Literatur

Zum Schwerpunkt

Über die „geheimen Nachrichtendienste“ weiß die Öffentlichkeit naturgemäß wenig. Weil die Tätigkeit der Dienste vor den BürgerInnen geheim gehalten werden muss, gibt es nur wenige Einblicke in das, was die diversen Ämter tun. Im Allgemeinen lassen sich drei Genres der Geheimdienstliteratur unterscheiden: Erstens juristische Abhandlungen, zweitens journalistische Arbeiten – häufig mit einem mehr oder weniger investigativen Anspruch – und drittens die Selbstdarstellungen der Dienste selbst. Kritische und empirisch zuverlässige Arbeiten sind seltene Ausnahmen in der Beschäftigung mit den Diensten – Letztere haben verständlicherweise keinerlei Interesse an einer derartigen Publizität. Betrachtet man das Spektrum der Veröffentlichungen zu den deutschen Diensten, dann fällt als erstes ins Auge, dass die Dienste offenkundig nur noch auf geringes Interesse stoßen. Wer sich über Verfassungsschutz, Bundesnachrichtendienst und Militärischen Abschirmdienst informieren will, der muss auf Veröffentlichungen aus der Mitte der 90er Jahre zurückgreifen.

Gröpl, Christoph: Die Nachrichtendienste im Regelwerk der deutschen Sicherheitsverwaltung, Berlin 1993

Zöller, Mark Alexander: Informationssysteme und Vorfeldmaßnahmen von Polizei, Staatsanwaltschaft und Nachrichtendiensten, Heidelberg 2002

Die vom Bundesinnenministerium geförderte Untersuchung Gröpls stellte die Rechtslage nach der Novellierung bzw. Schaffung der Geheimdienstgesetze 1990 dar. Durch die Gesetzgebung des letzten Jahrzehnts ist sie überholt. Dies gilt im Kontext unseres Schwerpunktthemas nicht allein für die neuen Befugnisse durch die Anti-Terrorgesetze, sondern auch für die BND-Befugnisse zum Abhören oder OK als verfassungsschützerischem Gegenstand. Eine aktuelle Darstellung des Rechts der geheimdienstlichen Vorfeldmaßnahmen liefert Zöller im fünften Teil (S. 279-389) seiner Untersuchung.

Schmidt-Eenboom, Erich: Der BND. Schnüffler ohne Nase, Düsseldorf 1993

Ulfkotte, Udo: Verschlußsache BND, München, Berlin 1997

Henze, Saskia; Knigge, Johann: Stets zu Diensten. Der BND zwischen faschistischen Wurzeln und neuer Weltordnung, Hamburg, Münster 1997

Wer sich über Geschichte und Arbeitsweise des Bundesnachrichtendienstes informieren will, ist nach wie vor auf diese nicht mehr ganz aktuellen Veröffentlichungen angewiesen. Obwohl sie sich in Methoden und Positionen erheblich unterscheiden, dominiert in der Darstellung die Schilderung von Episoden, die die Leistungsfähigkeit bzw. die Unfähigkeit oder Gefährlichkeit des BND belegen sollen. Über den Militärischen Abschirmdienst existiert keine einzige Monografie.

Leggewie, Claus; Meier, Horst: Republikschutz. Maßstäbe für die Verteidigung der Demokratie, Reinbek 1995

Jüngere Darstellungen zu den Verfassungsschutzämtern fehlen. Das Buch von Leggewie/Meier ist eine Auseinandersetzung mit dem Konzept der „wehrhaften Demokratie“ und der – von den Autoren kritisierten – Vorstellungen, eine staatliche Behörde könne eine demokratische Gesellschaft verteidigen. Statt administrativem Verfassungsschutz könne die Demokratie nur durch das zivilgesellschaftliche Engagement verteidigt werden.

Friedrich-Ebert-Stiftung, Büro Berlin (Hg.): Nachrichtendienste, Polizei und Verbrechensbekämpfung im demokratischen Rechtsstaat. Dokumentation, Berlin 1994

Die Probleme im Verhältnis von Polizei und Geheimdiensten wurden 1994 auf einer Tagung der Friedrich-Ebert-Stiftung relativ breit diskutiert: von der Geltung des Trennungsgebots bis zum Einzug geheimdienstlicher Methoden in die Polizeiarbeit, von der Aufgabenerweiterung der Dienste bis zu den Formen der Zusammenarbeit mit der Polizei in verschiedenen Ländern.

Kersten, Ulrich: Die polizeiliche Bekämpfung des internationalen Terrorismus, in: Bundeskriminalamt (Hg.): Islamistischer Terrorismus: eine Herausforderung für die internationale Staatengemeinschaft (BKA-Reihe Polizei + Forschung, Bd. 17), Neuwied, Kriftel 2002, S. 45-61

Kaundinya, Dieter: Der internationale Terrorismus – auch eine Herausforderung für die deutschen Nachrichtendienste, in: ebd., S. 69-74

Die jüngere Entwicklung des Verhältnisses von Polizei und Nachrichtendiensten wird in diesen beiden Beiträgen der BKA-Jahrestagung vom November 2001 deutlich. Der damalige BKA-Präsident lehnt die Zentralisierung der Polizei zu einer „Großbehörde“ oder eine Zusammenlegung von Diensten und Polizeien zu einer „Sicherheitsagentur“ ab. Stattdessen müssten durch die Einrichtung von „runden Tischen“ „Brücken zwischen den bestehenden Informationsinseln“ geschaffen werden. Ziel sei es, dass „Erkenntnisse zusammengetragen, gemeinsam analysiert und bewertet werden.“ Derart könnten Auswertungsprojekte verbessert und Ermittlungsverfahren gefördert werden. Der Informationsverbund im Innern soll begleitet werden von der Intensivierung der Arbeit nach außen: Der BND will versuchen, so sein Vertreter, „durch intellektuelle, intelligente operative Arbeit und sorgfältige Auswertung – allein und mit ausgewählten anderen – die Gegenschläge des Terrors zu prognostizieren und zu evaluieren.“

Müller-Heidelberg, Till: Geheime Nachrichtendienste und Rechtsstaat, in: Humanistische Union (Hg.): Innere Sicherheit als Gefahr (HU-Schrift, Bd. 23), Berlin 2002, S. 151-155

Gössner, Rolf: Geheimdienste als Fremdkörper der Demokratie. Beispiel „Verfassungsschutz“, in: ebd., S. 156-167

Weichert, Thilo: „Freiheit stirbt mit Sicherheit – Der permanente Ausnahmezustand seit dem 11. September“. Von der Notwendigkeit der Reform der deutschen Geheimdienste nach dem 11. September, in: Unbequem 2003, 52/53, S. 13-19 (Abdruck: Frankfurter Rundschau v. 19.7.2003 (Nr. 166), S. 7)

Vereinzelt gibt es sie noch, die Stimmen, die an der bürgerrechtlichen Kritik am administrativen Verfassungsschutz festhalten. Der damalige Bundesvorsitzende der Humanistischen Union Müller-Heidelberg formulierte apodiktisch: „Geheime Nachrichtendienste stehen folglich strukturell im Widerspruch zu Rechtsstaat und Demokratie, und sie sind überflüssig und unnötig zur Schaffung von Sicherheit.“ Gössner und Weichert kombinieren diese Ablehnung mit realpolitischen Zugeständnissen: etwa die personelle Verkleinerung der Landesämter für Verfassungsschutz oder der Verzicht auf den Gebrauch verdeckter Methoden (Gössner), die Abschaffung der Landesämter, die Streichung von Aufgaben für den Verfassungsschutz (Abwehr von Wirtschaftsspionage, Extremismusbeobachtung), Wahrnehmung bestimmter Aufgaben (Terrorismusbekämpfung) allein durch die Polizei (Weichert). Aber weder die Forderungen, die Nachrichtendienste abzuschaffen, noch die Vorschläge, sie in ihren Zuständigkeiten zu begrenzen, stoßen gegenwärtig auf besondere Resonanz – ganz zu schweigen von den Verantwortlichen, die an der neuen „Sicherheitsarchitektur“ basteln.

Denkowski, Charles von (2003): Das Trennungsgebot – Gefahr für die Innere Sicherheit? Ein Plädoyer für die Zusammenlegung von Staats- und Verfassungsschutz, in: Kriminalistik 57. Jg., 2003, H. 4, S. 212-219

Werthebach, Eckart (2003): Die Zusammenarbeit von Polizei und Nachrichtendiensten bei der Terrorismusbekämpfung – Chancen, Grenzen, Probleme. Vortrag auf einem Seminar des BDK am 7. Mai 2003, in: der kriminalist 35. Jg., 2003, H. 9, S. 326-329

Diese beiden Beiträge stehen symptomatisch für die Diskussion in der polizeilichen Fachöffentlichkeit. Der ehemalige Verfassungsschutzpräsident und Berliner Innensenator Werthebach fordert die Zusammenlegung von Katastrophen- und Zivilschutz, den Einsatz der Streitkräfte im Innern, die „Harmonisierung“ in der „Rechtsfortbildung“, um der „Verselbständigung und Spezialisierung deutscher Sicherheitsbehörden“ entgegenzuwirken. Da eine Verbindung der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern „aus Gründen der Rechtstradition“ unterbleiben müsse, sei es „um so dringlicher, die Behörden informationell zu vernetzen, was selbstverständlich „Korrekturen des Datenschutzrechts“ voraussetze. Mit solchen Halbheiten will sich der Hamburger Staatsschützer von Denkowski nicht zufrieden geben. Sein Plädoyer gilt einer neuen, „Landes- bzw. Bundesamt für Staats- und Verfassungsschutz“ genannten Behörde. In ihr sollen der kriminalpolizeiliche Staatsschutz und die Verfassungsschutzämter zusammengefügt werden. Das Trennungsgebot sei historisch überholt, weil es heute um den „Schutz der freiheitlich demokratischen Grundordnung“ gehe. Die neue Staats- und Verfassungsschutzbehörde müsse repressive und präventive Aufgaben wahrnehmen. Sie würde sowohl Staatsschutzdelikte mit den Mitteln der Strafprozessordnung verfolgen, wie sie diese im weiten Vorfeld mit nachrichtendienstlichen Methoden aufspüren und verhindern würde. Je nach Tätigkeit wären die besonderen Rechtsmaterien zugrunde zu legen, und je nach Tätigkeit kämen andere Kontrollinstanzen (Gerichte, Kontrollkommissionen) zum Tragen. Eine solche Konstellation gewährleiste eine optimale Bündelung von Ressourcen und verhindere, dass Informationen verloren gingen. – Aus diesem Stoff sind die Utopien, von denen deutsche Polizisten offenkundig träumen.

Neuerscheinungen

Glaeßner, Gert-Joachim: Sicherheit in Freiheit. Die Schutzfunktion des demokratischen Staates und die Freiheit der Bürger, Opladen (Leske + Budrich) 2003, 293 S., EUR 24,90

Eng bedruckte 270 Textseiten widmet der Autor seinem Anliegen, der „Gegenüberstellung von Sicherheit und Freiheit als unvereinbare kollektive Güter“ eine Perspektive entgegenzusetzen, die das „widersprüchliche Verhältnis beider ‚Staatsaufgaben‘“ betont (S. 11). Glaeßners in zwei Teile und acht Kapitel gegliederte Darstellung besticht auf den ersten Blick durch ihre Perspektive, die gleichzeitig konzeptionell (Was ist Sicherheit?), historisch (beginnend mit der frühen Neuzeit), international vergleichend (Deutschland, Großbritannien, USA), verfassungsrechtlich und bezogen auf einzelne Teilpolitiken der Inneren Sicherheit (wehrhafte Demokratie, Anti-Terrorismus) argumentiert. Über weite Strecken hat der Band den Charakter eines Lehrbuchs: Systematische Kurzdarstellungen von Phänomenen („Sicherheit“, Terrorismus), übersichtliche Vier-, Sechs- oder Achtfelderschemata, prägnante Zusammenfassungen am Ende jedes Kapitels etc. Insofern handelt es sich um eine informative Einführung, die viele disparate Aspekte des Themas zusammenführt.

Diese Vorzüge werden bei der genaueren Lektüre schnell durch einige Mängel überlagert. Zu diesen Mängeln gehört die häufige Wiedegabe von vermeintlichen Allerweltsweisheiten. So wenn auf S. 156 die Kriminalpolitik als ein „illustratives Beispiel“ dafür angeführt wird, wie neue Bedrohungslagen und Freiheitsgarantien „in Übereinstimmung zu bringen“ seien. Oder wenn wenige Seiten weiter – nachdem organisierte Kriminalität oberflächlich thematisiert wurde – „ohne Zweifel“ festgestellt wird, dass „die Organisierte Kriminalität“ nicht nur die Sicherheit und Ordnung, sondern „tendenziell auch demokratische Institutionen“ ernsthaft bedrohe (S. 160). Glaeßner liefert kein Material, das es erlaubte, diese „tendenziellen“ Aussagen zu prüfen. Auf S. 267 wird der Terrorismus „neben dem Krieg“ als „wohl die ernsthafteste Herausforderung oder Prüfung für eine liberal-demokratische Ordnung“ qualifiziert. Wo bleiben Hunger, Armut, Verelendung, Ausbeutung? – sind diese Herausforderungen weniger ernsthaft und liegen hier nicht jene gesellschaftlichen Probleme, aus deren Folgen die Politik Innerer Sicherheit ihren Gegenstand und ihre Resonanz bezieht?

Mitunter nimmt der Autor der Argumentation die Spitze, indem er an den zentralen Problemen vorbeischreibt. Auf gut einer Seite stellt er die Verrechtlichung des Großen Lauschangriffs dar (S. 160 f.). Und was will er uns an diesem Beispiel zeigen? Dass durch die Novellierung von Art. 13 auf eine „klare, präzise und allgemeinverständliche Formulierung“ verzichtet werden musste und derart „das Grundgesetz erneut ein Stück in Richtung eines ‚Expertentextes‘ auf Kosten einer Bürgerverfassung“ verschoben wurde. Als ob die Frage, ob nur noch ExpertInnen das Grundgesetz verstehen, der Kern des Problems sei.

An wieder anderen Stellen überraschen die deutlichen – aber durch nichts begründeten – Bewertungen. So sei etwa die Kritik der Datenschutzbeauftragten am Schilyschen Anti-Terrorpaket „deutlich überzogen“ gewesen; die „Antworten des deutschen Gesetzgebers“ seien „weitaus zurückhaltender ausgefallen als zum Beispiel in Großbritannien“ (S. 267). Nach der „begründete(n) Vermutung“ des Autors, dass auch schärfere Gesetze keinen Schutz gegen den neuen Terror bieten, endet der Gedanke wieder bei einem Allgemeinplatz: „Demokratische Gesellschaften und politische Ordnungen bleiben verwundbar.“ So mögen die LeserInnen am Ende dieses Buches mehr wissen, schlauer, kritik- und urteilsfähiger sind sie durch diese Darstellung aber nicht geworden.

Krane, Christian: „Schleierfahndung“. Rechtliche Anforderungen an die Gefahrenabwehr durch ereignisunabhängige Personenkontrollen, Stuttgart, München, Hannover u.a. (Richard Boorberg Verlag) 2003, 316 S., EUR 36,–

Beginnen wir mit der für die kritischen CILIP-LeserInnen guten Nachricht: Folgt man der Argumentation der vorliegenden juristischen Dissertation, dann widersprechen die Regelungen der Schleierfahndung in sieben Bundesländern den Anforderungen des Grundgesetzes. Weil die Eingriffsschwellen für „ereignisunabhängige“ Kontrollen gegenüber den vormals bestehenden Normen des Polizeirechts abgesenkt worden seien (S. 217), seien derartige Kontrollen nur unter zwei Bedingungen zulässig: Erstens müssten sie an die Existenz eines polizeilichen Lagebildes gebunden werden, das die Gefahr grenzüberschreitender Kriminalität oder illegalen Aufenthalts darlege. Und zweitens müssten die Kontrollen auf Befragung, Aushändigung mitgeführter Papiere und Inaugenscheinnahme mitgeführter Sachen begrenzt bleiben. Damit sind die Bestimmungen in Bayern, Baden-Württemberg, Thüringen, Sachsen und Hessen rechtlich nicht haltbar, weil sie Identitätsfeststellungen und Durchsuchungen erlauben. Mit Ausnahme der hessischen Regelung verzichten die genannten Landesgesetze zudem darauf, die Kontrollen an Lagebilder zu knüpfen; Lagebilder sind auch nach den Bestimmungen in Niedersachsen und im Saarland nicht erforderlich. Es bleibt abzuwarten, ob und wann Gerichte und/oder Gesetzgeber den von Krane diagnostizierten Novellierungsbedarf anerkennen werden.

Nun zur schlechten Nachricht: Die Arbeit stellt den Versuch dar, die Grenzen des verfassungsrechtlich gerade noch Zulässigen angesichts einer vergleichsweise neuen Eingriffsnorm zu bestimmen. Der Preis für die rechtsstaatliche Einfriedung der Schleierfahndung wird jedoch mit abnehmender Überzeugungskraft erkauft, je mehr man die Argumentation praktisch wendet. So stellt Krane zutreffend fest, dass bereits die Legitimation der Schleierfahndung (Sicherheitsverlust durch den Wegfall der Schengener Binnengrenzkontrollen) nicht stichhaltig ist. Demnach bleibt die Verhinderung der illegalen Migration und die Bekämpfung von organisierter Kriminalität als Zweck der Kontrollen. Aber warum sollen die nach Krane zu reduzierenden Kompetenzen (keine Identitätsfeststellungsbefugnis) gerade tauglich sein, jene vermeintlich besonders schweren Kriminalitätsformen zu verhüten? Für eine solche Vermutung fehlt auch nach zehn Jahren Praxis jeder Beleg. Zum Nachweis der Eignung verweist der Autor auf eine Trefferquote zwischen 3 und 10 % der Kontrollierten (S. 187 f.). Wäre man nicht Jurist, würde man diese Erfolgsquote als Indiz dafür halten, dass die Maßnahme ungeeignet ist. Aber selbst diese geringe Trefferquote gibt keinerlei Auskunft darüber, ob es sich um OK-Delikte oder um illegale MigrantInnen handelte.

Der Autor legt Wert darauf, von „ereignisunabhängigen“ und nicht von „verdachtsunabhängigen“ Kontrollen zu sprechen. Denn jeder Kontrollhandlung liege ein Verdacht zugrunde. Damit diese Verdachtsvermutung nicht zur Willkür werde, verlangt er die Erstellung polizeilicher Lagebilder. Unter diesen Voraussetzungen gebe es keine Probleme mit dem Diskriminierungsverbot des Grundgesetzes. Zwar seien Aussehen, Hautfarbe und Sprache keine Indizien für wahrscheinliche Rechtsverstöße, aber sie seien ein Hinweis darauf, dass der Betreffende Ausländer ist, und mit dem Status Ausländer seien die Möglichkeit zum illegalen Aufenthalt und eine erhöhte Wahrscheinlichkeit der OK-Beteiligung gegeben (S. 241). Deshalb verlange das Grundgesetz nur, dass die Kontrollen ohne „Diskriminierung“ oder „Herabsetzung der kontrollierten Person“ erfolgten; ggf. seien der Zweck der Kontrollen und das Lagebild zu erläutern (S. 255). Man stelle sich die Wirkung auf alle Reisenden vor, wenn dem Dunkelhäutigen, der als einziger im Zugabteil kontrolliert wird, das aktuelle Lagebild zum Rauschgifthandel erläutert wird – eine Situation, die nicht dadurch besser würde, wenn der Kontrollierte zur Erläuterung in den Gang gebeten würde.

Ähnlich un-praktisch gedacht ist auch der Vorschlag, die zwangsweise Identitätsfeststellung aus der Vorschrift zu entfernen. Solange es eine Mitführpflicht von Ausweisen nicht gibt, bliebe das eine an den eigenen Maßstäben gemessene nutzlose Vorschrift – es sei denn, man konstruiere aus dem Verhalten des Kontrollierten während der Kontrolle ein neues Verdachtsmoment …

Insgesamt belegt die Arbeit, kenntnisreich und auf hohem juristischen Niveau, dass eine rechtsstaatliche Begrenzung des systematisch entgrenzten Polizeirechts nicht gelungen ist.

Milke, Tile: Europol und Eurojust. Zwei Institutionen zur internationalen Verbrechensbekämpfung und ihre justitielle Kontrolle, Göttingen (V & R uni­press) 2003, 327 S., EUR 35,30

Mit der Europäisierung des Polizeirechts beschäftigt sich diese juristische Dissertation. Ihr Augenmerk ist darauf gerichtet, inwieweit ein effektiver Individualrechtsschutz gegenüber Europol besteht. Um diese Frage zu prüfen, werden zunächst in drei Kapiteln die Entstehungsgeschichte von Europol, deren Tätigkeit im „Gefüge der internationalen Polizeizusammenarbeit“ sowie die Möglichkeiten des Rechtsschutzes gegen Europol vorgestellt. Im Hinblick auf das politische und institutionelle Umfeld liefert die Untersuchung nichts Neues (allenfalls auffallend ist, dass die grundlegenden Veröffentlichungen von Busch und Knelangen offensichtlich nicht genutzt wurden). Die Darstellung von Arbeitsweisen und Kontrollen beschränkt sich auf die Auslegung der einschlägigen Rechtsvorschriften; über die tatsächlichen Tätigkeiten erfährt man in dieser Untersuchung noch weniger als in den Europol-Tätigkeits­berichten oder in dem der Gemeinsamen Kontrollinstanz.

Im vierten Teil widmet sich Milke der eigentlichen Fragestellung. Dazu werden die Rechtsschutzbestimmungen an den Anforderungen des Grundgesetzes und der Europäischen Menschenrechtskonvention gemessen. An der Verfassung des Beschwerdeausschusses der Gemeinsamen Kontrollinstanz, der über die Rechtmäßigkeit von Speicherung, Übermittlung, Verarbeitung und Nutzung personenbezogener Daten auf Antrag Betroffener entscheidet, entscheidet sich die Frage eines effektiven Rechtsschutzes. Milke diagnostiziert hier eine Reihe von institutionellen Defiziten: Eine quasi richterliche Unabhängigkeit der Mitglieder des Beschwerdeausschusses müsse sichergestellt werden, etwa indem eine vorzeitige Abberufung durch die Exekutiven untersagt werde. Auch müsste den Mitgliedern Immunität im Hinblick auf ihre Entscheidungen im Beschwerdeausschuss zugesichert werden. Um eine Vermischung von genehmigenden und kontrollierenden Tätigkeiten zu verhindern, müsse zudem sichergestellt werden, dass der Beschwerdeausschuss nicht an der Vorprüfung von Errichtungsanordnungen von Europol-Dateien beteiligt werde. Darüber hinaus sei es unverhältnismäßig, dass über die Aufhebung der Immunität der Europol-Direktor entscheide und diese Entscheidung nicht gerichtlich überprüft werden könne.

Gegenüber der ausführlichen Darstellung und Würdigung von Europol wird Eurojust auf 20 Seiten nur knapp berücksichtigt. Interessanter als die Analyse ist die perspektivische Verbindung von Europol und Eurojust: Letztere solle einen Runden Tisch der nationalen Eurojust-Staatsanwälte bilden, die sich gegenseitig auf dem Laufenden halten und die Ermittlungen nach den nationalen Bestimmungen leiten (S. 293). Denn es sei nur eine Frage der Zeit, bis Europol „eigene Ermittlungsbefugnisse“ übertragen würden, und in Eurojust sei dann eine Stelle vorhanden, die die „die Absicherung der Ermittlungen durch die Sachleitungsbefugnis einer Staatsanwaltschaft“ übernehmen könnte (S. 302).

Milkes Untersuchung reduziert das europäische Demokratie- und Rechtsstaatsproblem auf eine einzige Frage (die des Individualrechtsschutzes). Sie zeigt, dass eine Reihe von Bestimmungen den Maßstäben der Europäischen Menschenrechtskonvention und des Grundgesetzes nicht gerecht werden. Zu bezweifeln ist allerdings, ob der Machtzuwachs von Europol durch die vorgeschlagenen Modifikationen des Beschwerdeausschusses ausgeglichen werden kann. Erinnert sei nur an den Umgang mit weichen Daten aus wenig seriösen Quellen auf der einen, die Beteiligung an operativen Aktionen (etwa kontrollierten Lieferungen) auf der anderen Seite. Wem an den Bürgerrechten in Europa gelegen ist, der kann sich nicht damit zufrieden geben, dass eine formelle „Sachleitungsbefugnis einer Staatsanwaltschaft“ hergestellt wird.

Bündnis Aktiver Fußballfans – BAFF (Hg.): Die 100 „schönsten“ Schikanen gegen Fußballfans. Repression und Willkür rund ums Stadion, Grafenau (Trotzdem Verlagsgenossenschaft) 2004, 159 S., EUR 10,–

Keine Analyse polizeilichen Verhaltens und ihres Gegenübers liefert diese Broschüre, sondern viele Schlaglichter auf das (vor allem) polizeiliche Geschehen in und um Fußballstadien. Unter dem Motto „Reclaim the game!“ hat eine Redaktionsgruppe Erfahrungsberichte von Fans aus den letzten Jahren zusammengestellt. Die Sammlung – ergänzt um einige Verhaltenstipps – will „einen kleinen exemplarischen Überblick über die Vielfältigkeit der Schikanen“ liefern. Es sei an der Zeit, dass die Fußballfans sich selbst in der Öffentlichkeit zu Wort meldeten, um „authentisch und deutlich verstanden zu werden“: „Egal ob nun gegen Rassismus, ausgrenzende Kommerzialisierung, ordnungspolitische Willkür oder gegen die generelle Konstruktion von Fußballfans als ‚gefährliche Gruppe‘.“ (S. 7).

Die meist kurzen Protokolle geben Einblick in eine Welt von Entwürdigungen und Misshandlungen, von übersteigertem Sicherheitswahn und lächerlichen Schikanen, von der Willkür der Ordnungskräfte, von der Rechtlosigkeit und dem Widerstandswillen ihrer Klientel. Wer sich über das Fußballspiel als sicherheitsbezogene Veranstaltung informieren will, erfährt in dieser Veröffentlichung jede Menge Geschichten. Er oder sie erfährt auch einiges über das Selbstverständnis derjenigen Fans, die sich gegen die Etikettierung als Gewalttäter wehren. Das ist angesichts beliebter Zuschreibungen bitter nötig.

(sämtlich: Norbert Pütter)