Neues EU-Netzwerk von Justizbehörden gegen „Herausforderungen von Verschlüsselung“

Die Europäische Union will den Zugang von Ermittlungsbehörden zu verschlüsselten Inhalten vereinfachen. Dies geht aus den Antworten auf einen Fragebogen hervor, der von der slowakischen Ratspräsidentschaft an alle Mitgliedstaaten verteilt wurde. Nach einem „Reflexionsprozess“ sollen entsprechende Anstrengungen demnach in ein Regelwerk zur Kooperation mit Internetanbietern münden. Es bleibt offen, ob es sich dabei um eine Handreichung, Verordnung oder Richtlinie handeln würde.

Die Ergebnisse des Fragebogens werden nun in der Gruppe „Freunde der Präsidentschaft zu Cyber“ (FoP Cyber) behandelt, die ebenfalls über eine „zunehmende Verschleierung von kriminellen Handlungen, Identitäten und Tatorten durch verschlüsselte Kommunikation“ beriet. Zu den TeilnehmerInnen gehören der Auswärtige Dienst, die Verteidigungsagentur und andere EU-Institutionen. Die Empfehlungen der „FoP Cyber“ werden dann auf der Sitzung der Innen- und JustizministerInnen im Dezember in Brüssel behandelt. Neues EU-Netzwerk von Justizbehörden gegen „Herausforderungen von Verschlüsselung“ weiterlesen

Europäische Geheimdienste: Ein Überblick

Das deutsche Bundesamt für Verfassungsschutz arbeitet seit 1. Juli 2016 enger mit europäischen Inlandsgeheimdiensten zusammen. Die Beteiligten führen in einer „Plattform“ in Den Haag eine gemeinsame Datei und betreiben ein Echtzeit-Informationssystem. Welche Dienste daran teilnehmen ist unbekannt. Im Falle Deutschlands ist dies nicht trivial, denn Informationen der Verfassungsschutzämter dürfen nicht direkt für polizeiliche Maßnahmen genutzt werden. Genau so äußert sich auch die Parlamentarische Versammlung des Europarates in einer Empfehlung:

The Assembly thus proposes that internal security services should not be allowed to run criminal investigations, arrest or detain people, nor should they be involved in the fight against organised crime, except in very specific cases, when organised crime poses a clear danger to the free order of a democratic state. Any interference of operational activities of internal security services with the exercise of human rights and fundamental freedoms as protected in the European Convention on Human Rights should be authorised by law, and preferably by a judge, before the activity is carried out.

Mehrere europäische Geheimdienste haben jedoch solche exekutiven Kompetenzen. Wir haben deshalb eine Übersicht der Behörden begonnen. Sie basiert auf einer Studie der EU-Grundrechteagentur von 2015, einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes im Bundestag von 2010 und unvollständigen eigenen Recherchen. Die uns bekannten Dienste mit Polizeivollmachten sind fett hinterlegt.

Für Korrekturen und Ergänzungen sind wir dankbar. Europäische Geheimdienste: Ein Überblick weiterlesen

Aus Tradition ohne Errichtungsanordnung: Erfahrungsbericht mit Informationsfreiheit beim BKA

von M. Demleitner

Spätestens seit der Kaiserzeit führen deutsche Polizeien Kriminalakten. Diese wurden und werden aus gutem Grund in der Regel als Geheimsache behandelt, denn sie enthalten – vermutlich – Papiere, die an Spekulation und Unterstellung alles bieten, was das obrigkeitsstaatliche Herz begehren mag. Nun migrieren die Polizeien, vorne dabei natürlich das BKA, diese Bestände in ihre EDV, und zwar ohne nennenswerte Beteiligung von Gesetzgeber oder Öffentlichkeit. Grund genug für den Autor, einmal beim BKA nachzufragen, wie denn da die Details aussehen.

„Polizeiakten” oder spezieller „Kriminalakten” klingt schön offiziell und geregelt. In Wirklichkeit definieren weder Strafprozessordnung – die der Polizei erlaubt, Daten zur Aufklärung begangener oder künftiger Straftaten zu speichern – noch die Polizeigesetze der Länder – die entsprechende Privilegien zur „Gefahrenabwehr” einräumen –, was wirklich in solchen Akten stehen kann. Da die Polizei ihre Schätze argwöhnisch hütet, können normale Sterbliche nur spekulieren, was praktisch darin zu finden ist. Aus Tradition ohne Errichtungsanordnung: Erfahrungsbericht mit Informationsfreiheit beim BKA weiterlesen

Vollzugsphantasien:  Rechtslage und Praxis von Abschiebungen in Deutschland

von Maximilian Pichl

Die Forderung nach härteren und schnelleren Abschiebungen ist derzeit wieder besonders laut und schlägt sich in zahlreichen Asylrechtsverschärfungen nieder. Tatsächlich kann von „Vollzugsdefiziten“ keine Rede sein. Denn ausgeblendet werden tatsächliche Gründe, die gegen Abschiebungen sprechen.

 „Es werden immer noch zu viele Atteste von Ärzten ausgestellt, wo es keine echten gesundheitlichen Abschiebehindernisse gibt. Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden.“ Mit diesen Worten im Interview mit der Rheinischen Post provozierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine öffentliche Debatte über ein angebliches „Vollzugsdefizit“ von Abschiebungen in Deutschland.[1] Freilich basierten die vom Minister genannten Zahlen auf keiner validen Basis. Nach kritischen Rückfragen musste sein eigenes Ministerium eingestehen, dass die Zahlen nicht gedeckt waren. Zurückzuführen waren die Zahlen auf einen Bericht der „Arbeitsgruppe Vollzugsdefizite“, einer Unterarbeitsgruppe der „Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung“ (AG Rück), die aus leitenden BundespolizistInnen und LandesbeamtInnen besteht und seit einigen Jahren „geheime Berichte“ an Medien lanciert. In den Berichten bemängelt die Arbeitsgruppe lasches Verwaltungshandeln, fehlenden politischen Willen und insbesondere die Interventionen aus der Zivilgesellschaft, die zur Verhinderung von Abschiebungen führen würden. Vollzugsphantasien:  Rechtslage und Praxis von Abschiebungen in Deutschland weiterlesen

111 (Oktober 2016) Die neue Fremdenpolizei

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Redaktionsmitteilung

Neu-alte Fremdenpolizei – eine Einleitung
Heiner Busch
Polizei bei der Flüchtlingsaufnahme
Christian Schröder
Bayerische Ankunfts- und Rückführungszentren
Stephan Dünnwald
Private Sicherheitsdienste in Flüchtlingsheimen
Katharina Müller, Christian Schröder
Geflüchtete als Datenmasse
Dirk Burzcyk
Vollzugsphantasien – Abschiebungen in Deutschland
Maximilian Pichl
Verdeckte Ermittlungen – neue Befugnisse der Bundespolizei
Matthias Monroy
Polizeiversagen: Kölner Sylvesternacht
Norbert Pütter
Ausweisungsrecht reloaded
Anja Lederer
Die EU im zweiten Jahr der „Asylkrise“
Heiner Busch

Enzyklopädie des Polizeirechts: Das Bundesverfassungsgericht zum BKA-Gesetz
Fredrik Roggan
Polizeiliche Todesschüsse 2015
Otto Diederichs
Berlin-Friedrichshain: Gefahrenabwehr im Wahlkampf
Louisa Zech und Tom Jennissen

Inland aktuell
Meldungen aus Europa
Literatur
Summaries
MitarbeiterInnen dieser Ausgabe

Chronologie September 2016

zusammengestellt von Otto Diederichs

1. September: Rechtsextremistische Terrorgruppe NSU: Durch Presseberichte wird bekannt, dass die Auswertung von Handys des früheren V-Mannes „Corelli“ keine Hinweise auf Verbindungen zum NSU erbrachten. Hierzu hatte das Bundeskriminalamt (BKA) insgesamt 22 Mobiltelefone und zahlreiche Sim-Karten die nachträglich im Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) aufgetaucht waren, ausgewertet.

Nach der Sommerpause wird der Münchner NSU-Prozess am 13. September fortgesetzt, dabei erklärt der Vorsitzende Richter lediglich 14 Fragen aus dem umfangreichen Katalog der Nebenkläger für zulässig. Am nächsten Tag lässt Beate Zschäpe ihren Vertrauensanwalt erklären, sie werde diese Fragen ebenso wie die des Psychiatrischen Sachverständigen nur beantworten, wenn auch das Gericht sie sich zu eigen machen würde. Am 19. September stellt Richter Götzl die ersten Fragen, die Zschäpe nun allerdings wieder nur schriftlich beantworten will.

Am 23. September stellen die Anwälte von drei Familien von NSU-Opfern Strafanzeige bei der Generalstaatsanwaltschaft in Karlsruhe (Baden-Württemberg) gegen zwei Vertreter der Bundesanwaltschaft (BAW) und gegen Beamte des Landeskriminalamtes (LKA) Berlin. Sie sollen Dokumente mit möglichem NSU-Bezug vernichtet haben. Erstmals in dem rund dreieinhalbjährigen Prozess verliest Beate Zschäpe persönlich eine kurze Erklärung in der sie meint, sich von früherem nationalistischem Gedankengut abgewendet zu haben. Auf Fragen der Nebenkläger will sie jedoch auch weiterhin nicht antworten. Chronologie September 2016 weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

„Securitization“ bedeutet: Wenn weltweit Millionen Menschen auf der Flucht vor Krieg, Not, Verelendung und Verfolgung sind, und wenn ein kleiner Prozentsatz es schafft, aus den unsicheren Regionen der Welt sich nach Europa durchzuschlagen, dann wird aus dieser „europäischen Flüchtlingskrise“ sogleich die Gefährdung der Inneren Sicherheit, die willkommenen Vorwand liefert, das Instrumentarium staatlicher Erfassung, Überwachung, Ausgrenzung und Abschottung weiter auszubauen. Flankiert von der Rosinenpickerei um die national nützlichsten Migrant-Innen wird Europa nach außen dicht(er) gemacht und im Innern unwirtlicher für die gestaltet, die man nicht haben will – Elend im Rest der Welt hin oder her. Im Folgenden nur einige kurze Hinweise auf die zeitgenössischen Reaktionen, die die jüngste Entwicklung kritisch begleiten. Literatur weiterlesen