Stadtforschung und Bewegungen problematisieren v.a. räumliche Verdrängung und Polizeikontrolle von Sexarbeit im Zuge von Innenstadtaufwertung und Gentrifizierung. Mit der EU-Osterweiterung gewinnen zudem lokale Versuche der Migrationsabwehr qua Ausgrenzung aus sozialen Sicherungssystemen an Bedeutung.
Im Zuge der Neoliberalisierung gerieten in vielen Städten der westlichen Welt sichtbare Konzentrationen des Sexgewerbes ins Visier intensivierter Verdrängungsdebatten und zum Teil auch -prozesse.[1] Hintergründe waren und sind dabei oftmals Innenstadtrestrukturierungen und eine wohnungspolitisch beförderte Gentrifizierung. Auch in Deutschland weiteten einige Städte im Rahmen von Aufwertungspolitiken die lokalen Sperrbezirksverordnungen aus, etwa indem sie – wie 2012 in Hamburg St. Georg – den öffentlichen Sexverkauf auch für KundInnen verboten. Betroffen von entsprechend verstärkten polizeilichen Kontrollpraktiken ist insbesondere eine Straßensexarbeit, die mit dem Konsum kriminalisierter Drogen oder ethnisch-nationalen Ausgrenzungen assoziiert ist.
Zugleich zeigen sich im Kontext legaler Sexarbeit in Deutschland jedoch auch Bestrebungen, die touristisch bedeutsamen Teile des Sexgewerbes, die allerdings nicht notwendigerweise die besten Arbeitsbedingungen bieten, in das Stadtmarketing einzubeziehen.[2] Am deutlichsten wird dies in Hamburg St. Pauli. Hier vermarkten Stadt und lokale Gewerbetreibende Prostitution als Symbol für Authentizität und Toleranz als Teil der „Marke Hamburg“. Wenngleich weniger explizit, beziehen auch etwa Berlin den Straßenstrich des Scheunenviertels oder Frankfurt die Bordelle des Bahnhofsviertels in ihre hegemonialen Stadtentwicklungspolitiken ein.
Beide Strategien – das Unsichtbar-Machen der als ver-/störend markierten Sexarbeit besonders prekarisierter Subjekte und die Vermarktung der als imageträchtig geltenden Gewerbesegmente – sind Teil lokaler Praktiken der Städtekonkurrenz. Sie zielen nicht zuletzt darauf, die Städte für Unternehmensansiedlung und Mittelschichtswohnen, mithin für die Creative Class,[3] attraktiv zu machen. Denn im Rahmen ihrer Handlungsspielräume priorisieren „unternehmerische Städte“[4] häufig Versuche, steuerträchtige Subjekte und Organisationen anzuziehen, um ihre kommunale Haushalte aufzubessern.
Ordnungs- und Sozialpolitik
In Folge der „EU-Osterweiterung“ steigern Kommunen zudem ihre Bemühungen, in umgekehrter Logik als kostenträchtig wahrgenommene Subjekte gänzlich aus den Städten herauszuhalten. Als kostenträchtig gelten dabei insbesondere Personen, die sozialstaatliche Leistungen in Anspruch nehmen oder das hegemoniale Image von Stadträumen beschädigen könnten.
Diese „inverse Städtekonkurrenz“, wie ich sie hier nennen will, vollzieht sich zum einen auf dem Wege der Ordnungspolitik. So schloss etwa die Stadt Dortmund 2011 eine mit Garagen ausgestattete und sozialarbeiterisch betreute Toleranzzone für Straßenprostitution. Eine neue Sperrgebietsverordnung untersagt seither Sexarbeit im gesamten öffentlichen Raum der Stadt; eine Demonstration und eine gerichtliche Klage der SexarbeiterInnen, die die legale Arbeitsmöglichkeit ohne Raumnutzungskosten erhalten wollten, blieben letztlich erfolglos. Der Verdrängung vorangegangen waren stark anti-romaistisch aufgeladene Debatten über die gestiegene Zahl migrantischer StraßensexarbeiterInnen, an denen sich einige PolitikerInnen, ImmobilienbesitzerInnen, nicht-prostitutive Gewerbetreibende und AnwohnerInnen störten.[5] Wie auch andernorts zählten dabei nur Teile der heterogenen Polizei zu den treibenden AkteurInnen der Verdrängung.[6] Denn wesentliche Teile der lokalen Kriminalpolizei hatten in den Jahren zuvor zu den BefürworterInnen einer legalen, kontrollierten Prostitution gezählt, während vor allem schutzpolizeiliche AkteurInnen die Ordnungsstörungen problematisierten. Dortmund geriet innenpolitisch auf Landesebene in die Kritik, mit dem legalen Straßenstrich und der dadurch (vermeintlich) stimulierten Migration, Kriminalität anzuziehen. Auch in der Kommune dominierte die abwehrende Logik inverser Städtekonkurrenz: Die Stadt Dortmund thematisierte prekarisierte EU-MigrantInnen als Kostenfaktor und „Überforderung“ von Nachbarschaften, die es abzuwehren gelte – eine Position, die auch in anderen städtischen Exekutiven und beim Deutschen Städtetag Widerhall fand.[7] Ähnliche Problemdiskurse über EU-Binnenmigration und daran anknüpfende Ausgrenzungspolitiken finden sich auch in anderen westeuropäischen Städten. Viele italienische Städte verbannten die Straßenprostitution qua Rechtsverordnungen vor die Stadtgrenzen. In Frankreich gelten lokale OrdnungspolitikerInnen neben den AbolitionistInnen als treibende Kräfte der nationalen Gesetzesverschärfungen.[8]
Neben der Ordnungspolitik artikulieren sich die Bestrebungen zur Abwehr kostenträchtiger Subjekte in der lokalen Ausformung des Wohlfahrtsstaates. Dass Ordnungsstörungen im Zuge fortschreitender Neoliberalisierung auch mit den Mitteln der Sozialpolitik bekämpft werden und insbesondere die Soziale Arbeit vermehrt in das Polizieren einbezogen wird, ist weithin bekannt.[9] Nicht zuletzt im Feld der Sexarbeit zeigt sich in jüngerer Zeit jedoch eine besonders unsoziale und widersprüchliche Instrumentalisierung von Sozialpolitik für die Versuche der Herstellung von Ordnung in der neoliberalen Stadt: Kommunen setzen verstärkt auf die Ausgrenzung „kostenträchtiger“ Subjekte aus sozialstaatlichen Leistungen und sozialen Einrichtungen. Verstärkt deshalb, weil mit der EU-Osterweiterung zwar Migration erleichtert wurde, zugleich aber UnionsbürgerInnen aus Ländern jenseits des europäischen Fürsorgeabkommens (EFA) von erwerbsarbeitsunabhängigen sozialstaatlichen Leistungen auf legalem Wege weitgehend ausgeschlossen werden können.
Von entsprechenden Ausschlüssen erhoffen sich Städte eine Kostenreduktion und Verdrängung der Subjekte aus den kommunalen Grenzen – die sich, wie die Migrationsforschung betont, jedoch oft bestenfalls partiell realisiert. Im Gegenteil: Die gerade von Städten bundesweit eingeforderten und verwaltungspraktisch erprobten Ausschlüsse stellen, wie Lisa Riedner herausarbeitete, die Armut der „Armutsmigration“ maßgeblich her. Sie drängen die dennoch Migrierenden nicht nur häufig in Obdachlosigkeit oder beengtes Wohnen, sondern auch in prekäre Arbeit, die partiell auf Straßenstrichen für Sex- und unsexy Arbeit angeboten wird.[10]
Beispiel Frankfurt
In Frankfurt am Main, das im Folgenden als Beispiel dienen soll, spielen Ordnungs- und Sozialpolitik nur lose und in zum Teil widersprüchlicher Weise zusammen. Sie formen insgesamt jedoch ein Marginalitätsregime, das Migrationsabwehr mit begrenzter Nothilfe und einer verunsichtbarenden Verwaltung von Prekarität verknüpft. Dabei ist bemerkenswert, dass gerade in der Stadt Frankfurt Versuche, als unproduktiv, kostenträchtig oder ver‑/störend markierte Subjekte aus der Stadt herauszuhalten, eine lange Tradition haben. Erprobt wurden solche Strategien insbesondere in der Drogenpolitik. Bereits 1992 verdrängte die Polizei nach Beschwerden vor allem des Banken- und Versicherungsgewerbes die offene Drogenszene aus der downtown in das angrenzende Bahnhofsviertel. Dort wurde die Szene zwecks Verringerung von Drogentotenzahlen sowie der ordnungspolitisch problematisierten Sichtbarkeit in deutlichem Maße in Drogenkonsumräume eingehaust. Noch im selben Jahr gab das Sozialamt einen „Frankfurter Drogenhilfe-Pass“ aus, um den Zugang zu sozialen Einrichtungen möglichst weitgehend auf „einheimische“, das heißt nicht aus anderen Kommunen stammende Drogenkonsumierende zu begrenzen.[11] Seither war die Drogenpolitik immer auch von der Sorge geprägt, dass zu umfassende soziale Einrichtungen und ein zu liberales Polizieren noch mehr DrogenkonsumentInnen anziehen, ergo den kommunalen Haushalt belasten und das Stadtbild beeinträchtigen könnten. Die Logik ist fest verankert in polizeilichen Denkweisen über marginalisierte Gruppen im öffentlichen Raum – sie begegnete mir in Interviews und Gesprächen mit der Polizei verschiedentlich.[12]
Dieselbe Rationalität prägt gegenwärtig das Polizieren der migrantischen Straßenprostitution. Die Handlungslogik speist sich allerdings nicht nur aus den lokalen Erfahrungen der Polizei mit der Drogenszene, sondern, wie im Folgenden ausgeführt wird, auch aus polizeilichem Wissenstransfer zwischen Städten, also „urban policy mobilities“.[13] Im Jahre 2010 gründete die Frankfurter Polizei eine eigene Dienststelle für die Bekämpfung der Rotlichtkriminalität. Vor dem Hintergrund von Konflikten um eine zunehmende Straßensexarbeit im Bahnhofsviertel, dortigen Gentrifizierungsprozessen und Profilierungsbestrebungen von InnenpolitikerInnen befasste sich die Arbeitsgruppe vorrangig mit der Sexarbeit im öffentlichen Raum und verdrängte gemeinsam mit der Stadtpolizei zum Jahreswechsel 2010/2011 die migrantischen StraßensexarbeiterInnen in die Nähe des Messegeländes. Der Drogenstrich, der traditionell von der weitgehenden „Verhäuslichung“ der Frankfurter Prostitution in Bordellen seit den späten 1960er Jahren ausgenommen war, erfuhr dagegen im Sperrgebiet des Bahnhofsviertels eine wenn auch hinsichtlich der Sichtbarkeit zunehmend begrenzte Duldung.[14]
Anlässlich der Diskussionen um eine Neuorganisation der Straßenprostitution fuhren Mitglieder der neuen Dienstelle nach Dortmund, um die dortige infrastrukturell ausgerüstete Toleranzzone im Gewerbegebiet als mögliches Vorbild einer geordneten Verdrängung an den Innenstadtrand zu besichtigen. Die Dortmunder KollegInnen assoziierten den Straßenstrich mit den medial als „Problemhäuser“ skandalisierten migrantisch besetzten Wohngebäuden der Nordstadt. Sie führten die Frankfurter KollegInnen durch Häuser, in denen – laut den entsetzten Frankfurter BeamtInnen – der „Müll hinten so weit hoch gestapelt war, dass nur noch der zweite Stock zu bewohnen war“.[15] Seither galt Dortmund in Frankfurt als Negativbeispiel. Die Frankfurter Polizei habe „schlauerweise“ mit ihren Dortmunder KollegInnen Kontakt aufgenommen, um sich über „ihre Straßenprostitution und ihre Riesenprobleme“ zu informieren, erklärten mir Beamte des 13. Reviers bei einem Interview im Juni 2012:
„Und man hat sich das sehr genau angeschaut und analysiert: Wo sind die Fehler im Vorgriff gemacht worden, und was können wir in Frankfurt vermeiden? … Dortmund zeigte anscheinend: Wenn die Polizei oder die Gegebenheiten zu spät eingreifen, weil es einfach zu liberal abgearbeitet wird, es hingenommen wird – aus welchen politischen Gründen auch immer –, läuft es aus dem Ruder, ist fast nicht mehr händelbar. Und dann wollte man Dortmunder Verhältnisse in Frankfurt definitiv nicht haben.“
Die Frankfurter Schutzpolizei sprach sich dementsprechend gegen eine Ausstattung der Toleranzzone für Straßensexarbeit am Messegelände mit Garagen aus. Zudem setzt das zuständige 13. Revier auf ein – im Städtevergleich – repressives Polizieren, um – so der Revierleiter im Interview – einem überregionalen „Zulauf“ migrantischer SexarbeiterInnen „entgegenzusteuern“.
Der Auftrag des Sozialamtes
Eine überregionale Anziehungskraft Frankfurts für jene EU-MigrantInnen, die als unqualifiziert und arm gelten, sucht auch die Kommune zu verhindern. Dies gilt insbesondere für das konservativ geführte Sozialamt, in das – im Gegensatz zum Amt für multikulturelle Angelegenheiten – die Logik der inversen Städtekonkurrenz besonders deutlich eingeschrieben ist. „Bei der Errichtung von humanitären Hilfen müssen wir darauf achten, keine besseren Angebote als andere Städte zu schaffen, um keine Anreizsysteme zu bieten“, so Manuela Skotnik vom Frankfurter Sozialdezernat gegenüber den Medien.[16]
In der Praxis bedeutet dies beispielsweise, dass die Kommune obdachlosen EU-MigrantInnen aus Nicht-EFA-Staaten, deren Aufenthaltsrecht sich nur aus der Arbeitssuche ergibt, in der Regel nur eine Rückfahrkarte ins Heimatland oder in kalten Winternächten den Fußboden eines U-Bahnhofes anbietet. Noch bevor das mit dem „Gesetz zur Regelung von Ansprüchen ausländischer Personen in der Grundsicherung für Arbeitsuchende“[17] zur Pflicht wurde, meldete das Sozialamt Sozialleistungsbezug regelmäßig an die Ausländerbehörde – wohl bewusst, dass dies wegen des möglichen Verlusts des Aufenthaltsrechts vom Leistungsbezug abschrecken könnte. Ziel der restriktiven Auslegung von Gefahrenabwehr- und Sozialrecht ist die Kosteneinsparung: „Es sind … sehr hohe Kosten, die hier entstehen, und unser Job oder unser Auftrag ist natürlich auch, diese Kosten, wenn möglich, niedrig zu halten“, so ein Mitarbeiter der Abteilung „Hilfen bei Wohnungsnot und Sucht“ des Sozialamtes im Interview im November 2016.
Allerdings entstehen in der Folge nicht nur soziale Kosten – vor allem Obdachlosigkeit und der Druck, prekären Arbeitsbedingungen zuzustimmen –, sondern auch die ordnungspolitisch problematisierte Sichtbarkeit der extrem marginalisierten MigrantInnen. Prekäre und wegen des Mangels an Zugang zu privaten Rückzugsräumen zum Teil besonders wahrnehmbare Wohn- und Arbeitsformen führen häufig zu Nachbarschaftskonflikten. Dass die Stadt durchaus über Handlungsspielräume verfügt und der Prekarität etwas entgegensetzen könnte – etwa durch Ermessensleistungen nach dem Sozialrecht, Ausweitung von Notübernachtungsmöglichkeiten und Förderung preiswerten Wohnraums – wird in den medialen Debatten über „Überbelegung“, „Elendslager“ oder den „Arbeitsstrich“ nur in begrenztem Maße thematisiert. Insgesamt produzieren die städtischen Sozialpolitiken paradoxerweise die sozialen Probleme, deren ordnungspolitische Skandalisierung zur Legitimierung der sozialen Ausschlüsse beiträgt.