„Ordnung muss sein“ – Ein Jahr „Kiezstreifen“ der Berliner Ordnungsämter

von Roland Otte

Im September 2004 traten die ersten Außendienstmitarbeiter der bezirklichen Ordnungsämter in Berlin ihren Dienst an. Vorangegangen war eine lange Debatte um Kompetenzen und Bewaffnung der „Kiezstreifen“. Für Bürgerinnen und Bürger bleibt undurchsichtig, was die nichtpolizeilichen Ordnungshüter eigentlich dürfen.

In Großstädten wie Berlin tun Menschen so einiges, was zwar nicht kriminell, aber nicht erlaubt ist: Abfall fallen lassen, falsch parken, auf Gehwegen Rad fahren, den Hund ohne Leine laufen lassen, ohne Genehmigung Straßenfeste feiern usw. Polizeibeamte haben in der Regel andere Dinge zu tun, als sich intensiv um Ordnungswidrigkeiten zu kümmern. Zwar wird die Polizei auch im Rahmen der Gefahrenabwehr tätig, wenn dies durch eine andere Behörde nicht oder nicht rechtzeitig möglich erscheint.[1] Eigentlich ist die Gefahrenabwehr jedoch Aufgabe der Ordnungsbehörden.[2] Die Ordnungsaufgaben sind auf eine Vielzahl von Fachbehörden verteilt, im Stadtstaat Berlin zudem differenziert nach Landesebene und Bezirksebene. Diese Gemengelage zu straffen und personelle Voraussetzungen für die Ahndung von Ordnungswidrigkeiten zu verbessern, waren die Ziele des Senats bei der Einrichtung einheitlicher bezirklicher Ordnungsämter.

Über das erste Ziel, Ordnungsaufgaben neu zu bündeln und bei den Bezirken anzusiedeln, gab es kaum Dissens. Wer wollte widersprechen, dass es sinnvoll ist, wenn z.B. für die Genehmigung eines Straßenfestes nur ein Ämtergang fällig ist statt mehrerer? Im Juni 2003 forderte das Berliner Abgeordnetenhaus den Senat einstimmig auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen.[3]

Das zweite, bereits früh von der CDU forcierte Ziel bezog sich auf die Schaffung eines neuen Überwachungstrupps zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten. Die Begründung eines Antrags der CDU-Fraktion im Abgeordnetenhaus liest sich wie folgt: „Die Stadt Berlin verwahrlost zunehmend. Verbote werden nicht mehr beachtet, das öffentliche Eigentum wird nicht mehr geachtet. Vandalismus und Rücksichtslosigkeit breiten sich aus … Ein Gemeinwesen, das nicht in der Lage ist, das öffentliche Eigentum zu schützen und die Einhaltung der gesetzten Norm durchzusetzen, hat keine Daseinsberechtigung.“[4]

Zwar wurde der CDU-Antrag abgelehnt, der rot-rote Senat legte aber im folgenden Jahr ein Gesetz zur Einrichtung bezirklicher Ordnungsämter vor, das ebenfalls (mit weniger drastischen Worten) eine bisher unzureichende Verfolgung von Ordnungswidrigkeiten als zu lösendes Problem beschreibt und vor allem den Außendienst der neuen Ordnungsämter regelt.[5]

Mit Schlagstöcken gegen „Ekel-Griller“?

Wie kam es zu der Verschiebung vom Schwerpunkt „bürgerfreundliche Verwaltungsreform“ zum Schwerpunkt „Außendienstkontrollen“? Auftrieb erhielt der CDU-Antrag durch die Boulevardpresse, die wiederholt Ordnungswidrigkeiten skandalisierte und hartes Durchgreifen forderte. Im Sommer 2003 entdeckte sie das wilde Grillen im Tiergarten als größte Gefahr der öffentlichen Ordnung. Das Springer-Blatt B.Z. erfand hierfür eigens das Wort „Ekel-Griller“ und veröffentlichte „Beweisfotos“ über deren Hinterlassenschaften.[6] Ein anderes Mal war es regelwidriger Autoverkauf auf der Straße, der die Notwendigkeit von schlagkräftigen Ordnungsdienstmitarbeitern beweisen sollte. So jubelte die B.Z. über den Bezirksbürgermeister Klaus-Ekkehard Band (SPD): „Ein Mann greift durch: … Er sagt dem illegalen Autohandel den Kampf an, will Kiezpolizisten aufrüsten und Jugendgangs von der Straße holen.“[7] Nach Bands Forderung, die neu einzurichtenden Ordnungsämter mit Schlagstöcken, Handschellen und Reizgas auszustatten, konzentrierte sich die mediale wie die parlamentarische Debatte auf Ausrüstung, Befugnisse und Aufgaben der Außendienstmitarbeiter. In den Hintergrund geriet dabei der Ansatz bürgerfreundlicher Verwaltungsmodernisierung. Völlig ausgeblendet wurden Fragen nach dem sozialen Kontext der beanstandeten Regelwidrigkeiten, nach Konkurrenzen unterschiedlicher Nutzungsvorstellungen des öffentlichen Raumes (z.B. Grillen versus Kontemplation) und nach der Verhältnismäßigkeit der Forderung, Normverletzungen – seit jeher Teil der urbanen Realität – mit allen Mitteln zu unterbinden.

Kiezpolizei“

Mit dem Begriff „Kiezpolizei“ war die Erwartung geweckt worden, die Ordnungsämter könnten überall schnell vor Ort sein, hätten umfassende polizeiliche Befugnisse und könnten sich nebenbei auch noch um Aufgaben wie die Schlichtung von Nachbarschaftsstreitigkeiten kümmern. Diesen Erwartungen konnte das schließlich am 17. Juni 2004 beschlossene Gesetz freilich nicht erfüllen.[8] Eine Omnipräsenz ist bei vorgesehenen 300 Stellen – verteilt auf die zwölf Berliner Bezirke, die jeweils die Einwohnerzahl einer Großstadt haben – nicht möglich. Diese Zielgröße wurde zudem kaum erreicht, weil wenig Verwaltungsangestellte die Neigung verspürten, sich in ein Amt versetzen zu lassen, dessen Aufgabe es nach medialer Darstellung sein sollte, sich ständig mit renitenten Randgruppen herumzuschlagen. Zudem können Mitarbeiter der Ordnungskräfte nach achtwöchiger Schulung kaum Aufgaben übernehmen, die aus guten Gründen der Polizei vorbehalten sind (oder gar der Jugend- und Sozialarbeit überlassen werden sollten).

Die verfassungsrechtlichen Grenzen bei der Übertragung polizeilicher Aufgaben an Angestellte der Ordnungsämter spielten im Gesetzgebungsprozess durchaus eine Rolle. Mit Änderungen zur Senatsvorlage wurde die Verordnungsermächtigung präzisiert, die die Humanistische Union und die Fraktionen der Grünen und der FDP als zu weitgehend kritisiert hatten.[9] Statt dem Senat pauschal zu erlauben, Aufgaben und Befugnisse der Dienstkräfte festzulegen, wurde klargestellt, dass eine entsprechende Verordnung nur Regelungen und Begrenzungen im Rahmen bestehender Gesetze treffen darf. Zudem wurde festgehalten, dass die Ausrüstung (Schlagstöcke, Pfefferspray) nur zur Notwehr bzw. Nothilfe eingesetzt werden darf.

Aus bürgerrechtlicher Sicht bleiben jedoch Bedenken. Trotz Beschränkung auf Jedermannrechte und Notwehr wurden die Dienstkräfte der Ordnungsämter kurzerhand zu Vollzugsbeamten im Sinne des Gesetzes über die Anwendung unmittelbaren Zwanges (UZwG) erklärt. Auch die Begrenzung auf gesetzliche Kompetenzen ist nur ein schwacher Trost, da die Verordnung eine lange Liste bestehender Gesetzesbestimmungen auflistet, nach der Ordnungsbehörden breite quasi-polizeiliche Befugnisse in Anspruch nehmen können.[10] Einschlägig ist u.a. das Allgemeine Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG Berlin), das – nomen est omen – seit jeher polizeiliche Aufgaben und Ordnungsaufgaben in unübersichtlicher Weise vermengt. Die Ordnungsämter berufen sich zudem auf Bundesgesetze,[11] wenn sie z.B. Radfahrer festhalten.

Dass die neuen Ordnungshüter es nicht bei Verwarnungen belassen, musste im Mai dieses Jahres auch eine Studentin erleben, die hochschwanger im Park festgehalten wurde. Vorgeworfen wurde ihr ein Verstoß gegen das Grünanlagengesetz: Radfahren im Park. Dass sie auf dem Weg zum Arzt war, wurde ihr nicht geglaubt. Empört über die ruppige Behandlung stellte sie eine Dienstaufsichtsbeschwerde. Die ergab, dass alles mit rechten Dingen zugegangen sei und sie weiterhin 20 Euro zu zahlen habe. Festhalten wegen solcher Ordnungswidrigkeiten darf allenfalls die Polizei? Das war einmal.

Roland Otte ist Landesvorstandsmitglied der Humanistischen Union und arbeitet als Fraktionsmitarbeiter von Bündnis 90/Die Grünen im Abgeordnetenhaus von Berlin.
[1] § 4 Abs. 1 Allgemeines Sicherheits- und Ordnungsgesetz (ASOG)
[2] § 2 ASOG
[3] Abgeordnetenhaus Berlin, Plenarprotokoll 15/33 v. 26.6.2003, S. 2596 B
[4] Antrag der CDU-Fraktion „Gesetz über die Wahrnehmung der bezirklichen Ordnungsaufgaben in Berlin (Berliner Ordnungsämtergesetz (BOÄG)“, Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 15/1794 v. 12.6.2003
[5] Vorlage – zur Beschlussfassung – „Gesetz zur Errichtung bezirklicher Ordnungsämter (OÄErrG)“, Abgeordnetenhaus Berlin, Drucksache 15/2843 v. 11.5.2004
[6] B.Z. v. 17.6.2003 und 21.6.2003
[7] B.Z. v. 11.3.2004
[8] Gesetz- und Verordnungsblatt Berlin (GVBl.) Nr. 26 v. 2.7.2004, S. 253-255
[9] Humanistische Union, Landesverband Berlin: „Lex ‚Ekel-Griller‘ gibt dem Senat ungeahnte Möglichkeiten“, Pressemitteilung v. 3.6.2004
[10] Verordnung vom 1. September 2004, in: GVBl. Berlin, Nr. 36 v. 1.9.2004, S. 364 f.
[11] Laut § 3 Abs. 2 Nr. 5 der Verordnung sind die Ordnungsdienstmitarbeiter aufgrund § 46 Abs. 1 Ordnungswidrigkeitengesetz in Verbindung mit § 163 b Abs. 1 Satz 1 1. Halbsatz und Satz 2 Strafprozessordnung auch befugt zum Festhalten zur Identitätsfeststellung.