Die ‚Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz‘ – Eine erfolgreiche Zellteilung

von Clemens Rothkegel und Heinz Weiß

Initiiert in starkem Maße von der, der damaligen KPD nahestehenden, ‚Roten Hilfe‘ e.V. wurde Ende des Jahres 1976 in Berlin die Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz gegründet. Hintergrund und Auslöser waren die Bestrebungen der Bundesregierung im Taumel der seinerzeitigen Terrorismushysterie die Sicherheitsapparate zu stärken und ihre Befugnisse z. T. kräftig zu erweitern. Ein zentraler Baustein in diesem 1972 vom Bundesin-nenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP) verkündeten ‚Pro-gramm Innere Sicherheit‘ war der ‚Musterentwurf für ein Einheitliches Polizeigesetz‘ (MEPolG). Mit diesem Gesetz sollten die bestehenden Ländergesetze angeglichen und vereinheitlicht werden. Vorrangiges Ziel der Initiative war es, die Verabschiedung dieses Musterentwurfes zu verhindern.

‚Rote Hilfen‘, die sich in die Tradition der Roten Hilfe Deutschlands aus der Weimarer Zeit stellten und von denen zeitweise nahezu jede der damaligen politischen Gruppen eine eigene unterhielt, hatten sich die Aufgaben gestellt, staatliche Übergriffe zu untersuchen, Rechtsberatung und Prozeßhilfe zu leisten und sich in der sog. Knastarbeit zu engagieren. Die der maoistischen KPD-nahe ‚Rote Hilfe‘ e.V., die sich 1979 auflöste, verstand sich dabei ursprünglich als eine Keimzelle zur Bildung einer „proletarischen Massenorganisation“.

Erste Aktivitäten

Als die Initiative 1976 gegründet wurde, verabschiedete sie als erstes eine Erklärung, die im weiteren sowohl die Grundlage der Arbeit bildete, wie auch zu einer Unterschriftenaktion gegen das MEPolG diente. Für alle erstaunlich, wurden in recht kurzer Zeit tatsächlich mehrere tausend Unterschriften ge-sammelt. Die Bandbreite der UnterzeichnerInnen umfaßte dabei nahezu das gesamte demokratische Spektrum. Hochschulprofessoren, KünstlerInnen und SchriftstellerInnen, ÄrztInnen und RechtsanwältInnen bis zu Gewerkschafts- und Jugendorganisationen unterstützten die Arbeit und die Ziele der Initiative mit ihrer Unterschrift.

Veranstaltungen wurden durchgeführt, zu denen sich manchmal bis zu 1.000 ZuhörerInnen einfanden. Neben solchen Veranstaltungen gegen die ‚massive Aufrüstung und Militarisierung der Polizei‘, wie es im aufgeregten Jargon dieser Zeit hieß, wurden auch einzelne Themenkreise gesondert behandelt, etwa die Einführung der sog. Chemischen Keule oder die Aufgaben von Kontaktbereichsbeamten . Besondere Aufmerksamkeit wurde der geplanten Einführung des gezielten Todesschusses gewidmet. Insbesondere der mitt-lerweile verstorbene Rechtsanwalt und SPD-Landtagsabgeordnete Werner Holtford hat mit seinem unermüdlichen Einsatz – auch in Zusammenarbeit mit der Initiative – hier für viel wirksame Öffentlichkeit gesorgt.

Schon kurze Zeit nach der Gründung der Berliner Initiative gab es ähnliche Gründungen im gesamten Bundesgebiet. Es fand ein reger Informationsaustausch statt. Gemeinsame Veranstaltungen wurden zu regelmäßigen Einrichtungen. Höhepunkt war schließlich eine zentrale Arbeitstagung 1977 in Mainz, auf der in sieben Arbeitsgruppen über zwei Tage hinweg diskutiert und Thesen für die weitere Arbeit verabschiedet wurden. Namhafte Polizeikritiker, wie z. B. Professor Erhard Denninger, nahmen an der Tagung teil.

Die Mainzer Arbeitstagung

Die Tagung sollte zum Ausgangspunkt weiterer, noch wirksamerer Arbeit der einzelnen Initiativen werden. Ein konkretes Konzept für eine allgemeine polizeikritische Öffentlichkeitsarbeit für die Zeit nach der zu erwartenden Verabschiedung der Gesetze wurde allerdings nicht entwickelt. Auch der Versuch, als Ergebnis der Arbeitstagung ein gemeinsames Buchprojekt aller bundesweit tätigen Gruppen zu realisieren, scheiterte. In diesem Buch sollten die zusammengetragenen Materialien und Arbeitsergebnisse u. a. zu den Themen ‚Konzepte der Inneren Sicherheit‘, ‚Zentralisierung der Polizei‘, ‚Umrüstung der Polizei‘, ‚Atomstaat – Polizeistaat‘ etc. systematisiert und erweitert werden. Auf diese Weise sollte die Grundlage für eine politische Bewegung formuliert werden, die über die Kritik an Einzelmaßnahmen des Staates hinausgehen und allgemein den Erhalt und die Ausweitung politischer und rechtlicher Spielräume thematisieren sollte.
An dieser sehr weit gefaßten Perspektive schieden sich jedoch die Geister der beteiligten Gruppen. Während die mehr aus dem Umfeld der KPD und ihrer ‚Roten Hilfe‘ beeinflußten Initiativen aus Berlin, München und anderswo das Konzept vertraten, durch eine breite Aufklärungsarbeit über die Zusammenhänge und Grenzen der bürgerlichen Demokratie aus dem Ghetto linker Sekten herauszukommen, um eine breite Massenbewegung zum Erhalt und Ausbau demokratischer Rechte zu schaffen, stieß dies bei den eher RAF-inspirierten Kreisen aus dem Rhein-Main-Gebiet auf heftigen Widerspruch. Dort wollte man sich nicht mit der eher mühseligen Darstellung der bestehenden Verhältnisse abgeben, sondern nach Konzepten suchen, wie das politische Handeln derjenigen, die bereits die ‚richtige‘ Einschätzung der bestehenden Verhältnisse besaßen, radikalisiert und zur Überwindung des Systems genutzt werden könne. Mit dem Auseinanderbrechen der überregionalen ‚Buchgruppe‘ war auch die Zusammenarbeit der verschiedenen Initiativen insgesamt beendet. Viele Gruppen lösten sich auf.

Die gezielt gegen die Verschärfung des Polizeirechts gerichtete Kampagne blieb nicht ohne Erfolg. Zwar wurde der Musterentwurf verabschiedet, jedoch wurde er nur in einigen Bundesländern als geltendes Recht verankert. Insbesondere der gezielte Todesschuß fand keinen umfassenden Eingang in die Polizeigesetzgebung der Länder, sondern ist heute noch nach jedem spektakulären Vorfall Gegenstand zum Teil heftiger öffentlicher Kontroversen. Sicherlich ist dies auch ein Ergebnis der langen, kritischen öffentlichen Debatte, die u. a. durch die Initiativen gegen das Einheitliche Polizeigesetz angestoßen wurde.

Bei dem zweiten großen Komplex der Initiativen-Kampagne, der Ausweitung der Kontrollbefugnisse, sieht die Bilanz nüchterner aus. Zwar wird das All-tagsleben heute nicht flächendeckend von Kontrollstellen und Razzien beein-trächtigt, wie es seinerzeit auch von der Initiative immer wieder als Menete-kel an die Wand gezeichnet wurde, doch kam es zu einer Ausweitung und Etablierung von Kontrollstellen im Zusammenhang mit Großdemonstrationen. Während zur Zeit der Debatten um Musterentwurf und Razziengesetze noch ohne ausreichende gesetzliche Grundlage durch Kontrollstellen auf den Autobahnen zehntausende daran gehindert wurden, ihr Demonstrationsrecht wahrzunehmen (z.B. 1977 in Kalkar), konnte dies später nach Einführung der erforderlichen gesetzlichen Ermächtigungen ohne juristische Winkelzüge praktiziert werden (z.B. in Brokdorf).

… wo sind sie geblieben

Mit der Verabschiedung des Musterentwurfs und der Änderung des Strafprozeßrechts verschwanden die bundesweit tätigen Initiativen gegen das Einheit-liche Polizeigesetz. Die von ihnen beeinflußte kleine polizeikritische Szene wandte sich neuen Tätigkeitsfeldern zu.

Ein Teil der MitarbeiterInnen der Berliner Initiative ging schließlich 1979 in den Verein ‚Bürger beobachten die Polizei‘ über (siehe S. 37ff.). Diese Gruppe entwickelte sich quasi aus der Initiative, während die Tätigkeit der Initiative allmählich eingestellt wurde.
Die verbleibenden Reste der Initiative, die sich nicht mit der Einzelfallbetreuung bei ‚Bürger beobachten die Polizei‘ beschäftigen wollten, fanden sich zum größten Teil dann in der ‚Polizei-AG‘ der Alternativen Listen wieder.

Clemens Rothkegel und Heinz Weiß sind Rechtsanwälte in Berlin und waren seinerzeit Mitglieder der ‚Initiative gegen das Einheitliche Polizeigesetz‘
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.