Chronologie

zusammengestellt von Gunter Groß

März 1995

01.03.: Im Prozeß um den Brandanschlag auf die Lübecker Synagoge im März 1994 widerrufen zwei der vier Angeklagten ihr Geständnis. Am 14.4. spricht das Oberlandesgericht (OLG) Schleswig Haftstrafen zwischen zweieinhalb und viereinhalb Jahren wegen Brandstiftung aus, läßt aber den von der Anklage unterstellten Tötungsvorsatz fallen. Am 7.5., rund fünf Wochen nach dem Urteil, wird die Lübecker Synagoge zum zweiten Mal Ziel eines rechtsextremen Brandanschlages.
02.03.: Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) verfügt die Schließung des ‚Kurdistan-Informationsbüros‘ in Köln und Berlin. In sechs Bundesländern werden Vereinsräume sowie Wohnungen durchsucht. Bayerns Innenminister Günther Beckstein (CSU) verbietet fünf weitere kurdische Ver-eine. Am 5.5. wird das kurdisch-deutsche Kulturzentrum in Berlin von der Polizei durchsucht.
Im Hamburger Polizeiskandal ermittelt die Staatsanwaltschaft gegen 85 na-mentlich bekannte Polizeibeamte, denen sie eine schikanöse und menschen-verachtende Behandlung von Farbigen, bis hin zu Scheinhinrichtungen, vor-wirft. Landespolizeidirektor Heinz Krappen, der Leiter des Landeskrimi-nalamtes Wolfgang Sielaff und die Führung der betroffenen Wache sollen seit Mitte 1992 von den Vorwürfen informiert gewesen sein. Am 22.3. bestätigt ein Beamter vor dem eingesetzten parlamentarischen Untersu-chungsausschuß, daß er im Dezember 1993 den Stabsleiter und den stellver-tretenden Leiter der Wache informierte. Am 7.3. tritt Polizeidirektor Krap-pen zurück, ein weiterer Polizeileiter wird versetzt. Innensenator Hartmut Wrocklage (SPD) kündigt als Konsequenz aus dem Skandal die Neu-gliederung der Polizeiführung an. Am 23.3. werden erste Ermittlungs-verfahren gegen führende Polizeibeamte wegen Strafvereitelung im Amt eingeleitet.
03.03.: Das Landesamt für Verfassungsschutz (LfV) in Sachsen stuft die Republikaner als rechtsextrem ein und stellt sie unter Beobachtung. Am 3.4. folgt das bayerische LfV diesem Schritt.

Die Staatsanwaltschaft in Würzburg gibt bekannt, daß sich am 26.2. ein äthiopischer Asylbewerber in der Abschiebehaft erhängt hat. Nach Angaben der Flüchtlingsorganisation ‚Pro Asyl‘ ist dies seit Juli 1993 der achte Suizid in Abschiebehaft.
In Frankfurt/Oder erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen sieben Polizi-sten aus Bernau wegen des Verdachts der Mißhandlung von VietnamesInnen. Unter dem gleichen Vorwurf wird in Berlin gegen 34 Beamte ermittelt.
Bei Wohnungsdurchsuchungen gegen den rechtsextremen ‚Völkischen Bund‘ findet die Polizei Propagandamaterial und Sprengkörperbausätze.
In Berlin gesteht ein Polizeihauptkommissar drei Banküberfälle.
08.03.: Die Aussagen eines wegen Seriendiebstahls in 75 Fällen ver-urteilten Polizisten führen in Schleswig-Holstein auf die Spur 15 weiterer Beamter, denen Diebstahl, Hehlerei, Betrug, Strafvereitelung im Amt, Vortäu-schung von Straftaten und Verwahrbruch vorgeworfen wird.
09.03.: In Bonn wird das ‚Forum BürgerInnen und Polizei‘ gegründet; es will Anlaufstelle für BürgerInnen und PolizistInnen sein.
10.03.: Der Bundesgerichtshof bestätigt das Landgerichtsurteil von sechs Jahren Haft für Erich Mielke wegen der ‚Bülowplatz-Morde‘ vor 65 Jahren.
Bei einer Demonstration gegen den bevorstehenden Castor-Transport versuchen GegnerInnen des Atommülltransportes die Gleisanlagen bei Dannenberg zu demontieren. Die Polizei löst die Demonstration gewaltsam auf und nimmt vier Personen fest. In den folgenden Wochen vor dem Castor-Transport werden entlang der Bahnlinie mehrere Anschläge gegen Strommasten verübt. Am 22.4. protestieren ca. 4.000 Menschen im Wendland gegen den Transport. Die Polizei räumt das Hüttendorf „Castor Nix“, Bauern blockieren Polizeiunterkünfte mit Traktoren. Am nächsten Tag räumt die Polizei unter massivem Schlagstockeinsatz eine Blockade des Zwischenlagers; etwa 200 Personen werden vorläufig festgenommen. Der Landkreis Lüchow-Dannenberg erläßt für die Zeit des Transportes ein Demonstrationsverbot entlang der Bahnstrecke. Zum Schutz des Transportes auf der Straße und zur Durchsetzung des seit 22.4. geltenden generellen Demo- und Versammlungsverbotes sind rund 5.300 Polizeibeamte und 1.000 Beamte des Bundesgrenzschutzes (BGS) im Einsatz. Niedersachsen beziffert die Kosten für den Polizeieinsatz mit mindestens 28 Mio. DM. Am 3.5. werden 14 AtomkraftgegnerInnen wegen der Besetzung zweier Bohrtürme am Erkundungsbergwerk für das atomare Endlager in Gorleben vom Landgericht Lüneburg zu insgesamt 127.000 DM Schadensersatz verurteilt.
15.03.: Der generelle Abschiebestopp für KurdInnen läuft aus; am 23.3. schiebt Bayern als erstes Bundesland einen Kurden ab. Am 27.4. verneint das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein inländische Fluchtalternativen für türkische KurdInnen in der Türkei. (Az.: 4 L 18/95). Mehrere Bundesländer erlassen daraufhin Abschiebestopps. Am 19.5. einigt sich die Innenministerkonferenz auf eine Verlängerung des Abschiebestopps für Kur-dInnen bis zum 12.6. Am 13.6. kündigt Hessens Innenminister Gerhard Bökel (SPD) ein auf ein halbes Jahr befristetes Bleiberecht für von Abschiebung bedrohte KurdInnen an.
Nach einem Urteil des Bundesgerichtshofes sind friedliche Sitzblockaden keine Gewalt und Nötigung. (Az.: 1BvR 718/89 u.a.) Am 2.6. wird daraufhin in Rheinland-Pfalz der erste Strafbefehl wegen einer früheren Sitzblockade aufgehoben.
19.03.: Der GRÜNEN-Politiker Jürgen Trittin erklärt, er sei im Zuge der Ermittlungen gegen die Göttinger ‚Autonome Antifa (M)‘ auf Veranlassung der Generalbundesanwaltschaft in Celle observiert worden.
20.03.: Wegen eines Überfalls auf ein vietnamesisches Wohnheim verurteilt das Amtsgericht Halberstadt vier Angeklagte zu Jugendstrafen zwi-schen einem und zwei Jahren auf Bewährung.
In Dänemark wird der führende Kopf der ‚NSDAP/AO‘ Gary Lauck festgenommen. Die Bundesregierung betreibt ein Auslieferungsverfahren.
21.03.: Im Prozeß um den Solinger Brandanschlag zieht der geständige Markus G. seine Aussage zurück. Am 19.4. erklärt sich der Mitangeklagte Christian R. gegenüber einem psychiatrischen Gutachter als der alleinige Täter. Am 31.5. verliest Richter Steffen überraschend eine beglaubigte eides-stattliche Erklärung, die den Anschlag als Racheakt von türkischen Familien darstellt. Am 1.6. erklärt die unterzeichnende Notarin die Urkunde als Fäl-schung. Am 8.6. leitet der Generalbundesanwalt ein Ermittlungsverfahren gegen die unbekannten Absender ein.
Die Polizei registriert den 71. Brandanschlag in Serie auf türkische Einrich-tungen in der Bundesrepublik. Die Anschläge hatten Ende Februar begonnen; die Polizei vermutet die kurdische PKK hinter den Taten. In München wird eine mutmaßliche Funktionärin der PKK verhaftet. Am 16.5. wird ein weiterer PKK-Aktivist verhaftet; er soll an der Planung und Steuerung der Anschläge beteiligt gewesen sein.
23.03.: Bei einer bundesweiten Razzia gegen Rechtsextremisten durch-suchen Polizeibeamte mehrerer Länder über 80 Wohnungen. Sie beschlagnahmen Waffen, Munition und Propagandamaterial der ‚NSDAP/AO‘.
Im Mykonos-Prozeß setzt sich das Berliner Kammergericht über einen Ge-heimhaltungsvermerk des Bundesinnenministers hinweg und läßt einen Bericht verlesen, der erstmals den Iran als Drahtzieher des Mordes an kurdischen Exilpolitikern im September 1992 in Berlin benennt.
Da zahlreiche Fälle von DDR-Regierungskriminalität zu verjähren drohen, fordert Berlins Justizsenatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) vom Bund Mittel zur Aufstockung des Gerichts um 26 Richterstellen.
26.03.: Mit Inkrafttreten des Schengener Abkommens verstärkt der Bundesgrenzschutz sein Personal an der Oder-Neiße-Grenze um 100 Beamte. Am 27.3. meldet er die ersten fünf Festnahmen durch Abgleichungen mit dem ‚Schengener Informationssystem‘. Am 12.4. beziffert das Grenzschutzpräsidium Ost die Fahndungserfolge an den Grenzen zu Polen und der Tschechischen Republik seit Inkrafttreten des Abkommens auf ca. 200 täglich.
27.03.: Der GRÜNEN-Politiker Rupert von Plottnitz wird neuer hessischer Justizminister.

April 95

03.04.: Das RAF-Mitglied Sieglinde Hofmann wird der Mittäterschaft an der Schleyer-Entführung, des versuchten Raketenwerferanschlages auf die Bundesanwaltschaft in Karlsruhe und der Beteiligung am Sprengstoffanschlag auf NATO-Oberbefehlshaber Haig 1979 angeklagt. Grundlage bilden Aussagen der sog. ‚DDR-Aussteiger‘ der RAF.
04.04.: Bei einem Schußwechsel mit der Polizei werden ein Bankräuber und ein Polizist in der Nähe von Aachen getötet.
05.04.: Polen und die BRD unterzeichnen ein Kooperationsabkommen zur Verbrechensbekämpfung und zur Verhinderung illegaler Zuwanderung.
06.04.: In Berlin wird von einem Zivilbeamten ein mit einer Gaspistole bewaffneter Tankstellenräuber erschossen.
08.04.: Erste Vermutungen werden laut, der im August 1994 aufgedeckte Plutoniumschmuggel sei vom Bundesnachrichtendienst (BND) inszeniert worden. Zwei Tage später geraten Geheimdienstkoordinator Bernd Schmidtbauer (CDU) und BND-Chef Konrad Porzner (SPD) in den Verdacht, vorab informiert gewesen zu sein. Schmidtbauer räumt am 1.5. ein, schon am 1.8.94 von dem Schmuggel gewußt zu haben; ebenso die Münchner Staatsanwaltschaft, die bestätigt, daß sie und das bayerische Landeskriminalamt vorab unterrichtet waren. Am 10.5. beginnt der Prozeß gegen die drei Schmuggler. Am 17.5. nimmt ein parlamentarischer Untersuchungsausschuß seine Arbeit auf.
09.04.: Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) teilt mit, daß 1994 31.065 illegale Zuwanderer, vor allem an der Ost-Grenze, aufgegriffen wurden.
Die Verfassungsschutzberichte 1994 erscheinen. Sachsen verzeichnet demnach einen Rückgang rechtsextremer Straftaten um 25%; Brandenburg um 33%; in Mecklenburg-Vorpommern hingegen ist die Zahl der Gewalttaten gestiegen. Nach dem VfS-Bericht von Rheinland-Pfalz ging die Anzahl rechtsextremer Straftaten von 406 auf 366 zurück.
14.04.: Deutschland und Vietnam einigen sich auf die Zahlung von 20 Mio. DM Wiedereingliederungshilfe für ehemalige Vertragsarbeiter; die Voraussetzungen, 40.000 VietnamesInnen bis zum Jahr 2000 abschieben zu können, sind damit geschaffen. Am 3.6. verständigen sich Bonn und Hanoi auf den Entwurf eines Rückübernahmeabkommens.
17.04.: Eine Meuterei in der Abschiebehaftanstalt Büren kann von der Polizei nach sieben Stunden unblutig beendet werden. Mit ihrer Aktion wollten die Meuterer gegen ihre Inhaftierung und deren Dauer protestieren.
22.04.: Die Polizei durchsucht die Geschäftsräume einer Berliner Wirt-schaftsdetektei, die im Verdacht steht, durch falsche Angaben unter Umgehung der Datenschutzbestimmungen, persönliche Angaben über rund acht Mio. BundesbürgerInnen erschlichen zu haben. Auftraggeber der Detektei waren Versandhäuser, Versicherungen und Kreditfirmen.
23.04.: Die Antiimperialistische Zelle (AIZ) verübt einen Spreng-stoffanschlag auf das Haus des CDU-Bundestagsabgeordneten Joseph-Theodor Blank.
24.04.: Der Präsident des BfV, Eckart Werthebach, wird zum Staatsse-kretär im Innenministerium berufen.
Aus Anlaß der Gedenkfeiern in Sachsenhausen und Ravensbrück weist das brandenburgische Innenministerium die Polizei an, evtl. Störer mit Platz-verweisen zu belegen. An dafür eingerichteten Kontrollpunkten werden 126 dem linken Spektrum zugeordnete Personen abgewiesen.
Wegen Mittäterschaft bei einem Überfall auf ein Asylbewerberheim wird der stellvertretende NPD-Vorsitzende Schleswig-Holsteins, Heinrich Förster, zu vier Jahren Haft verurteilt.
Der Haftbefehl gegen den früheren DDR-Unterhändler Wolfgang Vogel wird aufgrund mangelnder Fluchtgefahr aufgehoben.
25.04.: Ein BND-Beamter gesteht zwei Banküberfälle und wird zu sieben Jahren Haft verurteilt.
26.04.: Das RAF-Mitglied Lutz Taufer wird nach zwanzig Jahren Haft entlassen, am 10.5. folgt Karl-Heinz Dellwo. Am 24.4. wird als weitere RAF-Gefangene Manuela Happe nach knapp elfjähriger Haft entlassen.
Brandenburg schafft bei Einstellungen in den Landesdienst die Regelanfragen an die Gauck-Behörde ab.
30.04.: In Berlin kommt es zu einer Straßenschlacht zwischen ca. 2.000 Jugendlichen und der Polizei. Anlaß ist ein Polizeieinsatz gegen zwei Lager-feuer der Walpurgisnacht. 36 Personen werden festgenommen. Am Abend des 1. Mai setzen sich die Auseinandersetzungen fort.

Mai 1995

01.05.: In Berlin löst die Polizei eine verbotene Demonstration der rechtsextremen Gruppe ‚Die Nationalen‘ auf; 31 der 36 TeilnehmerInnen werden in Streifenwagen über das ganze Stadtgebiet verstreut.
In Körzin löst die Polizei eine als Geburtstagsfeier getarnte rechtsextreme Veranstaltung sowie mehrere Versammlungen randalierender Rechtsextremer in anderen Orten auf.
02.05.: In Magdeburg beginnt der Prozeß gegen zwei Skinheads, die vor ca. dreieinhalb Jahren vier Türken verprügelt und mit einer Leuchtpistole beschossen hatten.
03.05.: Auf einem Förderband des Postamtes Frankfurt/Main explodiert eine Paketbombe. Sie tötet eine Frau und verletzt 12 Menschen.
04.05.: Nach Angaben des Bundesinnenministeriums sank die Zahl der Asylbewerber im April mit 8.500 auf den niedrigsten Stand seit sechs Jahren. Insgesamt beantragten seit Jahresbeginn 40.427 Menschen Asyl in der Bundesrepublik.
Wegen Beteiligung am Zigarettenschmuggel wird vom Landgericht Cottbus ein Zollbeamter verurteilt. Er erhält eine zweijährige Bewährungsstrafe und eine Geldstrafe von 40.000 DM.
Das Bundeskabinett erläßt eine eingebrachte Verordnung, die die Betreiber von Mobilfunknetzen verpflichtet, die technischen Möglichkeiten zum Abhören zu schaffen.
05.005.: Bei einer Razzia in einem Wohnheim für VietnamesInnen in Berlin bricht ein Vietnamese wegen einer Gehirnerschütterung ohnmächtig zusammen. Die BewohnerInnen vermuten einen polizeilichen Übergriff, und es kommt zu einer Straßenschlacht zwischen den BewohnerInnen und der Polizei.
07.05.: Bei Auseinandersetzungen zwischen rechten und linken Ju-gendlichen im thüringischen Sonneberg wird ein Rechtsextremer getötet. Bei der Anreise zu einem verbotenen Trauermarsch am 14.5. werden vorbeugend von der Polizei 71 Personen festgenommen, gegen 13 Personen werden Ermittlungsverfahren wegen des Verstoßes gegen das Waffen-, Betäubungsmittel- und das Versammlungsgesetz sowie der Verwendung von Kennzeichen verfassungsfeindlicher Organisationen eingeleitet.
Ein entflohener Häftling hat im Rahmen eines Jurastudiums Bürger und Kommunalpolitiker nach ihrer Haltung zur Polizei befragt. Unter seinem richtigen Namen trug er das Ergebnis der Gießener Polizei vor.
Gegen den Stasi-Offizier Gerhard Neiber und weitere fünf hohe MfS-Mitarbeiter wird Anklage wegen Strafvereitelung erhoben, da sie seit 1980 zehn RAF-Terroristen in der DDR versteckt hatten.
08.05.: Bei einer Demonstration in Berlin aus Anlaß des 50. Jahrestages des Kriegsendes kesselt die Polizei mehrere kleinere Gruppen der ca. 10.000 TeilnehmerInnen ein und konfisziert unter Schlagstockeinsatz angebliche PKK-Fähnchen.
09.05.: Aufgrund einer Strafanzeige des Schriftstellers und parteilosen PDS-Bundestagsabgeordneten Stefan Heym leitet die Berliner Staatsanwaltschaft gegen Bundesinnenminister Manfred Kanther (CDU) ein Ermittlungsverfahren wegen Verstoßes gegen das Stasiunterlagengesetz ein. Kanther soll unrechtmäßig den Inhalt von Stasiakten über Heym veröffentlicht haben. In der gleichen Sache läuft auch ein Strafantrag gegen Berlins Innensenator Dieter Heckelmann und den Leiter der Zentralen Ermittlungsstelle für Regie-rungskriminalität Manfred Kittlaus.
Der Geschäftsführer des Sicherheitsunternehmens Sitek, Koch, erhängt sich in Haft. Ihm wurde vorgeworfen, in mehreren Bundesländern Polizisten bestochen zu haben.
10.05.: Ein Potsdamer Gericht spricht vier Angeklagte von der Betei-ligung an zwei Überfällen auf Diskotheken, bei denen fünf Menschen z.T. schwer verletzt wurden, frei. Die übrigen sieben Angeklagten erhalten Be-währungsstrafen zwischen neun und achtzehn Monaten sowie Geldstrafen.
11.05.: Der Bundesgerichtshof erklärt den Einsatz verdeckter Ermittler in eiligen Fällen und für die ersten drei Tage auch dann für zulässig, wenn keine richterliche Genehmigung vorliegt, der Maßnahme aber von einem Staatsanwalt zugestimmt wurde. (Az.: 1 SLR 685/94).
Von der Polizei wird ein 34jähriger Mann erschossen, nachdem er in einem Polizeirevier in Stendal aus einer Pistole das Feuer auf die Polizisten eröffnet hatte.
15.05.: Erstmals läßt ein deutsches Gericht in einem Prozeß um Kin-desmißbrauch die Vernehmung der Opfer per Video zu.
16.05.: Laut Angaben von amnesty international gab es in den letzten drei Jahren mehr als 70 Fälle „grausamer, erniedrigender und unmenschlicher Behandlung von AusländerInnen durch die Polizei“ in Deutschland, darunter mindestens zwei Fälle, die der Folter gleichkommen. Mehr als die Hälfte der Fälle betreffen Berliner Beamte.
Nach Angaben des BKA stieg die Zahl fremden- und ausländerfeindlicher Straftaten im März gegenüber dem Vormonat von 130 auf 187 an.
Nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Frankfurt/Main darf Abschiebehaft nur der Abschiebung dienen, nicht jedoch als Beugehaft, um einen abgelehnten Asylbewerber zur Änderung seiner Angaben zur Person zu bewegen. (Az: 20 W 179/95).
18.05.: In Berlin wird während einer Festnahme ein Zivilfahnder nie-dergestochen, weil er von einem Passanten für einen Straßenräuber gehalten wird.
19.05.: Der Bauunternehmer Jürgen Schneider wird nach 13 Monaten Flucht in Florida verhaftet.
22.05.: Vor dem Hamburger Landgericht beginnt der Prozeß gegen zwei Beamte des Bundesnachrichtendienstes, denen vorgeworfen wird, 1991 versucht zu haben, als landwirtschaftliche Maschinen deklarierte Waffen aus NVA-Beständen nach Israel zu schmuggeln. Die Angeklagten geben an, sie hätten im Auftrag des Verteidigungsministeriums gehandelt.
23.05.: Hessen weitet das 1993 geänderte Beamtenrecht, nach dem auch EU-AusländerInnen die Polizeilaufbahn einschlagen können, auch auf andere AusländerInnengruppen wie TürkenInnen und MarrokanerInnen aus.
Das Bundesverfassungsgericht trifft eine Entscheidung zur Zulässigkeit der Strafverfolgung von DDR-Spionen. Danach kann Spionage, die vom Boden der DDR ausging, nicht mehr verfolgt werden. Für Spionage aus dem westlichen Ausland kommt nur eine eingeschränkte Verfolgung in Betracht, und für DDR-BürgerInnen, die in der BRD eingesetzt waren, sollen besondere Milderungsgründe gelten. BRD-BürgerInnen, die für die DDR spionierten, sind von dieser Regelung ausgenommen; ebenso Auftragsmorde und Entführungen. (Az.: 2 BvL 19/91).
24.05.: In Magdeburg wird ein Polizist angeklagt, während der Krawalle am ‚Herrentag‘ 1994 einen Ausländer mißhandelt zu haben. Am 30.6. wird er freigesprochen.
26.05.: Nach dem Diebstahl eines Autos liefert sich das Diebespaar eine Schießerei mit der Polizei, bei der zwei Beamte schwer verletzt werden.
Die Bundesanwaltschaft erhebt Anklage gegen Monika Haas wegen mutmaßlicher RAF-Mitgliedschaft und Beteiligung an der Entführung einer Lufthansamaschine nach Mogadischu 1977.
29.05.: Bei der Vorstellung seines Jahresberichtes erhebt der branden-burgische Datenschutzbeauftragte Dietmar Bleyl Vorwürfe gegen den Verfas-sungsschutz des Landes. Danach hat das LfV 1994 die Namen sämtlicher Personen gespeichert, die sich für die Zulassung rechtsextremer Parteien zur Europawahl ausgesprochen hatten.

Juni 1995

01.06.: Im Jemen wird der mutmaßliche ‚Carlos‘-Stellvertreter Johannes Weinrich festgenommen. Am 4.6. wird Weinrich an die Bundesrepublik ausgeliefert. Gegen ihn liegen vier Haftbefehle vor, u.a. wegen Beteiligung am Anschlag auf das Kulturzentrum ‚Maison de France‘ 1983 in Berlin.
Bei der Festnahme von Heroin-Dealern wird in Berlin ein Polizist durch einen sich lösenden Schuß aus der Dienstwaffe seines Kollegen verletzt.
02.06.: Der Bundesrat beschließt den Entwurf für ein Korruptions-bekämpfungsgesetz.
Zwei Jahre nach dem ‚Heß-Gedenkmarsch‘ in Fulda erhebt die Staatsanwaltschaft Anklage gegen die Neonazi-Führer Christian Worch und Dirk Winkel wegen Verstoßes gegen das Versammlungsrecht.
03.06.: In Köln werden nach gewalttätigen Auseinandersetzungen im Anschluß an eine Demonstration ca. 400 KurdInnen festgenommen.
08.06.: Das Oberlandesgericht Frankfurt/Main lehnt die Verlängerung der Abschiebehaft für einen Algerier ab, der schon über 6 Monate in Abschiebehaft verbrachte. (Az:: 20 W 203/95).
Wegen Strafvereitelung im Amt müssen sich drei Thüringer Polizisten vor Gericht verantworten. Ihnen wird vorgeworfen im Juli 1994 nicht gegen ran-dalierende Skinheads eingeschritten zu sein.
Unbekannte verüben in vier deutschen Städten Anschläge gegen Polizeistationen und Einsatzfahrzeuge der Polizei. Verletzt wird niemand.
10.06.: Ein Kassiber der RAF-Gefangenen Eva Haule wird bei einer Prozeßbeobachterin im Prozeß gegen Birgit Hogefeld sichergestellt. Gegen die Kurierin, eine frühere Mitgefangene Haules wird ein Ermittlungsverfahren eingeleitet.
Auf die farbige TV-Moderatorin Arabella Kiesbauer wird ein Briefbomben-anschlag verübt, zu dem sich die österreichische rechtsextremistische Verei-nigung ‚Bajuwarische Befreiungsarmee‘ bekennt. Am 13.6. explodiert im SPD-Büro des Lübecker Rathauses eine ebenfalls in Östereich abgesandte Briefbombe und verletzt den Fraktionsgeschäftsführer Thomas Rother.
11.06.: Das Bundeskriminalamt beziffert die im Vorjahr bekanntge-wordenen Beamtenbestechungen auf insgesamt 1.906 Fälle.
12.06.: Ein Autofahrer durchbricht eine Straßensperre des BGS, da er die maskierten BGS-Beamten für Straßenräuber hält. Er wird durch gezielte Schüsse gestoppt. Die Staatsanwaltschaft Frankfurt/Oder ermittelt gegen den Fahrer wegen gefährlichen Eingriffs in den Straßenverkehr, Wiederstand gegen Vollstreckungsbeamte und Körperverletzung.
13.06.: Im Rahmen einer bundesweiten Razzia nach Mitgliedern und UnterstützerInnen terroristischer Gruppen werden in acht Bundesländern mehr als 50 Wohnungen durchsucht. Vier Personen werden unter dem Vorwurf verhaftet, „für die Herausgabe und Verbreitung der Zeitschrift ‚radikal‘ verantwortlich“ zu sein.
In Magdeburg müssen sich sechs Polizisten vor Gericht wegen Bestechlichkeit verantworten.
16.06.: Die wegen des Mordes an Arbeitgeberpräsident Schleyer zu zehn Jahren Haft verurteilte RAF-Aussteigerin und Kronzeugin Silke Maier-Witt wird nach fünf Jahren zur Bewährung entlassen.
17.06.: Schwerbewaffnete Bankräuber nutzen nach einem Bankraub in Ahus/Dänemark und einer spektakulären Flucht mit mehreren Geiselnahmen den Andrang auf dem Kirchentag in Hamburg um unterzutauchen.
Bei der Flucht vor einem Polizeibeamten gerät ein vietnamesischer Zigaret-tenhändler unter einen Zug und stirbt.
18.06.: Nach Angaben der Geheimschutz-Abteilung des BND soll der ehemalige BND-Vizepräsident Paul Münstermann jahrelang Geheimpapiere an CSU-Politiker weitergeleitet haben.
Dem sächsischen Innenminister Heinz Eggert (CDU) werfen männliche Mitarbeiter sexuelle Belästigung vor. Am 19.6. wird Eggert auf eigenen Wunsch von Ministerpräsident Kurt Biedenkopf bis auf weiteres beurlaubt.
21.06.: Auf einer Dortmunder Polizeiwache entreißt ein Mann einem Beamten dessen Dienstwaffe und erschießt sich damit.
23.06.: Nach einem Urteil des hessischen VGH darf das Bundeskriminalamt Daten von Personen aus eingestellten Ermittlungsverfahren nicht in einer Ver-dachtsdatei speichern. (Az.: 6 UE 152/92).
25.06.: Bei einer Sonnenwendfeier von Mitgliedern der verbotenen Wi-king-Jugend nimmt die Thüringer Polizei 84 Personen fest und beschlagnahmt Propagandamaterial.
In München beginnt der Prozeß um eine Entschädigungsklage von Angehörigen der israelischen Olympiamannschaft von 1972, die als Geiseln des palä-stinensischen Terrorkommandos ‚Schwarzer September‘ bei einem Befrei-ungsversuch der Polizei getötet wurden. Die Angehörigen fordern insgesamt 40 Mio. DM Entschädigung. Die Behörden beantragen die Abweisung der Klage. Am 28.6. wird der Prozeß bis zum Herbst vertagt.
26.06.: 300 polnische StaatsbürgerInnen, die von einem deutschen Verlag zum Austragen eines Anzeigenblattes angeworben wurden, werden von MitarbeiterInnen des Arbeitsamtes unter Amtshilfe des Bundesgrenzschutzes in Frankfurt/Oder eingekesselt und nach 10 Stunden wegen versuchter Schwarzarbeit ausgewiesen. Der Fall führt zu diplomatischen Verwicklungen.
Das Polizeiaufgabengesetz für Brandenburg wird mit Änderungen vom Kabinett verabschiedet. Der gezielte Todesschuß wurde gestrichen, der große Lauschangriff eingeschränkt.

27.06. Ein Gipfeltreffen der Staats- und Regierungschefs der 15 EU Staaten berät in Cannes erneut die künftige Rolle der europäischen Fahn-dungsbehörde ‚Europol‘. Da man sich nicht einigen kann, werden die strittigen Fragen vertagt.
28.06.: Räuber nehmen in einer Berliner Bank Geiseln und erpressen mehrere Mio. DM. Während der Verhandlungen mit der Polizei brechen sie den Banktresor sowie rund 100 Schließfächer auf und entkommen durch einen zuvor gegrabenen Tunnel.

Gunter Groß studiert Politologie an der FU Berlin