von Eric Töpfer
Mit mehr als 123 Millionen Euro fördert die Bundesregierung parallel zur EU die Sicherheitsforschung. In dem Programm ist viel von Bevölkerungsschutz und „ziviler Sicherheit“ die Rede. Nukleus des neuen Forschungsfeldes waren aber Einrichtungen, die dem Militär nahe standen. Angesichts schrumpfender Förderetats haben sie nun neue Verbündete mobilisiert.
„In Abstimmung mit meinem Kollegen, Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble, habe ich die Federführung für eine nationale Strategie zur zivilen Sicherheitsforschung übernommen.“ Mit diesen Worten kündigte Bundesforschungsministerin Annette Schavan am 4. Juli 2006 ein 100-Millionen-Euro-Förderprogramm an. Die Begründung ihrer Initiative hat zwei Seiten. Erstens beschwört sie „neue Bedrohungen“, warnt vor der Verwundbarkeit der „zentralen Lebensnerven unserer Gesellschaft“ und erweitert so unser Verständnis von Sicherheit: „Wir müssen nach innovativen Lösungen für diese neuen Herausforderungen suchen … Denn Sicherheit hängt vom Vorsprung in Forschung und Wissenschaft und der Umsetzung in Organisation und Technologie ab.“
Zweitens beklagt sie die „zersplitterte Forschungslandschaft“, das Fehlen einer „an Markt- und Exportchancen ausgerichteten Forschungsstrategie“ sowie die mangelhafte „Einbindung der Nutzer und Anwender in einen gemeinsamen Innovationsprozess“. Entsprechend versteht Schavan die Sicherheitsforschung als „Plattform“ für eine enge Zusammenarbeit von Staat und Wirtschaft. Private Unternehmen – insbesondere die mittlerweile weitgehend privatisierten Infrastrukturunternehmen – sind dabei für die Ministerin zum einen Anwender von Sicherheitstechnologien, für die es „kosteneffiziente Lösungen“ zu entwickeln gelte, und zum anderen Anbieter, deren „Wettbewerbsfähigkeit“ zu stärken sei, damit nicht „große Chancen auf Zukunftsmärkten“ vergeben würden.[1]
Schavans Bühne war das „Future Security“-Symposium im Kongresszentrum Karlsruhe. Es war die „1. Sicherheitsforschungskonferenz“, gedacht als „Kommunikationsplattform für alle Verantwortungsträger, Exekutivorgane, Wirtschaftsunternehmen und Entwicklungspartner“ und für eine „Standortbestimmung der Akteure in Deutschland“.[2] Obwohl oder gerade weil die Veranstaltung vom Verbund Verteidigungs- und Sicherheitsforschung der Fraunhofer-Gesellschaft (VVS), einem „zur generellen Stärkung der Position der wehrtechnischen Forschung“ gegründeten Zusammenschluss von fünf Fraunhofer-Instituten,[3] organisiert worden war, wurde die Forschungsministerin nicht müde zu betonen, dass es in dem neuen Programm „ausschließlich um zivile Anwendungsfelder“ gehe. Sie gestand allerdings ein, dass die Sicherheitsforschung durchaus von der Wehrtechnik profitiere.[4] Illustriert wurde diese Feststellung nicht zuletzt durch die Zusammensetzung des 30-köpfigen Programmausschusses der Tagung, in dem neben den Chefs der fünf VVS-Institute und des Institutes für Kommunikation, Informationsverarbeitung und Ergonomie der Forschungsgesellschaft für Angewandte Naturwissenschaften („50 Jahre Forschung für Verteidigung und Sicherheit“)[5] auch zwei Beamte des Bundesverteidigungsministeriums sowie Vertreter der Rüstungsschmieden EADS, Diehl, Rheinmetall W & M und der European Defence Agency saßen.
Süddeutsche Seilschaften und High-Tech-Strategen
Obwohl sich die Sicherheitsforschungsstrategie nahtlos einpasst in die Visionen einer „neuen Sicherheitsarchitektur“ und die neoliberale Wirtschaftspolitik der letzten Jahre, ist sie doch mehr als die sacherzwungene Exekution des Zeitgeistes. Die „rot-grüne“ Forschungsministerin Edelgard Bulmahn hatte eine gezielte Förderung der Sicherheitsforschung noch abgelehnt und mit ihrem partizipativ angelegten Futur-Dialog für eine zukünftige Forschungspolitik allenfalls das Thema IT-Sicherheit und biometrische Identifizierung adressiert.[6] Doch mit dem Wahlsieg Angela Merkels änderte sich die Lage schlagartig. Zwar hieß es im schwarz-roten Koalitionsvertrag unter der Rubrik „Forschungsförderung für die Nachhaltigkeit“ im November 2005 noch vage, die Bundesregierung fördere „Umweltschutztechnik, Erdbeobachtung und regenerative Energietechnologien sowie Sicherheits- und Fusionsforschung“.[7] Als Annette Schavan die Leitung des Bundesministeriums für Bildung und Forschung (BMBF) übernahm, ging es jedoch mit großen Schritten vorwärts. Zwischen April und Juni 2006 wurden im Rahmen eines „Agendaprozesses“ drei Workshops mit etwa 250 „Experten aus allen für die Sicherheitsforschung relevanten Bereichen“ durchgeführt, um Themen zu setzen und Förderstrategien zu entwickeln.[8] Damit hatte das BMBF, wie der Parlamentarische Staatssekretär Thomas Rachel jubiliert, „in Rekordzeit bundesweit die Fachszene formiert“, offensichtlich gut beraten von den Ministerien für Inneres und Verteidigung.[9]
Unbekannt ist, wer genau die zahlreichen Stichwortgeber beim Agenda-Setting für das Sicherheitsforschungsprogramm waren – berichtet wird nur vage von Repräsentanten der Polizei, Feuerwehr, Bundeswehr, Wirtschaft und Forschung.[10] Fest steht allerdings, dass es in Baden-Württemberg, der politischen Heimat Schavans, einflussreiche Interessen gab, die das Netzwerk zu knüpfen halfen: Der Diehl-Konzern, mit einer starken Rüstungssparte in Überlingen am Bodensee, war bereits in der „Group of Personalities“ vertreten, die 2003/2004 in Brüssel den Auftakt zur EU-Sicherheitsforschung orchestrierte.[11] Ebenfalls beteiligt war damals Karl von Wogau, Abgeordneter der CDU-Südbaden im Europaparlament: Er ist Vorsitzender von dessen Unterausschuss für Sicherheit und Verteidigung, Generalsekretär der European Security Foundation und der informellen Kangaroo-Gruppe und damit ein wichtiger Mittler zwischen Politik und Rüstungsindustrie. Und schließlich sitzen vier der fünf im VVS organisierten wehrtechnischen Forschungsinstitute der Fraunhofer-Gesellschaft im „Ländle“. Vertreten in ihrem Kampf gegen schrumpfende Fördergelder[12] werden sie durch VVS-Sprecher Klaus Thoma vom Freiburger Ernst-Mach-Institut für Kurzzeitdynamik. Der Mann war in den 80er Jahren Leiter einer Entwicklungsabteilung bei Messerschmitt-Bölkow-Blohm (heute EADS) und von 1994 bis 1996 Professor an der Bundeswehr-Universität in München. Er gilt als „Architekt“ des deutschen Sicherheitsforschungsprogramms[13] und scheint ein Wissenschaftsmanager par excellence zu sein. „Wo keine Netzwerke vorhanden seien, initiiere er welche“, hieß es 2007, als man ihm für sein Engagement zugunsten des „Technologietransfers“ und der Sicherheitsforschung das Bundesverdienstkreuz verlieh.[14] Mit seinen guten Kontakten in die Landespolitik, ins Verteidigungsministerium und zur Industrie hatte Thoma es im Juli 2005 geschafft, neben Vertretern von EADS, Diehl und Siemens sowie dem Vizepräsidenten des Bundeskriminalamts (BKA) Jürgen Stock das fünfte deutsche Mitglied im European Security Research Advisory Board (ESRAB) zu werden. Das Gremium bereitete nicht nur die Sicherheitsforschung im 7. Forschungsrahmenprogramm der EU vor, sondern empfahl auch flankierende nationale Programme.
Rückendeckung erhielt Thoma vom Präsidenten der Fraunhofer-Gesellschaft, dem Stuttgarter Hans-Jörg Bullinger. Der ist Vorsitzender der „Forschungsunion Wirtschaft-Wissenschaft“, von dem sich die neue Bundesregierung seit Juni 2006 bei der Entwicklung ihrer Hightech-Strategie beraten lässt. Schon bei einem der ersten Treffen dieses 19-köpfigen Gremiums setzte er das Thema Sicherheitstechnologien auf die Tagesordnung. Unter den zehn Vertretern der Privatwirtschaft, die damals mitdiskutierten, waren auch Vorstandsmitglieder von Siemens und ThyssenKrupp Marine Systems.[15]
Mobilmachung der Forschung
Offiziell beschloss die Bundesregierung das Programm „Forschung für die zivile Sicherheit“ mit einem Fördervolumen von nun 123 Millionen Euro bis 2010 am 24. Januar 2007. „Wir mobilisieren Forschung für den Schutz der Bürgerinnen und Bürger“, triumphierte Schavan. Im Rahmen des Programms, das fester Bestandteil der wenige Monate zuvor ins Leben gerufenen Hightech-Strategie ist, werden „Forschungsvorhaben zur Entwicklung von Sicherheitstechnologien“ gefördert. Hierzu sollen die „Stärken der Technik- und Naturwissenschaften mit dem Potenzial der Geistes- und Sozialwissenschaften“ verknüpft und „Nutzer und Anwender neuer Sicherheitslösungen in den Forschungs- und Entwicklungsprozess“ eingebunden werden, um „Innovationshemmnisse, die sich später bei Datenschutzfragen, Kosten oder in der praktischen Umsetzung ergeben könnten“, schon in der Entwicklung zu untersuchen.[16]
Die Förderung findet entlang von zwei Programmlinien statt: Erstens sollen in einer „szenarienorientierten Sicherheitsforschung“ „Systemlösungen“ z.B. für die Sicherung und Kontrolle von Großveranstaltungen, Verkehrssystemen und anderen Infrastrukturen sowie von Warenketten entwickelt werden. Es geht um flächendeckende und automatisierte Überwachung durch Kamera- oder Sensornetzwerke, biometrische Zugangssysteme, den Einsatz von Robotern und Drohnen, bombensichere Gebäude, Hightech-Einsatz- und Lagezentren, die Vernetzung der Einsatzkräfte und informatisiertes Management von Menschenmengen, aber auch um Öffentlichkeitsarbeit in Krisensituationen und die Mobilisierung der BürgerInnen für die Prävention. Laut der Ministeriumsbroschüre stehen hierbei allerdings „nicht technologische Einzelergebnisse, sondern die Formierung der Akteursgemeinschaft“ im Vordergrund. Es gehe auch um die „Verbesserung der Zusammenarbeit zwischen Behörden und privaten Betreibern sicherheitsrelevanter Infrastrukturen“. Zweitens sollen in „Technologieverbünden“ szenarienübergreifende „Querschnittstechnologien“ entwickelt werden, z.B. Detektionssysteme und Techniken zur Mustererkennung oder Personenidentifikation. In der Summe erwartet das BMBF „innovative Lösungen, die die Sicherheit der Bürgerinnen und Bürger verbessern, ohne ihre Freiheit einzuschränken“.[17]
Die Einhaltung dieses Versprechens scheint das Ministerium aber lieber anderen zu überlassen. Zwar wurde im Sommer 2007 in der Abteilung „Schlüsseltechnologien – Forschung für Innovation“ ein eigenes Referat 522 für die Sicherheitsforschung installiert, allerdings war dessen Leiterin Christine Thomas zuvor zuständig für Digitale Bibliotheken. Wie bei Forschungsprogrammen des Bundes üblich, ist mit der eigentlichen Administration des Sicherheitsforschungsprogramms ein Projektträger beauftragt, in diesem Fall die VDI Technologiezentrum GmbH (VDITZ), ein Unternehmen des Vereins Deutscher Ingenieure e.V. Ihr Aufgabenbereich erstreckt sich „von der fachlichen und konzeptionellen Gestaltung der Forschungsförderung bis hin zur Prüfung, Begleitung und dem Projektmanagement von Forschungsvorhaben“.[18] Zusätzlich bietet das VDITZ als „Nationale Kontaktstelle Sicherheitsforschung“ ebenfalls im BMBF-Auftrag Beratung zum EU-Sicherheitsforschungsprogramm an. Neben dem VDITZ ist es der Wissenschaftliche Programmausschuss, der das Sicherheitsforschungsprogramm „begleitet und steuert“.[19] Vorsitzender des 18-köpfigen Gremiums: VVS-Sprecher Klaus Thoma. Ihm zur Seite stehen vier Vertreter von Bundesbehörden (u.a. BKA und Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik), ein Freiburger Kriminologe, eine Tübinger Theologin, ein Experte für biologische Sicherheit und einer für Normung sowie neun VertreterInnen der Privatwirtschaft, u.a. von Diehl BGT Defence, Siemens Building Technologies und Bosch Sicherheitssysteme.[20]
Im März 2007 präsentierte Schavan das Programm auf der „Europäischen Konferenz zur Sicherheitsforschung“ in Berlin, die ihr Ministerium anlässlich der deutschen EU-Ratspräsidentschaft gemeinsam mit der Generaldirektion Unternehmen und Industrie unter EU-Kommissar Günter Verheugen ausgerichtet hatte.[21] Die Tagung war nicht nur Startschuss für das europäische Sicherheitsforschungsprogramm. Zeitgleich wurde auch die erste Ausschreibung des deutschen Programms veröffentlicht. Das erste Projekt startete im Juni 2007. Bis Ende 2008 folgten acht weitere Ausschreibungen, darunter auch eine erste für internationale Kooperationen – in diesem Fall mit Israel – und zuletzt jene zu „gesellschaftlichen Dimensionen der Sicherheitsforschung“. Bis Januar 2010 wurden 58 Verbundprojekte mit einem Gesamtvolumen von 135 Mio. Euro bewilligt.[22] Mehr als 300 Forschungseinrichtungen, Unternehmen und Behörden gehören zu den Gewinnern des bisherigen Wettbewerbs. Gelohnt hat sich das Engagement insbesondere für die Fraunhofer-Gesellschaft. Sie ist mit mehr als 12 Mio. Euro akquirierten Fördermitteln der ganz große Gewinner. 13 ihrer 60 Institute sind mit eigenen Teilprojekten in 15 Forschungsverbünden beteiligt. Fast die Hälfte der Summe geht an die vier baden-württembergischen Institute des von Klaus Thoma vertretenen Fraunhofer VVS.
Versicherheitlichung der Wissenschaft?
Vergleicht man es mit anderen Förderprogrammen, ist das Engagement der Bundesregierung für die Sicherheitsforschung bis dato eher bescheiden. Die Finanzierung des Programms im BMBF-Haushalt 2009 machte mit 44 Mio. Euro gerade ein Prozent der Gesamtausgaben im Bereich „Forschung für Innovationen/Hightech-Strategie“ aus. Forschung in den Bereichen Nano- oder Umwelttechnologien z.B. fördert das Ministerium mit jeweils mehr als doppelt so hohen Summen.[23] Bedenkt man zudem, dass viele Technologien, die im Rahmen der Sicherheitsforschung gefördert werden, bereits von anderen Programmen profitieren, dürfte der direkte Output an technischen „Innovationen“ durch die Sicherheitsforschung vorerst begrenzt sein. Ein weitaus wichtigerer Effekt des deutschen (und europäischen) Sicherheitsforschungsprogramms war vielmehr die Formierung einer Szene, die ihre Forschung unter dem Banner „Sicherheit“ vermarktet. Dass es neben der Fraunhofer-Gesellschaft insbesondere die Universitäten waren, die auf den Zug der Sicherheitsforschung aufsprangen und damit Gefahr laufen, sich von ihr in den Dienst nehmen zu lassen, stimmt nachdenklich: Albert-Ludwigs-Universität Freiburg, Technische Universität Berlin, Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn, Freie Universität Berlin, Universität Siegen etc. Sie alle warben Gelder in Millionenhöhe ein und stehen auf der Liste der Zuwendungsempfänger noch vor Siemens, EADS oder Diehl, die selbstverständlich auch zu den Profiteuren von Schavans Programm gehören.