von Lisa Riedner
Mit einem neuen Gesetz möchte die Bundesregierung verbieten, „Arbeitskraft als Tagelöhner im öffentlichen Raum aus einer Gruppe heraus in einer Weise anzubieten, die geeignet ist, Schwarzarbeit oder illegale Beschäftigung zu ermöglichen“.[1] Das Verbot der „Tagelöhnerbörsen“ soll mit Platzverweisen und Bußgeldern durchgesetzt werden.
Auch darüber hinaus soll das „Gesetz gegen illegale Beschäftigung und Sozialleistungsmissbrauch“ die Kompetenzen des Zolls stark erweitern und außerdem das Recht auf Kindergeld für EU-Bürger*innen einschränken. Der Gesetzesentwurf kommt nicht überraschend. Die Bundesregierung schränkt die sozialen Rechte von Unionsbürger*innen seit Jahren immer weiter ein und baut gleichzeitig die Möglichkeiten des Polizierens der prekären Arbeits- und Lebensverhältnisse, die durch die Ausschlüsse teils erst geschaffen werden, weiter aus. Dabei werden Sozialbehörden zu Handlangern der (Grenz-)Polizei und Ordnungsbehörden sollen wiederum soziale Fragen lösen.[2] Doch was hat es mit dem Verbot im öffentlichen Raum in Gruppen Arbeitskraft für undokumentierte Beschäftigungsverhältnisse anzubieten, auf sich? Ist es geeignet, wie der Regierungsentwurf verspricht, „Arbeitnehmer und Arbeitnehmerinnen vor illegalen Lohnpraktiken zu schützen“? Dieser Artikel argumentiert, dass repressive Maßnahmen sogenannte ‚Tagelöhner*innen‘ nicht vor Ausbeutung schützen, sondern sie vielmehr noch weiter marginalisieren und damit auch lokale rassistische Ausgrenzungsprozesse verstärken. Dafür geht er auf Auseinandersetzungen um eine Polizeirazzia am selbstorganisierten Arbeitsmarkt im Münchner Bahnhofsviertel im Jahr 2013 ein, die aus heutiger Perspektive als Vorbotin der aktuellen Entwicklungen erscheint.
Dabei beziehe ich mich auf meine mehrjährige ethnografische Forschung mit der Initiative Zivilcourage und ihrem temporären Workers‘ Center. Die Initiative Zivilcourage versucht, prekarisierte EU-migrantische Arbeiter*innen in ihren Konflikten mit Behörden, Polizei und Arbeitgeber*innen zu unterstützen.[3] Seit 2010 öffnet sie ein- bis zweimal die Woche einen Aufenthaltsraum und Treffpunkt – ein Workers‘ Center – und bietet dort auch Unterstützung bei Konflikten mit Behörden oder Arbeitgeber*innen an. Bei den Personen, mit denen sie zusammenarbeitet, handelt es sich meist um EU-Bürger*innen aus Bulgarien, die sich angesichts der ökonomischen und sozialen Situation in ihren Herkunftsorten dazu entschieden hatten, ein besseres Leben im wohlhabenden München zu suchen. Einige treffen sich regelmäßig am selbstorganisierten Arbeitsmarkt – in den Medien oft abwertend „Arbeitsstrich“ genannt.
Der selbstorganisierte Arbeitsmarkt
Der selbstorganisierte Arbeitsmarkt in den Straßen des Münchner Bahnhofsviertels dient vor allem der Arbeitsuche und als sozialer Treffpunkt. Ab den frühen Morgenstunden treffen sich hier hauptsächlich Männer, aber auch Frauen*, um auf potenzielle Arbeitgeber*innen zu warten. Die hier geknüpften Arbeitsverhältnisse im Bau-, Reinigungs- und Gastronomiegewerbe sind sehr divers und keinesfalls auf die in den Medien skandalisierten Schreckensmeldungen von extrem niedrigen Löhnen, komplett fehlenden Arbeitsrechten und Zwangsverhältnissen zu reduzieren. Nicht selten ergeben sich längerfristige und relativ abgesicherte Arbeitsverhältnisse. Oft arbeiten die Arbeiter*innen auch nur einige Stunden oder Tage für eine*n Arbeitgeber*in, bevor sie wieder einen neuen Job suchen müssen. Tatsächlich kommt es nicht selten zu Auseinandersetzungen, weil Arbeitnehmer*innen keinen oder weniger als den vereinbarten Lohn ausbezahlt bekommen oder etwa über unbezahlte Überstunden, versteckte Akkordarbeit und ‚geschönte‘ Arbeitszeitabrechnungen um ihren Lohn betrogen werden. Der selbstorganisierte Arbeitsmarkt übernimmt dabei eine ambivalente Rolle. Einerseits ist er eine Ausbeutungstechnologie, die hohen Profit gewährleistet, weil die Arbeitskraft extrem flexibel einsetzbar ist und somit keine Kosten verursacht, wenn sie nicht gebraucht wird. In der Folge sind die Arbeitnehmer*innen oft obdachlos und ohne Krankenversicherung. Andererseits stellt der Markt auch eine kollektive Strategie dar, um etwa informelle Mindestlöhne und Arbeitsstandards durchzusetzen. Erstens ermöglicht er eine direkte Absprache zwischen den prekär und vereinzelt Beschäftigten. Zweitens können schlechte Jobs gekündigt werden mit der Aussicht, recht schnell wieder einen neuen zu finden. Der selbstorganisierte Arbeitsmarkt dient also nicht nur der Anbahnung von Ausbeutung, sondern ermöglicht auch Widerstand gegen diese. Widerstand leisten die Arbeitsuchenden aber nicht nur gegen die Versuche, den Preis ihrer Arbeitskraft zu drücken, sondern auch gegen rassistische Blicke und die alltäglichen Kontrollen der Polizei, von denen sie sich nicht vertreiben lassen. Der sogenannte ‚Tagelöhnermarkt‘ dient zudem als kollektiver Treffpunkt einer migrantischen Community, die es sich nicht leisten kann, sich in kommerziellen Räumen zu treffen beziehungsweise auch andernorts (klassen-)rassistisch verdrängt und vertrieben wird. Als einige der prekarisierten Migrant*innen sich Anfang 2010 erstmals mit der Initiative Zivilcourage und Dienstleistungsgewerkschaft ver.di gemeinsam organisierten und öffentlich zu Wort meldeten, forderten sie neben Gleichberechtigung und Respekt auch zentral ein „Ende der täglichen Polizeikontrollen“.[4]
Skandalisierungen des selbstorganisierten Arbeitsmarkts
Bis zum Frühjahr 2010 war der ‚Tagelöhnermarkt‘ in der Münchner Stadtöffentlichkeit noch unbekannt. Nur die lokalen Polizeistreifen führten regelmäßig Kontrollen durch. Die ersten Medienberichte erschienen erst, nachdem sich EU-migrantische Arbeiter*innen im Mai 2010 öffentlich zu Wort gemeldet hatten. Diese frühen Berichte stellten die Schicksale einzelner Personen in den Mittelpunkt und riefen die Stadt dazu auf, tätig zu werden. Doch auch hier fällt schon auf, dass die EU-migrantischen Arbeiter*innen eher als hilflose Opfer denn als Akteur*innen gelten und der selbstorganisierte Arbeitsmarkt als Endstation dargestellt wird und nicht als kollektive Strategie, trotz Entrechtung und Ausschluss Arbeit zu finden und der größten Armut zu entkommen.
Als einige lokale Geschäftsleute im August 2013 mit einer Petition die „Anerkennung der stetig wachsenden Probleme mit illegalen Arbeitsmärkten an unserer Kreuzung“ forderten, änderte sich die öffentliche Berichterstattung radikal. „Aufstand gegen den Arbeiter-Strich – Müll, Urin und Ärger!“ titelte etwa das Münchner Boulevardblatt „tz“ am 27. August 2013 und folgte damit dem (klassen-)rassistischen und antiziganistischen Sprech der Petition, die behauptete, dass das Viertel „von stetig wachsenden Mengen von Arbeitern“ „belagert“, „blockiert“, „vermüllt“ würde; es würde „gespuckt“, „uriniert“ und „belästigt“. Die Autor*innen der Petition forderten die Stadt und die Polizei auf, „Gegenmaßnahmen“ zu ergreifen.
Schnell reagierte die Politik auf die Petition: Der CSU-Bundestagsabgeordnete und ehemalige Leiter des Münchner Kreisverwaltungsreferats Hans-Peter Uhl sprang den Geschäftsleuten zur Seite und berief noch in derselben Woche einen Runden Tisch mit Zoll und Polizei ein. Direkt nach dem Treffen stellte der Gastgeber in der Süddeutschen Zeitung vom 30. August 2013 klar, welche Aufgaben Zoll und Polizei seiner Meinung nach hätten: „Durch schärfere Kontrollen sollen die bulgarischen Tagelöhner von der Kreuzung vertrieben werden“. Retrospektiv erklärte auch das Bayerische Innenministerium, dass hier eine verstärkte Zusammenarbeit der Sicherheitsbehörden und verschärfte Maßnahmen verabredet worden sei:
„Im August dieses Jahres wurde auf Initiative des MdB Dr. Uhl in München ein Runder Tisch in dieser Angelegenheit einberufen. … Dabei wurden unter anderem gemeinsame Kontrollaktionen des Zolls und der Polizei vereinbart.“[5]
Innerhalb der Sicherheitsapparate war die Law-and-Order-Perspektive umstritten. Schon im Jahr 2010 hatte der damalige Leiter der Finanzkontrolle Schwarzarbeit (FKS) des Zolls in einem Interview erklärt, dass der ‚Tagelöhnermarkt‘ für seine Behörde wenig interessant sei. Denn das Hauptinteresse des Zolls läge angesichts seiner Funktion als „Einnahmequelle des Bundes“ in der Sicherstellung von Steuereinnahmen: Sie seien daher gezwungen, dort „vorrangig die Verfahren durchzuführen, wo der Schaden am größten ist, denn die kosten auch Geld“. Die ‚Tagelöhner*innen‘ interessierten den Zoll kaum, denn wenn „der einmal in der Woche irgendwo jobbt, dann ist der Schaden am Sozialsystem nicht so groß“. Schließlich lasse sich „das große Geschäft … nur organisiert machen. Wenn sie ein Hundert-Meter-Hochhaus bauen, dann hilft es nichts, wenn sie sich da und da mal einen holen.“
Auch der Münchner Polizeipräsident war der Ansicht, dass die Strafverfolgungsbehörden nicht zuständig seien: „Das ist ein soziales Problem“, antwortete der Münchner Polizeipräsident auf Beschwerden von ‚Geschäftsleuten‘ während eines Rundgangs durch das Bahnhofsviertel im November 2013: „Das kann die Polizei nicht lösen.“[6]
Dennoch sollte sich der im August 2013 von der Petition lancierte Ruf nach sicherheitspolitischem Durchgreifen im Zuge der moralischen Panik um den ‚Arbeiterstrich‘– zumindest vorerst – durchsetzen.
Eine Zollrazzia am selbstorganisierten Arbeitsmarkt
Am Morgen des 21. Oktober 2013 fand an der Kreuzung des selbstorganisierten Arbeitsmarkts im Münchner Bahnhofsviertel eine gemeinsame Maßnahme der FKS und der Polizeiinspektion 14 statt. Die Polizei- und Zollbeamt*innen brachten etwa 20 Personen, die einfach nur auf dem Gehweg gestanden hatten, in einen Hinterhof, vermerkten ihre Namen sowie weitere Informationen auf Listen. Sie erklärten ihnen, sie hätten kein Recht, zu arbeiten, denn ‚Schwarzarbeit’ sei strafbar. Anschließend legte man den Kontrollierten neongrüne Silikonarmbänder um und ließ sie wieder frei. Das berichteten etwa zehn Personen, die am nächsten Tag vor der Tür des Workers’ Centers der Initiative Zivilcourage warteten, als ein Kollege und ich dort ankamen. Sie zeigten aufgebracht auf ihre mit den Armbändern markierten Handgelenke und baten uns, bei der Zollpolizei anzurufen, um eine Erklärung zu verlangen. Einige von der Markierung Eingeschüchterte hätten München schon verlassen, erzählten sie. Sie fühlten sich gedemütigt, vor den anderen Menschen im Viertel abgesondert und als Verbrecher markiert. Sie vermuteten, dass die Bänder elektronische Chips enthielten, die den Aufenthaltsort nachvollziehbar machten, wie bei einer elektronischen Fußfessel, und befürchteten weitere Repression und Verfolgung. Vollkommen verblüfft schaute ich auf die Bänder, die mir sonst als Eintrittskarten zu Musikfestivals bekannt waren, hier aber soziale Stigmatisierung versinnbildlichten. Mit Jackenärmeln war das Neongrün notdürftig zu verdecken, blitzte aber immer wieder auf. Rassismus und Klassenverhältnisse wurden mit dem grünen Band körperlich erfahrbar und öffentlich sichtbar.[7] Wir kamen schnell zu dem Schluss, dass sie die Bänder abreißen sollten. Die Geste des Abreißens kam einer Geste der Befreiung gleich. Es kam zu keiner Weiterverfolgung der Kontrollierten. Am nächsten Tag trafen sich die Arbeitsuchenden wieder am selben Ort. Die Razzia blieb aber als Ereignis in den Aushandlungen um den und am selbstorganisierten Arbeitsmarkt in die kollektive Erinnerung eingebrannt. Auch wenn es keine elektronische Verfolgung gegeben hatte, erzählten EU-migrantische Arbeiter*innen noch zwei Jahre später empört von Chips in Armbändern, mit denen die Polizei sie verfolgt habe.
Die Razzia provozierte auch Widerstand. Einige der kontrollierten Personen forderten in einer Pressemitteilung eine Entschuldigung des Zolls. Gemeinsam mit der Initiative Zivilcourage skandalisierten sie die Razzia und die Markierung mit den grünen Armbändern als „rassistische Praxis, die die Persönlichkeitsrechte und die Menschenwürde verletzt“.[8] Die Erklärung stieß auf einigen Widerhall in der kommunalen und auch bayerischen Politik. Die Verantwortlichen des Zolls wurden anschließend etwa zu einer Sitzung des Münchner Ausländerbeirats und zu einem Runden Tisch im Bahnhofsviertel eingeladen. Zudem stellte die Fraktion der Grünen im Bayerischen Landtag eine Anfrage, in der sie eine Erklärung der Geschehnisse forderten. Daraufhin kam es zu unterschiedlichen Erklärungsversuchen seitens der beteiligten Sicherheitsbehörden. Der Bayerische Innenminister erklärte etwa, dass die Markierung mit Armbändern bei Kontrollen größerer Gruppen üblich sei:
„Diese Maßnahme wird bei Prüfungsmaßnahmen der FKS bundesweit praktiziert. Hierdurch soll insbesondere verhindert werden, dass Personen mehrfach befragt werden. Die Armbänder können abgelegt werden, sobald die Prüfungsmaßnahme abgeschlossen ist und der Kontrollraum verlassen wird.“[9]
Unter dieser Perspektive garantierten die Bänder den reibungslosen Ablauf der aufklärenden Maßnahme, die den Kontrollierten helfen sollte:
„Ziel der Personenüberprüfung war allerdings auch nicht, den Anwesenden rechtliche Verstöße nachzuweisen, sondern diese im Rahmen einer präventiven Maßnahme durch die KEP über die rechtliche Situation aufzuklären und diese vor eventueller Ausbeutung durch mögliche Arbeitgeber zu schützen.“[10]
Am Ziel des Schutzes ist die Maßnahme jedoch ebenso kläglich gescheitert wie am Ziel der Vertreibung. Statt die kontrollierten Personen zu schützen, hat die Maßnahme sie eingeschüchtert, entwürdigt und rassistisch markiert.
Bisher sind Vertreibungsversuchen insofern rechtliche Grenzen gesetzt, als alle Personen grundsätzlich das Recht haben, sich im öffentlichen Raum aufzuhalten. Der neue Gesetzesentwurf soll eine Möglichkeit schaffen, dieses Recht einzuschränken. In der Praxis könnten Sicherheitsbehörden schon präventiv Platzverweise und Bußgelder vergeben, wenn nur der Verdacht besteht, dass Personen ihre Arbeitskraft für undokumentierte Arbeit anbieten. Auch mit dem neuen Verbot wird das Interesse des Zolls an den ‚Tagelöhner*innen‘ meiner Einschätzung nach in der Regel aber gering bleiben, weil der Aufwand regelmäßiger Kontrollen in keiner Relation zu den steuerlichen Einbußen steht. Inwiefern lokale Interessensgruppen die Ordnungsbehörden trotzdem mobilisieren können, um sogenannte ‚Tagelöhnerbörsen‘ aufzulösen, und wie erfolgreich diese Versuche sein werden, hängt von den jeweiligen lokalen Kräfteverhältnissen ab.
Im Interesse prekarisierter Migrant*innen liegt das neue Verbot jedenfalls nicht. Seine Umsetzung wird sie nicht schützen, sondern ihnen das Leben und die Suche nach Arbeit nur noch weiter erschweren, sie weiter marginalisieren und Überausbeutung sowie die Durchsetzung (klassen-)rassistischer Sauberkeitsphantasien erleichtern. Statt Arbeitsuchende ohne deutschen Pass zu kriminalisieren und von grundlegenden sozialen Rechten auszuschließen, sollten sie rechtlich gleichgestellt und dabei unterstützt werden, ihre Rechtsansprüche und gute Arbeitsverhältnisse einzufordern.
Das Beispiel des selbstorganisierten Arbeitsmarktes zeigt auch, dass emanzipatorische Bewegungen gesellschaftliche Verhältnisse als antagonistisch begreifen müssen, um Strategien gegen (Über-)Ausbeutung und Rassismus entwickeln zu können. Neben den profitorientierten Strategien der Arbeitgeberseite und den sichtbaren und unsichtbaren Kämpfen (migrantischer) Arbeiter*innen müssen dafür auch die staatlichen Regelungen, die Überausbeutung und Verarmung mit ermöglichen, ins Bild geholt werden. Nicht zuletzt gilt es, hegemoniale Denkordnungen umzuwerfen, die prekarisierte Migrant*innen wahlweise nur als hilflose Opfer krimineller Machenschaften oder als Bedrohung der nationalen Arbeitsmärkte und Sozialsysteme begreifen, nicht aber als Akteure sozialer Kämpfe für ein besseres Leben in transnationalen Verhältnissen.