Stabilitätspakt für Südosteuropa – Polizeihilfe mit Abhängigen

von Anastassia Tsoukala

Der im Juni 1999 in Köln unterzeichnete sogenannte Balkan-Stabilitätspakt ist nicht nur das Dach für diverse Wirtschaftshilfsprogramme, sondern auch für Initiativen der Polizeikooperation zwischen den Staaten der Region und mit denen des „Westens“. Zentraler Punkt dieser Zusammenarbeit ist wie üblich die Bekämpfung organisierter Kriminalität und der illegalen Einwanderung. Dass die Machtverhältnisse zwischen den Helfenden und den Hilfsempfängern ungleich sind, versteht sich dabei von selbst.[1]

Die Notwendigkeit einer stärkeren regionalen Kooperation war zwar schon Thema einer Außenministerkonferenz von sechs Balkan-Staaten in Belgrad 1988 gewesen. Erst mit dem Ende der Blockkonfrontation aber entwickelte sich eine Reihe von Initiativen zur Förderung der Stabilität, Sicherheit und des wirtschaftlichen Wohlstandes der Region. In den frühen 90er Jahren traten mehrere Balkanstaaten breiter angelegten regionalen Kooperationsstrukturen bei, etwa der Mitteleuropäischen Initiative oder der Schwarzmeer-Wirtschaftskooperation. Nach dem Vertrag von Dayton 1995 wurden weitere regionale Kooperationsforen lanciert – wie der Royaumont-Prozess desselben Jahres unter der Ägide der OSZE oder die Südost-Europäische Kooperationsinitiative, die regionale Kooperation und Integration der Balkan-Staaten in den europäischen Zusammenhang fördern sollte.

Die jüngste dieser Strukturen ist der Stabilitätspakt für Südosteuropa, der sogenannte Balkan-Stabilitätspakt, dem neben den Staaten der Region (außer der BR Jugoslawien) sowie Russland und der Türkei die 15 EU-Staaten, die EU-Kommission, der Europarat sowie der jeweilige Präsident der OSZE angehören. Unterstützt wird der Pakt u.a. von der UNO und dem UN-Hochkommissar für Flüchtlinge, der NATO und der Weltbank. Der Pakt und seine Arbeitsgruppen sollen den Beteiligten einen Rahmen für die Erreichung gemeinsamer Ziele geben – im Bereich Menschenrechte und Demokratisierung, insbesondere im Hinblick auf Minderheiten (AG I), der wirtschaftlichen Entwicklung und Restrukturierung (AG II) sowie der inneren und äußeren Sicherheit (AG III).

Für eine Bewertung von Ergebnissen ist es noch zu früh. Fest steht jedoch schon jetzt, dass hier nicht ein neues Kooperationsnetz aufgebaut wird, sondern die bereits bestehenden gefördert, neu strukturiert und koordiniert werden sollen. Auch im Bereich der inneren Sicherheit gibt es keine einheitliche Struktur, sondern eine Vielzahl von Projekten regionaler, multilateraler oder bilateraler Art, die sich im wesentlichen mit der Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Korruption und illegaler Einwanderung beschäftigen. Im Rahmen des Paktes ist dafür vor allem die erste Unterarbeitsgruppe der AG III zuständig.

Die Unterarbeitsgruppe Justiz und Inneres

Die Unterarbeitsgruppe hat drei Arbeitsbereiche und entsprechende Ziele für prioritär erklärt. Das ist zunächst die Bekämpfung von Korruption, organisierter Kriminalität, Terrorismus und allen Formen illegaler Aktivitäten. In diesem Bereich soll eine Globalstrategie umgesetzt werden, die sich auf Hilfen rechtlicher, institutioneller und technischer Art stützt. Strafrechtsreformen sollen durchgeführt, die Justiz- und Rechtssysteme untereinander harmonisiert und an Bestimmungen des internationalen Rechts angepasst werden. Die Kooperation zwischen den Polizeien der Region und mit den Polizeien westlicher Staaten wird verstärkt. Die Polizeibehörden werden zum Austausch von Informationen und Erkenntnissen ermutigt. Ein gemeinsames Datensystem analog zum Schengener Informationssystem wird aufgebaut. Die beteiligten Staaten werden aufgefordert, mit Europol zusammenzuarbeiten. Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Aus- und Weiterbildung der Polizeien vor Ort.

Zentrale Punkte im Bereich Asyl und Migration sind die Verbesserung der Grenzkontrollen, die Professionalisierung der für diese Kontrollen zuständigen Behörden sowie die Aufnahme eines Dialogs über die in Sachen Grenzkontrollen zu verfolgende Politik. Die Unterarbeitsgruppe berät ferner über Rückübernahmemodalitäten im Falle eines Exodus der Bevölkerung sowie über die Ausbildung von Kadern zur Bewältigung einer Reihe von neuen Problemen, die sich aus den jüngsten Konflikten in der Region ergeben (Schlepper, Prostitution, Bettler).

Eine erfolgreiche Korruptions- und OK-Bekämpfung kann sich nicht allein auf Polizeien von außerhalb stützen. Die Ausbildung der Polizeien der Region wurde daher schnell zur zentralen politischen Frage erhoben. Dabei werden drei Ziele angestrebt: Erstens soll die Verfolgung schwerer Straftaten verbessert werden. Zweitens versteht man die Ausbildung als einen Beitrag zur Demokratisierung der Institutionen und zum Aufbau rechtsstaatlicher Verhältnisse. Drittens soll die dominante Rolle des Militärs, das in den meisten Staaten der Region auch in den Fragen der inneren Ordnungserhaltung tonangebend ist, geschwächt und das Kräfteverhältnis zwischen Militär und Polizei ausgeglichen werden.

In einer ersten Phase ist die Bildung eines Southeast European Staff College vorgesehen, das mit der Ausbildung einer speziellen Polizeieinheit beauftragt ist. Das College setzt die lange Serie vergleichbarer Initiativen fort, die vor allem im Zusammenhang der OK-Bekämpfung auf dem Balkan gestartet wurden. Beispiele dafür sind die Ausbildungshilfen des deutschen Bundeskriminalamts und britischer Polizeien, die International Police Task Force der Vereinten Nationen, die von Italien geführte Multinational Specialist Unit, das von der EU gesponsorte Programm des Customs and Fiscal Assistance Office, die Entsendung von US-Experten zum Aufbau der Polizei in Bosnien und im Kosovo etc.

Die meisten dieser Maßnahmen blieben erfolglos. Selbst im Rahmen des Paktes sind sie noch kaum koordiniert. Zwar wurden Korruption und organisierte Kriminalität als Hindernis für die notwendigen politischen und wirtschaftlichen Reformen identifiziert, die darauf abzielenden Initiativen leiden aber unter knappen Finanzen und überlagern sich häufig. Hinzu kommt, dass Bandenchefs vielfach von den alten Geheimdiensten und nationalistischen Politikern protegiert werden.

Die Southeast European Co-operation Initiative (SECI)

Ähnliches gilt im Falle der SECI, einer Initiative die im Dezember 1996 von den USA lanciert wurde mit dem Ziel die regionale Kooperation im wirtschaftlichen und ökologischen Bereich zu stärken und die Integration der Balkanstaaten in die europäischen Strukturen zu erleichtern.

Auch diese Initiative befasst sich mit Aspekten der Inneren Sicherheit. In der Frage der Grenzkontrollen und des Grenzübertritts ist Griechenland der gastgebende Staat. Im Rahmen der SECI wurde eine Gruppe von Zoll- und Grenzpolizeibeamten mit der Aus- und Weiterbildung der jeweiligen Behörden der interessierten Staaten beauftragt. Rumänien hat 1998 als erster Staat solche Hilfen nachgefragt. Reformen sollen die Organisation der Polizei- und Zollbehörden verbessern. Als effizientestes Mittel zur Eindämmung der Korruption wurden Gehaltserhöhungen vorgeschlagen.

Auch die im Rahmen der SECI unternommenen Anstrengungen, die Ausbildung der Polizeien der Region zu verbessern, blieben weitgehend erfolglos. Die EU-Staaten beteiligen sich – mit Ausnahme Griechenlands – nur zögerlich. Offenbar wünschen die Regierungen keine volle Integration in eine Initiative, die exklusiv von den USA lanciert wurde, und ziehen es vor, eigene Projekte für eine Polizeiakademie auszuarbeiten.

Hinsichtlich der Bekämpfung von Korruption und grenzüberschreitender Kriminalität verabschiedete man auf einem Treffen in Bukarest im Juni 1998 ein „Memorandum of Understanding“, das den Akzent auf die Zusammenarbeit bei der Sammlung, Auswertung und den Austausch von Informationen legt. Die rumänische Regierung schlug die Bildung eines Zentrums in Bukarest vor, in dem Verbindungsbeamte aller beteiligten Staaten zusammenarbeiten sollen. Mit Hilfe eines gemeinsamen Informationssystems will man die Aktivitäten der Grenzkontrollbehörden koordinieren. Interpol ist an diesem Projekt stark interessiert und hat der SECI seine Mitarbeit angeboten.

Im Mai 1999 wurde in Bukarest eine Vereinbarung über die Zusammenarbeit bei der Verhütung und Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität unterzeichnet. Diese sieht in Artikel 13 die Bildung des gemeinhin als Crime Centre bezeichneten regionalen Zentrums der SECI vor. Nachdem die Vereinbarung am 1. Februar 2000 in Kraft trat, nimmt das Centre Stück für Stück seine Arbeit auf. Einzelne Abteilungen sollen sich u.a. mit der Bekämpfung von Drogenhandel, Schlepperei und Menschenhandel, Zollbetrug, Fahrzeugdiebstahl etc. befassen. Die Ausweitung der Aktivitäten des Centres soll ferner die Rechtshilfe und justizielle Kooperation zwischen den beteiligten Staaten verbessern helfen.

Im Rahmen des Stabilitätspaktes will auch die EU aktiv werden. In Empfehlung Nr. 24 sehen die Schlussfolgerungen des Europäischen Rats von Tampere (Oktober 1999) eine Vereinbarung zur verstärkten Zusammenarbeit zwischen Griechenland und Italien gegen organisierte Kriminalität, „Schleuserkriminalität“ und Menschenhandel rund um die Adria vor. Die erste Phase der Umsetzung beinhaltete ein Treffen der Chefs der wichtigsten italienischen, griechischen und albanischen Polizeikorps. In die zweite Phase fiel die Adriakonferenz vom 19.-21. Mai 2000. Ziel war auch hier eine verbesserte gemeinsame Bekämpfung von organisierter Kriminalität, Schmuggel und illegaler Einwanderung.

Bilaterale Zusammenarbeit zwischen Italien und Albanien

Weil die meisten multilateralen Initiativen bisher erfolglos waren, tendieren die betroffenen EU-Staaten zu bilateralen Lösungen. So konzentriert sich Italien mit bilateralen und teilweise von der EU finanzierten Programmen auf Ausbildungshilfen für die Polizeien seiner Partnerstaaten auf dem Balkan (Albanien, Bulgarien, Mazedonien, Rumänien, Montenegro). Die Zusammenarbeit auf dem Gebiet der Ausbildung scheint dabei auch für die polizeiliche Kooperation im engeren Sinne Früchte abzuwerfen.

An der Kooperation mit Albanien beispielsweise, die sich auf eine Vielzahl von bilateralen Abkommen abstützt, wirken die drei wichtigsten italienischen Polizeikorps mit (Polizia di Stato, Carabinieri, Guardia di Finanza). Sie dient in erster Linie der Verbesserung des Ausbildungsstandes der albanischen Polizeibehörden, bildet aber auch einen Rahmen für eine operationelle Kooperation. Die Guardia di Finanza etwa ist in fünf verschiedenen „Missionen“ engagiert, die zum Teil unter der Ägide der EU und der Westeuropäischen Union abgewickelt werden. Insgesamt 132 BeamtInnen und zwölf Schiffe werden dabei in Albanien eingesetzt: Die bilaterale Mission für innenpolitische Angelegenheiten zielt auf die Reorganisation der albanischen Polizeien und die Koordination von Operationen. Die bilaterale finanzpolitische Mission beinhaltet ein Ausbildungsprogramm für den albanischen Zoll. Die CAM (Customs Assistance Mission) und die CAM-Sea – beide unter der Ägide der EU-Kommission – dienen der Reorganisation des albanischen Zolls und seiner rechtlichen Grundlagen. Neben direkten Unterstützungen gibt es auch hier Ausbildungshilfen und zwar in Sachen Waren- und Personenkontrolle. Die fünfte Mission MAPE (Multinational Advisory Police Element) soll zur Reorganisation des Innenministeriums und insbesondere der Abteilung „Nationale Sicherheit“ beitragen.
Diese enge Kooperation hat auch Auswirkungen auf die Seegrenzkontrollen Italiens, insbesondere im Kanal von Otranto, der sich seit der zweiten Hälfte der 90er Jahre als besonders durchlässig für die Migration aus Albanien erwiesen hat. Sowohl die politischen Krisen Albaniens als auch der Kosovo-Konflikt haben die Zahl der Menschen wachsen lassen, die Nacht für Nacht das Meer überqueren und illegal nach Italien einreisen. Das wachsende Kontrolldispositiv der italienischen Polizeien hat sich hiergegen als praktisch unwirksam erwiesen.

Anders als 1993, als die Kontrolle der italienisch-slowenischen Grenze für zwei Jahre den Streitkräften überantwortet wurde, hat die Regierung bisher keine militärische Hilfe für konkrete Operationen aufgeboten. Jedoch unterstützt die Marine die Polizeidienste auch ohne besondere Anweisung. Im Rahmen ihrer regelmäßigen Patrouillen in den nationalen Gewässern kann sie immer auch eigentlich polizeiliche Aufgaben wahrnehmen – in diesem Fall die Bekämpfung der illegalen Einwanderung. Ein Marinekommandant übt dabei gerichtspolizeiliche Funktionen aus. Angesichts der gegenwärtigen Welle der illegalen Einreisen auf dem Seeweg greift die Marine öfter ein und hat ihre nächtlichen Patrouillen verstärkt.

Daneben werden auch die Polizeibehörden und insbesondere die Guardia di Finanza (GF) in wachsendem Ausmaß mobilisiert. Die GF stellt den größten Teil der bei der Seegrenzkontrolle eingesetzten BeamtInnen. Dass eine Finanzpolizei derart stark auf diesem Gebiet mitmischt, wird rechtlich dadurch legitimiert, dass die illegale Einwanderung als Bedrohung der sozialen und wirtschaftlichen Sicherheit, der militärischen Sicherheit (wegen der angeblichen Zusammenhänge mit dem Waffenhandel) und der maritimen Sicherheit angesehen wird. Darüber hinaus erlaubt ihr die Qualität ihrer Ausrüstung, unabhängig zu handeln. Die GF verfügt über 500 Schiffe sämtlicher Größen, die bewaffnet und mit Satelliten-Navigationssystemen ausgestattet sind, sowie über Flugzeuge und Helikopter. Selbständig ist sie auch auf dem informationellen Sektor, was jedoch nicht ausschließt, dass sie zusätzlich auf Informationen der Marine zurückgreift.

Dennoch hat die Mobilisierung militärischer und polizeilicher Einsatzkräfte die Migration von der anderen Seite des Kanals von Otranto nicht stoppen können. Die italienischen Behörden bemühen sich daher, eine der Ursachen dieser Ineffizienz zu beheben, nämlich das fast vollständige Fehlen von Kontrollen auf der albanischen Seite und in albanischen Hoheitsgewässern, wo die italienische Polizei keinen Zugriff hatte. Für letzteres Problem hat man jüngst im Zuge eines bilateralen Abkommens mit Albanien einen Ausweg gefunden. Aufgrund dieses Abkommens werden die italienischen Polizeien nun das Recht haben, albanische Hoheitsgewässer zu patrouillieren einschließlich der Befugnis zu Festnahmen, Durchsuchungen und Beschlagnahmen. Voraussetzung dafür ist, dass neben der italienischen Besatzung mindestens ein albanischer Polizeibeamter an Bord ist.

Wo sind die Grenzen der Kooperation?

Diese extreme Form der Zusammenarbeit wirft nicht nur die Frage nach ihrer tatsächlichen Effizienz auf, sondern auch nach der dahinter stehenden Logik. Die verstärkte Polizeikooperation zwischen Italien und Albanien hat sehr wohl Ergebnisse gezeitigt. Andererseits hat sie aber beispielsweise die Schmuggler dazu gezwungen, ihre Routen zu ändern. Deren Überfahrten beginnen nun meist an der montenegrinischen statt an der albanischen Küste. Aufgrund dieser Verlagerung versuchen derzeit wiederum die wichtigsten italienischen Polizeikorps, ihre Kooperation mit Behörden Montenegros zu verstärken. Diese Spirale macht offenkundig, dass der Erfolg selbst einer ständig ausgeweiteten polizeilichen Zusammenarbeit an Grenzen stößt. Bis wohin darf und kann sie gehen? Wie effizient kann sie wirklich sein, insbesondere wenn Montenegro anders als Albanien den italienischen Polizeibehörden nicht jene exekutiven Befugnisse einräumen will, die seine Souveränität in Frage stellen?

Fraglich bleibt andererseits auch, ob Montenegro angesichts der derzeitigen Situation auf dem Balkan dem italienischen Druck wird standhalten können, vor allem weil es damit riskiert, von den finanziellen und politischen Unterstützungen der EU abgeschnitten zu werden. Welchen Interessen dient eine Polizeikooperation, die es zulässt, dass sich die Einflusszonen bestimmter EU-Staaten immer weiter ausdehnen und die Balkanstaaten zu regelrechten Protektoraten werden?

Anastassia Tsoukala lehrt an der Université Paris X – Nanterre und forscht am Centre d`Etudes sur les Conflits (Paris) und an der Panteion-Universität (Athen).
[1] Der Artikel ist die leicht gekürzte Version eines Vortrages, den die Autorin im Mai an einem Seminar des Centre d’Etudes et de Recherches international in Paris gehalten hat.

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