Ich sehe, was Du denkst – Anschauungsmaterial zur entgrenzten Kontrolle

von Ralf Kölbel und Susanne Selter

Kein Science Fiction: Auf US-Flughäfen müssen Reisende demnächst einen Gesichts-Scan durchlaufen. Kleinste Regungen in der Mimik sollen darüber Aufschluss geben, ob eine Person terroristische Absichten hegt.

Ein „Schläfer“ ist in erster Linie unauffällig. Das war der Ausgangspunkt und zugleich das Ergebnis der erfolglosen Rasterfahndung nach dem 11. September 2001.[1] Da er sich höchst angepasst bewegt und sich nichts zu schulden kommen lässt, wird der „Schläfer“ in keinen polizeilichen Akten oder Dateien geführt. So lange er „schläft“, ist es beinahe unmöglich, ihn zu finden. Umso wichtiger erscheint es daher, ihn nach dem „Erwachen“ frühzeitig ausmachen zu können. Und gerade dabei könnte sein Äußeres helfen – weil es nämlich womöglich seine Pläne enthüllt.

In eben jener Annahme werden derzeit in den USA diverse Warn-Apparaturen entwickelt, denen das Lesen von Terrorabsichten zuzutrauen sein soll. Im Kern geht es darum, einer bösen Absicht anhand einer beredten Miene auf die Schliche zu kommen: Wer einen Anschlag im Sinn hat, wird an sein Vorhaben denken, und diesen Gedanken nicht aus seinem Gesicht zu bannen vermögen. Folglich will man den aktivierten Schläfer an seinem Antlitz erkennen. An sich sind solche Überlegungen keineswegs neu. Seit jeher versuchen wir – vergeblich –, uns gegenseitig hinter die Stirn zu schauen.[2] Allerdings gelangen bei den hier darzustellenden Verfahren derart horrible Psycho- und Messtechnologien zum Einsatz, dass dies drängende Fragen aufwirft: Wieso man dergleichen ersinnt und was sich daraus zu ergeben vermag?

Gefahr, Bedrohung, Angst

Das neue „Gesichtslese-Verfahren“ zählt zu jenen (ehedem geheimdienstlichen) Strategien, die Anhaltspunkte für Verdachts- oder Gefahrenlagen aufspüren sollen. Es reiht sich ein in eine Präventions-Pro­gram­matik, nach der sich die Polizei nicht länger auf ein reaktives Vorgehen beschränkt, sondern unter verschiedensten Labeln („Vorfeld­er­mitt­lungen“, „vorbeugende Straftatenbekämpfung“ usw.) Deliktsvorsorge betreibt, genauer: sich anlassgelöst auf die Suche nach Ermittlungsanstößen und -gründen begibt.[3] Diese Vorgehens-Logik verdankt sich bekanntlich einem allgemeineren Gegenwartszustand, der von vielgestaltiger neuer Bedrohung, darauf gründenden Kontrollbedürfnissen, zu­gleich aber auch von überschießender Unsicherheit und Furcht geprägt wird. Angst vor den unterschiedlichsten Gewaltformen ist hiervon ein Ausschnitt. Was dabei als Risiko gilt, reicht von der tatsächlich schadens­trächtigen Situation, über eine allein statistisch-wahrschein­liche Schadensaussicht bis hin zur diffusen, als unheilvoll empfundenen Gesamtentwicklung. Als Risikoquellen werden dann nicht selten die „gefährlichen Anderen“ ausgemacht, typischerweise nicht individualisiert, sondern als Struktur[4] – im hiesigen Kontext etwa der aktuell weltumspannende Terrorismus. Ein solches Bedrohungsempfinden ruft ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis hervor, das nach Strategien zur rechtzeitigen Risikoerkennung und -eindämmung verlangt. Deshalb sinnt man dem Staat an, dass er auch frühpräventive Maßnahmen ergreife und so polizeilich das wie immer geartete Risiko bekämpfe – gleichviel, wie sehr der gesellschaftliche, politische oder mediale Diskurs das Angstmachende vergröbert, vergrößert oder gar suggeriert.

Der Versuch, die Risikovielfalt von Amts wegen vorbeugend zu steuern, geht mit einer nie da gewesenen staatlichen Neugier einher. Ins Visier können sämtliche Lebensbereiche geraten, wenn es gilt, risikorelevante Informationen zu sammeln und zusammenzuführen. Darüber hinaus sind Vorfeldaktivitäten durch einige gut dokumentierte Formmerkmale charakterisiert: „Gefahren- und Straftatenvorsorge“ kennzeichnet erstens, dass sie unabhängig von äußeren Verdachts- und Gefahrenanstößen proaktiv angeordnet und durchgeführt werden, um Verdachts- oder Gefahrenhinweise zu akquirieren.[5] Da die Risikoursprünge unbekannt und daher möglichst umfassende Datensätze notwendig sind, betrifft diese Art „Vorsorge“ zweitens wahllos viele (unverdächtige) Menschen. Und drittens werden diese Vorfeldmaßnahmen heimlich und/oder ungefragt vorgenommen und agieren wegen dieser Heimlichkeit und Zudringlichkeit fast durchweg in grundrechtlich sensiblen Bereichen.

Gedankenscan: Methode, Entwicklung, Potenzial

Das „Gesichtslese-Verfahren“ treibt diesen Kontrollstil weiter voran. Es geht zurück auf Paul Ekman, einen mittlerweile emeritierten Professor für Psychologie aus San Francisco, der zu den weltweit angesehensten Experten für nonverbale Kommunikation zählt. Seit mehr als vierzig Jahren erforscht er, wie Gefühle entstehen, sich äußern und erkennen lassen. Ekman wies nach, dass die Ausdrucksformen der emotionalen Mimik in allen Kulturkreisen weithin übereinstimmend gedeutet werden. Beinahe acht Jahre haben er und seine Mitarbeiter verbracht, um die Anatomie des Gesichts zu erfassen, dessen Bewegungen nach Emotionskategorien zu ordnen und in einem „Facial Action Coding System“ (FACS) zu katalogisieren. Sie vermaßen das menschliche Antlitz wie Kartographen das Land. Aus den 10.000 Mienen, die der Mensch physiologisch zu bilden vermag, filterten sie rund 3.000 Spielarten heraus, in denen das Repertoire der Gefühle optisch zum Vorschein gelangt.[6]

Bereits in den späten sechziger Jahren hatte Ekman begonnen, Mimiken „in action“ zu filmen. Stunde um Stunde betrachtete er die aufgezeichneten Gesichter, bis er per Zeitlupe jene flüchtige Regung wahrnahm, die er „Mikroexpression“ nannte: eine blitzschnelle und spontane Bewegung, ein unmerkliches Zucken oder ein merkwürdiges Lächeln – ein Ausdruck, der sich anlässlich konflikthafter Situationen auch in vollends beherrschten Zügen kurzzeitig zeigt.[7] Der Befund war bedeutsam: Das Gesicht hat ein Eigenleben, das sich unserer Kontrolle entzieht. Es ist zwar nicht das verborgene Denken und Planen, das sich in einer mikroexpressiven Miene niederschlägt, wohl aber das Gefühl, das namentlich durch das Verbergenwollen und -müssen entsteht.[8] Dieser Teil unserer emotionsbestimmten, unwillkürlichen Mimik, der uns momenthaft beherrscht, lässt sich nicht verfälschen und eröffnet deshalb einem geschulten Betrachter die Aussicht, von der Regung auf das Gefühl und von diesem auf den Gedanken zu schließen.

Deshalb wird das Gesichterlesen gelehrt. Die Paul Ekman Group bietet gründliche Unterweisungen an und fand u.a. im Department of Homeland Security (DHS) einen ihrer interessiertesten Kunden. Die Heimatschutzbehörde hatte die Flughäfen im Auge und sah eine Chance, die Passagiere dort nicht länger nur auf Scheren und Feuerzeuge, sondern unmittelbarer auf böswillige Absichten hin kontrollieren zu können. So ließ man 2.800 Mitarbeiter der Transport Security Administration (TSA) in der von Ekman entwickelten SPOT-Methode („Screening Passengers through observational Techniques“) schulen und zu „Behavior Detection Officers“ (BDO) ausbilden. Diese uniformierten Mienenbeobachter patrouillieren durch die Abfertigungshallen von mittlerweile fünfzig US-amerikanischen Airports und fischen verräterische Gesichter aus dem Strom der Fluggäste heraus. Jeweils paarweise unterwegs, wirken die SPOT-Kontrolleure, als schauten sie routinemäßig nach dem Rechten. Tatsächlich aber gilt ihre Aufmerksamkeit den Reisenden, deren Benehmen sie anhand einer Ekmanschen Checkliste unauffällig mustern. Verhält sich jemand sonderbar, wirkt er ängstlich, nervös oder verwirrt, reist er ohne Gepäck, vermeidet er Augenkontakte, dann nähern sie sich ihm über ein vermeintlich belangloses Gespräch – gemeinhin über die Mühsal des Reisens –, in dessen Verlauf sie sein Ge­sicht gründlich nach einer solchen Mikroexpression absuchen, die eine terroristische Planung verraten soll. Wer hierbei einen entsprechenden Verdacht auf sich zieht, wird sodann einer polizeilichen Personen- und Gepäckkontrolle unterzogen.[9] In den Jahren 2006 und 2007 führten die BDOs ca. 43.000 Beobachtungsgespräche. Bei den 3.100 daraus resultierenden Kontrollen wurden allerdings weder Terroristen noch Schläfer dingfest gemacht. Ins Netz gingen vielmehr 278 Personen, denen allein Drogen- oder Waffenbesitz oder eine Verletzung des Einwanderungsrechts angelastet wurde.

Ein solcher Minimal-Ertrag ist nicht allzu verwunderlich. Natürlich weiß niemand, ob sich in den fraglichen Flughafenhallen Terroristen oder Schläfer aufgehalten haben, die mit der neuen Methode hätten enttarnt werden können.[10] Zum andern stellt sich allerdings die Frage, welche Emotionen man eigentlich bei jemandem vermutet, der Terrorabsichten hegt? Schließlich hängt es vom Zutreffen dieser Annahmen ab, ob man auf die richtigen Gefühlsausdrücke achtet. Über die gesuchten Mimiken gibt die TSA keine genauere Auskunft. Allerdings ist es sicher kein Zufall, dass sich Ekman justament anschickt, ein Projekt abzuschließen, das die „Signs of Immediate Attack“ untersucht. Dafür werden Überwachungsbilder aus Vor-Attentats-Phasen, die man in der ganzen Welt zusammenträgt, auf anschlagstypische Gesichtsausdrücke analysiert. So ist man offenbar auf eine Mimik gestoßen, die in ähnlicher Weise generell solche Angreifer zeigen, deren Selbstkontrolle affektbedingt schwindet. Ekman hat sie nach jenem Attentäter, der es 1981 auf Ronald Reagan abgesehen hatte, „Hinckley-Expression“ genannt.[11]

Das DHS will es mit dem Einsatz der BDOs nicht bewenden lassen: Denn Menschen ermüden, sind unzuverlässig oder abgelenkt, ihre Launen beeinflussen ihr Beobachtungsvermögen. Das Ministerium fürchtet, dass die BDOs die womöglich entscheidende Mikroexpression wegen Unaufmerksamkeit übersehen.[12] SPOT-Kontrollen sind außerdem personal- und damit kostenintensiv, weshalb das DHS die Entwicklung eines automatisierten Mimik-Erkennungs-Verfahrens in Auftrag gegeben hat.[13] Das Vorhaben läuft unter dem Titel „Future Attribute Screening Technology“ (die ursprüngliche Bezeichnung „Project Hostile Intent“ erschien wohl allzu verfänglich). Das Herzstück des Ganzen ist ein Computer, der die Gesichter jener Personen, die eine Überwachungskamera unbemerkt filmt (in der Regel während einer Passkontrolle), anhand des FACS untersucht. Sobald das Gerät auf eine Miene stößt, die auf feindliche Absichten hindeutet, erhält ein Sicherheitsbeamter ein stilles Signal, woraufhin die verdächtige Person unter einem Vorwand zur Seite genommen und nach SPOT-Manier in ein belangloses Gespräch verwickelt wird.

Um diesen apparativen Detektionsmodus zusätzlich zu stärken, wird der Gesichtsscanner obendrein um solche Technologien erweitert, die vegetative Angstanzeichen zu erkennen vermögen: Eine plötzliche Veränderung der Körpertemperatur, ein hoher Blutdruck, eine gesteigerte Pulsfrequenz, schwere Atmung usw. – all dies wird durch ein „Bio-Lidar“ registriert. Sämtliche Geräte arbeiten heimlich, aus der Ferne und binnen Augenblicksfrist.[14] Künftig soll diese Messanordnung noch ergänzt werden durch einen Scanner zur Auswertung der Pupillenbewegung und zur Iris-Erkennung, einen Sensor zur Analyse von Botenstoffen im Schweiß und einen Magnetresonanztomographen, von dem man sich wegen des Zugriffs auf die Gehirnaktivität einen besonders direkten Zugang zum Gedanken verspricht.[15] Schon mit dem aktuellen Ausstattungsniveau fiel ein erster Feldversuch auf einem Reitgelände bei Maryland im September 2008 eher positiv aus. Vier von fünf Probanden, die einen verbotenen Gegenstand durch die inszenierte Kontrolle schmuggeln und dies bei der folgenden SPOT-Befragung verheimlichen sollten, wurden identifiziert.[16] Unter diesen Vorzeichen sagt die Versuchsleitung für FAST eine große Zukunft voraus: Man könne den Amerikanern mit FAST das abhandengekommene Freiheitsgefühl wiedergeben – mit mobilen Sicherheitsschleusen, die überall dort aufgestellt werden, wo viele Menschen zusammenkommen: an Bahnhöfen, bei Sportveranstaltungen, Kundgebungen, Musikfestivals …[17]

Von kritischer Seite wird die Funktionsfähigkeit des Systems freilich bezweifelt. Böse Gedanken unter Feldbedingungen im Vorübergehen zuverlässig zu identifizieren, sei kaum machbar. Zwar soll die FAST-Schleuse nicht zum echten Gedankenauslesen, sondern nur zu dahin gehenden Anfangssignalen führen (denen man nachgehen kann), doch lasse sie eine ungemein hohe falsch-positiv-Rate erwarten.[18] Zeitnot, Flugangst, Vorfreude auf ein Wiedersehen, tränenreiche Abschiede – wie wolle man damit einhergehende Normalemotionen von der Anspannung trennen, die aus einer Terrorplanung herrührt. Die registrierten und zum Zugriffsanlass dienenden Körperzeichen resultieren, so wird be­fürchtet, aus allen möglichen Binnenursachen. Angehörige jener Natio­nalitäten, die faktisch unter Generalverdacht stehen, wiesen womöglich schon aus Angst vor dem üblichen Argwohn die suspekten Anzeichen auf.[19]

Breitenwirkung, Heimlichkeit, Entprivatisierung

Bezeichnenderweise vergleicht das DHS selbst seinen FAST-Pre-Crime-Detector mit einem gigantischen Fischernetz, dessen man zum Fang von Raubfischen bedürfe, selbst wenn dadurch auch Delphine und andere geschützte Tierarten leiden.[20] In der Tat: Infolge des anlasslosen Vorgehens operiert das System ungezielt und flächendeckend. Die Geräte-An­ordnung reagiert nicht auf einen konkret drohenden Schadensverlauf, sondern ist auf eine vollkommen abstrakt bleibende Gefahr hin installiert, nämlich auf nichts weiter als die unbestimmte Erwartung irgendwo und irgendwann stattfindender Anschläge. Unbegründet sind die Eingriffe nicht nur gegenüber den (objektiv) grundlos gescannten Personen, sondern letztlich sogar gegenüber einem Passagier, der tatsächlich etwas verbirgt und Terrorpläne hegt. Vor dem Screening besteht auch gegen ihn kein Verdacht. Tatsachen, die auf einen geplanten Angriff hindeuten und somit eine polizeirechtliche Gefahrenlage (eine Gefahrenwahrnehmung!) begründen, will man im Gegenteil per FAST erst sichtbar machen.

Da unbekannt ist, ob eine Gefahr besteht und von wem sie ausgeht, werden durch die Kontrollen alle erfasst. Demgemäß grenzenlos ist die Streubreite, die die FAST-Schleusen auf der ersten Kontrollstufe (d.h. beim Einsatz der Mess- und Lesegeräte) entwickeln. Derartige Verfahren der Überprüfung von Massen müssen jedoch (ähnlich wie die Rasterfahndung) an enge Kriterien geknüpft sein. Das hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Rasterfahndungsurteil erneut betont: Falls sie allein der Verdachts- und Verdächtigengewinnung dienen, falls mit anderen Worten die Wahrscheinlichkeit des Gefahren-/Schadenseintritts und die Verbindung zu einer hierfür verantwortlichen Person allzu diffus bleibt, liegt die Unzulässigkeit der Maßnahme nahe.[21] Gefahrenabwehrende und -vorbeugende Eingriffsakte müssen prinzipiell einen konkret umrissenen Ausgangspunkt im Tatsächlichen haben und dürfen sich nicht als „Ermittlungen ins Blaue hinein“ erweisen. Die Rigorosität dieser Maßgabe (d.h. die Anforderung an die eingriffslegitimierende Gefahrendringlichkeit und -konkretheit) variiert freilich einerseits mit dem Grad des befürchteten Schadens und andererseits mit dem Gewicht des kontrollbetroffenen Bürgerrechts. Im Falle der FAST-Schleusen geht es insofern auf beiden Seiten um Belange von Rang. Dass es sich hierbei einerseits um die Abwendung potenzieller Ereignisse handelt, die zu Schwerstschäden führten, wird niemand bezweifeln. Andererseits steht aber auch ein höchstintensiver Eingriffseffekt bei zahllos betroffenen, fast ausnahmslos unbescholtenen Gesellschaftsmitgliedern in Frage.

Das Gewicht des Eingriffs ergibt sich vor allem daraus, dass der massenhafte Zugang zum Gedanken gesucht wird. Die FAST-Messgeräte zielen ins personale Zentrum, in den Ort, wo das Subjekt sich erst formt – und zwar vermittels von Regungen, über die ihr Produzent keine Herrschaft ausübt. Dies impliziert ein objekthaftes Verhältnis, in dem sich die Kontrolleure die unwillkürlichen Gedankenanzeiger der zahllosen Kontrollierten verfügbar machen. Und das Ganze geschieht, ohne dass die Betroffenen hiergegen einen Einwand zu erheben vermöchten. Der Passagier muss durch die Schleuse, ob er will oder nicht. FAST schaut jedem ohne Zustimmung hinter die Stirn, denn FAST arbeitet verdeckt. Wer in die Wahrnehmung von Kamera und Sensorik gelangt, hat keine Ahnung, dass soeben seine Körperfunktionen registriert und sein Gesichtsausdruck auf übelwollenden Vorsatz abgesucht wird. Nicht einmal die Probanden des FAST-Experimentes wurden gewahr, dass sie den Test absolvierten: Die mobile Schleuse erschien ihnen als neutraler Eingangsbereich. Nimmt man all das zusammen, so ist die Messanordnung zwar einer unbestreitbar erheblichen Schadenspotenz entgegengestellt, doch insofern sie in einer noch vollkommen abstrakten Gefahrenlage eine derart intensive Entprivatisierungswirkung erzeugt, prozessiert sie in einer schwerlich zu tolerierenden Weise.

Fazit: Sicherheit, Freiheit, Symbol

So gesehen sieht sich die Balance zwischen Freiheit und Sicherheit durch FAST ganz unzuträglich verrückt – was nicht ohne weitere Folgen bleibt. Selbst wenn die Optiken und Sensoren offen eingesetzt würden, könnte derjenige, der in ihren Fokus gelangt, kaum erkennen, ob man die ihm abgenommenen Messergebnisse speichert und für welche weiteren Zwecke man sie benutzt. Umso mehr leistet die Heimlichkeit einem Missbrauch zusätzlichen Vorschub. Die Unkontrollierbarkeit eröffnet den Weg zur Weiterverwendung in einem breiten Spektrum von Zusammenhängen – weit über den Rundweg durch die Computernetzwerke der Polizeien hinaus. Aber auch das Offenbarmachen der FAST-Praxis hätte eine eigene Negativwirkung. Dass dann jeder, der nicht notgedrungen die von FAST abgeriegelten Räume meidet, ganz öffentlich zum Untersuchungsgegenstand wird, riefe den typischen Effekt automatisierter Massenkontrollen hervor: ein Gefühl des Überwachtwerdens, das die Unbefangenheit nimmt, das zu Verunsicherung und auf Dauer zur Einschüchterung führt. Darunter leiden bekanntlich nicht nur die Entfaltungschancen des Einzelnen, sondern auch das Gemeinwohl, das angewiesen ist auf individuelle Handlungs- und Mitwirkungsfähigkeit. Die Frage, ob das FAST-Arsenal samt diesem Szenario eines Tages auch hierzulande Wirklichkeit wird, ist vorerst allerdings noch gar nicht so sehr entscheidend. Allein der Umstand, dass ein solches Projekt überhaupt gedacht, geplant und angepackt werden kann, wirft nämlich auf das gesamte, dahinter stehende Programm ein beredsames Licht: In FAST ist das Modell des konsequenten Präventionsstaates symbolisiert. Dass das Vorsorgedenken auf einen Massenscanner verfällt, der die „Terrorgefahr“ re-personalisiert und im feindseligen Hirn isoliert, weist über die Video-Sensoren-Com­puter-Apparatur hinaus und dokumentiert die gesamte Vorsorge-Hybris. Durch die Geräte-Anordnung wird erneut und besonders sinnfällig belegt, wie dringend die Sicherheitslogik, deren Dynamik statt normativer Grenzen nur die Zufalls-Barrieren des technisch aktuell Machbaren kennt, auf den Prüfstand gehört.

[1] vgl. Bundesverfassungsgericht: Entscheidungen (BVerfGE), Bd. 115, S. 320
[2] näheres dazu: Kölbel, R.: Zur Problematik der strafprozessualen Körperhermeneutik, in: Goltdammers Archiv für Strafrecht (GA) 2006, H. 6, S. 469-491
[3] Haffke, B.: Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat, in: Kritische Justiz 2005, H. 1, S. 17-35 (20 ff.)
[4] Pütter, N.: Der OK-Komplex, Münster 1998, S. 69
[5] vgl. u.a. ebd., S. 12 f.; Wolter, J.: Potenzial für eine Totalüberwachung im Strafprozess- und Polizeirecht, in: Rogall, K. (Hg.): Festschrift für Hans-Joachim Rudolphi zum 70. Geburtstag, Neuwied 2004, S. 733-748
[6] zur Interpretierbarkeit der Emotionsausdrücke vgl. Ekman, P.: Gefühle lesen, Heidelberg 2007; für einen Überblick: www.scholarpedia.org/article/facial_expression_analysis
[7] Das Potenzial einer hier ansetzenden Lügeerkennung anhand lügebegleitender Emotionsausdrücke behandelt Ekman, P.: Telling Lies, New York, London 3. Aufl. 2009. Vgl. hierzu zuletzt auch Frank, M.G.: Research Methods in Detecting Deception Research, in: Harrigan, J.; Rosenthal, R.; Scheerer, K. (eds.): The New Handbook of Methods in Nonverbal Behavior Research, New York 2008, S. 341-364; Überblick bei Kölbel a.a.O. (Fn. 2) S. 486 f.
[8] Insofern trifft der Begriff des „Gedankenlesens“ nur bedingt zu, da man (ebenso wie beim Lügendetektor) eine körperliche Gefühls-Folge interpretiert, vgl. auch Schleim, S.: Gedankenlesen. Pionierarbeit der Hirnforschung, Hannover 2008, S. 22.
[9] Zum Ablauf des SPOT-Screenings: TSA: Where we stand TSA trains hard for new threats, 2009, www.tsa.gov/press/where_we_stand/training.shtm, vgl. Time v. 2.10.2004, www.ti
me.com/time/nation/article/0,8599,708924,00.html; Time v. 3.4.2008, www.time.com/
time/nation/article/0,8599,1727625,00.html
[10] zu den Zahlen vgl. Calgary Herald v. 1.2.2008, www.canada.com/calgaryherald/story. html?id=9ab9a6eb-78e1-4a6f-8581-fce2e8c08675&k=37479
[11] Ekman hat einen „Dangerous Demeanor Detector (D-Cube)“ entwickelt, mit dem vielerlei böse Absichten identifizierbar sein sollen (www.dangerousdemeanor.com)
[12] so DHS-Sprecher John Verrico unter: www.youtube.com/watch?v=cVwD5jfjyM4&NR=1
[13] DHS: Future Attribute Screening Technology Project, 2008: www.dhs.gov/xlibrary/ assets/privacy/privacy_pia_st_fast.pdf. Ekman ist bei diesem (!) Projekt skeptisch.
[14] Time v. 20.8.2006, www.time.com/time/magazine/article/0,9171,1229109,00.html
[15] zur Lügeerkennung durch Kernspintomographie vgl. Wild, J.: Brain imaging ready to detect terrorists, in: Nature 2005, vol. 437, No. 7058, p. 457; Gamer, M.: Lügendetektion, in: Gehirn & Geist 2008, Nr. 7, S. 33-37; www.luegendetektion.de.
[16] zu den Tests: New Scientist v. 23.9.2008, www.newscientist.com/blogs/shortsharp
science/2008/09/precrime-detector-is-showing-p.html; New York Times v. 29.4.2009, www.nytimes.com/2009/04/29/us/29surveil.html; Seattle Times v. 20.9.2007, http:// search.nwsource.com/search?from=ST&query=tsa&searchtype=network&x=25&y=10
[17] Homeland Security detects terrorist threats by reading your mind, foxnews v. 23.9.2008, www.foxnews.com/story/0,2933,426485,00.html
[18] New York Times v. 29.4.2009, www.nytimes.com/2009/04/29/us/29surveil.html
[19] Seattle Times v. 20.9.2007, http://search.nwsource.com/search?from=ST&query=tsa &searchtype=network&x=25&y=10
[20] DHS: Future Attribute Screening Technology Project, 2008, www.dhs.gov/xlibrary/ assets/privacy/privacy_pia_st_fast.pdf
[21] Bundesverfassungsgericht a.a.O. (Fn. 1), S. 360 f.