Polizeigewalt in Deutsch-Südwestafrika: Die berittene Landespolizei

von Marie Muschalek

Der Aufbau der Polizei in Deutsch-Südwestafrika (DSWA) erfolgte nach dem Genozid an den Herero und Nama 1905. Sie war geprägt von ihrer Aufgabe, die koloniale Ordnung durchzusetzen und den weißen Siedler*innen ausreichend Arbeitskräfte zuzuführen. Der Einsatz von Gewalt war dabei allgegenwärtig und selbstverständlich, ihre Anwendung folgte scheinbar pragmatischen Erwägungen und polizeilichem Erfahrungswissen mehr als rechtlichen Vorgaben. 

Koloniale Polizeieinheiten waren Zwangsinstrumente von erheblichem Wert für den Staat, deren Hauptzweck darin bestand, Einnahmen für den Kolonialstaat zu generieren, billige Arbeitskräfte zu organisieren und zu überwachen sowie europäisches Eigentum zu schützen. In diesen Funktionen unterschied sich die Kolonialpolizei im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert nur wenig von der Polizei im Mutterland.[1] Spezifisch für die koloniale Situation war hingegen die gewaltvolle Eroberung und Unterwerfung indigener Bevölkerungen, ihre Entmenschlichung und Entwürdigung durch rassistische Ideologien und die Enteignung ihres Landes, das daraufhin in einigen Territorien durch weiße Siedler*innen okkupiert wurde. Basierend auf meinem Buch möchte ich im Folgenden einen kleinen Einblick in die Geschichte der Polizei im kolonialen Namibia, ihren Aufbau und ihre gewaltvollen Arbeitsweisen geben.[2] Zwischen 1884 und 1915 war Namibia unter dem Namen Deutsch-Südwestafrika die Siedlerkolonie des deutschen Kaiserreichs. Dort kontrollierte eine recht kleine Polizeitruppe von sowohl weißen als auch schwarzen Männern ein immenses, dünn bevölkertes und besiedeltes Gebiet.

Die Kolonialpolizei als doppelt hybride Organisation

Die sogenannte „berittene Landespolizei für Deutsch-Südwest“ war eine doppelt hybride Institution: zum einen zeichnete sie sich durch eine semi-militärisch, semi-zivile Organisationsstruktur aus; zum anderen hatte sie eine „rassisch“ gemischte Zusammensetzung. Offiziell wurde sie 1905 gegründet. Richtig zum Einsatz kam sie aber erst ab 1907, d. h. nach dem Vernichtungskrieg der deutschen Schutztruppen gegen die in der Kolonie lebenden Bevölkerungsgruppen der Herero und Nama.[3]  Die Polizei übernahm also ihren Auftrag zur „Erhaltung der öffentlichen Ruhe und Sicherheit“[4] in einer Situation, in der extreme, genozidale Gewalt stattfand, in welcher die sozialen Organisationsstrukturen der Kolonisierten fast komplett zerstört waren, in welcher Angst und Hunger ihren Alltag prägte. Die Versuche der afrikanischen Bevölkerung sich der kolonialen Herrschaft zu entziehen, waren gepaart mit der Notwendigkeit, sich mit dem Regime zu arrangieren.

Trotz des zivilen Mandats setzte die Führung der Polizei in Windhuk (Inspektion der Landespolizei) von Anbeginn auf eine militärische Organisationsstruktur und eine konsequent soldatische Kultur. Anders als in Großbritannien, wo sich in der Metropole ein dezentralisierter, meist unbewaffneter, ziviler Polizeistil entwickelt hat­te, war der stark militarisierte Charakter der kolonialen Polizeiarbeit kein Bruch mit den ebenfalls zentralisierten, vom Staat eingesetzten, meist bewaffneten und militärisch organisierten Polizeitruppen der anderen kontinentaleuropäischen Mächte.[5]

Folglich wurden die deutschen Männer der Landespolizei ausschließlich aus dem Militär rekrutiert. Alle Wachtmeister und Sergeanten mussten mindestens sechs Jahre beim Militär gedient und den Rang eines Unteroffiziers erreicht haben, um für den Polizeidienst in DSWA in Frage zu kommen.[6] In Sachen Disziplin und Ausbildung unterstanden sie einem Inspektionsoffizier. Auch bei den afrikanischen „Polizeidienern“ bestanden die Anwerber (wie auch die Rekruten selbst) auf eine kriegerische Vorprägung. Sie waren in der Regel entweder in vorkolonialen, der südafrikanischen Treck-Kultur entlehnten Kommandos oder auf deutschen Militärstützpunkten als sogenannte „Bambusen“ sozialisiert worden.[7]

Nicht juristisches Wissen oder administrative Fähigkeiten, sondern ein imposanter militärischer, auf männliche Ehre („Manneszucht“) gestützter Habitus und der Zugriff auf tödliche Gewaltinstrumente sollten die Grundlage für gute Polizeiarbeit und staatliche Autorität bilden.[8] Bis zuletzt hielt die Polizeiführung an den militärischen Prinzipien von schneidigem Auftreten, Kameradschaft und Loyalität fest, um den Mangel an polizeilicher Ausbildung zu kompensieren. Diese beschränkte sich weitgehend auf das Schießen und Reiten, wenn sie überhaupt stattfand.

Nichtsdestotrotz war die Landespolizei mit zivilen Aufgaben betraut und stand unter der Aufsicht ziviler Behörden, d. h. dem Gouvernement für Deutsch-Südwestafrika und seinen Bezirks- und Distriktsamtmännern. Die Polizisten rekurrierten daher zunehmend auf verwaltungstechnische Mittel, um ihr Tun zu legitimieren. Innerhalb der stetig wachsenden Kolonialbürokratie mussten sie ihre Arbeit in Übereinstimmung mit einem fortwährend komplexer werdenden Geflecht an Verordnungen ausführen und in ordnungsgemäßer Form dokumentieren. Das Papier wurde somit neben der Waffe ihr wichtigstes Herrschaftsmittel. Sie waren „Bürokraten-Soldaten“ oder „Bürokraten in Uniform.“[9]

Zusätzlich zu ihrer hybriden Organisationsform war die Landespolizei darüber hinaus „rassisch“ gemischt. Ein Drittel der ungefähr 600 bis 700 Polizisten waren schwarz (bzw. „mixed-race“), zwei Drittel waren weiß. Diese Zusammensetzung war zwar bis zuletzt ein wunder Punkt für die Polizeiführung, da die weiße Siedlerbevölkerung sich nicht von schwarzen Staatsdienern kontrollieren lassen wollte. Doch die weißen und schwarzen Polizisten arbeiteten Hand in Hand. Letztere waren unabdingbar für das Funktionieren der kolonialen Macht. Sie hatten meist bessere Orts- und Sprachkenntnisse und fungierten als kulturelle und soziale Vermittler zwischen der kolonisierten Bevölkerung und den Kolonisierenden.[10]

Die Einstellung als Polizist hieß zunächst einmal ein stabiles, geregeltes Einkommen. Werte und Haltungen der deutschen und der afrikanischen Polizisten überlappten sich zum Teil – bisweilen stimmten sie sogar überein. Beide Gruppen waren zutiefst vom Prinzip der Ehre und der Vorstellung martialischer, männlicher Professionalität überzeugt. Alle schätzten ihr Klientelverhältnis zum Staat und die Statusattribute (Uniform, Pferd, Gewehr), die sie von demselben erhielten.[11]  Dieses Überlappen von moralischen Werten ermöglichte in gewisser Weise überhaupt erst die Durchsetzungsfähigkeit der Polizei. Die Beziehung zwischen afrikanischen und deutschen Polizisten war jedoch weder ein gegenseitiges Verständnis noch ein kultureller Austausch. Sie waren keineswegs gleichberechtigt. Vielmehr arbeiteten die Polizisten auf einer Art „Mittelgrund“ zusammen, einem Feld „kreativer und oft zweckmäßiger Missverständnisse,“[12] das es ihnen ermöglichte, einerseits das koloniale Projekt in ihre Richtung zu lenken und andererseits sowohl mit dem Kolonisator (d. h. den Siedler*innen) als auch mit der kolonisierten Bevölkerung in Beziehung zu treten.

Improvisierte und informelle Polizeiarbeit

Mit Hilfe seiner Polizisten, Bürokraten und Soldaten, seiner Landvermesser, Lehrer*innen und Ärzte, seiner Gesetze, Steuern und Straßenschilder versuchte der Kolonialstaat besonders nach dem Krieg, sein Herrschaftsnetz über ein koloniales Gebiet auszuwerfen, das anderthalb Mal so groß war wie das Mutterland. In vielerlei Hinsicht gelang ihm dies nicht. Seine territoriale Präsenz war dünn, seine Ressourcen begrenzt, und seine Bemühungen stießen auf Widerstand und Ausweichmanöver, sowohl seitens der Kolonisierten als auch seitens der Siedler*innen.[13]

Auch die Landespolizei klagte für die gesamte Dauer ihres Bestehens über ungenügende Ausstattung und Unterbesetzung. Auf den entlegenen Polizeiposten waren für gewöhnlich zwei bis sechs weiße und schwarze Männer stationiert, welche in einer Zwangsgemeinschaft zusammenlebten. Um die nächstgelegene Bezirks- oder Distriktsamtsortschaft und die von ihnen zu kontrollierenden Farmen, Minen oder Bauabschnitte zu erreichen, mussten sie teils tagelange Patrouillenritte unternehmen. Hinzu kam, dass die schriftlichen und mündlichen Direktiven der vorgesetzten Zivilstellen und des Inspekteurs der Landespolizei alles andere als eindeutig waren. Zum Teil widersprachen sich die Anweisungen sogar. Vor allem, wie der polizeiliche Vollzug aussehen sollte, wie die sogenannte „Eingeborenenpolitik“, besonders die Passmarkenkontrolle und der de facto Arbeitszwang (s. nächste Abschnitt), durchgesetzt werden sollten, wurde selten erklärt. Professionelles Training beschränkte sich auf ein paar Monate, wenn überhaupt.

Schließlich waren die Polizisten neben den soeben genannten Aufgaben der Überwachung und Arbeitsrekrutierung im Prinzip für alles zuständig: Veterinärwesen, Straßenbau, Schulpflicht, Steuereinziehung, Postwesen usw. Sie sollten sich sowohl um die Sicherheit als auch um die Wohlfahrt der kolonialen Gesellschaft kümmern, sollten sowohl reaktiv als auch proaktiv handeln. Die Weite der Kolonie, die Ungenauigkeit des Regelwerks und Allzuständigkeit ließen viel Handlungsspielraum für den einzelnen Beamten. Im Feld – wo die unmittelbare Rechenschaftspflicht begrenzt war – verfuhren die Polizisten mit einer Art Behelfstaktik. Sie improvisierten häufig, mischten Dienstpflichten und Geselligkeit und setzten sowohl formal korrekte als auch informelle Methoden ein. Kleine Tricksereien gepaart mit bürokratischer post-facto Rationalisierung waren dabei ein oft genutzter Behelf. Infolgedessen entwickelte sich eine Organisationskultur, in der die Polizisten auf dem Primat ihrer eigenen Erfahrung und ihres „gesunden Menschenverstands“ bestanden. Ihr Ermessensspielraum, verbunden mit der allumfassenden Verantwortung, hatte zur Folge, dass alles die Angelegenheit eines Polizisten sein konnte, aber nichts seine Angelegenheit sein musste. Wichtig war, dass etwas getan wurde, was auch immer es war, und dass es unverzüglich geschah. Der Ruf nach Unmittelbarkeit und Pragmatismus untermauerte die Bedeutung ihres Erfahrungswissens. Letztendlich motivierte dies viele Polizisten dazu, „kurzen Prozess zu machen“, d. h. irgendeine Form von Gewalt oder die Androhung von Gewalt anzuwenden.

Wenngleich nicht so eindeutig sichtbar wie im Fall des Krieges und Genozids, das koloniale Archiv der Landespolizei ist durchaus aufschlussreich, wenn es um Alltagsgewalt geht. Polizisten schlugen und prügelten die Kolonisierten – mit den bloßen Händen oder mit Peitschen, Stöcken und Seilen. Sie drohten mit der Waffe oder schlugen. Sie belästigsten und vergewaltigten Frauen und Kinder. Sie fesselten die Kolonisierten mit Lederriemen, banden sie an Pfeiler, Bäume oder Ochsenkarren fest und legten sie in schwere Eisenketten. All dies waren alltägliche, „unspektakuläre“ Formen polizeilichen Gewalthandelns, die Teil des staatlichen Herrschaftsinstrumentariums waren.

Arbeitsrekrutierung und Überwachung

Die Kolonialwirtschaft in DSWA basierte auf einem halbfreien Arbeitsmarkt. Halbfrei deshalb, weil auch nach der offiziellen Abschaffung der während des Krieges eingeführten Zwangsarbeit im Jahr 1908 wesentliche Aspekte des Systems weiterhin zwanghaft blieben: Männer und Frauen, die nicht in die Lohnwirtschaft der Kolonisierenden eintreten wollten und versuchten, sich in den Randzonen der Kolonie zu verstecken, wurden gnadenlos verfolgt; Arbeiter*innen, die ihren Arbeitsplatz vor Ablauf der vertraglich vereinbarten Zeit verließen, wurden gewaltsam zu ihrem Arbeitgeber zurückgebracht; Afrikaner*innen waren in ihrer Mobilität eingeschränkt und konnten sich ihren Arbeitsplatz nicht aussuchen; und natürlich bestand die Zwangsarbeit als Strafpraxis fort. All diese Elemente waren durch die drei 1907 verabschiedeten „Eingeborenenverordnungen“, die besagten, dass Schwarze kein Land besitzen durften, dass sie sich ihren Wohnort nicht aussuchen konnten und dass sie jederzeit eine Kennzeichnung (Passmarke) und einen Arbeitsnachweis mit sich führen mussten, festgeschrieben worden.[14]

Die von den Siedler*innen eingeführte landwirtschaftliche Produktionsweise – sesshafte Viehzucht auf privatem, umzäunten Land – war angesichts der klimatischen Bedingungen im südlichen Afrika unwirtschaftlich.[15] Zudem zwang sie die afrikanische Bevölkerung, ihre traditionell verfassten Lebens- und Reproduktionsweisen aufzugeben und stattdessen einer Lohnarbeit nachzugehen. Die Tatsache, dass afrikanische Arbeitskräfte nach dem Völkermord, der zwischen 75.000 und 100.000 Menschenleben gekostet hatte, besonders knapp waren, verschärfte die Situation und führte dazu, dass sich Siedler*innen um die Arbeitskräfte stritten. Auch die Eisenbahnbau- und Bergbauunternehmen wetteiferten um die kostbare Ressource, vor allem nachdem 1908 Diamanten entdeckt worden waren und der Kupferabbau nach der 1906 fertiggestellten Eisenbahnstrecke Swakopmund-Tsumeb einen großen Aufschwung erfahren hatte. Im Jahr 1911 fehlten in einem Land mit einer kolonisierten Bevölkerung von etwa 70.000 Menschen und einer ständig wachsenden Zahl von Kolonisatoren, vermutlich etwa 15.000 Arbeitskräfte. Um den Arbeitskräftemangel zu lindern, rekrutierten vor allem die Kupfer- und Diamantenminen Wanderarbeiter*innen aus den nördlichen Teilen der Kolonie (Amboland), die außerhalb der sogenannten „Polizeizone“ lagen, und aus der benachbarten portugiesischen Kolonie Angola oder aus Südafrika. Auch diese Arbeitsmigrant*innen unterlagen dem staatlich überwachten Regime der halbfreien Arbeit.[16]

Der allgemeine Rahmen der halbfreien Arbeit, die Knappheit der Arbeitskräfte, die Nervosität der Arbeitgeber*innen und die harten Arbeitsbedingungen – all dies waren Umstände, die Gewalt begünstigten oder sogar hervorriefen. In der Forschung wird häufig betont, dass in der Nachkriegszeit exzessive Gewalt vor allem von deutschen Siedlern*innen auf ihren Farmen und von Vorarbeitern in Minen und im Eisenbahnbau ausging, während der Staat unter der neuen, reformerischen Führung von Staatssekretär Bernhard Dernburg darauf bedacht gewesen sei, diese Gewaltexzesse möglichst zu unterbinden (nicht aus humanitären Überlegungen, sondern aus ökonomischen Kalkül). Die „private“ Gewalt habe sich in das Machtvakuum des Staats gedrängt. Alternativ wird der Gewalt eine kompensierende Rolle seitens des Staats zugewiesen. Es wird argumentiert, dass gerade die Begrenztheit politischer, bürokratischer, staatlicher Durchdringung die willkürliche und terrorisierende Gewalt des kolonialen Regimes hervorbrachte (hier werden beispielsweise die nach 1907 drastisch steigenden Zahlen von öffentlich – also gerichtlich oder disziplinarisch – angeordneten Prügelstrafen angeführt).[17]

Diese Geschichtsschreibung hat eine Dichotomie zwischen einem zaghaften, aber genuinen Liberalisierungsbestreben des Staates auf der einen Seite und einem reaktionären, grausamen Verhalten vor allem der Siedler*innen, der Aufseher und niederen Beamten auf der anderen Seite konstruiert. Meine Untersuchungen haben hingegen ergeben, dass die koloniale Gewalt nicht einfach nur von den einen exzessiv angewandt oder von den anderen zögerlich eingeschränkt wurde. Besonders die polizeiliche Gewalt war komplizierter. Denn die Landespolizisten beanspruchten für sich, kompetente Gewaltanwender zu sein, deren militärische Diszi­-plin in Verbindung mit ihrer Erfahrung im Feld sie zu Experten in professioneller Gewaltanwendung machte. Dabei stand die Frage der „angemessenen Eingeborenenbehandlung“ im Vordergrund. Die Polizisten waren diejenigen, die definierten, welche Form der Gewalt akzeptiert war und welche nicht. Untermauert wurde diese Differenzierungsarbeit von rassistischen Vorstellungen über die „Arbeitsfähigkeit“ der kolonisierten Bevölkerung. Diese Ideologie unterschied zwischen verschiedenen rassischen „Typen“.[18] Die Kolonisierten wurden entlang einer Skala klassifiziert, die von jenen, die „domestiziert“ werden konnten, bis zu jenen, die nicht zur Lohnarbeit herangezogen werden konnten und deshalb eliminiert werden müssten, reichte. Besonders die nomadisch lebende, auf Jagd und Sammeln spezialisierte Bevölkerung der San fiel dieser brutalen, sozialdarwinistischen Denkweise zum Opfer.[19]

Im Arbeitsalltag gingen Polizisten arbeitsteilig vor. Sie gaben ihren Anspruch auf das Gewaltmonopol in ausgewählten Fällen ab, ließen Siedler*innen an der Polizeiarbeit partizipieren. Stand ein weißer Arbeitgeber in ihrem Vertrauen, so wurde er von ihnen autorisiert, sein väterliches Züchtigungsrecht auszuüben oder auch an Patrouillenritten teilzunehmen, bei welchen entlaufene oder potentielle Arbeiter*innen eingefangen wurden. War dies nicht der Fall, weil er seine Arbeiter*innen regelmäßig so sehr schlug, dass sie ständig arbeitsunfähig waren, starben oder flohen oder ihnen keinen noch so kleinen Lohn auszahlte, so wurde ihm die Autorisierung zur Gewalt entzogen. Schwarze Polizisten drangen wiederum in Räume vor, die den weißen unzugänglich oder unverständlich waren. Sie übernahmen zudem häufig die Aufgabe des disziplinarischen Prügelns, weil diese den weißen Polizisten als unwürdig erschien.

Wesentlich war bei all diesen Handlungsabläufen, dass Polizisten auf der einen Seite vor Ort spontan und situationsbedingt entscheiden konnten, sie aber gleichzeitig auch immer das Gesetz, beziehungsweise den bürokratischen Staat, bemühen konnten, um ihrer Beurteilung über „richtige“ und „falsche“ Gewalt Gewicht zu verleihen. Diese Ökonomie der polizeilichen Gewalt war wirtschaftlich rentabel. Sie war sogar integraler Bestandteil der kolonialen Wirtschaft. Sie verfeinerte die Interaktion zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmer*innen. Sie sorgte sozusagen dafür, dass die Kolonisierten nicht starben, sondern weiterarbeiteten.

Schluss

Ein Großteil der deutschen Polizisten wurde 1915 nach dem Einmarsch der britischen und südafrikanischen Truppen im Ersten Weltkrieg zunächst in Kriegsgefangenenlagern inhaftiert und dann aus der Kolonie ausgewiesen.[20] Ob und wie viele der afrikanischen Polizisten nach dem Krieg in die südafrikanische Mandatspolizei übernommen wurden, habe ich in den Archiven nicht mehr nachverfolgt. Die Forschung hat aber klar aufzeigen können, dass die militarisierte, von Alltagsgewalt geprägte Organisationskultur in vielen Fällen fortbesteht und die Polizei der postkolonialen afrikanischen Staaten bis heute bestimmt. [21]

[1]   Blanchard, E. u.a. (Hg.): Policing in Colonial Empires, Brüssel 2017; Denis, V.; Denys, C. (Hg.): Polices d’Empires, Rennes 2012
[2]   Muschalek, M.: Violence as Usual. Policing and the Colonial State in German Southwest Africa, Ithaca, NY 2019
[3]   Bomholt Nielsen, M.: Britain, Germany and Colonial Violence in South-West Africa, 1884-1919. The Herero and Nama genocide, Cham 2022, S. 25-35
[4]   Dienstvorschrift für die berittene Landespolizei, Breslau 1910, S. 1
[5]   vgl. Emsley, C.: Policing the Empire / Policing the Metropole, in: Crime, Histoire & Sociétés / Crime, History & Societies 2014, H. 2, S. 5-25; ders.: A Short History of Police and Policing, Oxford 2021
[6]   Dienstvorschrift a.a.O. (Fn. 4), S. 16
[7]   Henrichsen D.: Ozombambuse and Ovasolondate. Everyday Military Life and African Service Personnel in German South West Africa, in: Hartmann W. (Hg.): Hues between black and white, Windhoek 2004, S. 161-184
[8]   Dienstvorschrift a.a.O. (Fn. 4), S. 9
[9]   Reinke, H.: „Armed as If for a War.“ The State, the Military and the Professionalization of the Prussian Police in Imperial Germany, in: Emsley, C.; Weinberger, B. (Hg.): Policing Western Europe. Politics, Professionalism, and Public Order, 1850-1940, New York 1991, S. 55-73 (55); Blundo, G.; Glasman, J.: Bureaucrats in Uniform, in: Sociologus 2013, H.1-2, S. 1-9
[10] Lawrance, B. u.a. (Hg.): Intermediaries, Interpreters, and Clerks. African Employees in the Making of Colonial Africa, Madison, WI 2015; Moyd, M.: Violent Intermediaries. African Soldiers, Conquest, and Everyday Colonialism in German East Africa, Athens, OH 2014
[11] Muschalek, M.: Honourable Soldier-Bureaucrats, in: Journal of Imperial & Commonwealth History 2013, H. 4, S. 584-599
[12] White, R.: The Middle Ground, Cambridge 1991, S. X
[13] Steinmetz, G.: The Devil’s Handwriting. Precoloniality and the German Colonial State in Qingdao, Samoa, and Southwest Africa, Chicago 2007; Zimmerer, J.: Deutsche Herrschaft über Afrikaner, Münster 2001; Zollmann, J.: Koloniale Herrschaft und ihre Grenzen, Göttingen 2010
[14] „Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika, betreffend Maßregeln zur Kontrolle der Eingeborenen,“ 18.8.1907, Deutsches Kolonial Blatt, S. 1181; „Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika, betreffend die Paßpflicht der Eingeborenen,“ 18.8.1907, Deutsches Kolonial Blatt, S. 1182; „Verordnung des Gouverneurs von Deutsch-Südwestafrika, betreffend Dienst- und Arbeitsverträge mit Eingeborenen des südwestafrikanischen Schutzgebiets,“ 18.8.1907, Deutsches Kolonial Blatt, S. 1179
[15] vgl. Miescher, G.: Namibia’s Red Line. The History of a Veterinary and Settlement Border, New York 2012
[16] vgl. Lerp, D.: Imperiale Grenzräume. Bevölkerungspolitiken in Deutsch-Südwestafrika und den östlichen Provinzen Preußens 1884-1914, Frankfurt a.M. 2016; Lyon, W.: Forged in Genocide. Migrant Workers Shaping Colonial Capitalism in Namibia, 1890-1925, Berlin, Boston 2024
[17] Häussler M.: „Collaboration“ or Sabotage? The Settlers in German Southwest Africa between Colonial State and Indigenous Polities, in: Bührer T. u.a. (Hg.): Cooperation and Empire, New York, Oxford 2017, S. 169-193; Schröder M.: Prügelstrafe und Züchtigungsrecht in den deutschen Schutzgebieten Schwarzafrikas, Münster 1997; Zollmann a.a.O (Fn. 13)
[18] vgl. Conrad, S.: „Eingeborenenpolitik“ in Kolonie und Metropole. „Erziehung zur Arbeit“ in Ostafrika und Ostwestfalen, in: Conrad, S.; Osterhammel, J. (Hg.): Das Kaiserreich transnational, Göttingen 2006, S. 107-128; Steinmetz a.a.O. (Fn. 13), S. 75-134
[19] Adhikari, M.; Kiernan, B.: Settler Genocides of San Peoples of Southern Africa, c.1700-c.1940, in: Blackhawk, N. u.a. (Hg.): The Cambridge World History of Genocide Bd. II, Cambridge 2023, S. 69-96
[20] Rafalski H.: Vom Niemandsland zum Ordnungsstaat. Geschichte der ehemaligen Kaiserlichen Landespolizei für Deutsch-Südwestafrika, Berlin 1930, S. 348-375
[21] Aliverti, A. u.a. (Hg.): Decolonizing the Criminal Question. Colonial Legacies, Contemporary Problems, Oxford 2023; Hills, A.: Policing Africa. Internal Security and the Limits of Liberalization, Oxford 2000

Beitragsbild: Franz Joseph von Bülow, Patrouille der Landespolizei, 1891-1893. Bildarchiv der Deutschen Kolonialgesellschaft, Universitätsbibliothek Frankfurt am Main, Foto Nr. 013-2169-02.

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