Editorial

von Heiner Busch

Er fordere den Abdruck einer Gegendarstellung, schrieb der damalige Staatsanwalt bei dem Landgericht Hanau, Harald Weiss-Bollandt, an den Arbeitskreis der Rechtsreferendare in der ötv Hessen. In Nr. 1/1976 ihres Infos hatten die ReferendarInnen einen Vortrag des Staatsanwaltes wiedergegeben. Den habe er so nicht gehalten. Er habe „von Beweisschwierigkeiten sowohl in den Verfahren gegen Demonstranten als auch in den Verfahren gegen Polizeibeamte gesprochen … Jene Schwierigkeiten habe ich bezüglich der Verfahren gegen Polizeibeamte damit erklärt, dass infolge der innerhalb der Polizei bestehenden, im Vergleich zu anderen Berufen stärkeren Kollegialität andere Beamte belastende Aussagen oftmals nur schwer zu erlangen seien. Unwahr ist, dass ich in diesem Zusammenhang die häufig festzustellende Erfolglosigkeit der Ermittlungen gegen Polizeibeamte begrüßt und gesagt hätte: ‚und das ist auch gut so.'“ Er habe nie gebilligt, dass Polizeibeamte sich gegenseitig decken. Er habe nie geäußert, dass er ihnen ihre Übergriffe gegen linksradikale DemonstrantInnen nicht verübeln könne … – alles nicht wahr, meinte der heutige Polizeipräsident von Frankfurt am Main.

Die damals von Weiss-Bollandt ausgebildeten RechtsreferendarInnen wussten, was ihnen blühte. Sie druckten die Gegendarstellung des Staatsanwalts ab, dessen Vortrag sie protokolliert hatten. Sie waren – wie die Opfer polizeilicher Übergriffe – in Beweisschwierigkeiten und mussten annehmen, dass ein Gericht nicht Ihnen, sondern dem respektablen Vertreter der Strafjustiz glauben würde.

Die Mauer des Schweigens, die die Ahndung von Polizeiübergriffen verhindert, ist in den 25 Jahren seit den bestrittenen Ausführungen des Hanauer Staatsanwalts nicht gefallen. Etwaige Löcher werden mit der Theorie der Schwarzen Schafe gestopft. Grundsätzliche Kritik von Bürgerrechtsgruppen erscheint als illegitim. In den 80er Jahren führte sie gar – im Falle der Berliner Arbeitsgruppe „Bürger beobachten die Polizei“ – zur Beobachtung durch den Verfassungsschutz.
Die Hamburger Gewerkschaft der Polizei betrachtet auch nach dem Untersuchungsausschuss den Polizeiskandal von 1994 als böswillige Erfindung. Immerhin führte der Skandal zur Einrichtung der bisher einzigen unabhängigen Polizeikommission der BRD. Für eineN PolizeibeauftragteN, wie ihn die Grün-Alternative Liste gefordert hatte, fehlte den SozialdemokratInnen die Traute. Die Kommission arbeitet ehrenamtlich und verfügt über einen minimalen Arbeitsstab. Trotzdem hat sie in ihren beiden ersten Berichten auftragsgemäß strukturelle Bedingungen polizeilichen Fehlverhaltens aufgezeigt.

Ob die unabhängigen StrukturkritikerInnen ernst genommen oder von den politischen Institutionen der Hansestadt als HofnärrInnen abgetan werden, bleibt abzuwarten. Wirkliche Veränderungen würden voraussetzen, dass die Einsatzkonzepte, organisatorischen Bedingungen und Bedrohungsbilder, die zu Übergriffen führen, reflektiert würden. Wer die Polizei ermächtigt, die offene Drogenszene aufzumischen, ihr Eingriffsbefugnisse ohne jeglichen Verdacht zubilligt, die Suche nach illegalen AusländerInnen zum Schwerpunkt erklärt …, wer mit der Polizei die Gesellschaft hobeln will, darf sich nicht wundern, dass Späne fliegen.

„Wenn ich den Polizisten bejahe, der nach vorne rennt, um sich mit Linksradikalen zu prügeln unter Einsatz seiner Gesundheit, dann muss ich diesem Charakter auch zugestehen, hierbei einmal zu weit zu gehen. … Sie müssen verstehen, dass die Kameradschaft, die hierin (im Versuch, die KollegInnen zu decken, d.Verf.) zum Ausdruck kommt, einfach notwendig ist, wenn wir nicht das Funktionieren von Verbänden wie der Polizei oder auch der Bundeswehr, wo sich das Problem ähnlich stellt, in Frage stellen wollen.“ Diese Aussage hat der damalige Staatsanwalt und heutige Polizeipräsident Weiss-Bollandt 1976 abgestritten.

Heiner Busch ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
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