalisierung ) aufgewühlte niederländische Polizeiwelt zusätzlich noch durch die schwere Kritik von Professor Cyrille Fijnaut und zahlreichen StudentInnen der Polizeiakademie verunsichert. Diese erhoben den Vorwurf, die Führungskader der niederländischen Polizei würden im Rahmen der höheren Polizeiausbildung und an den Forschungszentren für ihre künftigen Aufgaben unzulänglich und mangelhaft vorbereitet. Anders als an den polizeilichen Ausbildungseinrichtungen der meisten anderen europäischen Staaten nimmt der gesellschaftstheoretische Rahmen an der niederländischen Akademie einen vergleichsweise großen Raum ein. Fragen wie etwa nach der Rolle der Polizei in der modernen Gesellschaft (z.T. unter besonderer Berücksichtigung gerade aktueller Problemlagen) oder der Ursachen und Hintergründe für bestimmte Positionen und Entscheidungen wird dabei besonders viel Platz eingeräumt. Fachpraktische Unterrichtseinheiten kommen demgegenüber häufig zu kurz. Die Kritiker werfen den Instituten darüber hinaus vor, insgesamt unfähig zu sein, in der Debatte um aktuelle Probleme, sowohl der Polizei wie auch der gesamten Gesellschaft, die Initiative zu ergreifen und der Diskussion die Richtung zu weisen.

Gegenwärtig ist die gesamte Organisation der Polizeiausbildung und -rekru-tierung einer umfassenden Neuorganisation unterworfen, die beide auf eine neue und unabhängige Grundlage stellen soll.

Europäisches Polizei-Institut

Der enthusiastische und ehrgeizige Bericht des Jahres 1990 zu einem ‚Europäischen Polizei-Institut‘ (EPI) entwarf das Bild einer dringend erfor-derlichen zentralen europäischen Polizeiakademie, die eine potentielle Stu-dentenschaft von etwa 10.000 leitenden PolizeibeamtInnen ausbilden sollte, die auch fähig sein sollten, die Grundlagen und Notwendigkeiten künftiger Polizeipolitik zu formulieren. Weiterhin sollten jährlich ca. 3.700 Absolven-tInnen anderer europäischer Polizeiakademien aufgenommen werden. Am günstigsten, so der Bericht, ließe sich ein solches EPI in der Nähe von Maastricht errichten, wo es als eine Art ‚Denkfabrik‘ ein anspruchsvolles Curriculum für die Ausbildung zum höheren Dienst sowie ein großes Doku-mentationszentrum aufbauen und einrichten sollte. Der Bericht führt eine Reihe von Aufgaben an, die das Institut erfüllen bzw. initiieren könnte. So etwa die Anregung und Koordination polizeilicher Forschung, die Erarbeitung eines mehrsprachigen „Datenwörterbuches“ für polizeiliche und kriminalistische Fachbegriffe. Weiterhin sollte ihm eine Funktion als Clearingstelle für Literatur und Dokumentation übertragen werden. Auch die Herausgabe einer einheitlichen europäischen Polizeizeitschrift wurde vorgeschlagen.

Vorangetrieben und im wesentlichen getragen wurde die EPI-Initiative vom Polizeipräsidenten Dr. Piet van Reenen und einigen seiner Anhänger. Seit van Reenen jedoch seine bisherige Aufgabe als Leiter der niederländischen Polizeiakademie gegen eine Stelle im Ministerium eingetauscht hat, hört man nur noch wenig vom Projekt eines ‚Europäischen Polizei-Institutes‘. Kenner der Szene meinen, das Ganze sei nunmehr ‚auf Sparflamme‘ gesetzt worden, da man die Zeit gegenwärtig als „nicht günstig“ für neue Initiativen einschätzen würde.

Horst Schult, Polizeidirektor an der deutschen Polizeiführungsakademie (PFA) in Hiltrup bei Münster, hat die Vorbehalte gegen eine allzu eifrige und überhastete Integration der Polizeiakademien richtig erkannt. In einem Aufsatz vom Januar 1993 zitiert er den belgischen Innenminister, Louis Tobback, mit den Worten: „Die europäische Zusammenarbeit unserer Polizei- und Sicherheitsdienste weckt gegenwärtig bei so manchen Bürgern Fragen und bei einigen sogar Mißtrauen und Angst.“ Schult folgert: „So sehr wir nach innen um eine Harmonisierung unserer Bildungsarbeit bemüht sein sollten, so realistisch, aber auch so behutsam und verständnisvoll sollten wir bei unserem ausgeprägten Hang zur Perfektionierung im Umgang mit unseren europäischen Nachbarn sein.“ Die derzeitigen Hemmnisse für eine schnelle und umfassende Harmonisierung in diesem Bereich liegen seinen Ausführungen zufolge in erster Linie an
„- den unterschiedlichen Rechtsgrundlagen der Polizeien Europas, insbesondere des Eingriffsrechtes,
– nationalkulturell, nationalhistorisch bedingter Polizeiphilosophie (…),
– der Vielfalt der Sprachen,
– der vielfältig unterschiedlichen Ressortierung und Organisationen der Poli-zei.“

Es hat demnach den Anschein, als ob die in den einzelnen Staaten vorherr-schenden unterschiedlichen Ansichten über die Erfordernisse und Kernelemente polizeilicher Ausbildung sowie Fragen des nationalen Prestiges gegenwärtig der faktischen Schaffung eines ‚Europäischen Polizei-Instituts‘ im Wege stehen.

‚Leise Wege‘

Andererseits bedeutet die momentane ‚Windstille‘ um die niederländische In-itiative keineswegs, daß nichts geschieht. Der Sprecher des ‚Landelijk Selec-tie- en Opleidingsinstituut Politie‘ (LSOP) (Bundesrekrutierungs- und Aus-bil-dungsinstitut der Polizei) in Amersfort, Sander Kladder, behauptet, daß ausländische PolizeibeamtInnen und Auszubildende bereits überall anzutreffen sind. Der internationale Koordinator des LSOP, Pieter Oudenhoven, betont, daß die Aktivitäten auf dem Gebiet der Austauschprogramme „lebhaft“ seien: überall würden Lehrgänge für ausländische PolizeistudentInnen eröffnet. Inzwischen gibt es zudem enge Absprachen bei der Entwicklung von neuen Leitungs- und Führungskursen – insbesondere zwischen der Bundesrepublik Deutschland, den Niederlanden und der Schweiz.

Weiterhin sind zahlreiche osteuropäische Staaten – auf der Suche nach ge-eigneten Polizeimodellen – gegenwärtig auf einem ‚Einkaufsbummel‘ durch Europa. In einem der bislang umfassendsten Programme zwischen West- und Osteuropa arbeiten derzeit ungarische PolizeibeamtInnen mit den Niederländern zusammen und erhalten von ihnen eine Unterweisung im Rahmen eines Programmes, das sie mit westlichen Konzepten polizeilicher Arbeit vertraut machen soll. Alle 19 Polizeiregionen Ungarns sind darüber hinaus Partnerschaften mit einer vergleichbaren niederländischen Polizeieinheit eingegangen. Die Polizeischule in Amsterdam engagiert sich zudem in einem Hilfsprogramm für eine ähnliche Einrichtung in Budapest. Das Austauschprogramm zielt darauf ab, Wissen und Erfahrungen in Führungstechniken, Verkehrsleitung und -regulierung, kriminalpolizeiliche und kriminaltechnische Ermittlungsmethoden, Demonstrationskontrolle usw. zu vermitteln. Ungarische Polizisten, die an dem Programm teilgenommen haben, hoben stets den positiven Eindruck hervor, den sie von der gelassenen Art und Weise gewonnen haben, mit der die niederländische Polizei gemeinhin in der Öffentlichkeit auftritt. Zugleich jedoch haben sie die Befürchtung geäußert, daß es ungleich schwieriger sein dürfte, in einer Gesellschaft wie der ihren, die bürokratische Traditionen und autoritäres Auftreten der Polizei gewohnt ist, eine Doktrin der ‚bürgernahen Polizei‘ zu verwirklichen.

LSOP-Koordinator Oudenhoven erklärt die relativ ungezwungene Art der Kontakte zu diesen Staaten mit dem Hinweis, daß keine Ängste vor den Niederländern vorhanden seien, man verfolge dort hauptsächlich das Ziel, den eigenen Machtbereich auszudehnen und rechtzeitig Einfluß auf die weitere Entwicklung zu nehmen. Auch die vordergründige Absicht, nur die eigene Polizeitechnik verkaufen zu wollen, werde nicht unterstellt. Hinzu kommt, daß die Niederlande und Ungarn ungefähr gleich große Staaten sind. Die niederländische Polizei hat jedoch zumindest den Vorteil, daß sie durch diesen Austausch zusätzliche und bessere Kenntnisse über kriminelle Organisationen in Osteuropa erlangt, die das Potential besitzen, auch in Westeuropa zu agieren.

Nun, nachdem die Entscheidung der Schengen-Staaten am 29.Oktober diesen Jahres für Den Haag als künftigen Sitz der ‚Europol‘ gefallen ist, sind vermutlich auch neue niederländische Initiativen zur weiteren europäischen Poli-zeikooperation zu erwarten. Dies gilt auch für den Bereich der Polizeiausbil-dung. Gemeinsame Ausbildungslehrgänge in der Verbrechensanalyse erzeugen indes keinen unmittelbaren Bedarf nach einer europäischen Führungsakademie, diese lassen sich durchaus im Rahmen der bestehenden kriminalpolizeilichen Ausbildung integrieren. In allernächster Zeit kann dennoch davon ausgegangen werden, daß Austauschprogramme und gemeinsam organisierte Lehrgänge den Rahmen europabezogener Polizeiausbildung abstecken werden. In unmittelbarem Zusammenhang mit der künftigen Aufgabenstruktur von ‚Europol‘ wird bei einem vermehrten Austausch polizeilicher (und geheimdienstlicher) Daten auch die Notwendigkeit wachsen, die Ausbildung für die Handhabung dieser Datensammlungen, für deren Verarbeitung und Auswertung etc. intensiver zu harmonisieren.

Peter Klerks ist Politologe und arbeitet an der ‚Erasmus Universität‘ in Rotterdam an einer Untersuchung über ‚Organisierte Kriminalität‘
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.