Tübinger Wohnprojekte überwacht

Moritz Tremmel, Chaim R. Schenk

Im Juli 2016 erfuhren die 110 BewohnerInnen des Wohnprojekts Schellingstraße 6 durch Zufall, dass die Polizei versucht hatte, bei ihren NachbarInnen Kameras zu installieren, um den Eingang des Projektes zu überwachen. Als Anlass für den Überwachungsversuch führten die Behörden später mehrere brennende Autos im Tübinger Stadtgebiet an. Eine direkte Verbindung zur Schellingstraße 6 wurde zwar nicht ermittelt, doch dies spielte für die Polizei offensichtlich keine Rolle für die Wahl ihrer Mittel. In der Folge ersuchten BewohnerInnen den baden-württem­ber­gi­schen Landesdatenschutzbeauftragten um eine Aufklärung des Sachverhaltes. Dieser konnte wegen einer gezielten Verzögerung seitens Staatsanwaltschaft und Polizei erst knapp ein Jahr später eine Auskunft erteilen: Tatsächlich war der Haupteingang des Projektes über einen Monat lang in den Abend- und Nachtstunden heimlich gefilmt worden.

Die Staatsanwaltschaft gestand in ihrer Antwort ein, dass die Überwachung unrechtmäßig war. Auch die Aussage, dass es „keine weiteren Video-Überwachungen“[1] gegeben habe, musste sie nach nur wenigen Tagen revidieren: Im gleichen Zeitraum wurde auch das Wohnprojekt „Lu15“ heimlich gefilmt.

Gesetzlich ist vorgesehen, dass die von heimlichen Überwachungsmaßnahmen Betroffenen im Nachgang über diese informiert werden (§ 101 StPO). Dieser Informationspflicht wird regelmäßig nicht nachgekommen.[2] Ohne das Wissen um derartige Maßnahmen können die Betroffenen keinen Rechtsschutz ersuchen. Eine Kontrolle der polizeilichen Praxis findet somit nicht statt. Im Fall der Schellingstraße 6 wurde die unterlassene Benachrichtigung damit begründet, dass die Bänder nicht ausgewertet worden seien. Auch hier musste die Staatsanwaltschaft mittlerweile zurückrudern und eingestehen, dass das Material sehr wohl ausgewertet worden war.

Um Transparenz zu schaffen, wurde nun eine Meldestelle initiiert. Dort können heimliche Überwachungsmaßnahmen und -versuche in Tübingen gemeldet werden.[3]

[1]   Schwäbisches Tagblatt (tagblatt.de) v. 19.10.2017
[2]   Backes, O. u.a.: Wer kontrolliert die Telefonüberwachung? Eine empirische Untersuchung zum Richtervorbehalt bei der Telefonüberwachung, Frankfurt/M. 2003
[3]   Weitere Informationen: meldestelle.mtmedia.org

Ein Gedanke zu „Tübinger Wohnprojekte überwacht“

  1. Ein gesetzlicher Entschädigungsanspruch für die zu Unrecht Überwachten, zu leisten von dem die unrechtmäßige Überwachung Anordnenden bzw. Durchführenden, verhülfe nicht nur dem Rechtsstaat zu noch größerer Akzeptanz sondern auch denen, die diese Methoden der Rechtsverletzung von Amts wegen nutzen dürfen, zu besserer Achtsamkeit.

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