Neues Westbalkan-Scharnier für Europol und Frontex

Die EU-Agenturen können zwar inzwischen enger mit ausgewählten Drittstaaten kooperieren, allerdings gab es bislang kaum Formate für die politische und strategische Verabredung von grenzpolizeilichen Maßnahmen außerhalb des Schengen-Raums. Für Südosteuropa hat Österreich jetzt Fakten geschaffen.

Nach einer zweitägigen „Rückführungskonferenz“ hat Österreichs Innenministerium am Dienstag dieser Woche weitere Maßnahmen der „Joint Coordination Platform“ (JCP) „gegen die illegale Migration“ angekündigt. Das erst ein Jahr alte Netzwerk soll „flexible Rückführungspartnerschaften“ mit Westbalkan-Staaten abschließen. Hinter dem Begriff verbergen sich Abschiebungen von Menschen, deren Schutzgesuch in der EU abgelehnt wurde, oder die sich aus diesem Grund zu einer „freiwilligen“ Rückkehr entschließen.

Auf Einladung des Innenministers Gerhard Karner (ÖVP) hatten die Regierungen von 22 Ländern in der Wiener Hofburg über die Situation an der östlichen Mittelmeerroute sowie der sogenannten Balkanroute beraten. Unter den Teilnehmenden waren neben den Westbalkan-Drittstaaten zahlreiche EU-Mitglieder und als einziger Schengen-Staat die Schweiz. Die Union war mit der Generaldirektion Migration und Inneres der Kommission, der Grenzagentur Frontex, der neuen Asylagentur und dem Auswärtigen Dienst vertreten.

Grenzprojekte mit Ex-Frontex-Vize

Die Anfang 2021 gestartete JCP basiert auf der „Wiener Erklärung“, die Österreich unter deutscher EU-Ratspräsidentschaft im Sommer 2020 nach einer Konferenz von 19 Innenminister:innen im Rahmen des „Salzburg Forums“ verabschiedet hatte. Der damalige deutsche Innenminister Horst Seehofer (CSU) nannte die Plattform ein „Frühwarnsystem“. Sie soll eng mit den EU-Agenturen zusammenarbeiten und deren Zusammenarbeit mit den westlichen Balkanstaaten koordinieren.

Als Aufgabenbereiche gelten die Überwachung und Kontrolle der EU-Außengrenzen sowie Maßnahmen in Drittstaaten. Hierzu haben die JCP-Gründerstaaten einander Unterstützung „in den Kernbereichen Grenzschutz, Rückführung, Bekämpfung des Schleuserwesens und Durchführung von Asylverfahren“ versprochen. Diskussionen über eine „Verteilung von Asylwerbern innerhalb der EU“ gehörten nicht dazu, betont das Innenministerium Österreichs, diese sogenannte „Relocation“ wird von der Regierung demnach „konsequent abgelehnt“.

Mit Sitz in Wien verfügt die JCP über ein Sekretariat, das von dem früheren Frontex-Vize Berndt Körner geleitet wird. Sein Stellvertreter kommt aus der Tschechischen Republik, weitere Unterstützung erhält der Österreicher von zwei Beamt:innen der deutschen Bundespolizei und dem Bundesamt für Migration und Flüchtlinge.

Thinktank mit operativen Projekten

Am JCP beteiligt ist außerdem das International Centre for Migration Policy Development (ICMPD), das ebenfalls in Wien angesiedelt ist. Das 1993 gegründete Institut wird mittlerweile vom österreichischen Ex-Vizekanzler Michael Spindelegger (ÖVP) geleitet, dieser bezeichnet es als „zwischenstaatliche Mediationsplattform und Thinktank für migrationspolitische Zukunftsfragen“. Spätestens mit Spindeleggers Vorsitz hat das ICMPD jedoch seine Rolle als „Thinktank“ verlassen und führt im EU-Auftrag inzwischen zahlreiche Grenzprojekte zur Migrationskontrolle in Nordafrika oder dem Westbalkan durch.

Die Joint Coordination Plattform will nun mit dem ICMPD einen „regionalen Rückführungsmechanismus für den Westbalkan“ einrichten. Dabei geht es nicht nur um Abschiebungen und „freiwillige“ Rückkehrmaßnahmen in die europäischen Drittstaaten; die JCP soll darüber hinaus auch die Westbalkan-Länder selbst bei Abschiebungen unterstützen. Damit übernimmt die Plattform eine Scharnierfunktion für Frontex. Die Grenzagentur baut im Rahmen ihrer neuen Verordnung ein „Rückkehrzentrum“ auf und organisiert Charterflüge für Abschiebungen aus verschiedenen EU-Mitgliedstaaten, darf dies aber nicht im Auftrag von Drittstaaten durchführen (auch wenn es mit diesen Ländern ein Statusabkommen gibt). Für das ICMPD als eine der Beteiligten der JCP gilt eine solche Beschränkung aber nicht.

Zu den ersten Maßnahmen der JCP gehörte 2020 eine koordinierte Abschiebung nach Bosnien und Herzegowina. Österreich lud die dortige Polizei zu Fortbildungen und dem Mitflug bei „Rückführungschartern“ ein. Das darüber vermittelte Wissen soll den Behörden des Westbalkan-Staates „helfen, alle rechtsstaatlichen Standards einzuhalten“. Dies könnte nun weiter ausgebaut werden. Der bosnische Sicherheitsminister Selmo Cikotic schlug diese Woche in Wien eine regionale Zusammenarbeit einzelner Staaten bei der Rückführung vor. „Gemeinsam mit der EU“ hätten sich die Westbalkan-Staaten im Bereich der Migration „von einer Krisensituation hin zu einem Migrationsmanagement“ entwickelt.

Biometrische Datenbank für die Westbalkan-Staaten

Vor Gründung der JCP hatten die EU-Innenminister:innen  „Schlussfolgerungen zur Verstärkung der Zusammenarbeit mit Partnern im Westbalkan im Bereich Migration und Sicherheit“ beschlossen. Darin werden auch die einzelnen Regierungen der Mitgliedstaaten, die Kommission sowie die Agenturen zu mehr Zusammenarbeit, einer stärkeren Annäherung der operativen Standards und Kapazitäten im Bereich Migration und Sicherheit mit dem Westbalkan aufgefordert. Alle beteiligten Länder sollen „Nationale Koordinierungszentre (NCC) für ein „effizientes Grenzmanagement“ einrichten und über ein Netzwerk verbinden. Zur operativen Kooperation sollen die Drittstaaten in Südosteuropa nach Vorbild von Eurodac eine Fingerabdruckdatei für Asylsuchende einrichten, dies wird von der Kommission im Rahmen der EU-Heranführungshilfe für Beitrittskandidaten unterstützt.

Zur Umsetzung der Ratsschlussfolgerungen haben die EU-Mitgliedstaaten verschiedene Projekte gestartet. Zur engeren Zusammenarbeit mit den Westbalkanstaaten sowie der Türkei finanziert die EU das von der Bundespolizei geführte Projekt „Fighting Migrant Smuggling by Establishing Common Operational Partnership in Europe with Third Countries“ (SCOPE). Aus Mitteln des Fonds für die Innere Sicherheit gefördert, sollen damit „kriminelle Organisationen“, die Geflüchtete in die EU schmuggeln, bekämpft werden. Auch das ebenfalls EU-finanzierte Projekt „Joint Expert Teams in Action“ wurde 2021 auf Staaten des Westbalkans ausgedehnt. Es soll die Fähigkeiten von Grenzbehörden zum Erkennen von Dokumentenfälschen verbessern, die Polizeien nutzen dafür Smartphones mit einer „Dokumentenprüf- und Dokumentenberatungs-App“.

Neue Steuerungsgruppen zur Migrationsabwehr

Während die JCP vor allem als politische und strategische Steuerungsplattform zur Migrationsabwehr fungiert, existiert seit einigen Jahren auch ein Zentrum zur Koordinierung der polizeilichen Maßnahmen auf dem Westbalkan. 2016 hatte der damalige österreichische Innenminister Wolfgang Sobotka (ÖVP) hierzu ein „Joint Operational Office against Human Smuggling Networks“ (JOO) eröffnet, er bezeichnete es damals als „Internationales Ermittlungsbüro gegen Schlepperei“. Für gemeinsame Ermittlungen im Westbalkan arbeitet es eng mit dem „Europäischen Zentrum zur Bekämpfung der Migrantenschleusung“ (EMSC) bei Europol zusammen.

Ähnlich dem JCP fungiert das beim Bundeskriminalamt in Wien angesiedelte JOO als Scharnier für den Einfluss von EU-Agenturen in den Ländern des Westbalkan, denn Europol wäre eine derartige direkte polizeiliche Zusammenarbeit mit Drittstaaten nur in begrenztem Maß erlaubt. Am JOO beteiligt sind Polizeibehörden aller EU-Mitgliedstaaten auf der Balkanroute, außerdem Deutschland (mit der Bundespolizei), Italien, Polen, Schweden und Spanien.

Mit der „Joint Coordination Platform“ für Staaten des Westbalkan ergänzt die EU ihre neuen Steuerungsgruppen zur Migrationsabwehr um einen weiteren Knoten. Die Zusammenarbeit mit nicht benachbarten Ländern wie dem Irak, Niger oder Tunesien wird seit diesem Jahr über einen „Mechanismus der operativen Koordinierung für die externe Dimension der Migration“ (MOCADEM) organisiert, dabei werden die adressierten Regierungen durch verschiedene außenpolitische Maßnahmen geködert oder unter Druck gesetzt. Ein ebenfalls neuer „Schengen-Rat“ soll auf zunehmenden „Migrationsdruck“ an den EU-Außengrenzen und Binnengrenzen reagieren. Gemessen wird dazu mit einem „Barometer“, die Grenzagentur Frontex gilt als „Speerspitze“ des neuen Instruments.

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