Verfassungsschutz durch Rechtsbruch (II) – Der Fall Weichert gegen Werthebach

von Udo Kauß

Zur Erinnerung: 1991 stand in Brandenburg erstmals die Wahl eines Datenschutzbeauftragten an. Auf Vorschlag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN bewarb sich der frühere baden-württembergische Landtagsabgeordnete der GRÜNEN und Datenschutzexperte Thilo Weichert auf diese Stelle. Auf Veranlassung des damaligen Präsidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz (BfV) in Köln und heutigen Staatssekretärs im Innenministerium, Eckart Werthebach, erhielt die damalige FDP-Politikerin im brandenburgischen Landtag, Rosemarie Fuchs, umfangreiche Informationen (25 Seiten) u. a. über die politisch-publi-zistische Tätigkeit von Weichert, seine Verurteilungen im Rahmen von Sitzblockaden der Friedensbewegung, darunter ein dreiseitiges zu-sammenfassendes Dossier, in dem er unter Hinweis auf „umfangreiche Erkennt-nisse“ als Träger linksextremistischer Bestrebungen bezeichnet wurde. Abgerundet wurde das Materialpaket durch verschiedene Presseberichte über Weichert.

In der der Kandidatur vorangegangenen Anhörung des Kandidaten durch die FDP-Fraktion wurde er von der Abgeordneten Fuchs in detaillierter Weise mit Fragen zu seiner politischen Vergangenheit konfrontiert. Sofort kam der Verdacht auf, solche Informationen könnten nur vom Verfassungsschutz stammen. Mit diesem Vorwurf konfrontiert, stritt die Abgeordnete das jedoch vehement ab. Nach nunmehr drei Instanzen verwaltungsgerichtlicher Befassung mit dem Vorfall steht fest: Die Abgeordnete Fuchs hatte ihre Informationen vom Bundesamt für Verfassungsschutz bekommen – auf Veranlassung seines Präsidenten Werthebach.

Der von Weichert mit dem Vorgang befaßte Bundesdatenschutzbeauftragte hatte die Datentransaktion als Verstoß gegen die geltenden Gesetze bewertet und eine förmliche Rüge an die Adresse des BfV-Präsidenten ausgesprochen. Dies ist die schärfste dem Datenschutzbeauftragten zur Verfügung stehende Sanktionsmöglichkeit. Das allerdings wollte das Bundesamt nicht hinnehmen und blieb weiter beharrlich bei seiner Auffassung, alles sei rechtmäßig von-statten gegangen. Man habe nämlich, so die Argumentation, lediglich auf eine Anfrage der stellvertretenden Vorsitzenden des brandenburgischen In-nenausschusses reagiert und ansonsten mit der ganzen Angelegenheit eigentlich nichts zu tun. Im übrigen, so das Amt weiter, habe es sich ohnehin vor-nehmlich um bereits früher veröffentlichtes Material gehandelt.

Oberverwaltungsgericht: Rechtswidrige Datenübermittlung

Das von Weichert zur gerichtlichen Feststellung der Rechtswidrigkeit ange-rufene Verwaltungsgericht Köln bestätigte die Rechtsauffassung des Da-tenschutzbeauftragten. In seinem Urteil vom 15.5.93 befand das Gericht die Aktion für illegal und als erheblichen Eingriff sowohl in die Grundrechte von Weichert als auch in die parlamentarische Willensbildung.
Das Oberverwaltungsgericht (OVG) Nordrhein-Westfalen, vom Präsidenten des BfV gegen das Urteil angerufen, bestätigte den Spruch des Verwaltungsgerichtes mit Urteil vom 15.7.94. Die Revision beim Bundesverwaltungsgericht hatte das OVG erst gar nicht zugelassen. Der Verfassungsschutz wollte indes auch den Richterspruch des höchsten Landesgerichtes nicht hinnehmen, und beantragte dennoch die Zulassung der Revision zum Bundes-verwaltungsgericht – allerdings erfolglos. Das Urteil des OVG wurde damit rechtskräftig.

Was am Revisionsverfahren dennoch erschreckt, ist die rechtliche Argu-menta-tion, mit der der Verfassungsschutz weiterhin die Rechtmäßigkeit seines Handelns für sich reklamiert. Nach wie vor argumentiert die Behörde, daß es keiner gesetzlichen Grundlage bedürfe, früher einmal öffentliche Daten über eine Person – seien es ihre Äußerungen in der Öffentlichkeit oder Berichte über sie – zu sammeln und gezielt an Dritte weiterzugeben. Für einmal öffentlich gewordene Informationen sollte nach Ansicht des Verfassungs-schutzes das aus dem Obrigkeitsstaat überkommene Rechtsinstitut der Amtshilfe ausreichen. Ganz so, als ob das Volkszählungsurteil des Bundesver-fassungsge-richtes von 1983 und die daraufhin eigens für den Verfassungsschutz geschaffenen sog. bereichsspezifischen Regelungen nicht existierten.
Nach wie vor meint man beim Kölner Geheimdienst, es müsse ihm – unter Vernachlässigung des eigens für ihn geschaffenen Rechts – auch eine ei-geninitiative Befugnis zur Informationsübermittlung an Organe der Lan-desparlamente zustehen: Unter Umgehung der landesrechtlichen Vorschriften und Instanzen und selbst ohne deren vorherige Anfrage. Hierzu erklärt das Amt parlamentarische Organe schlicht zu ‚Behörden‘ im Sinne des Ver-waltungsverfahrensgesetzes. Dahinter steckt offenkundig die Auffassung von einer, allen Staatsorganen innewohnenden Befugnis der Gefahrenabwehr und einer gesetzesfreien Elementarbefugnis, die gesetzliche Befugnisse, und in der Konsequenz schließlich auch den rechtsstaatlichen Parlamentsvorbehalt, überflüssig machen. Das Bundesverwaltungsgericht hat solchen Unfug glücklicherweise zurückgewiesen.

Die Staatsanwaltschaft ermittelt wieder

Derweil haben – parallel zur verwaltungsgerichtlichen Auseinandersetzung und der damit verbundenen Erkenntnisse über die Rechtsauffassung des Dienstes – auch die strafrechtlichen Ermittlungen einige weitere Einblicke in die Gesetzestreue der beamteten Verfassungsschützer erbracht:
Aus strafrechtlicher Sicht liegt bei der Datenweitergabe von Köln nach Pots-dam ein Bruch der Geheimhaltungsvorschriften des Strafgesetzbuches (StGB) vor. Eine Weitergabe von der Amtsverschwiegenheit unterliegenden Infor-mationen durch Beamte ist strafbar. Bei höchsten Beamten wie etwa dem Prä-sidenten des Bundesamtes für Verfassungsschutz sind strafrechtliche Er-mittlungen allerdings abhängig von einer vorherigen ministeriellen Erlaubnis. Diese hatte der damalige Bundesinnenminister Rudolf Seiters (CDU) erteilt. Nach eineinhalb Jahren Ermittlungsarbeit hat die zuständige Staatsan-waltschaft in Köln das Verfahren gegen Werthebach wegen Bruchs des Amtsgeheimnisses mit Beschluß vom 20.10.94 eingestellt.
Zunächst machte sich die Staatsanwaltschaft die Auffassung des Amtes zu ei-gen, daß früher einmal öffentlich gemachte Informationen nicht dem Amts-geheimnis unterliegen können. Dabei wurden zugleich Informationen, die der Verfassungsschutz nur durch Einsatz nachrichtendienstlicher Mittel erlangt haben konnte (in diesem Falle eine Grußadresse an die ‚Deutsche Friedens-Union‘), allein deshalb zu veröffentlichten Informationen gemacht, weil diese ursprünglich an einen „größeren, unbestimmten (…) Personenkreis“ gerichtet gewesen sei und darüber hinaus auch durch nichts erkennbar sei, daß der Kläger hieran damals wie auch später „ein wie auch immer geartetes Ge-heimhaltungsinteresse gehabt habe“. Eine kühne Gedankenführung, wenn man bedenkt, daß die übermittelten Informationen ursächlich für den Mei-nungsumschwung der brandenburgischen FDP-Fraktion bei der (Nicht)Wahl Weicherts zum Datenschutzbeauftragten waren. Noch kühner ist die staats-anwaltschaftliche Argumentation, wenn man berücksichtigt, daß das seinerzeit mitübermittelte dreiseitige Dossier, in dem Weichert vom Verfassungsschutz zum „Gegenexperten“ zu Fragen der Inneren Sicherheit und als Träger „linksextremistischer Ausrichtung“ qualifiziert wird, vom BfV immer als ein „internes“, nicht zur Veröffentlichung gedachtes, Papier bezeichnet worden war: Intern – und doch nicht geheim!
So mancher Beschuldigte eines Strafverfahrens möchte sich solche staatsan-waltschaftliche Milde und Gläubigkeit wünschen, wie sie Eckart Werthebach zuteil wurde.

Da der Bruch der Amtsverschwiegenheit jedoch nicht wirklich wegzudiskutieren war, mußte für den Beschuldigten ein Ausweg gefunden werden. Dieser fand sich in doppelt gesicherter Weise: Zunächst nahm plötzlich ein nachgeordneter Verfassungsschutzbeamter, der BfV-Resident in Berlin Gruber, alle Schuld auf sich und schickte eine entsprechende Erklärung an die ermittelnde Staatsanwaltschaft. Darin wurde die bereits im Verwaltungsgerichtsverfahren vorgebrachte Version bestätigt: Er habe die Unterlagen persönlich nach Potsdam bringen sollen und sei von seinem Präsidenten zuvor ausdrücklich darauf hingewiesen worden, daß er das besagte interne Dossier nicht weitergeben dürfe. Bei Frau Fuchs angekommen, habe er es jedoch ‚versehentlich‘ liegengelassen. Dies genügte der Staatsanwaltschaft, eine Vernehmung des Beamten fand nicht einmal statt. Keine Frage danach, daß die eigentliche Unterrichtung schon vorab telefonisch durch diesen Beamten er-folgt war, denn natürlich läßt sich ein Bruch der Amtsverschwiegenheit auch mündlich begehen: Somit also auch kein Ermittlungsverfahren gegen den tap-feren Mann wegen der im Verwaltungsprozeß bereits eingeräumten telefonischen Vorabunterrichtung.
Desweiteren fand sich der damalige Referent des Präsidenten, der das Gespräch des Mitarbeiters Gruber mit Werthebach vom Nebenzimmer aus mitgehört haben will und sich nun zweieinhalb Jahre später an diesen (heute so behaupteten) Routinefall noch ganz genau erinnern mochte. In diesem Gespräch habe der Präsident entschieden, daß das Dossier nur für den internen Gebrauch bestimmt gewesen sei und deshalb nicht weitergegeben werden dürfe. Dem guten Gedächt-nis sei Dank. Beiden Beamten dürfte ihre Loyalität zum BfV-Chef bei ihrem weiteren beruflichen Fortkommen sicher hilfreich sein.
Auf die Hinweise von Weichert und seines Bevollmächtigten, daß sich die Vorgänge so wohl nicht zugetragen haben können, hat die Staatsanwaltschaft Köln die Wiederaufnahme der Ermittlungen und die Vernehmung weiterer Beamter des Amtes als Zeugen angekündigt. Zuvor jedoch wurde Werthebach Ende April 1995 noch schnell zum Staatssekretär im Bundesinnenministerium benannt. Seit Anfang Mai ist die Staatsanwaltschaft nun wieder offiziell tätig.

Zum Schluß noch ein kleiner Abgrund von geheimdienstlicher Wahrheitsliebe und vom Verhältnis der Geheimdienste zu ihren Kontrolleuren im Innenausschuß des Bundestages: Von seiten des Verfassungsschutzes hat man erst im Berufungsverfahren vor dem Oberverwaltungsgericht die Version vom ‚versehentlichen Liegenlassen des Dossiers entgegen ausdrücklicher prä-sidialer Weisung‘ aufgetischt. Dem (infolge der damaligen Rüge durch den Bundesdatenschutzbeauftragten) hellhörig gewordenen Innenausschuß will man diese Version absichtlich nicht berichtet haben. Wieso, das erklärt der Präsident in seiner persönlichen Einlassung an die Staatsanwaltschaft. Man habe diese Information allein deshalb „zurückbehalten, weil man auf Seiten des BfV davon ausgegangen war, daß die Parlamentarier diese Version ohnehin nicht glauben würden.
Wird es nun die Staatsanwaltschaft glauben? Im übrigen keine schöne Wahl: Entweder damals dem Innenausschuß des Bundestages einen unwahren Sachverhalt unterbreitet zu haben, oder aber heute die Staatsanwaltschaft irreführend unterrichtet zu haben, oder gar beides. Dies sollte den Innenausschuß des Bundestages als der parlamentarischen Kontrollbehörde der Geheimdienste wohl interessieren.

Dr. Udo Kauß ist Rechtsanwalt in Freiburg i. B. und Mitherausgeber von Bürgerrechte & Polizei/CILIP sowie Prozeßvertreter von Thilo Weichert.
Mit Fußnoten im PDF der Gesamtausgabe.