von Anja Lederer
Nach dem 11. September 2001 blieben auch in der Bundesrepublik „Terrorwarnungen“ nicht aus. Die Palette der Schreckensmeldungen abseits von der immer aufs Neue bemühten „abstrakten Gefahr“ reichte von drohenden Flugzeug- und Schiffsentführungen über angeblich geplante Anschläge auf Forschungsreaktoren bis zum „Virenalarm“.
Am 5. September 2002 stürmte ein Sondereinsatzkommando der Polizei die Wohnung des türkischen Staatsangehörigen Osman P. und seiner US-amerikanischen Freundin Astrid E. in Walldorf.[1] Wenige Tage zuvor hatten Bundesinnenminister Otto Schily und seine „Sicherheitsbehörden“ angesichts des kommenden Jahrestages der Anschläge in den USA vor einer „hohen Gefährdung für Deutschland“ gewarnt. Was die Polizei in der Walldorfer Wohnung fand, schien diese Gefahr zu untermauern.
Gerade noch rechtzeitig habe man Sprengstoff und Rohrbomben sichergestellt. Die Polizei habe einen womöglich unmittelbar bevorstehenden Anschlag auf US-Militäreinrichtungen oder die Heidelberger Innenstadt verhindert, freute sich Baden-Württembergs Innenminister Thomas Schäuble tags darauf vor JournalistInnen. Für die Sprecherin seines Ministeriums schien ein „Zusammenhang zur Terrororganisation Al Qaida“ nur logisch. Davon sei auszugehen, „wenn wir in diesen Zeiten jemanden festnehmen und eine große Menge Sprengstoff finden.“
Schon wenige Tage nach den Festnahmen traten Politiker und Ermittler den geordneten Rückzug an. Innenminister Schäuble musste einräumen, dass die in der Wohnung gefundenen fünf Rohrbomben nicht einsatzbereit waren: „Der Mann war offenbar noch im Experimentierstadium“. Die Staatsanwaltschaft hielt den Fall bereits für „ziemlich hochgespielt“, und für Heidelbergs Oberbürgermeisterin waren die Warnungen vor einem Anschlag in der Altstadt „erheblich überzogen“. Auch das von Schäuble gezeichnete Bild des „strenggläubigen Muslim“ ließ sich nicht mehr halten: Nachbarn hatten berichtet, Osman P. habe „Rap gehört, Bier getrunken und Haschisch geraucht.“ Die in der Wohnung gefundenen Rohrstücke erwiesen sich als ungeeignet für den Bau von Bomben. Was für die Ermittler blieb, war die „Absicht“ und die „war klar da.“ Die Erklärung des Festgenommenen beim Haftprüfungstermin, er habe bloß „Knaller“ bauen wollen, wurde als Schutzbehauptung abgetan. Osman P. und Astrid E. blieben weiterhin in U-Haft.
Schon Mitte Oktober jedoch hatten Vernehmungen ergeben, dass mit der Belastungszeugin und Tippgeberin, deren Aussagen beim FBI und vor den deutschen Strafverfolgungsbehörden das Verfahren in Gang gebracht hatten, kein Blumenpott zu gewinnen war: „Psychisch auffällig“, eine „notorische Diebin und Lügnerin“, lauteten die Charakterisierungen. Trotzdem erhob die Staatsanwaltschaft im Januar 2003 Anklage wegen „gemeinschaftlicher Verabredung zum Herbeiführen einer Sprengstoffexplosion“. In der Hauptverhandlung vor dem Landgericht Heidelberg im April 2003 widerrief die Belastungszeugin ihre Aussage. Die Mär vom „Heidelberger Terrorpärchen“, die es bis auf die Titelseiten US-amerikanischer Zeitungen geschafft hatte, war erledigt. Osman P. wurde wegen Sprengstoffdiebstahls und Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz zu achtzehn Monaten Gefängnis verurteilt und soll ausgewiesen werden, seine Freundin erhielt wegen Cannabisanbaus eine sechsmonatige Bewährungsstrafe.
Der Fall des „Heidelberger Terrorpärchens“ ist keineswegs der einzige, bei dem ein zweifelhafter „Hinweis aus der Bevölkerung“ zu Hausdurchsuchungen oder Razzien führte. Im September 2003 durchsuchte die Polizei nach einer solchen Mitteilung dreizehn Wohnungen in Frankfurt – ohne Ergebnis. Die Staatsanwaltschaft musste anschließend einen Pressebericht dementieren, wonach ein Selbstmordanschlag der Hamas auf die internationale Automobilausstellung verhindert worden sei.[2] Im April 2004 durchsuchen 200 Polizisten ebenfalls in Frankfurt eine Moschee. Anlass der Razzia war die Aussage eines neunjährigen Mädchens, in der Moschee würden Videos von Enthauptungen gezeigt. Auch hier gibt es kein Ergebnis – außer tagelangen Spekulationen (eines Teils) der Medien darüber, was an den Vorwürfen denn vielleicht doch dran sein könnte, und natürlich der Stigmatisierung der Betroffenen. Von September 2001 bis Juli 2004 registrierte der Zentralrat der Muslime nach Angaben seines Vorsitzenden, Nadeem Elyas, 70 Razzien in Moscheen und 1.400 Durchsuchungen in zugehörigen Büros oder Wohnungen. Nachträgliche Klagen hätten zwar meist Erfolg, der dringe aber nicht mehr in die Öffentlichkeit.[3]
Viel Gefahr
Das Interesse an „konkreten Fällen“ resultiert aber nicht nur aus der unverkennbaren Boulevardisierung der Medien. Es ist vielmehr von den Polizeibehörden, insbesondere dem Bundeskriminalamt (BKA), den Geheimdiensten und den „verantwortlichen“ Politikern mitproduziert, die seit September 2001 kaum eine Gelegenheit für abstrakte Terrorwarnungen auslassen und sich redlich bemühen, das politische Reizklima und die Empfänglichkeit der Öffentlichkeit für neue gesetzliche Verschärfungen aufrechtzuerhalten. Ein – unvollständiger – Überblick über solche Warnungen aus den Jahren 2002 und 2003 macht das deutlich.[4]
Ende April 2002 berichtet die Frankfurter Allgemeine über ein vertrauliches Schreiben aus dem BKA. Al-Qaida-Anhänger in Afghanistan planten, in Deutschland, Frankreich und Großbritannien je drei- bis vierhundert Menschen als Geiseln zu nehmen, um inhaftierte Gesinnungsgenossen freizupressen. Laut BKA könnten die Hinweise einen „ernsthaften Hintergrund“ haben. Nur eine Woche später berichtet die Berliner Morgenpost, dem BKA liege ein unbestätigter Hinweis vor, dass islamistische Terroristen Schiffsentführungen in mehreren europäischen Ländern planten. Das Amt hat aber nun „erhebliche Zweifel“ an der Glaubwürdigkeit. Ende Mai warnen Bundesnachrichtendienst (BND) und Verfassungsschutz vor gewaltbereiten Extremisten. Al Qaida habe sich neu organisiert und es sei gut möglich, dass die Organisation über radioaktive Abfälle verfüge. Im Falle eines Anschlages mit einer „schmutzigen“ Nuklearwaffe befürchtet der BND einen enormen Schock in der Bevölkerung. Nachdem Hobbyfunker in Kenia das Gespräch zweier Männer abgehört hatten, warnt der BND Mitte Juni vor Anschlägen gegen Passagierflugzeuge im deutschen Luftraum. Mitte Juli geht der Dienst davon aus, dass Bin Laden lebt und dass die Terroristen neue Strukturen bilden. Anfang September, als der erste Jahrestag der Anschläge auf die Twin Towers naht, warnt das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) vor einer „hohen Gefährdung“ Deutschlands; sein Dienstherr Otto Schily sieht aber „keine gesicherten Erkenntnisse über konkret geplante Attentate“. Nach den Anschlägen auf Bali konstatiert das BKA im Oktober ein deutlich gewachsenes Terror-Risiko in Deutschland: Galten zuvor vor allem jüdische oder US-Einrichtungen als bedroht, so hält das Amt nun die islamistischen Attentäter für nicht mehr so wählerisch. Anfang November bezeichnet BND-Präsident August Hanning einen Anschlag auf „ein weiches Ziel mit hohem Symbolwert“ als wahrscheinlich. Man beobachte verstärkte Aktivitäten des Al-Qaida-Netzwerks und mehr Kommunikation zwischen einzelnen Zellen. Von einer höheren Gefährdung müsse man auch in Deutschland ausgehen. Wo das Ziel liegen könnte, wisse der BND nicht.
Anfang Januar 2003 warnt das BKA vor möglichen Anschlägen tschetschenischer Terroristen in Westeuropa. Ende Januar hat das Amt Hinweise, dass zwanzig mutmaßliche Terroristen, Anhänger des afghanischen Warlords Hekmatjar, mit gefälschten pakistanischen Pässen nach Deutschland einreisen wollen. Nach einer „Sondersitzung hochrangiger Sicherheitsexperten“ am 14. Februar heißt es, die Terrorgefahr in Deutschland sei fast so hoch wie in den USA. Mit der Teilnahme an „Enduring freedom“ und der Inhaftierung mutmaßlicher Terroristen habe die BRD viel Hass auf sich geladen. Einen Monat vor dem Irak-Krieg hält Schily die Anschlagsgefahr für „größer als vor dem 11. September 2001“. Konkrete Hinweise auf Anschläge in Deutschland hat der Minister „bisher nicht“, erhöhte Wachsamkeit sei nötig. Im März werden die Sicherheitsvorkehrungen wegen des Krieges verstärkt. Der Berliner Innensenator Körting rechnet für seine Stadt jedoch nicht mit Gewaltakten. Nach den Selbstmordanschlägen in Casablanca warnt der BND im Mai vor neuen Terror-Attentaten. Gefahr bestünde nicht nur in Saudi-Arabien und Afghanistan, sondern auch in Europa. Im September hält das BKA Anschläge nicht mehr nur für möglich, sondern für wahrscheinlich …
Sicher an all diesen Warnungen ist einzig, dass selbst ihre UrheberInnen kaum in der Lage sind, den Wahrheitsgehalt der zugrunde liegenden Quellen zu bewerten. Der Quellenschutz ist schließlich oberstes Gebot auch im Informationsaustausch zwischen den Geheimdiensten.
Deutlich wurde dies zur Jahreswende 2003/2004, als der damalige Hamburger Innensenator Dirk Nockemann von der „Partei Rechtsstaatliche Offensive“ das Bundeswehrkrankenhaus in der Hansestadt mehrere Tage lang abriegeln ließ, weil sein Landesamt für Verfassungsschutz über das Bundesamt ein geheimes Papier mit der Anschlagswarnung eines „amerikanischen Dienstes“ erhalten hatte und sich dann in der „Zwickmühle“ zwischen Sicherheit und Quellenschutz wähnte. Das BKA kritisierte den Senator, weil er sich nicht mit den Bundesbehörden „rückgekoppelt“ hatte. Der Bundesinnenminister warf ihm seine „Geschwätzigkeit“ vor. Geheime Papiere müssten geheim bleiben.[5]
Viel Verdacht
Was an die Öffentlichkeit soll, ist in der Tat die Frage: BKA-Chef Jörg Ziercke erklärte im Februar 2005, das BKA habe in den drei zurückliegenden Jahren fünf Anschläge verhindert. Welche dies waren, verriet Ziercke nicht. Er lobte stattdessen das neu eröffnete Lagezentrum von BKA und BfV, das in Zukunft noch mehr diffuse Warnungen produzieren wird.[6] „164 Ermittlungsverfahren mit islamistisch-terroristischem Hintergrund“ waren Anfang 2005 bundesweit anhängig. In 107 dieser Fälle ließ die Bundesanwaltschaft wegen Mitgliedschaft in oder Unterstützung einer terroristischen Vereinigung ermitteln.[7] Die meisten der dabei durchgeführten Razzien und Überwachungen dürften nicht mehr erbracht haben als die Ausforschung der Szene. Dafür nämlich sind die Paragrafen 129 a und b des Strafgesetzbuches da.