von Martina Kant und Christine Hohmeyer
Bereits Ende der 70er Jahre wurden in zahlreichen Städten sogenannte Jugendpolizeien ins Leben gerufen.[1] Nach massiver Kritik an der Vermischung von sozialpädagogischer und polizeilicher Arbeit gaben die meisten Bundesländer ihre Jugendpolizeien wieder auf. Seit Anfang der 90er Jahre ist jedoch eine Renaissance zu beobachten. Jugendkommissariate, Jugendbeauftragte und spezielle Ermittlungsgruppen wurden in nahezu allen größeren Kriminalpolizeidienststellen eingerichtet. Zwar betont die Polizei ihren präventiven Ansatz, jedoch verbirgt sich hinter der zuweilen fortschrittlichen Rhetorik oftmals knallharte Repression.
Die Bearbeitung von „Jugendsachen“ wurde in den 70er Jahren bundesweit durch die Polizeidienstvorschrift (PDV) 382 geregelt. Sie ist Richtlinie für alle polizeilichen Maßnahmen in Jugendsachen, d.h. bei (Ermittlungs-)Fällen, an denen Minderjährige oder Heranwachsende beteiligt sind. „Prävention geht vor Repression“, lautet der Grundsatz polizeilicher Jugendarbeit, „schädliche Eingriffe strafrechtlicher Sozialkontrolle in den Prozeß des Erwachsenwerdens“ sollen vermieden werden.[2] Nach der PDV 382 müssen daher in Jugendsachen besonders geschulte Polizeibeamte, sogenannte Jugendsachbearbeiter, eingesetzt werden. Außerdem gefordert wird im präventiven und repressiven Bereich eine ständige Kooperation der Jugendsachbearbeiter mit anderen Institutionen, die sich mit Jugendfragen befassen. Doch die Organisation der Polizeien in den Bundesländern zur Bekämpfung der „Jugendkriminalität“ ist insgesamt recht unterschiedlich. Sie reicht von den Jugendbeauftragten über eine spezialisierte Sachbearbeitung in zentralen Jugendkommissariaten bis hin zu operativen Einsatzgruppen, die gezielt bestimmte Jugendgruppen wie etwa Sprayer oder Hooligans überwachen.
Nicht nur zur Prävention: Polizeiliche Jugendbeauftragte
Polizeiliche Jugendbeauftragte sind in den Polizeidienststellen mittlerweile weit verbreitet. Hinter dem Begriff Jugendbeauftragte verbergen sich allerdings PolizeibeamtInnen mit sehr unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben. Die „Beauftragten für Jugendsachen“ der Polizeidirektion Hannover zum Beispiel werden überwiegend zur Kriminalprävention eingesetzt. In jeder der fünf Polizeiinspektionen sind speziell ausgebildete BeamtInnen tätig. Ebenfalls im Dienst der Prävention sehen sich die Jugendbeauftragten der Berliner Kriminalpolizei. Diese sind sowohl im Landeskriminalamt (LKA) als auch in den örtlichen Direktionen angesiedelt. 1994 wurde im LKA eine „Zentralstelle für Jugendsachen“ eingerichtet, in der sieben Jugendbeauftragte arbeiten. In den sieben Direktionen sind insgesamt elf haupt- oder nebenamtliche Jugendbeauftragte tätig.[3] Ermittlungsaufgaben haben die Jugendbeauftragten des LKA und der Direktionen nicht. In erster Linie sind sie für Koordination und Auswertung zuständig, sammeln Informationen über Jugendkriminalität und erstellen Lagebilder.[4] Daten von jungen „Mehrfach- und Intensivtätern“ werden gesondert gesammelt und an die Zentralstelle beim LKA gemeldet. Die Kontaktpflege zu den JugendsachbearbeiterInnen, zur Jugendgerichtshilfe, zur Staatsanwaltschaft und zu anderen Institutionen gehört genauso zum Aufgabenbereich der Jugendbeauftragten wie Öffentlichkeitsarbeit und Mitwirkung an Präventionsprojekten. Schließlich haben die Jugendbeauftragten Multiplikatorenfunktion, indem sie die jugendsachbearbeitenden BeamtInnen in den Fachkommissariaten fortbilden.
Eine ganz andere Ausrichtung haben dagegen die „Beauftragten für Jugendkriminalität“ der Polizei Frankfurt am Main. Dort sind seit 1992 jeweils zwei Beamte der vier schutzpolizeilichen Sonderkommandos (SoKo) zur Bekämpfung der Straßenkriminalität als Beauftragte für Jugendkriminalität (BJK) tätig. Ihr Einsatz ist freiwillig, eine besondere Qualifikation wird nicht verlangt.[5] Im Rahmen ihrer allgemeinen Tätigkeit in den SoKos legen sie besonderes Augenmerk auf Straftaten, bei denen Jugendliche als Verdächtige oder Opfer in Erscheinung treten. Ähnlich wie in Berlin schaffen die BJK Kontakte zu Jugendeinrichtungen und nehmen an Veranstaltungen z.B. in Schulen teil. Darüber hinaus verfolgen sie jedoch ein repressives Konzept. Dazu gehören:
- „Intensive Kontroll- und Überwachungsmaßnahmen“ an Örtlichkeiten, die durch Jugendkriminalität „belastet“ sind, bei Jugendtreffs und Jugendveranstaltungen.
- „Erfassung von potentiellen Straftätern mit der Unterscheidung von Intensivtätern und Mitläufern.
- Feststellung überörtlicher Tätergruppen durch Informationsaustausch mit anderen Dienststellen.
- Verunsicherung der Szene durch ständige Präsenz.“[6]
Strategie sei es, Intensivtäter aus der sie schützenden Anonymität herauszureißen und das nur „bedingt aktive Umfeld“ einzuschüchtern. Alle polizeiinternen Mitteilungen und Strafanzeigen werden von den BJK ausgewertet und in einer „Jugendtäterkartei“ gesammelt. Diese umfaßt ca. 4.000 Jugendliche, die als „Einzel- oder Mehrfachtäter mit Aufenthaltsorten und sonstigen Bindungsdaten“ unterschieden werden können.[7]
Konzentration auf Täter: die Jugendkommissariate
Für die Bearbeitung von Jugendsachen haben die meisten größeren Polizeidirektionen und -inspektionen spezielle Kommissariate eingerichtet. Dort werden in der Regel alle Delikte bearbeitet, sofern sie von Jugendlichen oder Heranwachsenden begangen wurden. So wurde 1992 in der Polizeidirektion Magdeburg ein Jugendkommissariat[8] aufgebaut, um alle Jugenddelikte „zielgerichteter aufzuklären“; es umfaßte 1994 bereits 49 BeamtInnen und 13 Angestellte.[9] Drei Ermittlungsgruppen (EG) befassen sich jeweils mit Auswertung, stadtteilübergreifenden Gruppenstraftaten bzw. „jugendlichen Gewalttätern“. Darüber hinaus gibt es die dezentralen Ermittlungsgruppen bei den fünf Polizeirevieren. Die Ermittlungsgruppen arbeiten mit verschiedenen Strategien: täterorientierte Sachbearbeitung bei Intensivtätern, „präventive“ Begleitung von Fußballfans. Und nicht zuletzt soll bereits beim „Erkennen von krimineller Energie oder dem Verdacht auf Beginn krimineller Karrieren (…) unverzüglich ein Sozialarbeiter“ eingeschaltet werden.[10] Tägliche Lageberichte der EG Auswertung sorgen für Information und Kommunikation zwischen den verschiedenen Dienststellen.
Im Gegensatz zu dieser Generalzuständigkeit sind in Berlin die seit 1990 bestehenden „Fachkommissariate Jugendgruppengewalt“ nur bei Delikten mit Gruppenbezug zuständig. Die gegenwärtig 135 BeamtInnen in den sieben Direktionen werden nur dann aktiv, wenn Raub und räuberische Erpressung, Körperverletzungen, Bedrohungen, Sachbeschädigungen sowie Begleitdelikte „als gemeinschaftliche Handlung von mindestens zwei Tätern im Alter von 8-21 begangen“ werden oder wenn „von einem Einzeltäter (…) eine Gruppe als Machtinstrument“ eingesetzt wird.[11] Mit individuellen Jugenddelikten, z.B. Ladendiebstahl, befaßt sich die Vorgangsbearbeitung in den Polizeiabschnitten oder anderen Dienststellen.[12]
Gruppen gegen Gruppen: Die Arbeit der EGs
In der arbeitsteiligen Organisation der Polizei nehmen die speziellen Ermittlungsgruppen (EG), die sich mit Jugendgruppierungen oder -milieus beschäftigen, eine besondere Stellung ein. Diese Ermittlungsgruppen zielen auf unterschiedliche Phänomene: Zum einen werden bereits „Taten von mindestens zwei Tätern im Alter von 8-21 Jahren“[13] als Gruppendelikte definiert und in Augenschein genommen, auch wenn nur recht vage Verbindungen bestehen. Zum anderen werden ganze Szenen zum Gegenstand des Interesses.
Besonderes Merkmal der Ermittlungsgruppen, die sich mit allgemeinen, eher losen Gruppierungen beschäftigen, ist ihre Methodenvielfalt. Immer auch als „präventiv“ ausgezeichnet, sind sie meist die aktiven Vollstrecker einer repressiven Linie. Die „Operativen Gruppen Jugendgewalt“ in Berlin, seit 1991 an die sieben Direktionen angegliedert, sollen zwar Kontakte zu Jugendlichen herstellen, beobachten jedoch auch deren Treffpunkte, führen Außenermittlungen durch und vollstrecken Haftbefehle und Durchsuchungsbeschlüsse.[14] Ebenfalls in Berlin arbeitet die zentrale „Präventivstreife junge Gewalttäter“, die an das Mobile Einsatzkommando des LKA angegliedert ist. Die 20 szenekundigen BeamtInnen treten bei speziellen Anlässen in Erscheinung.[15] In Lübeck ist seit 1991 ein zwölfköpfiges Einsatzkommando in Zivil unterwegs, das 1994 in Einsatz- und Ermittlungsgruppe (EEG) umgetauft wurde. Hier soll der Jugendliche „zu einem Zeitpunkt polizeilich betreut werden, letztlich auch in Gewahrsam genommen werden, zu dem er möglichst noch keine Straftaten begangen hat.“[16] Auch die AG Jaguar in Wiesbaden[17] und die Ermittlungsgruppe „Jugendliche Intensivtäter“ in Potsdam neigen in ihrem Spagat zwischen präventiver Orientierung und repressiven Methoden deutlich zu letzterer Seite.
Die spezialisierten Ermittlungsgruppen dagegen beschäftigen sich mit einer bestimmten „Klientel“: Waren es früher die Rocker, denen die Aufmerksamkeit der Polizei galt, so sind es heute rechtsextremistische Jugendliche, Punks, Hooligans und Sprayer. Gerade letztere werden im gesamten Bundesgebiet mit Vehemenz verfolgt. Nahezu jede Stadt verfügt über spezielle Graffiti-Ermittlungsgruppen. In Köln wurde 1998 das Ermittlungskommissariat Farbe gegründet, in Hamburg will die EG 956 für die „Stärkung des Sicherheitsgefühls im Hinblick auf die mit Graffiti-Delikten zusammenhängende Kriminalität“[18] sorgen. Auch der BGS ist häufig involviert. In Berlin arbeitet die Ermittlungsgruppe Graffiti seit 1994 mit dem BGS zusammen. In Kassel ließ 1998 eine SoKo des BGS die von der Stadt zur Verfügung gestellten legalen (!) Graffitiflächen per Video observieren und führte anschließend Hausdurchsuchungen durch.[19]
Polizeiliche Bezugspersonen? Täterorientierte Ermittlungen
1994 empfahl die unabhängige Kommission zur Verhinderung und Bekämpfung von Gewalt in Berlin, eigene Jugenddezernate in den Direktionen einzurichten. Jugendsachen sollten nicht länger quer zu den Ressorts, sondern zentral täterorientiert bearbeitet werden. So könnten die immer gleichen SachbearbeiterInnen auch bei verschiedenen Delikten eine „Beziehungskonstanz“ garantieren, die „gerade bei straffällig gewordenen Minderjährigen erforderlich“ sei.[20] Dieser Vorschlag wurde vom Polizeipräsidenten und der Senatsverwaltung für Inneres abgelehnt, da „eine grundsätzlich täterorientierte Vorgehensweise bei Jugendlichen (…) hinsichtlich ihrer Effektivität keine Vorteile brächte.“[21] Tatsächlich arbeiten die Sachbearbeiter Berlins (abgesehen von den erwähnten Fachkommissariaten zur Jugendgruppengewalt) bis heute deliktorientiert. Erst wenn Jugendliche mehr als zehnmal im Jahr als Tatverdächtige auftauchen, werden sie in das „Intensivtäterprogramm“ aufgenommen und fortan täterorientiert einzelnen SachbearbeiterInnen zugewiesen.
Doch die Berliner Organisation steht der gegenwärtigen Entwicklung entgegen. Täterorientierte Ermittlung scheint gerade für die Bearbeitung von Jugendsachen mehr denn je gefragt. Dahinter steht die Einschätzung der Polizei, „daß die straffällig gewordenen Kinder und Jugendlichen keine deliktspezifischen Straftaten begehen, sondern Straftaten nach Gelegenheit verüben.“[22] Hinzu kommt pädagogischer Impetus: „Die Spezialisierung der Polizeibeamten läßt Kompetenz in der Aufgabenbewältigung wachsen; dazu gehört auch psychologisches Geschick und soziales Verständnis für die auffällige Klientel.“[23] Aber die als „Bezugspersonen“ geadelten BeamtInnen können auch anders: In Hanau beispielsweise führte ein „Modellversuch zur täterorientierten Bekämpfung der Straßenkriminalität“ zu einer regelmäßigen „Szeneüberwachung“ verdächtiger Jugendlicher. Darüber hinaus wurden beschuldigte „jugendliche Räuber (…) von zu Hause direkt abgeholt.“[24]
Uneinheitlich ambivalent: Die Strategien
Die Strategien gegen Jugendkriminalität in den verschiedenen Städten und Ländern sind so uneinheitlich wie die Polizeiorganisationen selbst. Dennoch lassen sich Gemeinsamkeiten und Entwicklungslinien ausmachen:
- Die Arbeit der Polizei in spezifischen Fachkommissariaten oder Ermittlungsgruppen verfolgt meist einen täterorientierten Ansatz.
- Der Blick der speziellen Ermittlungsgruppen richtet sich fast immer auf Tätergruppen und dahinterliegende Strukturen.
- Der Begriff der Prävention dient stets dazu, vorauseilende Überwachungen und Kontrollen zu legitimieren.
Diese Strategien ähneln denen, die zur Bekämpfung der sog. Organisierten Kriminalität eingesetzt werden – und ihre Ambivalenzen sind nicht zu übersehen. Selbst wenn die Täterorientierung zu einer „Beziehungskonstanz“ zwischen Jugendlichen und SachbearbeiterInnen beitragen sollte, so verstellt sie andererseits auch den Blick des Beamten, der „seine Pappenheimer“ zu kennen glaubt. Werden Jugendszenen als organisierte Gruppen betrachtet, so mag dies in wenigen Fällen an die Wirklichkeit heranreichen, wird aber meistens dazu führen, abweichende Lebensformen oder Unbeteiligte zu kriminalisieren. In der Konzentration auf auffällige Gruppen, auf Täter statt Taten und nicht zuletzt auf Prävention steckt die Gefahr, daß das Prinzip der Unschuldsvermutung und die Freiheitsrechte von Jugendlichen ausgehöhlt werden.