Pressefreiheit light – Durchsuchungen als Mittel der Einschüchterung

von Anja Lederer

Mitte der 90er Jahre registrierte die IG Medien „eine Durchsuchungsaktion in Redaktionen und Journalistenwohnungen pro Monat. Mindestens.“[1] Aktuelle Vergleichszahlen fehlen zwar. Fälle aus dem zurückliegenden Jahr zeigen allerdings, dass die Hemmschwelle für staatliche Eingriffe in die Pressefreiheit keineswegs gestiegen ist.

Nahezu unbemerkt und ohne nennenswertes Echo der deutschen Presse ließ der damalige Bundesinnenminister Otto Schily am 5. September 2005 die kurdische Tageszeitung „Özgür Politika“ (Freie Politik) dichtmachen.[2] Aufgrund einer Verbotsverfügung gegen die seit über zehn Jahren in Frankfurt am Main erscheinende Zeitung beschlagnahmte die Polizei alle 40 PCs der Redaktion, sämtliche Unterlagen, das gesamte Archiv, Mobiliar, Papierkörbe, Grünpflanzen und die Mineralwasservorräte. Das Vermögen der E. Xani-Herausgebergesellschaft in Höhe von 22.000 Euro und 70.000 Schweizer Franken wurde eingezogen. Die formale Begründung des Verbots: Die Tageszeitung „Özgür Politika“ und der dahinter stehende Verlag seien „nachweislich in die Organisationsstruktur der PKK (heute Kongra Gel) eingebunden“, die Zeitung sei als „Sprachrohr der PKK“ einzustufen. Der Zeitpunkt des Verbots ergäbe sich, so die ministerielle Anordnung vom 30. August, „aus der in den letzten Monaten eskalierenden Sicherheitslage in der Türkei“.

Seit „Özgür Politika“ 1995 erstmals in der BRD erschien, ist die Zeitung mit einer Auflage von ca. 10.000 Exemplaren eine der wichtigsten Informationsquellen für KurdInnen hierzulande und in Westeuropa. Da Meldungen aus Kurdistan und der Türkei den Schwerpunkt ihrer Berichterstattung bilden, kann es nicht erstaunen, dass die Zeitung durchaus auch die Auffassungen des Kongra Gel darstellt. Bislang hat sich das Bundesinnenministerium daran nicht gestört, und trotz des seit 1993 bestehenden PKK-Verbots blieben vergleichbare Repressionsmaßnahmen des deutschen Staates gegen „Özgür Politika“ bisher aus. Anlässlich des polizeilichen Überfalls auf die Redaktion wiesen die Herausgeber denn auch ausdrücklich darauf hin, dass es bisher kein Strafverfahren gegen Verlag, Geschäftsleitung oder Redaktion gegeben habe. Dass vermeintliche Verflechtungen zwischen der Zeitung und der PKK-Nach­fol­georganisation lediglich vorgeschoben und auch der Zeitpunkt der Aktion anderweitig motiviert waren, ist offenkundig. Kurz vor der Bundestagswahl ging es Schily mit dem Zeitungsverbot augenscheinlich darum, noch einmal „law and order“ sowie „Terrorbekämpfung“ zu demonstrieren und damit strammdeutsches wie türkischstämmiges Wählerklientel zu bedienen. „Hürriyet“ vermeldete, dass sich die türkische Regierung umgehend bei Schily bedankt habe.[3]

Mit Beschluss vom 18. Oktober erklärte der 6. Senat des Bundesverwaltungsgerichts das Verbot allerdings für rechtswidrig. Es bestünde kein öffentliches Interesse daran, das Erscheinen der Zeitung zu untersagen.[4] Nach Auffassung der Bundesrichter ist Schilys Argumentation unzureichend. Die Verlagsgesellschaft werde mit ihrer Klage gegen die Verbotsanordnung im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben. Der aufgrund des Verbots eingetretene wirtschaftliche Schaden des Verlags beträgt mehrere Hunderttausend Euro.

Durchsucht und lahmgelegt

Bereits am 5. Juli 2005 hatte die Bochumer Staatsanwaltschaft die Wohnungen der drei Mitglieder von Redaktion bzw. Vorstand des Labournet.de e.V. durchsuchen lassen. Gegen die Betroffenen soll ein „Anfangsverdacht“ wegen Urkundenfälschung bestehen. Ende Dezember 2004 hätten in Bochum Flugblätter mit dem Briefkopf der Bundesagentur für Arbeit und einem der Bundesagentur angedichteten Angebot an Privathaushalte kursiert, „Ein-Euro-Haushaltshilfen“ zu vermitteln. Das nachfolgende Bekennerschreiben eines „Kommandos Paul Lafargue“ enthielt offenbar einen Hinweis auf die Homepage und eine Aktion des Labournet.de, ohne dass es einen weiteren Bezug zu dem Verein gegeben hätte.[5] Labournet erklärte umgehend, dass ihm der Vorgang nicht bekannt und der Name offenbar missbraucht worden sei. Dennoch gaben die Strafverfolgungsbehörden die beschlagnahmten Computer der Redaktion erst nach Tagen, die mehr als 100 Datenträger und den Schriftverkehr erst nach Wochen zurück, nachdem sie offenbar alles sorgsam kopiert hatten.

Schon 2003 hatte sich die Staatsanwaltschaft im Fall Ulrich Sander eines ähnlichen Konstrukts bedient.[6] Sie beschuldigte den Journalisten und nordrhein-westfälischen Landesvorsitzenden des Vereins der Verfolgten des Naziregimes – Bund der Antifaschisten, auf staatsanwaltschaftlichen Kopfbögen gefälschte Schreiben an ehemalige Wehrmachtsangehörige verschickt zu haben. In diesen Schreiben wurde mitgeteilt, dass gegen die Empfänger Ermittlungen wegen Mordes im Zusammenhang mit Straftaten der Wehrmacht aufgenommen worden seien. Ihren Verdacht gegen Sander begründeten die Ermittler damit, dass sich der Journalist seit Jahren um die Aufklärung von Massakern u.a. an griechischen ZivilistInnen während des Zweiten Weltkriegs bemüht und Ermittlungen gegen die Täter eingefordert hatte. Nach einer Wohnungsdurchsuchung am 3. Dezember 2003 hatte die Polizei die Festplatte von Sanders PC kopiert, ohne jedoch irgendetwas Belastendes zu Tage fördern zu können. Das Ermittlungsverfahren gegen Sander wurde im Sommer 2005 sang- und klanglos eingestellt.

Mit hoher Wahrscheinlichkeit werden auch die noch laufenden Ermittlungen gegen die Betroffenen von Labournet irgendwann zu einer unspektakulären Einstellung führen. Dies ist der übliche Verlauf von Verfahren, die Zwangsmaßnahmen gegen JournalistInnen rechtfertigen sollen. Zwischen 1987 und 2002 zählte der Deutsche Journalisten-Verband (DJV) 160 Durchsuchungen in Pressebüros und Funkhäusern, ohne dass letztlich auch nur einer der Betroffenen wegen einer Straftat verurteilt worden wäre. Diverse Zeitungen hatten im Zusammenhang der „Cicero-Affäre“ (siehe unten) über diese Statistik berichtet.[7] Der DJV lehnte es jedoch ohne weitere Begründung ab, Bürgerrechte & Polizei/CILIP die Dokumentation für eine nähere Analyse zur Verfügung zu stellen.

Die Fachgruppe Journalismus der IG Medien zeigte bereits 1997 in ihrer „Chronik der äußeren Pressefreiheit“, dass der vermeintliche Anfangsverdacht, mit dem Durchsuchungen und Beschlagnahmen bei JournalistInnen oder in Redaktionen begründet werden, sich in der Regel auf Bagatelldelikte oder bestenfalls auf Straftaten der sog. mittleren Kriminalität bezieht.[8] Die Maßnahmen dienen auf dem Papier der Beweisgewinnung: entweder in Verfahren gegen Dritte (Beschlagnahme von Foto- und Filmmaterial von Demonstrationen, Suche nach „Bekennerschreiben“) oder gegen die Journalisten selbst (etwa weil ein kritischer Bericht als Beleidigung oder üble Nachrede interpretiert wurde). In einer Vielzahl von Fällen führen gerichtliche Nachprüfungen zu dem Ergebnis, dass hinreichende Verdachtsgründe, die die Durchsuchung hätten recht­fertigen können, tatsächlich von Anfang an nicht vorlagen.

Kriminalisiert und „ausgespäht“

In dieses Muster passt auch die Durchsuchung der Redaktionsräume der Zeitschrift „anti atom aktuell“, bei der am 11. August 2005 drei PCs und eine Vielzahl von Datenträgern beschlagnahmt wurden. Begründet wurde die Aktion mit dem Verdacht einer „Anstiftung zu Straftaten“: Die Staatsanwaltschaft Lüneburg bezog sich dabei auf die Internetseite des „prekär-camps“, an dessen Vorbereitung sich die Beschuldigten der „Zeitung für die sofortige Stilllegung aller Atomanlagen“ beteiligt hatten.[9] Auf der einem der Redakteure zugeschriebenen Website fand sich auch das Programm des Camps, in dem eine „Yomango-Modenschau“ angekündigt war. Yomango, so der zugrunde liegende Durchsuchungsbeschluss, stünde in der spanischen Umgangssprache für „ich stehle“. Der zuständige Richter soll später erklärt haben, laut Polizei werde auf der Website zu einer Aktion des organisierten Ladendiebstahls aufgerufen. Er habe nicht gewusst, dass es sich bei den beschlagnahmten Gegenständen um die Ausstattung einer Zeitungsredaktion handele. Ihm sei der Umgang mit dem Internet nicht vertraut und es sei ihm daher nicht möglich, sich die inkriminierte Homepage selbst anzuschauen. Auch eine angebotene Hilfestellung würde nicht weiterführen, denn er wolle sich damit nicht befassen.[10] Dass eine sorgfältige Sachverhaltsprüfung durch den zuständigen Richter elementare Grundvoraussetzung einer Durchsuchungsanordnung ist, stellte Mitte September das Landgericht Lüneburg auf eine Beschwerde der Betroffenen hin klar. Die Durchsuchungsbeschlüsse seien zu Unrecht erlassen worden – selbst zureichende tatsächliche „Anhaltspunkte, die einen Anfangsverdacht rechtfertigen, sind nicht ersichtlich“.

Beachtet

Im Gegensatz zu den dargestellten Repressionsmaßnahmen gegen als „links“ geltende Publikationen fand der „Fall Cicero“ unter den staatlichen Angriffen auf die Pressefreiheit größte öffentliche Aufmerksamkeit und führte gar zu einer Sondersitzung des Innenausschusses des Bundestages am 13. Oktober 2005. Am 12. September waren zeitgleich die Redaktionsräume der vom Schweizer Ringier-Verlag herausgegebenen Monatszeitschrift „Cicero – Magazin für politische Kultur“ und das Privathaus des Journalisten Bruno Schirra durchsucht worden. In der Redaktion wurde eine komplette Festplatte mit dem gesamten E-Mail-Verkehr, unveröffentlichten Manuskripten und Planungen der Redaktion kopiert. Nach achtstündiger Haussuchung nahm die Polizei aus der Privatwohnung des Journalisten fünfzehn Kisten mit als „Zufallsfunde“ qualifizierten Akten über Max Strauß, Spürpanzer-Geschäfte u.a.m. mit. Die formale Legitimation der Aktion bestand in dem Tatverdacht der Beihilfe zum Geheimnisverrat gegen den Journalisten Schirra. Dieser hatte in der April-Ausgabe des Blattes einen Artikel über Abu Mousab al Zarqawi veröffentlicht, den er als „neuen Kronprinzen“ Osama bin Ladens bezeichnete. Ausführlich wurde darin aus einem Auswertungsbericht des BKA zitiert. Unter den veröffentlichten Informationen befanden sich detaillierte Angaben zu den geheimdienstlichen Aktivitäten gegen al Zarqawi und deren Ergebnissen einschließlich ermittelter Telefonnummern.

Der preisgegebene BKA-Bericht war als „VS – Nur für den Dienstgebrauch“ gekennzeichnet. Dies entspricht der untersten Einstufung bei den sog. Geheimschutzmaßnahmen und gilt für solche Verschluss­sachen, deren Kenntnisnahme durch Unbefugte für die Interessen der BRD lediglich nachteilig sein kann, nicht etwa „für die Staatssicherheit schädlich“ oder „gefährlich“, wie bei den höheren Geheimhaltungsstufen. Nachdem die „undichte Stelle“ im BKA selbst augenscheinlich nicht hatte gefunden werden können, sollte sie nun, im Ergebnis erfolglos, über den „Gehilfen“ Schirra ermittelt werden. Mit den Maßnahmen gegen „Cicero“ verstießen die Strafverfolgungsbehörden gegen den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz, so die Einschätzung der Mitglieder des Bundestagsinnenausschusses.[11] Den Ermittlungsbehörden sei es nach allgemeiner Einschätzung der medialen Öffentlichkeit in erster Linie um eine Einschüchterung der Journalisten und die Aushebelung des Informantenschutzes gegangen.

Zwischen dem Fall „Cicero“ und den Maßnahmen gegen Labournet und „anti atom aktuell“ liegen in verschiedener Hinsicht Welten. Gemeinsam ist ihnen lediglich, dass sich der Staat Zutritt zu Redaktionsräumen und Zugang zu an sich geschützten Informationen verschafft und sich dabei eines angeblichen Verdachts der Beteiligung an einer Straftat bedient – eines Verdachts, der zur formalrechtlichen Legitimierung von Durchsuchungen zwar erforderlich ist, aber weder dringend noch hinreichend sein muss. Was bei „Cicero“ allgemeine Empörung hervorrief – Ausforschung des Redaktionsgeheimnisses, Behinderung der journalistischen Arbeit und versuchte Einschüchterung – ist bei kleineren, linken Publikationen jedoch nahezu Alltag. Hier muss im Regelfall weder eine Gefährdung der Sicherheit des Staates bemüht werden, noch ist die abseitigste Argumentation für einen Anfangsverdacht zu hanebüchen, als dass sie nicht für Durchsuchung und Beschlagnahme hinreichte. Absurde Verdachtskonstruktionen wie bei „Özgür Politika“, „Labournet“ und „anti atom aktuell“, die bei Durchsuchungen in Redaktionen der bürgerlichen Presse von vornherein undenkbar wären, werden bestenfalls durch gerichtliche Überprüfungen im Nachhinein entblößt, wenn der vorgreifliche Zweck der Maßnahmen bereits erreicht ist.

Anja Lederer ist Rechtsanwältin und Redakteurin von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] IG Medien, Fachgruppe Journalismus: Hände weg von den Medien, Teil 2, Stuttgart 1997
[2] www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/hintergrund/op/
[3] Brauns, N.: Angriff auf die Pressefreiheit, www.nadir.org/nadir/initiativ/isku/hinter
grund/op/0510braun.htm
[4] Az.: 6 VR 5.05
[5] s. Bürgerrechte & Polizei/CILIP 81 (2/2005), S. 84
[6] Ruhr Nachrichten v. 5.12.2003
[7] junge Welt v. 13.10.2005; Die Welt v. 25.11.2005
[8] IG Medien, Fachgruppe Journalismus a.a.O. (Fn. 1)
[9] http://prekaer-camp.org
[10] www.anti-atom-aktuell.de/hausdurchsuchung/2.htm
[11] BT-Innenausschuss: Protokoll 15/67 v. 13.10.2005