Geheimdienste besser kontrollieren? Zwischen Illusionen und bewusster Täuschung

Dass angesichts des NSU die Polizeien und die Geheimdienste in Deutschland versagt haben, ist offenkundig. Die Dienste, deren Aufgabe es sein soll, gegen die Verfassung gerichtete Bestrebungen frühzeitig zu entdecken, haben vom NSU keine Ahnung gehabt. Gleichzeitig haben sich diverse V-Leute der Ämter um Umfeld des NSU bewegt. Weil all dies auch den politischen Kontrolleuren der Dienste nicht auffiel, ist der Schluss naheliegend, dass die Kontrolle unzureichend ist und alsbald verbessert werden muss.

Auf die Vorschläge des NSU-Untersuchungsausschusses nimmt der Koalitionsvertrag der erneuten Großen Koaliation positiv Bezug. Sofern die Bundesebene betroffen sei, mache man sich die Empfehlungen „für die Bereiche Polizei, Justiz und Verfassungsschutz, zur parlamentarischen Kontrolle der Tätigkeit der Nachrichtendienste sowie zur Förderung zivilgesellschaftlichen Engagements gegen Rechtsextremismus, Rassismus und Antisemitismus“ „zu Eigen“. Die Koalition wolle sie „zügig umsetzen“. Wenig später heißt es:

„Wir wollen eine bessere parlamentarische Kontrolle der Nachrichtendienste. Die Anforderungen an Auswahl und Führung von V-Leuten des Verfassungsschutzes werden wir im Bundesverfassungsschutzgesetz regeln und die parlamentarische Kontrolle ermöglichen. Die Behördenleiter müssen die Einsätze der V-Leute genehmigen. Bund und Länder informieren sich wechselseitig über die eingesetzten V-Leute.“[1]

Mit diesen Vorhaben hat sich die Koalition nur auf einen Teil dessen verständigt, was der NSU-Ausschuss im Konsens empfahl – ganz zu schweigen von den verschiedenen Empfehlungen, die die Fraktionen – mit Ausnahme der CDU/CSU – aus dem offenkundigen Kontrollversagen zogen.

Konsens im NSU-Ausschuss

Unter seinen 47 Empfehlungen, die der Ausschuss formulierte, gelten 16 den Verfassungsschutzbehörden, davon thematisieren drei die parlamentarische Kontrolle, vier, die der Ausschuss als „Sofortmaßnahmen und Minimalkonsens“ bezeichnet, betreffen den Bereich der V-Leute.[2]

Zur parlamentarischen Kontrolle wird zunächst festgestellt, dass es „der Stärkung einer systematischen und strukturellen Kontrolle“ bedürfe. Es müsse zukünftig möglich sein, dass „einzelne Tätigkeitsbereiche … gezielt untersucht werden“. Deshalb müssten die parlamentarischen Kontrollgremien „schlagkräftiger werden“; sie müssten „eine dauerhafte Kontrolltätigkeit ausüben können“: „Dafür bedarf es einer ausreichenden Personal- und Sachausstattung.“ Zur Effektivierung der Kontrolle müssten zudem die Anhörungsrechte des parlamentarischen Kontrollgremiums dahingehend erweitert werden, dass das Gremium auch Beschäftigte von Bundes- und Landesbehörden außerhalb der Nachrichtendienste vorladen darf. Schließlich müsse es dem Parlamentarischen Kontrollgremium gestattet werden, sich in den Fällen, an denen die Dienste von Bund und Ländern beteiligt sind, mit dem Kontrollgremien „der beteiligten Bundesländer ins Benehmen (zu) setzen“.

Für den Bereich der Vertrauensleute empfiehlt der Ausschuss erstens einen „einheitlichen Sprachgebrauch für menschliche Quellen“; es müsse unterschieden werden zwischen Gelegenheitsinformanten mit und ohne Gegenleistung und solchen Informanten mit Zusammenarbeitsverpflichtung und Gegenleistung. Zweitens seien „klare Vorgaben hinsichtlich der Auswahl und Eignung“, der „Anwerbung“ von und für die „Beendigung der Zusammenarbeit“ mit V-Leuten zu schaffen. Drittens müssten auch „klare Vorgaben hinsichtlich der Dauer der Führung einer Quelle“ geschaffen werden. Und viertens weist der Ausschuss darauf hin, dass der Quellenschutz „nicht absolut“ sei. Die Interessen des Verfassungsschutzes und die Belange von Strafverfolgung und Gefahrenabwehr seien „in ein angemessenes Verhältnis zu bringen.“

Man sieht sehr schnell, die Verhandler der Großen Koalition haben den Minimalkonsens nochmals minimiert. Von einer besseren Ausstattung des Kontrollgremiums ist keine Rede. Die Erweiterung der Anhörungsrechte und der Kontakt mit den Kontrollorganen der Länder ist nicht vorgesehen. Die Anforderungen für die V-Leute-Arbeit sollen in das Gesetz aufgenommen werden; wie die parlamentarische Kontrolle gewährleistet werden soll, bleibt offen. Auch zu den Grenzen des Quellenschutzes kein Wort.

Kompetenzen, V-Leute, Ressourcen

Diese mageren Aussichten verwundern um so mehr, als wie erwähnt die Empfehlungen, die der Ausschuss im Konsens beschloss, weit hinter dem zurückbleiben, was die Fraktionen mit Ausnahme der CDU/CSU in ihren Sondervoten forderten. Die entsprechenden Vorstellungen lassen sich zu drei Komplexen bündeln.

Sie betreffen erstens die zusätzlichen Kompetenzen, die die Kontrollfähigkeiten der parlamentarischen Gremien stärken sollen:[3]

  • Jederzeitiger ungehinderter und anangemeldeter Zugang zu den Diensten und freie Akteneinsicht (FDP)
  • Vorladung der Mitarbeiter der Dienste, wenn dies ein Viertel der Mitglieder (statt derzeit zwei Drittel) des Kontrollgremiums fordert (FDP); Vorladungen und Akteneinsicht auf Antrag jeder Fraktion (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Erleichterter Zugang zum Kontrollgremium für die Mitarbeiter der Dienste (FDP)
  • Abschaffung der Informationsverweigerungsmöglichkeit der Dienste gegenüber dem Kontrollgremium (mit Ausnahme) (FDP); „weitestgehende Offenlegung“ aller Verschlusssachen (Linke); Verletzung der Unterrichtungsverpflichtung durch die Regierung als Dienstvergehen ahnden (FDP); Umfassende Informationspflicht der Bundesregierung (Linke); Beschränkung der Möglichkeiten der Bundesregierung, Auskünfte oder Vorlagen von Akten aus Gründen der Geheimhaltung zu verweigern (Linke)
  • Protokollieren der Sitzungen (FDP); regelmäßige, schriftliche Berichte der Bundesregierung (Linke)
  • Recht der Ausschussmitglieder, die Öffentlichkeit zu informieren, wenn die Bundesregierung ihrer Informationspflicht nicht nachkommt (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Gegenseitige Unterrichtungsverpflichtung für die Kontrollgremien in Bund und Ländern (FDP)
  • Erlass von Dienstvorschriften der Dienste im Benehmen mit dem Kontrollgremium (FDP)
  • Übertragung zusätzlicher Kontrollrechte auf die Rechts-, Innen- und Haushaltsausschüsse (Linke)
  • Umwandlung des Kontrollgremiums in einen „Ausschuss für die Kontrolle der Nachrichtendienste“ (Linke); Einrichtung eines regulären Ausschusses mit verbesserten Auskunfts- und Kontrollbefugnissen (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Fragerecht aller Abgeordneten und Antwortpflicht der Bundesregierung zur Arbeit der Dienste im Grundgesetz verankern (Linke)

Ein zweites Forderungsbündel betrifft die Kontrolle von V-Leuten

  • Regelmäßige Unterrichtung über V-Mann-Einsätze (FDP)
  • Genehmigung der Einsätze von V-Personen durch die G10-Kommis­sionen in Bund und Ländern (SPD); Mitwirkung der G10-Kommission „an der Anordnung und Verlaufskontrolle des Einsatzes nachrichtendienstlicher Mittel“ (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Sofortige Beendigung des V-Mann-Einsatzes in der rechten Szene (Moratorium). Während dieser Zeit nur Einzelfall-Einsatz nach Genehmigung durch die G10-Kommission; „ergebnisoffene“ Überprüfung, ob und unter welchen Voraussetzungen V-Leute eingesetzt werden sollen. (Bündnis 90/Die Grünen)

Und drittens geht es schließlich um die personellen Ressourcen, auf die die Kontrollgremien zurückgreifen können:

  • Einrichtung eines Arbeitsstabes unter Führung eines Leitenden Beamten als „verlängerter Arm“ des Kontrollgremiums (SPD); einen „Ermittlungsbeauftragten mit eigenem Personalstab“ schaffen (Bündnis 90/Die Grünen)
  • Bestellung eines Sachverständigen (FDP)
  • Zulassung von Fraktionsmitarbeitern zu den Sitzungen des Kontrollgremiums (FDP)
  • Recht der Mitglieder des Kontrollgremiums, sich mit dem Fraktionsvorsitzenden und dem Parlamentarischen Geschäftsführer der Fraktion zu beraten (FDP)
  • Erhöhung der Mitgliederzahl der G10-Kommission von drei auf fünf (FDP); „mehr Personal“ für die G10-Kommission (Bündnis 90/Die Grünen)

Schaulaufen der Kontrolleure

Man kann dieses breite Spektrum an Forderungen unter verschiedenen Aspekten betrachten. Der vordergründigste ist der parteipolitische. Hier ist die Lage eindeutig. CDU/CSU bilden den einen, die LINKE den anderen Pol: Das Sondervotum der C-Parteien im 1.368 Seiten umfassenden Abschlussbericht ist eineinhalb Spalten lang; zur Kontrolle kein Wort.[4] Am anderen Ende die Linkspartei, die die Inlandsgeheimdienste abschaffen möchte und ihre Kontrollvorschläge nur als Zwischenlösung versteht. Dazwischen SPD und FDP, die die bestehenden Einrichtungen (Parlamentarisches Kontrollgremium, G10-Kommission) ausbauen und damit die Entwicklung der letzten Jahrzehnte fortsetzen wollen. Schließlich Bündnis 90/Die Grünen, die die bestehenden Kontrollinstrumente verbessern, darüber hinaus aber das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) auflösen und die „Inlandsaufklärung“ auf „genau bestimmte Bestrebungen mit tatsächlichem Gewaltbezug“ beschränken wollen.

Betrachtet man die Politik der Parteien etwas genauer, ist das Bild weniger eindeutig. Die Diskrepanzen sind am offenkundigsten bei den Parteien, die sich im Bund als besonders geheimdienstkritisch darstellen. Die Fraktion der Linkspartei hat im Frühjahr 2012 einen Gesetzentwurf auf Auflösung des Landesamtes für Verfassungsschutz in den Thüringer Landtag eingebracht.[5] Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen brachten u.a. in den Landtagen von Sachsen-Anhalt und Bayern Anträge ein, durch die die Kompetenzen der Kontrollgremien ausgeweitet werden sollten.[6] Im vergangenen Jahr brachte auch die niedersächsische Landtagsfraktion der FDP einen Antrag ein, durch den ein Teil der oben genannten FDP-Forderungen für Niedersachsen umgesetzt werden sollte.[7] Kurze Zeit später legte die CDU-Fraktion nach: Sie beantragte die Einsetzung einer „Enquetekommission ‚Für den Schutz der Freiheit – Niedesachsen braucht einen handlungsfähigen Verfassungsschutz!‘“. Die solle sich auch mit der Frage befassen: „Wie kann die Kontrolle des Verfassungsschutzes durch den Landtag sichergestellt werden?“[8]

Diese Liste mit „Kontroll-Initiativen“ könnte fortgesetzt werden. Sie hat aber einen kleinen Schönheitsfehler: Alle, die eine stärkere Kontrolle fordern, sind in der parlamentarischen Opposition; ihre Anträge wurden allesamt abgelehnt. Blickt man auf dieselben Parteien in „Regierungsverantwortung“, dann bleibt allenfalls ein marginales Verändern, sicher nicht eine nennenswert verbesserte Kontrollfähigkeit des Parlaments oder gar der Öffentlichkeit.

Die LINKE ist gegenwärtig noch in einem Bundesland an der Regierung beteiligt, in Brandenburg. Zugegeben, der Koalitionsvertrag ist von 2009 – also vor dem Auffliegen des NSU –, aber die geheimdienstlichen Kontrollprobleme waren auch schon damals bekannt; im Koalitionsvertrag kein Wort zur Kontrolle des Verfassungsschutzes.[9] Da die Partei in der Regierung sitzt, hat sie auch im Landtag seither keine Initiativen in diese Richtung entfaltet.

Bündnis 90/Die Grünen stellen in Baden-Württemberg den Ministerpräsidenten und sind in einer Reihe von Ländern als Juniorpartner in Koalitionen. Im baden-württembergischen Koalitionsvertrag[10] (von 2011) taucht bereits der „Verfassungsschutz“ nicht auf, geschweige denn seine Kontrollierbarkeit. Im niedersächsischen rot-grünen Koalitionsvertrag[11] wird angekündigt, man werde „die parlamentarischen Kontrolle des Verfassungsschutzes verbessern und einen Verfassungsschutzbericht des Parlaments einführen“. Der Kontrollausschuss soll „nur soweit wie notwendig unter Geheimhaltung tagen“, und „die Befugnisse des Ausschusses“ sollen „erweitert“ werden, „um eine möglichst transparente Arbeitsweise zu erzielen“ – nicht etwa, um die Qualität der Kontrolle zu erhöhen.

Die rot-grünen Partner wählten in Nordrhein-Westfalen 2010 zunächst den baden-württembergischen Weg: Keine Verfassungsschutz- und keine Kontrollprobleme im Koalitionsvertrag.[12] Mitte 2013 beschloss der Landtag jedoch auf Antrag der Landesregierung eine Novellierung des Verfassungsschutzgesetzes. Darin werden auch die Befugnisse des Kontrollgremiums erweitert: Die Pflicht der Landesregierung zur „umfassend(en) Information über die Tätigkeit der Verfassungsschutzbehörde“ wird betont; das Gremium darf nur geheim tagen, „wenn Geheimhaltungsgründe dies erforderlich machen“; schließlich soll das Kontrollgremium durch „Beschäftigte der Landtagsverwaltung unterstützt werden“.[13] Diese „Verschärfungen“ bleiben weit hinter dem zurück, was beide Parteien auf Bundesebene fordern: Keine Minderheitenrechte, kein Beauftragter mit einem Arbeitsstab, keine Möglichkeit mit der Fraktionsspitze oder mit den Kontrolleuren im Bund oder den anderen Ländern zu kommunizieren, keine Beteiligung an der Entscheidung über V-Mann-Einsätze[14] etc.

Man ahnt, was in anderen Landtagen maximal zu erwarten ist. Im schwarz-grünen hessischen Koalitionsvertrag[15] heißt es denn auch eher bescheiden: „Unverzichtbar ist jedoch … eine wirkungsvolle demokratische Kontrolle des Verfassungsschutzes … Durch eine Intensivierung der Informationspflichten gegenüber der Parlamentarischen Kontrollkommission werden wir die Kontrollrechte der Abgeordneten stärken.“

Kontrolle in der „Tiefe“

Verschwiegen wird in der gesamten Debatte, was wie mit welchen Mitteln „kontrolliert“ werden soll. In den Forderungen nach einem „administrativen Stab“, nach einem „Leitenden Beamten“ oder einen „Kontrollbeauftragten“ klingt die Vorstellung an, eine mit investigativen Ressourcen ausgestattete Einheit solle im Namen des Parlaments die Tätigkeit der Dienste genau unter die Lupe nehmen. Die Kontrolleure sollten nicht länger auf das Informationsverhalten der Regierung bzw. der Dienste angewiesen sein, sondern mit eigenem Personal Informationen erheben und die Praxis der Dienste im Hinblick auf Rechtmäßigkeit (vielleicht auch auf ihre politische Opportunität) überprüfen. Gesetzt den Fall und wider alle Erfahrung, es gelänge, einen solchen Stab zu etablieren: Wäre er in der Lage, das zu leisten, was man sich von ihm verspricht? Wo soll er mit seiner Arbeit beginnen? Bei welchen „Beobachtungsobjekten“? Bei welchen „Vorgängen“? Bei welchen „Methoden“? Nach welchen Kriterien selektiert er oder das Gremium, da er kaum den „Dienst“ insgesamt „untersuchen“ kann? Was macht das Kontrollgremium mit den „Ermittlungsergebnissen“? Bleibt die Hoffnung, von der bloßen Möglichkeit genauer in Augenschein genommen zu werden, gehe eine Präventivwirkung für die Arbeit des gesamten Amtes aus. Aber dieses Wunschdenken können nur diejenigen hegen, die die Skandal- und zugleich Vertuschungsgeschichte der Dienste nicht kennen.

Ähnlich verhält es sich mit dem Vorschlag, die G10-Kommission an den V-Mann-Einsätzen zu beteiligen. Das wäre dann eine Kontrolle im Voraus (ex ante), statt der traditionellen ex post-Kontrolle. Die Öffentlichkeit weiß nicht, wie viele V-Leute die 17 Verfassungsschutzämter unter Vertrag haben, sie weiß auch nicht, wie viele „menschliche Quellen“ unterhalb des V-Mann-Status den Diensten zur Verfügung stehen. Nur wenn man dies wüsste, könnte man abschätzen, mit welchen Aufwand eine kontrollierende Beteiligung am Einsatz möglich wäre. Sofern die Kontrolleure jedoch mehr wollen, als die Sachverhaltsschilderungen der Dienste entgegen zu nehmen und auf Plausibilität und rechtliche Zulässigkeit zu prüfen, sofern sie also wirklich kontrollieren wollen, wird dies nur mit einem Stab möglich sein, der selbst in der Lage ist, Informationen zu erheben. Das wäre dann ein Dienst neben dem Dienst. Damit werden die Probleme eher größer als kleiner. Und zudem wird die Trennung zwischen einer verantwortlich handelnden Exekutive und einem sie kontrollierenden Parlament noch weiter aufgeweicht.

Kontrollieren statt Abschaffen

Betrachtet man die gegenwärtige Diskussion um die Reform der Dienste insgesamt, so zeigt sich schnell, dass die Vorschläge zu einer besseren Kontrolle verkannt werden, wenn man sie isoliert betrachtet. Vielmehr sind sie als eine Art Gegengewicht zu den Ausbauplänen der Nachrichtendienste konzipiert. Denn statt aus dem NSU-Debakel den naheliegenden Schluss zu ziehen, dass die Dienste systematisch unnütz und schädlich sind, will die herrschende Politik sie verbessern: Die Zentralstellenfunktion des Bundesamtes (BfV) stärken, dessen „Koordinierungskompetenz im Verfassungsschutzverbund aus(bauen)“ und „seine technische Analysefähigkeit“ verbessern. Durch den gegenseitigen Austausch von Informationen sollen gemeinsame Lagebilder erstellt werden. Der V-Leute-Einsatz soll gesetzlich geregelt werden; ihr Einsatz soll von den Behördenleitern angeordnet werden, und Bund und Länder sollen sich „wechselseitig über die eingesetzten V-Leute informieren – so die Übereinkunft im aktuellen Koalitionsvertrag.[16] (Und was von den politischen Forderungen nach Abschaffung zu halten ist, zeigt die Politik, die die Parteien betreiben, wenn sie in der Regierung sind, s.o.)

Schon während der Beratungen des NSU-Ausschusses hatte die Bundesregierung Zugeständnisse in Richtung Kontrolle angekündigt. So stellte sie „eine intensivere und proaktive Unterrichtung verschiedener parlamentarischer Gremien durch das BfV“ in Aussicht. Mit der Innenministerkonferenz habe man „die Erarbeitung zukünftig bundesweit einheitlicher Standards bzw. Leitlinien zur Anwerbung und Führung von V-Leuten (z.B. Standards zur Personenauswahl, ihrer Bezahlung und Erfolgskontrolle) beschlossen.“ Zudem bestünden innerhalb des Innenministeriums „Überlegungen“ hinsichtlich der „zukünftige(n) parlamentarische(n) Kontrolle des V-Leute-Einsat­zes“.[17]

Ganz auf dieser Linie liegen auch die Empfehlungen, die die „Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus“ unter Vorsitz des früheren rheinland-pfälzischen Innenministers Karl Peter Bruch (SPD!) wenige Tage später vorlegte. Die vergangenen 60 Jahre hätten gezeigt, „dass klare gesetzliche Vorgaben und eine effektive und effiziente Kontrolle durch Aufsichtsbehörden, Parlamente, Gerichte, Presse und Öffentlichkeit einen demokratisch legitimierten Verfassungsschutz ermöglichen.“ Die Rahmenbedingungen für den V-Leute-Einsatz sollten deshalb vereinheitlicht werden, um „eine verbindliche Rechts- und Handlungssicherheit für den Rechtsanwender“ herzustellen. In Wirklichkeit geht es nicht um Begrenzung oder Kontrollierbarkeit, sondern um den rechts­technisch einwandfrei geregelten Einsatz „menschlicher Quellen“. Konsequent ist deshalb, dass die Kommission eine Beteiligung parlamentarischer Gremien (oder gar einen Richtervorbehalt) für die Anordnung „verdeckter nachrichtendienstlicher Maßnahmen“ ablehnt.[18]

Realpolitisch ist die Forderung nach Abschaffung der Geheimdienste illusorisch. Sie ist aber konsequent und nährt nicht den Irrglauben, ein Geheimdienst, der diesen Namen verdient, ließe sich extern, politisch, öffentlich kontrollieren. Die verbesserte Kontrolle löst nicht das Problem, das die Dienste in jeder und für jede Demokratie darstellen. Wer sie fordert, steht in Gefahr – oder verfolgt bewusst das Ziel –, das Überleben der „geheimen Nachrichtendienste“ durch Kontrolle inszenierende Feigenblätter zu sichern. In den Worten der Bund-Länder-Kommission: „Vielmehr muss daran gearbeitet werden, die Verfassungsschutzbehörden insgesamt noch effizienter arbeiten lassen zu können.“[19]

[1]   Deutschlands Zukunft gestalten. Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD. 18. Legislaturperiode, Berlin 2013, S. 101, www.cdu.de/sites/default/files/media/ dokumente/ koalitionsvertrag.pdf
[2]   BT-Drs. 17/14600 v. 22.08.2013, S. 865
[3]     Die folgende Zusammenstellung fußt auf den Stellungnahmen der Fraktionen im Abschlussbericht des NSU-Untersuchungsausschusses: BT-Drs. 17/14600 v. 22.8.2013. CDU: S. 869; SPD: S. 871-900; FDP: S. 901-981; Die LINKE: S. 983-1028; Bündnis 90/Die Grünen: S. 1031-1042
[4]   BT-Drs. 17/14600 v. 22.8.2013, S. 869
[5]   LT Thüringen Drs. 5/4161 v. 13.03.2012
[6]   LT Sachsen-Anhalt Drs. 6/1569 v. 6.11.2012; LT Bayern Drs. 16/12507 v. 9.5.2012
[7]   LT Niedersachsen Drs. 17/445 v. 20.8.2013
[8]   LT Niedersachsen Drs. 17/826 v. 22.10.2013
[9]   Gemeinsinn und Erneuerung: Ein Brandenburg für alle. Koalitionsvertrag für die 5. Wahlperiode des Brandenburger Landtags, Potsdam 2009, www.brandenburg.de/media/ lbm1.a.4868.de/koalitionsvertrag.pdf
[10] Der Wechsel beginnt. Koalitionsvertrag zwischen Bündnis 90/Die Grünen und der SPD Baden-Württemberg, Stuttgart 2011, www.baden-wuerttemberg.de/fileadmin/redaktion/ dateien/PDF/Koalitionsvertrag-web.pdf
[11] Erneuerung und Zusammenarbeit. Nachhaltige Politik für Niedersachsen. Koalitionsvertrag zwischen der SPD, Landesverband Niedersachsen und Bündnis 90/Die Grünen, Landesverband Niedersachsen, für die 17. Wahlperiode 2013-2018, Hannover 2013, S. 16, www.gruene-niedersachsen.de/fileadmin/docs_lv/downloads/Dokumente/Rot-Gruener_Koalitionsvertrag_Nds_2013_2018_web.pdf
[12]  Gemeinsam neue Wege gehen. Koalitionsvertrag zwischen der NRW-SPD und Bündnis 90/Die Grünen NRW, Düsseldorf 2010, www.nrwspd.de/db/docs/doc_30009_20125231 7330.pdf
[13] Gesetz zur Neuausrichtung des Verfassungsschutzes v. 21.6.2013, Gesetz- und Verordnungsblatt des Landes Nordrhein-Westfalen Nr. 20 v. 27.6.2013
[14] Bereits seit der Novellierung im Jahr 2006 enthält das nordrhein-westfälische Gesetz genauere Bestimmungen über den V-Mann-Einsatz. Dessen Einzelheiten sind in einer Dienstanweisung zu regeln, vor deren Erlass und Änderung das Parlamentarsiche Kontrollgremium „zu hören“ ist. (Verfassungsschutzgesetz NRW § 7)
[15] Verlässlich gestalten – Perspektiven eröffnen. Hessen 2014 bis 2019. Koalitionsvertrag zwischen der CDU Hessen und Bündnis 90/Die Grünen Hessen für die 19. Wahlperiode, Wiesbaden 2013, S. 40, www.gruene-hessen.de/partei/files/2013/12/Koa-Vertrag-gesamt.pdf
[16] Koalitionsvertrag a.a.O. (Fn. 1), S. 101
[17] Bericht der Bundesregierung über die nach dem 4. November 2011 als Konsequenz aus dem Aufdecken der Terrorgruppe NSU sowie der nachfolgend erkennbar gewordenen Fehler und Versäumnisse ergriffenen Maßnahmen, Berlin, 26.4.2013, S. 16-18, www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Nachrichten/Pressemitteilungen/2013/08/bericht_ua.pdf?__blob=publicationFile
[18] Abschlussbericht der Bund-Länder-Kommission Rechtsterrorismus v. 30.4.2013, S, 174, 283 und 358, www.bmi.bund.de/SharedDocs/Downloads/DE/Broschueren/2013/ abschlussbericht-kommission-rechtsterrorismus-lang.pdf?__blob=publication File
[19] ebd., S. 173

Beitragsbild: NSA-Skandal: Schriftsteller protestieren am 18. September 2013 vor Kanzleramt (Oliver Feldhaus).