Britisches Anti-Terror-Recht – Von „Notstandsbefugnissen“ zu „Kontrollanordnungen“

von Ben Hayes

Mit der Verabschiedung eines neuen „Prevention of Terrorism Act“ im März 2005 hat Großbritannien einen (vorläufigen) Höhepunkt in der 30-jährigen Geschichte seines Anti-Terror-Rechts erreicht.

Diese Geschichte begann im November 1974 mit dem „Prevention of Terrorism (Temporary Provisions) Act“ (PTA), den die Regierung nach einer ausgedehnten Anschlagsserie der IRA in nur einem Tag durchs Parlament paukte. Der damalige Labour-Innenminister Roy Jenkins sprach seinerzeit von einer „Kombination von drakonischen Befugnissen, die es so in Friedenszeiten noch nie gegeben hat.“[1] Der PTA enthielt im Wesentlichen drei Punkte: das Verbot der IRA und die Kriminalisierung ihrer Mitglieder, die Möglichkeit, Terrorismusverdächtige ausweisen zu können, sowie die Befugnis der Polizei, Personen auf Anordnung des Innenministers sieben Tage festhalten zu können. Die Ermächtigungen von 1974 glichen in vielerlei Hinsicht den zu Beginn des Zweiten Weltkriegs erlassenen Notstandsgesetzen.

Das Gesetz von 1974 erwies sich als ganz und gar nicht „temporär“. Über die nächsten 22 Jahre hinweg wurde der PTA vom Parlament jährlich erneuert. Nach einer Geiselnahme in der libyschen Botschaft im Jahre 1984 dehnte es die darin enthaltenen Befugnisse, die bis dahin nur für den Zusammenhang des Nordirland-Konfliktes galten, auf den „internationalen Terrorismus“ aus. Erst als der nordirische Friedensprozess Mitte der 90er Jahre Gestalt annahm, regte sich auch im Parlament eine wachsende Opposition gegen die jährliche Erneuerung des Gesetzes. Mehr als 7.000 Personen meist irischer Abkunft waren bis dahin in Großbritannien (ohne Nordirland) inhaftiert, fast alle jedoch ohne Anklage wieder freigelassen worden. Nur ein „Bruchteil wurde einer Straftat beschuldigt, die im weitesten Sinne etwas mit Terrorismus zu tun hat.“[2] Darüber hinaus gab es eine Reihe gravierender Fehlurteile. Nichtsdestoweniger kam eine von der konservativen Regierung 1996 eingesetzte Untersuchungskommission zu dem Ergebnis, dass das Vereinigte Königreich unabhängig von der Situation in Nordirland ein permanentes Anti-Terror-Gesetz brauche.

Ein Gesetz auf Dauer: der „Terrorism Act 2000“

Die Labour-Regierung unter Tony Blair befolgte den Rat ihrer Vorgängerin. Ihr Anti-Terror-Gesetz 2000 war nicht nur auf Dauer angelegt, sondern ging über alle vorherigen befristeten Ausnahmegesetze weit hinaus.[3] Im PTA war seit 1974 unter Terrorismus der „Gebrauch von Gewalt für politische Zwecke“ verstanden worden. Das neue Gesetz dehnte diese Definition erheblich aus: Als Terrorismus gilt danach die Drohung mit oder die Ausführung einer „Handlung“ innerhalb oder außerhalb des Vereinigten Königreichs, die irgendeiner „politischen, religiösen oder ideologischen Sache“ dient und die dazu geeignet sein muss, die Regierung zu „beeinflussen“ oder die Öffentlichkeit bzw. einen Teil von ihr „einzuschüchtern“. Das Gesetz enthält eine Liste möglicher einschlägiger „Handlungen“: „schwere Gewalt gegen eine Person“, „schwere Sachbeschädigung“, Gefährdung des Lebens einer Person, Verursachung einer „ernsthaften Gefahr für die öffentliche Gesundheit und Sicherheit“ sowie „schwere Eingriffe oder die Unterbrechung eines elektronischen Systems“. Ob die gegebenenfalls dabei eingesetzten Waffen sich dazu eignen, Regierung oder Öffentlichkeit „einzuschüchtern“, spielt bei diesem weiteren Definitionskriterium keine Rolle. Der Terrorismusbegriff hatte also schon vor dem 11. September einen ziemlichen Weg hinter sich.

Das Gesetz erweitert die Befugnisse der Polizei zu verdachtsunabhängigen Kontrollen und zur Durchsuchung von Personen und Fahrzeugen. Die Polizei darf eine verdächtige Person sieben Tage festhalten, nach den ersten 48 Stunden bedarf es einer richterlichen Genehmigung. Sie kann ohne Anordnung Wohnungen durchsuchen und erhält Zugang zu Bank- und Finanzdaten. Nach dem Terrorism Act können Notstandsregionen („emergency areas“) festgelegt werden. Ausgedehnt wurden auch die Befugnisse des Innenministeriums zum Verbot von Organisationen und damit auch zur Kriminalisierung von UnterstützerInnen. Neben 14 nordirischen Organisationen sind seitdem insgesamt 25 ausländische Gruppierungen für illegal erklärt worden.

Nach dem 11. September 2001 wurden die neuen Befugnisse umfassend genutzt. London wurde sofort zur Notstandsregion mit erweiterten Polizeibefugnissen erklärt und behielt diesen Status bis heute. Die verdachts­unabhängigen Kontrollen trafen vor allem die schwarzen und asiatischen Gruppen der Bevölkerung. Im März 2005 gab ein Staatssekretär im Innenministerium eine sehr bezeichnende Erklärung für diese diskriminierende Anwendung des Gesetzes und damit faktisch für einen Verstoß gegen den Race Relations Act, der die Behörden zur Gleichbehandlung verpflichtet: Die muslimische Bevölkerung werde stärker kontrolliert, weil sie eben eine größere Gefahr darstelle.[4]

Im Januar 2004 nahm das Parlament eine wenig beachtete Änderung des Gesetzes vor und erweiterte die Frist, während der die Polizei eine Person ohne Beschuldigung festhalten und befragen darf, von sieben auf vierzehn Tage.[5] Nach Angaben des Innenministeriums wurden von den seit dem 11. September 2001 auf der Basis des Terrorism Act verhafteten 701 Personen 119 wegen „terroristischer Straftaten“ angeklagt und 17 verurteilt.[6] Viele der Anklagen wurden jedoch fallen gelassen und von den Verurteilungen bezog sich ein beachtlicher Teil auf Nordirland.[7]

Haft ohne Urteil: der ATCSA 2001[8]

Nach dem 11. September schienen der Regierung die ohnehin schon ausufernden Befugnisse des Terrorism Act 2000 nicht mehr ausreichend. Ihr Argument für das nun geplante neue Gesetz lautete: Die Geheimdienste wüssten, wer die Terroristen seien. Man könne sie aber nicht abschieben, weil sie anerkannte Flüchtlinge seien oder im Herkunftsland Folter oder politischer Verfolgung ausgesetzt wären. Angesichts der Gefahr, die diese Leute darstellten, müsse die Möglichkeit geschaffen werden, sie präventiv ohne normales Strafverfahren in Haft zu nehmen. Die Betroffenen seien aber frei, in einen anderen Staat zu gehen, wenn sie einer aufnehmen würde – eine etwas merkwürdige Alternative für angeblich gefährliche Terroristen. Der „Anti-terrorism, Crime and Security Act“ (ATCSA) trat am 14. Dezember 2001 in Kraft. Das Vereinigte Königreich musste dafür seine Verpflichtungen nach Art. 5 der Europäischen Menschenrechtskonvention kündigen, der ein faires Gerichtsverfahren fordert. Jetzt war es möglich, Personen auf der Grundlage geheim gehaltener „Beweise“ festzuhalten. In einer geheimen Verhandlung werden sie statt durch einen Verteidiger ihres Vertrauens von „special advocates“ vertreten, die die Regierung bestimmt. Später sollte sich heraus stellen, dass ein erheblicher Teil der vorgelegten „Beweise“ auf Informationen beruhte, die in „befreundeten“ Staaten rund um die Welt durch Folter erpresst wurden.

Bereits am 15. Dezember 2001 holte man zehn Personen zu Hause ab und brachte sie in die Hochsicherheitsgefängnisse Belmarsh und Woodhill. Ihre Familien hatten keine Ahnung, was da vor sich ging, und kannten auch den Aufenthaltsort ihrer Angehörigen nicht. Niemand wurde über die Verhaftung informiert. Nur per Zufall lief ein Teil der Verhafteten bei ihrer Ankunft in Belmarsh einem Untersuchungsgefangenen über den Weg, der seine Anwältin darüber informierte, dass es da eine Reihe neuer Gefangener gäbe, denen man den Kontakt zur Außenwelt verweigere und die dringend eine Verteidigung benötigten. Erst nach Weihnachten konnten die Verhafteten Besuche empfangen.

Insgesamt sind seit Dezember 2001 17 muslimische Männer auf der Grundlage des ATCSA verhaftet worden. Im Oktober 2004 stellte ein ärztlicher Bericht bei allen Verhafteten „schwere gesundheitliche Schädigungen“ fest, drei Gefangene mussten ins Hochsicherheitskrankenhaus Broadmoor verlegt werden.[9] Im Dezember 2004 erklärten die Lordrichter die Haftbestimmungen des ATCSA für illegal. Die Inhaftierten mussten nun „freigelassen“ werden, d.h. sie wurden unter Hausarrest gestellt. Dies geschah allerdings nicht sofort, sondern erst, nachdem im März 2005 ein neues Anti-Terror-Gesetz dafür die Regelungen geschaffen hatte.

Der Prevention of Terrorism Act 2005

Für die Beratung des „Prevention of Terrorism Act 2005“[10] benötigte das Parlament gerade dreizehn Tage. Richtete sich der ATCSA nur gegen ausländische Personen, so erlaubt es das neue Gesetz, gegen alle Personen, die der „Aktivitäten im Zusammenhang mit Terrorismus“ verdächtigt werden, „Kontrollanordnungen“ und „Auflagen“ zu verhängen. Dazu gehören Hausarrest (wofür Art. 5 EMRK weiter gekündigt bleibt), die Überwachung mithilfe elektronischer Fußfesseln (die von einer Privatfirma betrieben wird), Beschränkungen hinsichtlich der Beschäftigung einer Person, das Verbot der Internet-Nutzung, Beschränkungen der Bewegungsfreiheit (auf eine Stadt oder ein bestimmtes Gebiet) sowie der Freiheit, Besuche zu empfangen (es bedarf vorheriger Erlaubnisse). Kontrollanordnungen können für ein Jahr verhängt, aber jährlich verlängert werden. Verstößt eine Person gegen die Auflagen, kann sie ohne jedes Strafverfahren oder sonstige justizielle Überprüfung ihres Falls für fünf Jahre inhaftiert werden.

Die drei großen Parteien, die sich auf diese Kontrollanordnungen und Auflagen geeinigt haben, ernteten bei AnwältInnen und Menschenrechtsorganisationen nur Hohn und Spott. Die absurde Logik der Anordnungen deckte der „Guardian“ in einem Interview mit Mahmoud Abu Rideh, einem palästinensischen Flüchtling, auf, der während dreieinhalb Jahren in Belmarsh inhaftiert war. Abu Rideh kann sich mit niemanden zu einem Treffen verabreden, aber er kann irgendjemanden aufsuchen, wenn er das ohne vorherige Ankündigung tut. Er kann nicht an vorher angesetzten Sitzungen oder Versammlungen teilnehmen, aber er war bei der Anti-Kriegs-Demonstration im Hyde Park am 19. März 2004; er sei da zufällig hineingelaufen. Er darf nur vorher polizeilich überprüfte Besucher empfangen, aber es ist ihm erlaubt, sich mit anderen zum gemeinsamen Gruppengebet in der Moschee zu verabreden. Überraschende Wohnungsdurchsuchungen durch Beamte von Scotland Yard sind eine ständige nervliche Belastung für seine Familie, sagt Abu Rideh. Seine Frau müsse immer bekleidet Schlafen, falls die Polizisten kommen. Abu Rideh hat die Beschuldigungen, Al Qaida nahestehende Gruppen logistisch unterstützt zu haben, immer bestritten. Er kann die Lebensbedingungen, die ihm der Innenminister aufgezwungen hat, nicht mehr ertragen. Als Ergebnis dieser Behandlung leidet er unter schweren psychischen Störungen und wurde kürzlich nach einem Suizidversuch in ein Krankenhaus eingeliefert.[11]

Ohne den Schutz des Gesetzes

In der parlamentarischen Beratung waren nicht die Kontrollanordnungen selbst kontrovers. Man stritt sich vielmehr um drei andere Punkte: die Einbeziehung der Justiz, die Anforderungen an die vorzulegenden Belege für den Verdacht sowie eine Befristung der Gültigkeit des Gesetzes. Man einigte sich angesichts des Wahltermins im Mai und der damit bevorstehenden Auflösung des Parlaments: Statt des Innenministers sollen Richter über die Anordnungen entscheiden. Statt der ursprünglich vorgesehenen „ernsthaften Gründe für den Verdacht“ ist nun die „Abwägung aller Möglichkeiten“ erforderlich. Der PTA 2005 ist zwar nicht befristet, wird aber jährlich überprüft. Die Regierung stellte ein neues Gesetz in Aussicht. Trotz dieser Kompromisse bleiben wesentliche Elemente erhalten, die mit dem Anti-Terror-Gesetz von 2001 eingeführt worden waren: geheime Beweise, geheime Verhandlungen und ein Spezialverfahren außerhalb des normalen Strafprozesses. In der Praxis ist der Innenminister nur gefordert, einen Richter mit einem Geheimdienstdossier zufrieden zu stellen. Rechtsanwältin Gareth Peirce hält es deshalb für einen Trugschluss zu meinen, dieses Spezialverfahren könnte dadurch verbessert werden, dass ein Richter über die Auflagen entscheidet.

„Die Einführung eines Richters – sei es zu Beginn oder irgendwann später in diesem ungerechten Verfahren – kann nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass dieses ganze Verfahrenskonstrukt dazu geschaffen wurde, um die verfassungsmäßigen Schutzbestimmungen eines fairen, öffentlichen und offenen Strafprozesses zu umgehen. Der wichtigste Aspekt eines fairen Verfahrens besteht darin, dass dem Beschuldigten zum frühest möglichen Zeitpunkt die gegen ihn gerichteten Vorwürfe eröffnet werden, damit er die Chance hat, sich zu verteidigen. Hier dagegen gilt: Ist ein Individuum erst einmal als Terrorist gebrandmarkt, werden alle Informationen die diese Brandmarkung rechtfertigen sollen, hinter verschlossenen Türen verhandelt.“[12]

Ben Hayes ist Mitarbeiter von Statewatch in London.
[1] Bunyan, T.: History and Practise of the Political Police in Britain, London 1997, p. 54
[2] s. das „briefing“ von Liberty vom November 2001: www.liberty-human-rights.org.uk/ resources/policy-papers/policy-papers-2001/pdf-documents/nov.pdf
[3] vgl. Terrorism Act 2000, in: Statewatch Bulletin 2000, no. 5
[4] Stop & search: Ethnic injustice continues unabated, in: Statewatch Bulletin 2005, no. 1
[5] Criminal Justice Act 2003, Section 306
[6] schriftliche Antwort des Innenministeriums, Hansard, 7 March 2005, col. 1621W
[7] s. Studie des Institute of Race Relations: www.irr.org.uk/pdf/terror_arrests_study.pdf
[8] s. Internment under the ATCS Act, in: Statewatch Bulletin 2004, no. 1
[9] www.statewatch.org/news/2004/nov/belmarsh-mh.pdf
[10] s. The Prevention of Terrorism Act 2005, in: Statewatch Bulletin 2005, no. 1
[11] The Guardian v. 24.3.2005
[12] Peirce, G.: A stampede against justice, in: Statewatch Bulletin 2005, no. 1