Alle Beiträge von Wolf-Dieter Narr

So offenkundig war es selten – Geheimdienste taugen nur für den Herrschaftsmissbrauch

Unser tägliches Geheimdienstbrot gib uns heute, aber lass uns die Schimmelstellen vermeiden. So lautet das regierungsamtliche Gebet rund um den Globus.

Ein dreifacher Stakkatoschlag. Die zwischen den Parteien ausbalancierte Kommission des amerikanischen Senats, die die Qualität geheimdienstlicher Information untersuchte, urteilte in ihrem am 10. Juli veröffentlichten Bericht vernichtend. Keine der Schlüsselinformationen traf zu, die den Bush-Krieg gegen das Regime Saddam Husseins im Irak im März 2003 weltweit öffentlich rechtfertigten. Nichts mit Massenvernichtungswaffen; nichts mit Direktverbindungen zu Al Qaida; nichts mit einer unmittelbaren Drohung, die binnen 45 Minuten über die BürgerInnen westlicher Länder hätte hereinbrechen können. Nur vier Tage später schlug der Butler-Report der britischen Regierung in dieselbe Kerbe. So wie die CIA, so hatte ihre britische Variante, der MI6, nichts als einseitig zugespitzte, prinzipiell bekannte Informationen geliefert und also vorurteilssystematisch falsch informiert. Von all dem unmittelbaren Gefahrenwesen außer Täuschungsspesen nichts gewesen. Am 22. Juli folgte der dritte Schlag: Die von der US-Regierung eingesetzte so genannte „9/11-Commission“ – auch sie zweiparteilich ausgeglichen – sollte die seismographische Gefahrenwitterung der US-amerikanischen Geheimdienste in Sachen Zerstörung der Zwillingstürme des World Trade Centers in New York und des Angriffs auf das Pentagon untersuchen. Auch ihr Bericht endete für die Geheimdienste katastrophal. CIA und FBI hatten entweder nichts oder sie hatten zu Ungenaues gewusst oder sie waren in der Fülle der Informationen, in der die „Dienste“ wie in einer riesigen Salatschüssel konkurrierend wühlten, nicht an das entscheidende Informationsblatt geraten. So offenkundig war es selten – Geheimdienste taugen nur für den Herrschaftsmissbrauch weiterlesen

Die Technologisierung der Polizei… und ihre dringliche Politisierung

Seitdem die Polizei im 19. Jahrhundert aus dem Militär ‚ausgefällt‘ wurde, spielte ihre spezifische technische Ausstattung eine zentrale Rolle. Aus den informationellen und handfesten Techniken der Verbrechensbekämpfung, der Unruhe-Pazifizierung und der Strafverfolgung wurden seit Ende der 60er Jahre Technologien, die die Polizei selbst grundsätzlich veränderten.

Der Begriff Technologie beinhaltet bekanntlich mehr als eine bloße Sammlung einzelner technischer Instrumente mit jeweils eigener Gebrauchslogik. Sie verändert die Gebrauchsweise, den Gegenstand, für den sie gebraucht wird, und die Gebrauchenden selbst. Kurzum die gesellschaftlichen Herstellungs- und Umgangsformen wandeln sich insgesamt. Die Informations- und Kommunikationstechnologie hat dies seit den späten 60er Jahren offensichtlich getan. Das gilt für die Polizei in besonderem Maße. Seit der Ankunft von Kommissar Computer, wie es Anfang der 70er Jahre noch hieß, haben sich nicht nur die polizeilichen Instrumente gewandelt. Es änderte sich die Polizei – ihre Aufgaben, ihre Institutionen und ihre politischen Funktionen. Die Technologisierung der Polizei… und ihre dringliche Politisierung weiterlesen

Keine Freiheit den Feinden der Freiheit? Die NPD, der Verfassungsschutz und das Verfassungsgericht

Das Bundesverfassungsgericht möge „feststellen“: „Die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) ist verfassungswidrig“. So hatte der Antrag der höchsten bundesdeutschen exekutiven und legislativen Instanzen – der Bundesregierung, des Bundestags und des Bundesrats – gelautet. „Im Namen des Volkes“ hat das Gericht am 18. März 2003 „beschlossen: die Verfahren werden eingestellt.“[1]

Ob das höchste deutsche Gericht mit diesem Beschluss eine „der peinlichsten Schlappen der deutschen Innenpolitik“ besiegelt hat, kann füglich dahin gestellt bleiben.[2] Die Diskussion über das Verbot hat monate-, ja jahrelang die mehrheitlich verbotswilligen, minderheitlich verbotsgegnerischen Gemüter bewegt. „Das Gericht“ – so kommentierte zurecht die FAZ – habe, „mit seinem Beschluss, das NPD-Verbotsver­fahren endgültig einzustellen, die Anständigen im Regen stehen lassen.“ Wer aber sind die „Anständigen“, von denen FAZ-Autor Gerd Roellecke redet? „Der mündige Bürger erinnert sich gut an den staatlich organisierten Aufstand der Anständigen gegen rechts, bei dem die Anständigen unter Führung der Spitzen von Staat und Parteien die Berliner Flaniermeile gen Westen gezogen sind.“[3] Keine Freiheit den Feinden der Freiheit? Die NPD, der Verfassungsschutz und das Verfassungsgericht weiterlesen

Die Hauptstadt der Spionage – Der BND kommt nach Berlin

Seit 1947, als er noch „Organisation Gehlen“ hieß, residierte der Bundesnachrichtendienst (BND) in einer eigenen kleinen Stadt getrennt vom bürgerlichen Ort in Pullach bei München. Mit seinen schätzungsweise 5.000 bis 6.000 MitarbeiterInnen – die genaue Zahl ist unbekannt – wird er nun an den Gardeschützenweg in Berlin Lichterfelde-West verlegt.

Wir sind spät dran. Dass zunächst eine ‚Vorausabteilung‘ von ca. 1.000 MitarbeiterInnen kanzlernah nach Berlin umziehen sollte, erfuhr man schon bald nach dem Regierungsantritt der „rotgrünen“ Koalition. Die (Teil-)Verlegung ist fast abgeschlossen. Lobenswerterweise hatte die PDS schon Mitte 2000 mit einer Kleinen Anfrage im Bundestag nachgehakt. Die Antworten der Bundesregierung waren lapidar.[1] Erste Frage der PDS: „Mit welcher Begründung wird eine mit der Auswertung befasste Abteilung des Bundesnachrichtendienstes von Pullach nach Berlin umziehen?“ Antwort der Bundesregierung: „Der Bundesrepublik Deutsch­land ist eine erhöhte internationale Verantwortung zugewachsen; daher muss die Bundesregierung rasch und zugleich umfassend über aktuelle weltpolitische Entwicklungen, insbesondere krisenhafte Zuspitzungen, unterrichtet sein.“ Zweite Frage: „Trifft es zu, dass es in der Begründung um einen ‚kurzen Draht‘ zwischen Bundesnachrichtendienst und Bundesregierung geht?“ Antwort: „Ja.“ Die Hauptstadt der Spionage – Der BND kommt nach Berlin weiterlesen

Demokratie und Demonstration – Notizen zur unendlichen Demonstrationskontroverse

Demonstrationen als kollektive Äußerungsformen sind so alt, wie menschliche Geschichte überliefert ist. Und seit es Demonstrationen gibt, sind sie umstritten. Das überrascht nicht.

In Geschichte und Gegenwart überwiegen zwar die Herrschaftsdemonstrationen aller möglichen Art – der symbolische Gebrauch von Politik und der herrschaftspolitische Gebrauch von Symbolen. Dennoch verstehen wir heute unter Demonstrationen etwas anderes: Sie sind das Mittel, mit dem Gruppen ihre unterdrückten oder der etablierten Herrschaft und ‚Ordnung‘ entgegenstehenden Interessen äußern. Dem lateinischen Wortsinn gemäß wird in Demonstrationen auf etwas hingewiesen, etwas nachgewiesen, etwas öffentlich und damit kenntlich gemacht. Demonstrationen sind daher immer wenigstens rudimentär politisch. Sie werden von kleineren oder größeren Gruppen von Menschen unternommen. Sie wenden sich an andere Menschen, nicht selten an die Vertreter einer etablierten Ordnung, denen vorgeworfen wird, Missstände zu übersehen, zuzulassen oder selbst herzustellen. Demonstrationen schaffen also dort, wo sie stattfinden, Unruhe. Sie ärgern. Sie stellen geordnete Zustände und die Ruhe als erste Bürgerpflicht in Frage. Demokratie und Demonstration – Notizen zur unendlichen Demonstrationskontroverse weiterlesen

Die arme Verfassung – Verfassungsschutz, V-Leute und NPD-Verbot

Seit Mitte Januar wird über sie geredet: Zuerst war’s einer. Dann wurden es zwei, drei, schließlich fünf. Gemeint sind die V-Leute, die angeblich strikt im Sinne der freiheitlich demokratischen Grundordnung des Grundgesetzes die NPD ausspähten. Dazu waren und sind diese in der Wolle gefärbten NPD-Schafe trefflich geeignet.

In der Zwischenzeit weiß man eines ganz genau: dass nämlich niemand die Zahl der doppelten Lottchen, der gleichzeitigen V- und NPD-Leutchen ganz genau kennt. Und niemand scheint mehr genau zu wissen, worin nun der Skandal besteht. Darin, dass V-Leute als ‚gestandene‘ NPD-Leute „enttarnt“ wurden; darin, dass dem Verfassungsgericht diese ‚beiläufige‘ Information nicht weitergeben wurde; darin, dass selbst der zuständige Innenminister keine Ahnung hatte; darin, dass V-Leute im amtlichen Verfassungsschutz eine solche Rolle spielen; darin, dass NPD und Verfassungsschutz V-Leute-kräftig zusammenarbeiten; darin, dass ein solcher in seinen V-Leuten und nationaldemokratischen Verflechtungen unübersichtlicher „Verfassungsschutz“ die Verfassung als demokratisch grundrechtliche nicht schützen kann; oder darin – das ist die größte Sorge der BefürworterInnen und BetreiberInnen des NPD-Ver­botsantrags –, dass das Verbot der NPD durch diese Affäre gefährdet werden könnte? Die arme Verfassung – Verfassungsschutz, V-Leute und NPD-Verbot weiterlesen

Editorial

von Wolf-Dieter Narr

Das zweite, füllig gepackte Paket der Gesetze, das nach dem 11. September gegen allen Terrorismus und für die innere Sicherheit in der Bundesrepublik und der Europäischen Union geschnürt worden ist, um noch dieses Jahr gesetzlich unter Dach und Fach gestellt zu werden, ist noch nicht geschlossen. Zur Zeit, da dieses Editorial geschrieben wird, das sich darauf konzentriert, einzelne neue gesetzliche Gaben genauer unter die Lupe zu nehmen (10./11.12.2001), haben etliche Bundesländer noch Einwände geäußert. Diese Bundesländer, ein Zeichen des exekutivischen, nicht des demokratischen Föderalismus der Bundesrepublik, verlangen, dass auch die Landesverfassungsschutzämter Auskunftskompetenzen bei Post, Telekom und Banken erhalten sollen, so wie das die Koalitionsvorschläge bereits für das Kölner Bundesamt vorsehen. Editorial weiterlesen

Weshalb ich als radikaler NPD-Gegner fast ebenso radikal gegen ein Verbot derselben votiere

All das, was ich von und über die NPD kenne, belegt eindeutig und klar: diese Partei und die sich um sie herum gruppierenden Personen denken, propagieren und agieren undemokratisch. Sie achten nicht die Freiheit und die gleichen Lebensrechte der Andersdenkenden und anders Lebenden. Sie vertreten in ihren aggressiv geladenen, gewaltträchtigen Vorurteilen all das, was ich, wie glücklicherweise viele andere, radikal ablehne und mit allen menschenrechtlich demokratisch möglichen Mitteln bekämpfe.

Deswegen könnte die NPD auch zweifelsohne gemäß Art. 21 Abs. 2 GG vom Bundesverfassungsgericht verboten werden. Ja, sie müsste verboten werden, auch wenn das Verfassungsgericht sich wiederum zu Recht nicht auf höchst zweifelhafte Zeugnisse verfassungsschützerischer V-Leute und deren Camouflage durch sog. Behördenzeugnisse einließe. Weshalb ich als radikaler NPD-Gegner fast ebenso radikal gegen ein Verbot derselben votiere weiterlesen