Modellversuch ‚Sicherheitspartner‘ in Brandenburg: Hilfssheriff im „Bürgerdesign“?

von Griet Newiger

Die Potsdamer Polizeistrategen im SPD-geführten Innenministerium lieben ihn – den ‚eigenständigen Brandenburger Weg‘ zum Schutz der Inneren Sicherheit im märkischen Land. Dies zeigt sich nicht nur bei der aktuellen Debatte um das zukünftige Polizeiaufgabengesetz, das u.a. auch den gesetzlich verankerten finalen Rettungsschuß enthalten sollte.

Auch bei der Kriminalitätsverhütung auf kommunaler Ebene sind sie stolz auf ein Produkt ‚made in Brandenburg‘, den ‚Modellversuch Sicherheitspartner‘, der im Frühjahr des vergangenen Jahres gestartet wurde. Wohl am auffälligsten an dem inzwischen bundesweit diskutierten Projekt ist die Vehemenz, mit der die Initiatoren jede Ähnlichkeit mit vergleichbaren Initiativen in anderen Bundesländern, etwa der bayerischen ‚Sicherheitswacht‘, leugnen.

‚Sicherheitspartner‘ sind keine Hilfspolizisten, beteuert das Ministerium im-mer wieder. Der Modellversuch sei vielmehr ein „Angebot der Polizei zur Zusammenarbeit“ an alle BürgerInnen, die sich „mit Zivilcourage für die Gemeinschaft einsetzen“ wollen. Aber geht es wirklich um neue Formen der Ko-operation mit dem nachbarschaftlich engagierten Bürger? Oder handelt es sich doch nur um ‚alten Wein in neuen Schläuchen‘: Der Hilfssheriff im zeitgemäßen ‚Bürgerdesign‘?

Hintergründe

Die Hintergründe des Projekts lassen sich knapp so zusammenfassen: Seit der Vereinigung läßt sich in Brandenburg ein Anstieg der registrierten Straftaten verzeichnen. Diese Aussage gilt auch dann, wenn man berücksichtigt, daß die Kriminalstatistiken der Jahre 1991 und 1992 aufgrund von Erfassungsproblemen mit einiger Vorsicht zu betrachten sind. Seit 1994 pendelt sich die Kriminalitätsrate auf dem Vorjahresniveau ein. Die Massenkriminalität (Einbrüche, Diebstähle) stellt dabei mit 64% den größten Anteil. Die Kri-minalitätsfurcht in der Bevölkerung scheint z.T. stärker ausgeprägt als in den alten Bundesländern.

Das Innenministerium reagierte auf diese Entwicklung mit verschiedenen Maßnahmen: Um die Präsenz der Polizei auf der Straße zu erhöhen, wurden Revierpolizisten (vergleichbar den Kontaktbereichsbeamten) eingeführt. Im Rahmen eines Konzepts zur ‚Kommunalen Kriminalitätsverhütung‘ sollten weiterhin Aktivitäten auf örtlicher Ebene angeregt werden, wie Stadtteil- und Nachbarschaftsaktivitäten oder ‚Runde Tische gegen Gewalt‘ oder für den ‚Inneren Frieden‘. Schließlich wurde durch organisatorische Veränderungen im Rahmen der ‚Dezentralen Kriminalitätsbekämpfung‘ die polizeiliche Arbeit effektiver gestaltet. Dennoch beklagen Einwohner die mangelnde Erreichbarkeit der PolizeibeamtInnen im Flächenland Brandenburg. In verschiedenen Orten wurden die BürgerInnen daher selbst aktiv. Diverse Bürgerwehren, als lockere Gruppen zum gemeinsamen Streifengang oder in fester Vereinsform organisiert, gründeten sich, um ihr Eigentum selbst zu schützen. Eine rassistische Komponente kam häufig hinzu, nicht selten wurden vermeintliche Täter vorschnell zuerst im örtlichen Asylbewerberheim ausgemacht .

In dieser Situation rief das Brandenburgische Innenministerium den ‚Modellversuch Sicherheitspartner‘ ins Leben. Dabei stand die Einsicht Pate, daß das „Gewährleisten der Inneren Sicherheit eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe“ sei , auch wenn man die Polizei keinesfalls aus ihrer Verantwortung für eine wirksame Kriminalitätsbekämpfung entlassen wollte. Neben dem Appell an privates Engagement wurde auch zugegeben, daß man sich von diesem Versuch eine Kontrolle und positive Einflußnahme auf die „so-genannten Bürgerwehren“ versprach.

Zunächst wurden zehn Orte ausgewählt, in denen der Modellversuch gestartet wurde. In den zumeist kleinen Orten, in denen es zum Teil schon Bürgerwehren gab, wurden vom örtlichen Revierpolizisten oder dem Bürgermeister Si-cherheitsversammlungen einberufen, auf denen interessierte BürgerInnen die örtliche Sicherheitslage sowie Gegenmaßnahmen und Handlungsvorschläge für die künftigen ‚Sicherheitspartner‘ berieten. In weiteren Versammlungen konnten sich Interessierte bereiterklären, als ‚Sicherheitspartner‘ zu wirken.

‚Sicherheitspartner‘

Vor ihrer offiziellen Bestellung durch die zuständigen Polizeipräsidenten wurden die ‚Sicherheitspartner‘ mit ihrem Einverständnis auf eine eventuelle hauptamtliche Mitarbeit beim früheren ‚Ministerium für Staatssicherheit der DDR‘ sowie auf Vorstrafen oder laufende Strafverfahren überprüft. Sie sind im Rahmen ihrer Tätigkeit versichert und erhalten eine monatliche Auf-wandsentschädigung von 50 DM, stehen aber nicht in einem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis. Außerdem wurden sie mit Einwegkameras, Ta-schenlampen und Schreibutensilien ausgerüstet und erhielten im Einzelfall ein Mobiltelefon. Vor allem jedoch mußten Mißverständnisse zu Funktion und Rolle der ’neuen Helfer‘ ausgeräumt werden. Sowohl Polizeibeamte als auch Teile der Bevölkerung verwechselten den ‚Sicherheitspartner‘ zunächst mit dem früheren ‚Freiwilligen Helfer der Deutschen Volkspolizei‘.

Die Vorstellungen der Potsdamer Ministerialbeamten zu den möglichen Auf-gabenfeldern der ‚Sicherheitspartner‘ sind weitgefaßt und lesen sich strek-kenweise wie ein Pfadfinderhandbuch: Sicherheitspartner sind demnach „her-ausgehobene Vorbilder, Beispiele für soziales Engagement“ , die Einwohner beim Eigentumsschutz beraten, Schulkinder und andere schutzbedürftige Per-sonen begleiten oder Telefonketten zum Schutz von Asylbewerberheimen bilden. Sie können mit jugendlichen Tätern und deren Eltern über Maßnahmen zur Wiedergutmachung eines Schadens sprechen oder eingreifen, wenn der Straßenrand zur Mülldeponie wird. Weiter sind sie präsent in Bereichen wie „Laubenkolonien und Ladenzeilen“ und alarmieren im Verdachtsfall die Polizei. Hoheitliche Aufgaben, z.B. Identitätsfeststellungen oder Personenbe-fragungen, nehmen sie, im Gegensatz zur bayerischen ‚Sicherheitswacht‘, nicht wahr, sie haben allerdings, die sog. ‚Jedermannrechte‘, d.h. im Ernstfall u.a. auch das Recht, jemanden bis zum Eintreffen der Polizei festzuhalten. Damit war die Aufgabenkonzeption von Anfang an zweigleisig angelegt: Einerseits soziale Schutzengel, andererseits freiwillige Stellvertreter der Polizei bzw. „Ansprechpartner für die Bevölkerung vor allem dort (…), wo die Polizei nicht so schnell zu erreichen ist“, wie das Ministerium zurückhaltend, aber eindeutig formulierte .

Am Anfang war die Resonanz bei den Bürgern eher mäßig: Zum Teil erschienen in den Versammlungen weit mehr Medienvertreter als engagierte BürgerInnen. Insbesondere in der im Vergleich zu den ländlichen Gemeinden größeren Stadt Schwedt fanden sich nur wenige Interessenten für das Modell. In anderen Orten stieß der Modellversuch von Anfang an auf größere Begeisterung. Als vorbildlich schildert der Abschlußbericht des Ministeriums das Engagement in Woltersdorf, wo sich schon vorher ein Selbstschutz-Verein gegründet hatte, der komplett das neue Modell unterstützte: „Sicherheitspartner ist die ‚Solidargemeinschaft zum Schutz vor Kriminalität‘ (24 Mitglieder). Sie hat den Ort in zehn Bereiche aufgeteilt, für jeden Bereich sind jeweils zwei Mitglieder zuständig, die Streife gehen und die Bewohner beraten.“

In anderen Orten wurden eine ganze Kleingartenkolonie oder die halbe Ge-meindevertretung ‚Sicherheitspartner‘. Von Ort zu Ort unterschiedlich sind auf den ersten Blick auch die Aktivitäten der ‚Sicherheitspartner‘, je nach lokaler Problemlage, Interesse der Versuchsteilnehmer oder den Vorschlägen der Sicherheitsversammlung. Sie reichen von Hinweisen auf mögliche Ein-bruchsgefahren an betroffene Hausbewohner oder Informationen zu Um-weltverschmutzungen an die Kommunalverwaltung über die Schulwegsicherung bis hin zur Beobachtung des ruhenden Verkehrs. Häufig arbeiten sie eng mit der örtlichen Polizei zusammen. So erhalten ‚Sicherheitspartner‘ Informationen zur Verkehrssicherheit und Kriminalitätsverhütung, die sie an die Einwohner weitergeben. Sie liefern ihrerseits Informationen bis hin zu konkreten Hinweisen auf Straftaten.

Wirkungen

Im realen Alltag der ‚Sicherheitspartner‘ treten Nachbarschaftshilfe und eh-renamtliche Sozialarbeit gegenüber den ‚klassischen Tätigkeiten‘ einer Hilfs-polizei allerdings deutlich in den Hintergrund. Die Hauptbeschäftigung der meisten ‚Sicherheitspartner‘ besteht im Streifelaufen und gerade in dieser Funktion sind sie möglicherweise aus polizeifachlicher Sicht ein voller Er-folg, politisch betrachtet jedoch problematisch.

Eine Ursache dafür liegt im Rollenverständnis der freiwilligen Sicherheits-wächter. Der Abschlußbericht der Innenbehörde stellt dazu (erstaunlich ein-sichtig) fest: „Viele Aktive sehen sich noch zu dicht bei der Polizei, verstehen sich (…) im Innern noch als deren Helfer.“ Zum anderen liegen die Gründe natürlich in der unklaren Aufgabenkonzeption des Modellversuchs selbst – was angesichts sinkender Fallzahlen offenbar in Kauf genommen wird.

Erfreut meldete das Innenministerium im Dezember des vergangenen Jahres einen z. T. erheblichen Rückgang der Kriminalität in den Versuchsorten. In zwei Orten wurden in der Zeit des Modellversuchs überhaupt keine Straftaten registriert (im Vorjahr ca. 120 Einbrüche). Die „unberechenbare, besonders intensive Streifentätigkeit der Sicherheitspartner“ wirkte sich insbesondere bei Einbrüchen „anhaltend täterungünstig“ aus, heißt es im Abschlußbericht. Verschiedenste Hinweise führten zu „erfolgreichen Zugriffen“. Folgerichtig wird das Modell jetzt zeitlich unbefristet weitergeführt und soll auch anderen Kommunen angeboten werden. Ebenso befürworten eine Reihe kommunaler Amtsträger das Modell, auch wenn bei einzelnen die Sorge besteht, daß sich die Polizei aus ihrer Verantwortung für die örtliche Sicherheit zurückziehen wolle.

Offen bleibt jedoch, wodurch der Kriminalitätsrückgang verursacht wurde. Ließen sich ortsfremde Kriminelle abschrecken oder hat die publikumswirksam inszenierte Streifentätigkeit einheimische Jugendgangs wieder unter Kontrolle gebracht? Oder wurde die Kriminalität nur in andere Bereiche abgedrängt? Selbst das Innenministerium schließt nicht aus, daß in einzelnen Gemeinden die Kriminalität nicht einfach verschwunden ist, sondern z.T. in Nachbargemeinden verdrängt wurde. Von dort erreichte die Behörde schon der Ruf nach weiteren Sicherheitspartnerschaften. Ein Kreislauf ohne Ende? Ursachengeleitete Gegenmaßnahmen bietet der Modellversuch jedenfalls nicht.

Besorgnis

Das eigentliche Problem besteht jedoch darin, daß die ‚Sicherheitspartner‘ (aller rhetorischen Schönfärberei zum Trotz) Polizeiersatz spielen. Sie neh-men Aufgaben wahr, die sich im öffentlichen Raum abspielen, und die Gefahr eines Konflikts mit anderen Bürgern bergen, ohne dafür entsprechend ausge-bildet und rechtlich hinreichend legitimiert zu sein (und ohne die Möglich-keit, sie bei einem Fehlverhalten dienstrechtlich zur Verantwortung ziehen zu können). Schnell kann da die Grenze von der freundlichen Nachbarschaftshilfe zur übereifrigen Schnüffelei überschritten werden. So plaudert ein ‚Sicherheitspartner‘ im Polizeiblatt des Innenministeriums unbefangen: „Wir haben festgestellt, daß auf einem Grundstück polnische Fahrzeuge parkten. Immer auf dem gleichen Grundstück, in unregelmäßigen Abständen. Wir haben dem Revierpolizisten die Tage, die Automarken und die Kennzeichen mitgeteilt.“

Auch beim Aufspüren von ‚Verdächtigen‘ bleiben vorurteilsbeladene Raster offenbar nicht immer außen vor. Die Öffentlichkeitsarbeiter des Innenmini-steriums scheint das nicht weiter zu stören, denn sie lassen ihn munter wei-terschwadronieren: „Wir hatten einen bösen Kriminalitätsschwerpunkt in un-serer Datschensiedlung. Viele Rumänen und Russen tauchten hier auf. Wir haben regelmäßig Streifengänge gemacht und sie mit der Wache Zossen abgesprochen (…) In der Siedlung finden sich keine Fremden mehr.“ Als Frage bleibt: Warum griff die Polizei nicht ein, wenn es sich wirklich um einen Kriminalitätsschwerpunkt handelte? Der Verdacht drängt sich auf, daß es nicht gelang, mit dem Modellversuch die Bürgerwehren unter Kontrolle zu bringen, sondern im Gegenteil ihr fragwürdiges Verhalten legitimiert wurde – mit dem angenehmen Effekt einer Entlastung der Polizei von originären Aufgaben.

Dabei gibt es gerade auf kommunaler Ebene Alternativen und ursachenorien-tierte Gegenstrategien: Der Vorteil etwa von ‚Kommunalen Räten‘ oder ‚Runden Tischen‘ besteht darin, daß hier kommunale Behörden, betroffene BürgerInnen, gesellschaftliche Gruppen und die Polizei gemeinsam Verantwortung wahrnehmen und Lösungen suchen, ohne die Befugnisse anderer Stellen zu übernehmen. Wie es scheint z. T. mit Erfolg: So werden positive Entwicklungen in der vormals von Rechtsextremen terrorisierten Stadt Schwedt vor allem auf die Aktivitäten des dortigen ‚Runden Tisches‘ zurückgeführt. Weitere ‚Runde Tische‘ existieren u.a. in Cottbus, Guben und Spremberg. Einen ähnlichen Ansatz, wenngleich in institutionalisierterer Form, verfolgt ein zur Zeit diskutiertes Sicherheitskonzept für die Landeshauptstadt Potsdam.

Es käme also darauf an, solche Aktivitäten fortzuführen und zu unterstützen. Dies geschieht offenbar noch zu wenig: So klagten z. B. die Organisatoren des ‚Runden Tisches‘ in Schwedt darüber, daß sich die Polizei bei den Treffen seit geraumer Zeit nicht mehr blicken lasse. Hier ist eine Kursänderung nötig, sollen nicht weiterhin die Hilfssheriffs anstelle von engagierten Bürgerinnen und Bürgern im Vordergrund stehen.

Griet Newiger ist Wissenschaftliche Mitarbeiterin am ‚Fachbereich Politische Wissenschaft‘ der FU Berlin; 1993/94 war sie Innenreferentin der Fraktion BÜNDNIS 90 im brandenburgischen Landtag
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.

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