Datenbank zu „europäischen Extremisten“: Wie soll der seit 2001 verfolgte Plan funktionieren?

Nach jedem großen Gipfelprotest kommt die Forderung nach einer europäischen „Störerdatei“. Möglich wäre die zentrale Speicherung auf EU-Ebene oder die dezentrale Vernetzung von nationalen Systemen. Aus verschiedenen Gründen hat die Einrichtung einer solchen Datensammlung seit der Jahrtausendwende nicht funktioniert. Nach dem G20-Gipfel in Hamburg kündigt die noch amtierende Regierungskoalition aus CDU und SPD einen neuen Anlauf an.

Seit gut 20 Jahren läuft die Zusammenarbeit europäischer Sicherheitsbehörden bei Gipfeltreffen wie ein Uhrwerk. Polizei und Geheimdienste tauschen Erkenntnisse zu Gefahren und „Gefährdern“ aus, helfen sich mit Personal und Ausrüstung und entsenden VerbindungsbeamtInnen. Kurz vor den Treffen wird das Schengen-Abkommen teilweise außer Kraft gesetzt und Grenzkontrollen wieder eingeführt, gegen mißliebige Protestierende werden Ein- oder Ausreiseverbote verhängt.

Kommt es bei den Protesten zu Auseinandersetzungen mit der Polizei, fordern PolitikerInnen stets die Einrichtung einer europäischen Datensammlung zu linkem Aktivismus – bislang jedoch erfolglos. Bereits im Juli 2001, eine Woche nach dem G8-Gipfel in Genua, verabredeten die EU-InnenministerInnen die europaweite Verfolgung von „Randalierern“, drei Monate später wollte man Daten über „polizeibekannte Personen“ („a person who is notoriously known by the police”) sammeln. Weil die Polizei beim Treffen der G8 in Heiligendamm 2007 vor den Wasserwerfern massenhaft in den eigenen Pfefferspraynebel rannte und dadurch die Verletztenstatistik in die Höhe trieb, setzte der damalige Innenminister Wolfgang Schäuble (CDU) die Verfolgung „gewalttätiger Störer“ („violent troublemakers“) auf die Agenda der europäischen InnenministerInnen. Später firmierte die zu verfolgende Personengruppe als „reisende Gewalttäter“ („violent travelling offenders“) oder auch als „Euro-Anarchisten“.

BKA-Datei für „Globalisierungsgegner“

Nach den tagelangen Ausschreitungen rund um den G20-Gipfel in Hamburg ist jetzt abermals die Rede von einer europäischen Datenbank zu linken „Extremisten“ oder „Gefährdern“. Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) ist sich mit mehreren Abgeordneten der Koalition einig und fordert die Einrichtung einer europaweiten Datei, um damit gegen „brutalen Krawalltouristen“ an Grenzen vorgehen zu können. Es war der Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU), der seinen Kollegen auf die Problematik einer solchen Datei hinwies. Denn zuerst müssen europaweit gemeinsame Kriterien für die Speicherung einer bestimmten Personengruppe gefunden werden. Daran waren sämtliche Anläufe auf Ebene der Europäischen Union zuvor gescheitert.

In Deutschland werden „Globalisierungsgegner“ bereits seit vielen Jahren gesondert gespeichert. Früher hieß die beim Bundeskriminalamt (BKA) geführte Datei „International agierende gewaltbereite Störer“ (IgaSt). Dort waren politische AktivistInnen gespeichert, gegen die im Rahmen früherer „Veranstaltungen mit Globalisierungsbezug“ Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden. In der Datei fanden sich aber auch Personen, die „im Inland als Globalisierungsgegner bekanntgeworden sind“ und zu denen dem BKA „Erkenntnisse wegen Gewalttaten in der Vergangenheit vorliegen“. Verurteilungen waren für eine Speicherung nicht nötig, es genügte eine einfache Kontrolle in der Nähe von Demonstrationen. Mittlerweile ist „IgaSt“ in die ebenfalls beim BKA geführte Datei „Politisch motivierte Kriminalität links – Zentralstelle“ (PMK-links Z) überführt worden. Nach wie vor sind dort aber lediglich deutsche Staatsangehörige gespeichert.

Für die Betroffenen, aber auch für ihre Kontaktpersonen, bedeutet eine Speicherung viel Ärger. So nahm etwa die Bundespolizei die Speicherung in 2009 zum Anlass, Ausreiseverbote für den NATO-Gipfel in Strasbourg zu verhängen. In mehreren Fällen waren dabei ganze Gruppen betroffen, auch wenn nur eine der Personen in „IgaSt“ erfasst war. In fast allen Fällen hatte das Verwaltungsgericht in Kehl die Reiseverbote jedoch im Eilverfahren gekippt. Nach Ansicht des Gerichts kann eine Speicherung in einer Verdachtsdatei nicht ausreichen, um Grundrechte einzuschränken.

Sämtliche Anläufe auf EU-Ebene bislang gescheitert

2007 hatte Deutschland nicht nur den G8-Vorsitz, sondern auch die EU-Ratspräsidentschaft inne. Als Innenminister wollte Schäuble die Datei „IgaSt“ nach den heftigen Protesten in Heiligendamm auf die gesamte Europäische Union erweitern. Auch der Bundesrat gab damals grünes Licht. Als möglicher Ort einer zentralen „Datei über international agierende Gewalttäter“ nannte der Bundesrat das Europol-Informationssystem oder das Schengener Informationssystem. Möglich sei aber auch die Verknüpfung dezentraler Gewalttäterdateien in den EU-Mitgliedstaaten.

Drei Jahre später fand sich die deutsche Forderung in einem Aktionsplan der Europäischen Kommission wieder. Ein beträchtlicher Teil der Mitgliedstaaten – darunter Belgien, Litauen, Polen Schweden und die Slowakei – sah damals keine Notwendigkeit für eine derartige politische Datensammlung, Unterstützung kam hingegen aus Bulgarien, Estland und Lettland. Die Bundesregierung favorisierte seinerzeit eine Erfassung der betreffenden Personen im Schengener Informationssystem und zwar als „gewalttätige Störer“. Jedoch fehlt in einer Reihe von EU-Mitgliedstaaten ein polizeirechtlicher Störer-Begriff, auf den polizeiliche Maßnahmen gegen die Gespeicherten gestützt werden könnten. Das deutsche Innenministerium schlug daraufhin vor, dass diese Länder zwar beim Sammeln der Personendaten helfen könnten, während Zwangsmaßnahmen eben nur dort verhängt würden, wo dies rechtlich möglich ist. Neben Reiseverboten sollten die Betroffenen unter anderem mit Passbeschränkungen und Meldeauflagen belegt werden können.

Schließlich hat sich bis heute keiner der Vorschläge für eine „europäische Extremistendatei“ durchgesetzt. Zuerst müsste auch geklärt werden, ob die Datei nur für Ermittlungsanfragen oder auch bei polizeilichen Kontrollen genutzt werden soll. Daraus würde sich erst ergeben, ob die Datei zentral zu führen wäre oder statt dessen eine Vernetzung nationaler Datenbanken in Frage käme.

Zentrale Speicherung im SIS II könnte dauern

Liegen die Fahndungsvoraussetzungen (etwa Haftbefehl oder Abschiebeanordnung) vor, können Personen im zentral angelegten Schengener Informationssystem (SIS II) gespeichert werden. Außerdem können Polizeien und Geheimdienste Personen nach Artikel 36 des SIS-Beschlusses zur heimlichen („verdeckten“) Kontrolle oder Durchsuchung ausschreiben. Die ausschreibende Dienststelle erhält dann einen Hinweis, wo und mit wem die Person angetroffen wurde. Geplant ist nun auch eine Ausschreibungskategorie „Ermittlungsanfrage“ („inquiry check“) . Personen könnten daraufhin auch angehalten und befragt werden.

Mittlerweile können die Ausschreibungen nach Artikel 36 um die Angabe einer Datenkategorie zur Art der Straftat ergänzt werden. Neu eingeführt wurde zuletzt die Notierung „Aktivität mit Terrorismusbezug“, wenn etwa „konkrete Anhaltspunkte“ für die Vorbereitung einer schweren staatsgefährdenden Gewalttat oder Zusammenhänge mit einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung im Ausland vorliegen.

Der Zeitpunkt für einen neuerlichen Vorstoß zur Einrichtung einer zentralen „Störer“-Datei im Rahmen des Schengener Informationssystems wäre gerade äußerst ungünstig. Die Rechtsgrundlagen für das SIS werden derzeit nämlich überarbeitet, drei neue Verordnungsvorschläge harren der Verabschiedung und Umsetzung. Das Verfahren muss wohl erst abgeschlossen werden, bevor neue Ausschreibungsmöglichkeiten oder Kategorien von Personen ins Auge gefasst werden können.

Europol sieht Grenzcamps und besetzte Häuser als Brutstätten von Terrorismus

Bis 2014 hatte Europol als eine von 24 Analysearbeitsdatein (Analysis Work Files – AWF) die Datensammlung „Dolphin“ zu nicht-religös motiviertem Terrorismus geführt. Mittlerweile existieren nur noch die zwei AWFs „Organisierte Kriminalität“ und „Staatsschutz“, die sich jedoch als „Focal Points“ in die ursprünglichen Schwerpunkte auffächern. „Dolphin“ heißt dort mittlerweile „Nicht-islamistischer Terrorismus“. Europol verarbeitet dort außerdem Informationen zu „anarchistischen, autonomen und linksgerichteten schweren“ Straftaten. Hierunter fallen auch Straftaten „im Zusammenhang mit Tierschutz- und Umweltaktivitäten“.

Nach Heiligendamm berichtete Europol über „linksgerichtete und anarchistische terroristische Anschläge“ im Rahmen des G8-Gipfels 2007. Im jüngsten Jahresbericht nennt die Agentur auch Grenzcamps oder besetzte Häuser als Brutstätten terroristischer Aktivitäten. Vor dem G20-Gipfel hat das BKA personenbezogene Daten mit „Dolphin“ und dem Europol-Informationssystem (EIS) abgeglichen. Eine Übermittlung von personenbezogenen Daten an Europol zur Speicherung in dortigen Datenbeständen sei laut dem Bundesinnenministerium nicht erfolgt.

Gemäß dem neuen Europol-Konzept können temporäre „Target Groups“ angelegt werden. Sie werden als „operationelles Projekt“ beschrieben und sollen internationale Ermittlungen unterstützen. Es wird zwischen einer „ciminal investigation“ und einer „criminal intelligence operation“ unterschieden. Denkbar wäre, dass eine solche „Target Group“ für den G20-Gipfel eingerichtet und später in einen „Focal Point“ umgewandelt würde. Dort könnten jene Staaten mitmachen, aus denen die beim G20-Gipfel Verhafteten stammen oder jene, um deren Unterstützung der Bundesinnenminister bei der Identifizierung Verdächtiger bittet.

Bilateral und dezentral: Die Vernetzung nationaler Register

Unter deutscher EU-Präsidentschaft im Jahre 2007 wurde der zunächst zwischen einigen Ländern geschlossene Vertrag von Prüm in den europäischen Rechtsrahmen überführt. Er regelt den polizeilichen Informationsaustausch im Rahmen von Ermittlungen unter den beteiligten Staaten, außerdem die vereinfachte gegenseitige Abfrage von nationalen DNA- und Fingerabdruck-Datenbanken. Der Vertrag von Prüm bzw. die entsprechende EU-Verordnung sollten auch für den schnellen Informationsaustausch zu „reisenden Gewalttätern“ genutzt werden.

Nach einem ähnlichen Prinzip existiert auf EU-Ebene das Europäische Strafregisterinformationssystem (European Criminal Records Information System, ECRIS), in dem Verurteilungen von Personen gespeichert sind. Bei ECRIS handelt es sich um ein dezentrales System, die deutsche Kopfstelle im ECRIS-Verbund ist das Bundesamt für Justiz. Zur Verfolgung „ausländischer Kämpfer“ dürfen im ECRIS bald auch Verurteilungen von Drittstaatsangehörigen („third-country nationals“) gespeichert werden, das System nennt sich dann ECRIS-TCN. Zu den verpflichtend zu speichernden Daten kommen Fingerabdrücke hinzu. Mittlerweile haben die EU-InnenministerInnen die zentrale Speicherung der ECRIS-Daten auf EU-Ebene verabredet.

Pilotprojekt für Austausch polizeilicher Ermittlungsakten

Noch in der Debatte ist ein dezentralers europäisches Polizeiregisterinformationssystem (European Police Records Information System, EPRIS). Dabei geht es nicht um Angaben zu Verurteilungen, sondern zu Ermittlungsverfahren. Der Vorschlag war 2010 in letzter Minute in die Endfassung des Stockholm-Pro­gramms gerutscht und immer wieder als Möglichkeit genannt worden, Informationen zu „reisenden Gewalttätern“ auszutauschen. Angedacht war EPRIS als „Treffer/Kein-Treffer-Verfahren“: Die beteiligten Länder können also nicht direkt auf die Daten zugreifen, jedoch nachfragen, ob Erkenntnisse zu den Personen vorhanden sind. Falls ja, muss eine weitergehende Anfrage mit Begründung zur Herausgabe der Information eingereicht werden. Im Gespräch ist, EPRIS auch als zentrale Datenbank zu konzipieren.

Ob das EPRIS umgesetzt wird scheint unstrittig, offen ist lediglich die Umsetzung. Als technische Machbarkeitsstudie hat die Europäische Kommission inzwischen das Projekt „Automation of Data Exchange Processes“ (ADEP) gestartet. Ähnlich wie im Prüm-Verfahren soll anhand eines Indexes nachgesehen werden, ob in einem oder mehreren Mitgliedstaaten Polizeiakten über eine Person vorliegen. Bei einem Treffer müssten in einem zweiten Schritt zusätzliche personenbezogene Daten über die üblichen Kanäle der polizeilichen Zusammenarbeit (etwa das Prüm-Verfahren) angefordert werden. ADEP wird von Frankreich geleitet, neben Behörden aus Finnland, Irland und Spanien sind das BKA und Europol ebenfalls an dem Pilotprojekt beteilgt.

Informeller Datentausch

In der Vergangenheit wurden national geführte Datensammlungen zu „reisenden Gewalttätern“ auch bilateral ausgetauscht. Bekannt ist dies zum NATO-Gipfel, der in 2009 in Strasbourg und in Baden-Baden abgehalten wurde. Deutschland und Frankreich haben sich gegenseitig Personendaten überlassen, die nach einer bestimmten Frist wieder gelöscht werden sollten.

Ein weiterer Pool zum Austausch von Daten über potentielle „Troublemakers“ ist die „Police Working Group on Terrorism“ (PWGT), die 1979 als Antwort auf bewaffnete linke Gruppen in Europa gegründet wurde. Nachdem diese sich aufgelöst hatten, gab sich die PWGT ein neues Mandat zum Austausch und zur Nutzung von Informationen über „gewalttätigen politischen Aktivismus“. Unter anderem hatte sich die PWGT bereits mit linken Grenzcamps befasst. Im Zusammenhang mit dem „No Border Camp“ 2010 in Brüssel übermitelte die belgische PWGT-Kontaktstelle ihren Partnerdiensten in 16 europäischen Staaten (in Deutschland das BKA) eine Namensliste von 380 Personen, deren Identität im Verlauf des Camps festgestellt worden war oder die sich zeitweilig in Gewahrsam befanden. Unter ihnen waren 88 deutsche Staatsangehörige, von denen einige in die deutsche INPOL-Datenbank übernommen wurden. Die Entscheidung über die weitere Speicherung traf das BKA nach eigenem Ermessen.

Bild: Polizeieinheiten beim G20-Gipfel vor dem linken Zentrum „Rote Flora“. CC-BY 2.0, Thorsten Schröder

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert