Private und staatliche Kriminalisten – Konvergenzen, Kooperationen, Gefahren

von Norbert Pütter

Telekom, Deutsche Bahn, Lidl … – so könnte eine Liste jener namhafter deutscher Unternehmen beginnen, deren Sicherheitsanstrengungen in den letzten Jahren für Skandale gesorgt haben. Nach der öffentlichen Aufregung und der juristischen Bewältigung ist es wieder ruhig geworden um die im Verborgenen wirkenden privaten Sicherheitsexperten. Kein Grund zur Entwarnung.

Seit die inneren Sicherheitsdebatten vom „neuen Sicherheitsbegriff“ überwölbt werden, schwinden vertraute Grenzziehungen. Diese aufzulösen, war und ist dessen strategischer Sinn. Das betrifft mit der behaupteten Verflechtung von innerer und äußerer Sicherheit die Trennung zwischen militärischen und polizeilichen Aufgaben. Die Entgrenzung erstreckt sich aber auch auf die Verbindung von wirtschaftlichen und staatlichen Interessen und damit auf das Verhältnis zwischen „privater“ und öffentlicher Sicherheitswahrung. So wie in der Polizei-Militär-Frage Tendenzen der Entdifferenzierung – also der Zusammenarbeit und Vermischung vormals getrennter Aufgaben und Tätigkeiten – unübersehbar sind, so hat „Sicherheit“ für Unternehmen einen solchen Stellenwert eingenommen, dass ihnen die Kombination aus „Werksschutz“ und staatlicher Polizei nicht mehr auszureichen scheint.

Je nach Branche und Firmengröße unterschiedlich ausgeprägt, ergeben sich die alten (jetzt aber verschärft wahrgenommenen) und neuen unternehmerischen Sicherheitsrisiken in vier Bereichen: Der erste betrifft die Beschäftigten. ArbeitnehmerInnen sind ein traditionelles Sicherheitsproblem. Unternehmen waren schon immer darum besorgt, den Diebstahl von Arbeitsmaterial und Werkzeug oder den Ladendiebstahl durch das Verkaufspersonal zu verhindern. Aber je aufwändiger die Produktion, je ausgefallener die Produkte, je teurer Neuentwicklungen und je härter die Konkurrenz ist, desto wichtiger wird nicht allein das physische Betriebskapital, sondern das Know how, das Expertenwissen der Beschäftigten. Deren Loyalität und Verschwiegenheit zu sichern, ist eine direkte Folge gewandelter ökonomischer Bedingungen.

Die zweite Quelle unternehmerischer Sicherheitsrisiken sind die Konkurrenten am Markt. Sei es über das Einkaufen personengebundener Informationen („head hunting“), sei es über Praktiken der Korruption, der illegalen Informationsbeschaffung durch private Spionage oder der legalen durch inszenierte Kooperations- oder Übernahmeverhandlungen[1] – vor der Ausspähung durch die Konkurrenz sind Betriebsgeheimnisse jeder Art bedroht: von den Produktionsverfahren und Geschäftsbeziehungen bis zu strategischen Unternehmensentscheidungen.

Drittens gehen Risiken für Unternehmen von den KundInnen aus. Die „Schufa“ ist das klassische Instrument, mit dem Unternehmen sich vor zahlungsunfähigen KundInnen zu schützen suchen. Seit längeren unterhalten Versicherungen und Kreditkartenfirmen eigene Ermittlungsabteilungen, um Betrugsfälle aufzudecken. Zumindest für den Bereich des Kunstdiebstahls gibt es immer wieder Berichte, die auf „operative Tätigkeiten“ verweisen: Durch den Rückkauf des Diebesgutes soll der Schaden für die Versicherung verringert werden. In dem Maße, wie komplizierte Anlageformen zur Kapitalvermehrung Verbreitung finden, wie die Finanzwirtschaft ein von der so genannten Realwirtschaft getrenntes Eigenleben führt und Finanzgeschäfte global abgewickelt werden, steigen die Risiken, dass die Systeme mit illegalen Methoden ausgeraubt werden.

Viertens wächst mit der Globalisierung auch die Bedeutung der physischen Sicherheit von MitarbeiterInnen und Produktionsanlagen. Weltweites Engagement setzt voraus, dass Unternehmen auch über jene sozio-politischen Risiken informiert sind, die ihnen in anderen Ländern und Kontinenten drohen – seien es Bürgerkriege oder ethnische Konflikte, sei es die demografische oder ökologische Entwicklung. Auch hier gibt es immer wieder Berichte über Sicherheitsdienstleistungen, die sich auf mehr als nur Informationssammlung und -aufbereitung erstrecken – etwa wenn Firmen versuchen, entführte Mitarbeiter von den Entführern freizukaufen.

Nimmt man diese vier Aspekte zusammen, so zeigt sich sehr schnell, dass „Sicherheit“ zu einer grundlegenden unternehmerischen Voraussetzung in den fortgeschrittenen Ökonomien geworden ist. Die Verletzbarkeit der wirtschaftlichen Akteure hat derart zugenommen, dass sie „Sicherheit“ nicht länger dem Staat alleine überlassen wollen. Um das „Unternehmensziel Sicherheit“ zu erreichen, müsse sie – so der Sicherheitschef von Siemens – „ganzheitlich als ‚integrale betriebliche Gefahrenabwehr‘“ realisiert werden.[2]

Korporative Sicherheit

Rechtlich und in der öffentlichen Diskussion wird herkömmlich zwischen privater und öffentlicher Sicherheit unterschieden. Dabei soll „öffentlich“ den staatlichen Zuständigkeitsbereich markieren, „privat“ den Rest nicht-staatlicher Verhältnisse. Eine solche Unterscheidung, die die Sicherheit einer betrogenen Ehefrau in derselben Kategorie behandelt, wie die Sicherheit eines forschenden Arzneimittelkonzerns, unterschlägt die enorme gesellschaftliche und politische Bedeutung kapitalistischer („privater“) Ökonomie. Die Folgen privatisierter Sicherheitsarbeit sind deshalb dort am größten, wo sie eine unmittelbare Verbindung mit wirtschaftlicher Macht eingehen, indem Unternehmen ihre Sicherheit selbst in die Hand nehmen.

Hinsichtlich der Organisation dieser „korporativen Sicherheit“ lassen sich zwei Formen unterscheiden:[3] Als „inhouse security“ werden jene Unternehmensabteilungen bezeichnet, die sich mit der Sicherheit der Firma oder des Konzerns beschäftigen. Große Unternehmen verfügen über eigene, meist nah an der zentralen Leitung angesiedelte Sicherheitsabteilungen, die sich in den letzten zwei Jahrzehnten aus dem traditionellen Werksschutz entwickelten. Ihr Aufgabenbereich geht aber je nach Unternehmen weit über die physische Sicherung des Betriebseigentums hinaus. Mitunter werden sie als „ein Art von Firmenkripo“ beschrieben.[4] Über die Zahl der Sicherheitsabteilungen, ihre personelle Größe, die Rekrutierung ihres Personals und ihr Tätigkeitsprofil gibt es nur wenige Informationen; sie werden meist bei „Skandalen“ öffentlich.

Neben den Sicherheitsabteilungen existiert der Markt der „contract security“, also jene privaten Sicherheitsanbieter, die auf vertraglicher Basis Aufträge (für die Unternehmen) übernehmen. Offenkundig treten dabei häufig die Sicherheitsabteilungen als Auftraggeber in Erscheinung, so dass „corporate security“ durch das Zusammenwirken von eigenem Sicherheitspersonal und eingekauften Dienstleistungen gewährleistet werden soll (s. Kasten). In welchem Ausmaß private Sicherheitsfirmen zur „Konzernsicherheit“ beitragen, ist unbekannt. Für die USA ergab eine Untersuchung, dass Ermittlungstätigkeiten nur fünf Prozent des Umsatzes der Sicherheitsdienste ausmachten.[5] Auch in Deutschland liegt der Schwerpunkt privater Sicherheitsanbieter im Werks- und Objektschutz. 2009 wurden 36 Prozent der Beschäftigten in den Bereichen Objekt- und Werksschutz, 20 Prozent im Empfangsdienst und neun Prozent an Flughäfen eingesetzt.[6] „Ermittlungstätigkeiten“ sind offenkundig so unbedeutend, dass sie in dieser Auflistung des Bundesverbandes Deutscher Wach- und Sicherheitsunternehmen nicht auftauchen. Für das Jahr 2009 gaben die Mitglieder des Bundesverbandes Deutscher Detektive an, dass 53 Prozent ihrer Aufträge aus dem Bereich „Wirtschaft, Industrie, Handwerk“ kamen; davon entfielen 53 Prozent auf Industrie, Handel und produzierendes/verarbeitendes Gewerbe, 30 Prozent auf Dienstleistungen, Handwerk und Baugewerbe und zehn Prozent auf Versicherungen. Knapp die Hälfte aller Aufträge aus der Wirtschaft betrafen „Mitarbeiterkriminalität“.[7]

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Logik korporativer Sicherheitswahrung

Für private Sicherheitsleistungen gilt: Wer zahlt, bestimmt. „Policing for profit“ bedeutet, dass diejenigen, die die nötigen Mittel haben, sich ihre Sicherheit kaufen können. Bei der Diskussion um private Wachdienste im öffentlichen Raum oder zum Schutz des Eigentums sind die sozialen Folgen dieser Art der Privatisierung offensichtlich: Sie schafft unterschiedliche Sicherheiten für Reiche und Arme.[8] Für die private Aufrechterhaltung korporativer Sicherheit ist ein weiterer Aspekt von Bedeutung: Der private Auftraggeber bestimmt den Anlass von „Ermittlungen“, und er entscheidet darüber, wie deren Ergebnisse verwendet werden sollen. Untersuchungen von Polizei und Staatsanwaltschaft im Rahmen des Strafverfahrens sind in Deutschland an das Vorliegen „zureichender tatsächlicher Anhaltspunkte“ für eine Straftat gebunden (§ 152 Abs. 2 Strafprozessordnung). Ein Unternehmen, das MitarbeiterInnen der Spionage oder des Diebstahls verdächtigt, ist an diese Schwelle nicht gebunden. Zwar ist die Handlungsfreiheit privater ErmittlerInnen keineswegs unbegrenzt, aber die Grauzonen des Erlaubten sind allein deshalb größer, weil am Ende kein Strafprozess stehen muss, dessen Erfolg durch unzulässige Ermittlungsmethoden gefährdet würde. Denn der Auftraggeber entscheidet, was mit den durch die Sicherheitsabteilung oder beauftragte Fremdfirmen beschafften Informationen geschieht.

Da es Unternehmen – anders als der staatlichen Strafverfolgung – nicht darum geht, die Rechtsordnung aufrechtzuerhalten, sondern ihre eigenen Interessen zu wahren, d.h. etwa auf das öffentliche Image, die Position am Markt, den Börsenwert etc. zu achten, ist die öffentliche Anzeige nur eine von vielen Möglichkeiten. Für Unternehmen stehen Schadensbegrenzung und Wiedergutmachung im Vordergrund. Eine international vergleichende Untersuchung konnte nicht nur erhebliche Unterschiede in der Sanktionspraxis gegenüber Beschäftigten etwa zwischen Asien und Europa feststellen, sondern lieferte auch Hinweise darauf, dass die Unternehmen weniger scharf reagieren, je höher die verdächtigte Person in der Hierarchie steht.[9] Einen Mitarbeiter etwa wegen des Verrats von Betriebsgeheimnissen anzuzeigen, würde – neben dem Imageschaden – vermutlich auch dazu führen, dass der Betroffene den entstandenen Schaden nicht wird ausgleichen können, weil er keine adäquate Beschäftigung finden wird, die ihm eine materielle Wiedergutmachung erlaubte. Aus Unternehmenssicht ist es deshalb günstiger, unter Zusage einer Entschädigung auf eine Anzeige zu verzichten und das Arbeitsverhältnis in gegenseitigem Einvernehmen zu lösen.[10]

Einzig das Unternehmen profitiert von dieser Art der „Verfahrenserledigung“. Für den Betroffenen werden alle rechtsstaatlichen Sicherungen außer Kraft gesetzt; zwar kann er sich theoretisch der Kündigung widersetzen und es auf einen Prozess ankommen lassen. Aber praktisch böte selbst ein gewonnenes Strafverfahren keine Basis für eine weitere Arbeitsbeziehung. Für die Allgemeinheit bedeutete eine „private“ Lösung, die Schutzfunktion des Strafrechts auszuhebeln. Denn sollten die Vorwürfe zutreffen, würde ein entdeckter Delinquent auf den Arbeitsmarkt – gegebenenfalls für Führungskräfte – entlassen. Schließlich wird auf diesem Wege das gesamte Strafverfolgungssystem für private Kalküle funktionalisiert. Es dient als Drohung, um den Beschuldigten zum „freiwilligen“ Einlenken zu bewegen. Strafverfolgung kann dann nur bei jenem Rest von Gesetzesübertretungen tätig werden, der ihm von den Privaten überantwortet wird. Rechtsschutz und die Allgemeingültigkeit strafrechtlicher Normen gehen auf diesem Wege verloren.

Kooperationen

Es war schon immer falsch, aus den Unterschieden zwischen privaten und staatlichen Sicherheitsproduzenten einen Widerspruch zwischen beiden zu konstruieren. Durchaus folgen beide unterschiedlichen Handlungslogiken: Die Grade der Geheimhaltung, der öffentlichen Kontrollierbarkeit und der rechtlichen Einbindung sind verschieden, und es gibt auch eine beschränkte Konkurrenz – etwa im Hinblick auf die Arbeitsbedingungen oder die öffentlichen Mittel, die zur Verteilung stehen. Aber diese Differenzen stehen neben vielen Gemeinsamkeiten, die die Basis unterschiedlichster Kooperationen bilden. Die Bedeutung korporativer Sicherheitsproduktion erschließt sich deshalb nur dann, wenn ihr Verhältnis zu den staatlichen Apparaten mitbetrachtet wird.

Vier Ebenen privat-öffentlicher Zusammenarbeit lassen sich in Fragen der Sicherheit unterscheiden: Deren erste, die gemeinsame strategische Ausrichtung besteht zunächst darin, dass private wie öffentliche Instanzen darauf ausgerichtet sind, Sicherheitsprobleme zu diagnostizieren, die aus den Handlungen von Personen resultieren (können). Zudem sind beide am Ziel der Prävention orientiert. Gemeinsam wird eine risiko-orientierte Perspektive verfolgt.[11] Man möchte Schaden verhindern oder eingetretenen Schaden möglichst klein halten. Weil die Risiken frühzeitig entdeckt werden sollen, sind staatliche wie private Instanzen an der Sammlung von Informationen interessiert – von möglichst vielen Informationen aus unterschiedlichen Quellen, die zusammengefügt neue Informationen ergeben sollen. Unter dem Ansatz der „vorbeugenden Verbrechensbekämpfung“ gibt sich die polizeiliche Strategie schon lange nicht mehr damit zufrieden, darauf zu warten, dass die Schwellen der Strafprozessordnung erreicht werden. Auch wenn allem Anschein nach die Kompetenzen des Polizeirechts in wirtschaftskriminalistischen Ermittlungen nur eine untergeordnete Rolle spielen, so teilen private wie öffentliche Ermittler die präventive Orientierung. Die Gewinnung von Informationen ist daher auf besondere Methoden angewiesen. Auch wenn beiden Seiten diese Methoden nicht im gleichen Maße zur Verfügung stehen (s.u.), so setzen sie beide auf die Kombination aus offener und verdeckter Datenerhebung.

Die zweite Ebene, die persönliche Verbindung, ist aus der Diskussion um private Sicherheitsdienste als „old boys network“ hinlänglich bekannt.[12] Ursprünglich – darauf bezieht sich das „old“ – ging es hier darum, dass Polizisten nach der Pensionierung eine zweite und einträgliche Karriere im privaten Sicherheitsbereich begannen. Mittlerweile stellt das Abwandern in die freie Wirtschaft einen durchaus häufiger anzutreffenden Laufbahnwechsel dar (s. Kasten auf S. 10). Die Basis dieses Netzwerks sind die gemeinsame berufliche Sozialisation, eine gewisse Gleichförmigkeit in der Denkungsart und den Kategorien der Wahrnehmung, die Kenntnis des Gegenübers aus der Binnenperspektive sowie auch die persönliche Bekanntschaft. Auf dieser Ebene vielfacher Gemeinsamkeiten, so die Vermutung, lassen sich viele Dinge problemloser und jenseits bürokratisch-rechtlicher Regulierungen schneller erledigen.

image002Die dritte Ebene der Kooperation bezieht sich auf die direkten Formen arbeitsteiliger Zusammenarbeit. Für diesen Aspekt sind die unterschiedlichen rechtlichen und institutionellen Bedingungen beider Seiten ausschlaggebend. Die öffentliche Polizei ist durch das Polizei- und Strafprozessrecht in ihrem Handlungsrepertoire – so ausgeleiert die Rechtsnormen mittlerweile auch sein mögen – begrenzt; gleichzeitig hat sie faktisch kaum Möglichkeiten, Verdachtschöpfung in den internen Bereichen von Unternehmen zu betreiben. Das ist umgekehrt das Feld, zu dem die privaten Ermittler, ermächtigt durch das Unternehmen, direkten Zugang haben. Sie sind nicht behindert durch fehlende Ermittlungsbefugnisse, sondern durch die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen, durch Datenschutz- und Arbeitsrecht oder durch zivilrechtliche Bestimmungen. Angesichts dieser Konstellation wird gerne auf die durch öffentlich-private Kooperationen noch keineswegs ausgeschöpften „Synergien in der Ermittlungsarbeit“ hingewiesen.[13]

Dass die Privaten in diesen Konstellationen die „dirty work“ übernähmen, ist bereits in den 1980er Jahren vermutet worden; dabei könne es sich sowohl um Tätigkeiten handeln, die nur der staatlichen Polizei untersagt seien, wie um solche, die generell illegal seien.[14] In der Selbstdarstellung eines privaten Anbieters werden nicht nur die „hohen ethischen Standards“ erwähnt, denen man sich verpflichtet fühle. Es wird zugleich darauf hingewiesen, dass man Informationen auch durch „Undercover agents, technische Einsatzmittel etc.“ gewinne.[15] In welchem Ausmaß derartige Arbeitsteilungen in Deutschland stattfinden, ist unbekannt. Der tabellarischen Übersicht des Bundesverbandes Deutscher Detektive für 2009 ist zu entnehmen, dass sieben Prozent der Auftraggeber aus den Bereichen „Körperschaften des öffentlichen Rechts, Behörden, Sonstige“ stammten.[16] Die bekannteste Public-Private Partnership dieser Art war der Fall Werner Mauss (s. Kasten auf S. 12). Aus der jüngeren Vergangenheit gibt es wenig Bekanntes: etwa dass kommunale Ordnungsbehörden Detektive beauftragten, um illegale Müllentsorger zu identifizieren,[17] oder dass eine Ermittlungsfirma „auf Empfehlung einer deutschen Strafverfolgungsbehörde in der Ukraine eine kriminelle Struktur“ aufdecken konnte.[18]

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Die vierte Beziehung zwischen der öffentlichen Polizei und den privaten Ermittlern besteht im Informationsaustausch. Sowohl die Sicherheitsdienste als auch die Polizeiführungen sehen in der Weitergabe und gegenseitigen Nutzung von Informationen das wichtigste Element der Zusammenarbeit.[19] Dabei kann es sich um einzelfallbezogene Nachrichten handeln. In einigen deutschen Großstädten ist etwa die Beteiligung privater Sicherheitsdienste an polizeilichen Fahndungen seit mehreren Jahren vertraglich geregelt.[20] Der Informationsaustausch ist darüber hinaus in einzelnen Deliktsbereichen institutionalisiert; für Deutschland ist die Datenbank „UNI-WAGNIS“, in der die Versicherungen auffällige Schadensfälle erfassen, ein Beispiel für eine private Datensammlung, auf deren Bestände die Polizei – mittelbar – zugreifen kann.[21]

In anderen Feldern sind die intensivierten Informationsbeziehungen eine Folge gewandelter Sicherheitslagen oder -politik. Dazu einige Beispiele:

  • Im Hinblick auf den Schutz von Betriebsgeheimnissen gibt es rechtlich weiterhin eine Zweiteilung: Handelt es sich um die unbefugte Weitergabe an Private, dann liegt die Abwehr dieser „Konkurrenzausspähung“ oder „Industriespionage“ bei den Unternehmen selbst. Erfolgt die Ausforschung im Auftrag eines Staates („Wirtschaftsspionage“), dann fällt deren Aufdeckung in Deutschland in die Zuständigkeit des Verfassungsschutzes, die Ahndung in die des Strafverfolgungssystems.[22] Angesichts der jüngeren Entwicklungen wird diese Unterscheidung mehr denn je hinfällig. In einer globalisierten Ökonomie, in der zugleich mit den Unternehmen sich Nationalstaaten in der Konkurrenz um Standortvorteile, technologischen Fortschritt und Wachstumsraten befinden, treten fremder Staat und fremdes Unternehmen als kaum unterscheidbare (verdeckte) Akteure auf. Die Abwehr von Wirtschaftsspionage, so der Staatssekretär im Bundesinnenministerium, bilde „einen wichtigen Aufgabenschwerpunkt“ für das Bundesamt für Verfassungsschutz, dessen Kapazitäten in diesem Bereich verstärkt worden seien. Gemeinsam mit den Landesämtern unterstütze man die Unternehmen beim „Informationsschutz“ und könne dabei „umfassende Vertraulichkeit zusichern“.[23] Zwar liegt es in der Natur der Sache, dass die Öffentlichkeit nichts über die Informationen selbst erfährt. Dass auch nichts über die Verfahren, die Beteiligten, die Menge und die Routinen des Datenverkehrs bekannt ist, deutet auf erhebliche demokratische und bürgerrechtliche Defizite hin.
  • Seit den 1990er Jahren wird der Bekämpfung der Geldwäsche international hohe Priorität eingeräumt. Banken und Geldinstituten sind Identifizierungs-, Registrierungs- und Meldeverpflichtungen auferlegt worden. Die Banken selbst sind von der Strafandrohung betroffen, indem sie sich der Beihilfe schuldig machen können. Das heißt nach dem Willen des Gesetzgebers sollen Banken und Strafverfolgung zusammenarbeiten; demzufolge haben beide gemeinsame Kriterien für verdächtige Transaktionen entwickelt.[24] Eine jüngere Untersuchung stellt für Frankreich fest, dass der Informationsaustausch zwischen Geldinstituten und Strafverfolgungsbehörden zur Routine geworden sei und zur Entwicklung gemeinsamer Erkenntnissen geführt habe.[25]

Ein zweiter Bereich, der sicherheitspolitisch aufgeladen wurde, ist die „Kritische Infrastruktur“. Durch die Privatisierungspolitik der vergangenen Jahrzehnte handelt es sich bei diesen Sparten mittlerweile meist um privatwirtschaftlich verfasste Strukturen: Energie- und Wasserversorgung, Verkehr, Kommunikation etc. Aber auch die Versorgung mit Lebensmitteln wird zur „Kritischen Infrastruktur“ gezählt. Die Reichweite des Begriffs ist unbestimmt. Diese Bereiche sind angesichts des Gefahrenpotentials (Atomkraftwerke, chemische Industrie), angesichts ihrer Verletzlichkeit (Trinkwasserversorgung, Digitalisierung) und angesichts der terroristischen Bedrohung zu einem wichtigen Feld der Zusammenarbeit von (privaten) Betreibern und staatlichen Sicherheitsapparaten geworden. Gefahrenabwehr als staatliche Aufgabe und Selbstschutz der Unternehmen sind nahezu identisch. Ein reger Informationsaustausch, fallbezogener wie strategischer Art, liegt nahe. Auch die Ausweitung der Sicherheitsüberprüfungen auf den „vorbeugenden Sabotageschutz“ erlaubt Unternehmen, ihre in „lebens- oder verteidigungswichtigen Einrichtungen“ Beschäftigten von Polizei und Verfassungsschutz überprüfen zu lassen.[26] Damit ist der Austausch von personenbezogenen Daten auf eine rechtliche Grundlage gestellt.

  • Was die Digitalisierung technisch ermöglicht bzw. erleichtert, wurde und wird durch die Politik des Anti-Terrorismus zu realisieren versucht: eine systematische und umfassende Verknüpfung privater und öffentlicher Informationsbestände. Dabei werden zum einen private Informationssammlungen erst staatlich vorgeschrieben: Das gilt nicht nur für den Bereich der Geldwäsche, sondern z.B. auch für die „Vorratsdatenspeicherung“ im Bereich der Telekommunikation. Der Staat verpflichtet die Unternehmen zur Erhebung und zur Speicherung von Daten, die sie (in diesem Umfang etc.) aus eigenen Motiven nicht erheben würden. Zum anderen wird der staatliche Zugriff auf privat vorhandene Informationsbestände gesucht. Dass staatliche Sicherheitsbehörden die Zusammenarbeit mit Google oder den Betreibern „sozialer Netzwerke“ suchen, ist logische Folge der Strategie informationeller Vernetzung. In dem Maße, wie die privaten Datenbestände wachsen, nehmen die Informationen zu, auf die staatliche Sicherheitsapparate mittelbaren Zugriff erhalten können – sei es „reaktiv“ im Ermittlungsverfahren oder „präventiv“ im Hinblick auf Lagebilderstellung, Gefährdungsprognosen und Verdachtschöpfung. Auch hier muss darauf hingewiesen werden, dass es sich nicht um einseitige Informationsbeziehungen handelt, sondern dass – in einigen Feldern (Gefährdungsanalysen, modus operandi) die Informationen von den Sicherheitsbehörden zu den Privaten gehen.

Grauzonen, mehrfach verschachtelt

Vor knapp zwei Jahrzehnten hat Bob Hoogenboom den Komplex polizeilich-privater Ermittlungen als „grey policing“ bezeichnet. Der zunehmenden Bedeutung des Informationsaustauschs und der „Auswertung von Informationen“ folgend, hat er vor wenigen Jahren auf die Herausbildung von „grey intelligence“ hingewiesen.[27] Seine Anregungen sind international auf wenig, in Deutschland auf fast keine Resonanz gestoßen. Über jene Zone zwischen Unternehmens- und öffentlicher Sicherheit, zwischen privaten und staatlichen Ermittlungen, zwischen Schadensbegrenzung und Strafverfolgung, zwischen unternehmerischen und staatlichen Sicherheitsinteressen ist – jenseits der anfangs erwähnten Ereignisse – zuverlässig nur bekannt, dass es sie gibt und dass ihre Bedeutung vermutlich wächst.[28] Angesichts dieses Nichtwissens kann abschließend nur auf die drei wichtigsten Probleme hinwiesen werden:

Erstens bedeutet „Sicherheit“ aus der Perspektive von Unternehmen, dass ihre Interessen gegenüber Beschäftigten, Kunden, Konkurrenten, fremden Staaten, Terroristen oder Saboteuren geschützt werden. In dem Maße, wie die Unternehmen die Aufdeckung, Abwehr und Sanktionierung mit professionalisierten Abteilungen selbst in die Hand nehmen, sinkt der rechtsstaatliche Schutz für alle Beteiligten, und zugleich wachsen die Überschneidungen, mögliche Konkurrenzen, aber auch Formen der Kooperation mit staatlichen Polizeien (und Geheimdiensten).

Durch die Einschaltung privater Ermittlungsdienste entsteht zweitens ein Markt verdeckter Ausforschungs- und Überwachungsmethoden, die von verschiedenen Akteuren in wandelnden Interessenkonstellationen zu unterschiedlichen Zwecken genutzt werden können.

Wechselnd, so kann drittens vermutet werden, sind die Dominanzverhältnisse zwischen den Beteiligten: Während bei betriebsinternen Delikten die staatliche Strafandrohung für die Unternehmen nur die zweitbeste Lösung darstellt, existieren in anderen Bereichen (Terrorabwehr, Wirtschaftsspionage, Geldwäsche und mitunter Korruption) gleichgerichtete Interessenlagen, so dass die privaten und privat erlangten Informationen ein reiches Reservoire für staatliche Ermittlungen darstellen.

In diesem Geflecht bleiben Transparenz und Kontrollierbarkeit offenkundig auf der Strecke.

Norbert Pütter, Berlin, ist Redakteur von Bürgerrechte & Polizei/CILIP.
[1] Wolf, N.: Sicherheitskooperation als weltweite Zweckbündnisse aus Sicht der Wirtschaft, in: www.bka.de/kriminalwissenschaften/herbsttagung/2005/rede_wolf_lang.pdf, S. 6
[2] ebd.
[3] s. Nalla, M.K.: Police: Private Police and Industrial Security, http://law.jrank.org/pages/
1691/Police-Private-Police-Industrial-Security.html
[4] Jaeger, R.R.: Problematik privater Ermittlungsorganisationen in Unternehmen, in: der kriminalist 2008, H. 1, S. 19-24 (19)
[5] Mit 34 bzw. 30 Prozent entfielen die größten Umsatzposten auf Wachdienste und Alarmzentralen, s. The Security Industry and Private Policing, in: www.lib.uwo.ca/programs/generalbusiness/pp.html.
[6] www.bdws.de/cms/index.php?option=com_content&task=view&id=28&Itemid=57&
limit=1&limitstart=6 (10.1.2011)
[7] www.bdd.de/Download_Oeffentlicher_Bereich/DatenundFakten2009.pdf. Im BDD sind allerdings nur 10 Prozent aller in Deutschland registrierten Detekteien organisiert.
[8] z.B. Beste, H.; Voß, M.: Privatisierung staatlicher Sozialkontrolle durch kommerzielle Sicherheitsunternehmen?, in: Sack, F. u.a. (Hg.): Privatisierung staatlicher Kontrolle: Befunde, Konzepte, Tendenzen, Baden-Baden 1995, S. 219-233
[9] Bussmann, K.-D.; Werle, M.M.: Addressing Crime in Companies, in: British Journal of Criminology 2006, No. 6, pp. 1128-1144 (1139 f.)
[10] s. Maier, B.: Verbrechensaufklärung durch Privatdetektive, in: Kriminalistik 2001, H. 10, S. 670-672 (670)
[11] O’Reilly, C.; Ellison, G.: ‚Eye Spy Private High‘, in: British Journal of Criminology 2006, No. 4, pp. 641-660 (649)
[12] Hoogenboom, B.: Grey Policing: A Theoretical Framework, in: Policing & Society 1991, No. 1, pp. 17-30 (26)
[13] Wörner, R.: Kooperationsformen von Versicherungen und Polizei als wirksames Mittel gegen Versicherungsbetrug in der Schadensversicherung, in: der kriminalist 2006, H. 6, S. 253-258 (253)
[14] s. Marx, G.T.: The Interweaving of Public and Private Police in Undercover Work, in: Shearing, C.D.; Stenning, Ph.C. (eds.): Private Policing, Newbury Park 1987, pp. 172-193
[15] Nowotny, V.; Flormann, W.: Control Risks: Kontrolle ist machbar – auch in Krisensituationen, in: der kriminalist 2000, H. 4, S. 165-167 (166)
[16] www.bdd.de/Download_Oeffentlicher_Bereich/DatenundFakten2009.pdf
[17] Brauser-Jung, G.: Das überwachungsbedürftige Sicherheitsgewerbe des § 38 I Nr. 2 und 5 GewO – zum rechtlichen Rahmen des Detektivgewerbes und des Gebäudesicherungseinrichtungsgewerbes, in: Stober, R.; Olschok, H. (Hg.): Handbuch des Sicherheitsgewerberechts, München 2004, S. 207-221 (219)
[18] Nowotny; Flormann a.a.O. (Fn. 15), S. 166
[19] exemplarisch: Kötter, F.P.: Wie private Dienstleister die Polizei unterstützen können, in: Polizei – heute 2007, H. 3, S. 107-109; Ziercke, J.: Kooperationsfelder Polizei – Private Sicherheit, in: Die Polizei 2004, H. 11, S. 331 f.
[20] Bernhard, H.: Möglichkeit und Grenzen der Zusammenarbeit von Behörden/Polizeien mit privaten Sicherheitsdiensten – aus Sicht der Polizei, in: Stober, R. (Hg.): Jahrbuch des Sicherheitsgewerberechts 1999/2000, Hamburg 2000, S. 23-34; Schmidt, S.: Das expandierende private Sicherheitsgewerbe – droht der Verlust des staatlichen Gewaltmonopols im öffentlichen Raum?, Berlin 2004
[21] Wörner a.a.O. (Fn. 13)
[22] Strümpfel, J.: Werkzeuge der Industriespionage, in: www.dfn-cert.de/dokumente/workshop/2007/dfncert-ws2007-f9.pdf
[23] Fritsche, K.-D.: Sicherheit für Bürger und Unternehmen, in: Innenpolitik 2010, H. 6, S. 4-7 (6)
[24] s. etwa die Formulierung von „Anhaltspunkten“ durch das Bundeskriminalamt und den Zentralen Kreditausschuss, einem Zusammenschluss der 5 Spitzenverbände der deutschen Kreditwirtschaft, abgedruckt in: Körner, H.H.; Dach, E.: Geldwäsche, München 1994, S. 162 f.
[25] Favarel-Garrigues, G.; Godefroy, Th.; Lascoumes, P.: Sentinels in the Banking Industry, in: British Journal of Criminology 2008, No. 1, pp. 1-19 (18) („and led to the development of joint intelligence ‚production‘“)
[26] § 1 Abs. 4 Sicherheitsüberprüfungsgesetz, eingefügt im Januar 2002
[27] Hoogenboom a.a.O. (Fn. 12); s.a. ders.: Die Verflechtung zwischen staatlicher und privater Polizei. Zur Entstehung von „grey policing“ in den Niederlanden, in: Brusten, M. (Hg.): Polizei-Politik, Kriminologisches Journal 4. Beiheft, Weinheim 1992, S. 197-208; ders.: Grey Intelligence, in: Crime, Law and Social Change 2006, No. 4-5, pp. 373-381
[28] Ein Antrag von Mitgliedern der CILIP-Redaktion, für Deutschland eine erste empirische Bestandsaufnahme zu erstellen, wurde von der Forschungsförderungs-Einrichtung abgelehnt.

Bibliographische Angaben: Pütter, Norbert: Private und staatliche Kriminalisten. Konvergenzen, Kooperationen, Gefahren, in: Bürgerrechte & Polizei/CILIP 97 (3/2010), S. 3-16

Bild: Wikipedia (gemeinfrei)