Alle Beiträge von Wolf-Dieter Narr

41 Polizeischüsse auf Amadou Diallo – Polizeilicher Rassismus in den USA

In der Nacht vom 4. Februar 1999 gerät der westafrikanische Immigrant Amadou Diallo in die Kontrolle einer Street Crime Unit im New Yorker Stadtteil Bronx. Als der unbewaffnete Mann seine Brieftasche aus der Jacke nehmen will, vermuten die vier Polizisten in Zivil, er wolle eine Waffe ziehen. In rascher Folge feuern sie 41 Schüsse ab. 19 davon erreichen ihr Ziel. Ein Jahr später werden die vier Polizeimänner von einem Geschworenengericht in Albany nahe New York freigesprochen.

Die primär weiße Jury, von einem durchaus parteiischen Richter entsprechend gedrängt, war zu einem einstimmigen Entlastungsvotum gekommen. Der Fall Diallo, insbesondere das umstrittene Urteil, das zum weltweiten Medienereignis wurde, löste in den USA etliche Demonstrationen vor allem der afro-amerikanischen Bevölkerung aus. Er ist symptomatisch für eine „Kriminalitätsbekämpfung“, die sich ohne Rücksicht auf Verluste vorwiegend gegen die arme und schwarze Bevölkerung richtet. Unter diesem Gesichtspunkt hat der Fall auch seine Bedeutung für die hiesige Polizei. 41 Polizeischüsse auf Amadou Diallo – Polizeilicher Rassismus in den USA weiterlesen

Kriminalpolitische Kategorie: Ausländer – Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst“[1]

„Wer das Gastrecht missbraucht, für den gibt es nur eins: raus und zwar schnell,“ so der heutige Bundeskanzler Gerhard Schröder am 20. Juli 1997. Die Konstruktion des „Ausländers“ als kriminellen Kraftprotzes ist das ideale Unterfutter für eine populistische Wahlmobilisierung.

Der moderne Staat und die von ihm und in ihm zivilisierte Gesellschaft werden konstituiert durch Grenzen, durch soziale und politische Einschließungen/Eingrenzungen und Ausschließungen/Ausgrenzungen. Die Staatsbürger (ab dem späten 19. und frühen 20. Jahrhundert auch die Staatsbürgerinnen) werden von den Ausländerinnen und Ausländern oder Fremden abgegrenzt. Kriminalpolitische Kategorie: Ausländer – Fürchte deinen Nächsten wie dich selbst“[1] weiterlesen

Todesschüsse auf KurdInnen – Aufklärung ist dringend geboten

Aus Protest gegen die Verschleppung Abdullah Öcalans aus Kenia und seine Inhaftierung in der Türkei haben KurdInnen am 17. Februar 1999 versucht, das israelische Konsulat in Berlin zu besetzen. Vier TeilnehmerInnen dieser Aktion wurden dabei von israelischen Sicherheitsbeamten erschossen. Obwohl die Ereignisse selbst nach wie vor nur in Umrissen bekannt sind, muß sich auch ein Informationsdienst wie Bürgerrechte & Polizei in dieser Sache zu Wort melden. Wir können dabei nur Fragen stellen – allerdings sehr dringliche und Konsequenzen anmahnende.

Eine Kurdin und drei Kurden kamen am 17. Februar 1999 ums Leben. Sie wurden von zwei israelischen Sicherheitsbeamten erschossen. Deutsche Polizeibeamtinnen und -beamte waren primär beobachtend zugegen. Das Ereignis ist nur in den Bruta facta geklärt, nicht in seinem Hergang. Trotz vieler richtiger Fragen in der seriösen Presse und trotz der Fragen, die vor allem die Anwälte der inhaftierten KurdInnen gestellt haben, besteht die Gefahr, daß bald anläßlich neuer Ereignisse die nötige Aufklärung und die nötigen Konsequenzen bestenfalls auf die lange Bank geschoben werden – bis sich nur noch ExpertInnen darum kümmern und sich der Ereignisse erinnern. Im schlimmeren, aber nicht unwahrscheinlichen Falle wird die mögliche Aufklärung versäumt und bestehen die Konsequenzen allein darin, kurdische Flüchtlinge hinfort noch schneller abzuschieben, Demonstrationen möglichst nicht zuzulassen, das Polizeirecht zu veschärfen oder – da dieses de lege lata vollkommen ausreicht – verschärft zu interpretieren u.ä.m. Todesschüsse auf KurdInnen – Aufklärung ist dringend geboten weiterlesen

„Wir Bürger als Sicherheitsrisiko“ – Rückblick und Ausblick

1977 habe ich, von Freimut Duve angeregt, einen Band bei Rowohlt-aktuell herausgegeben, der den Titel trug: „Wir Bürger als Sicherheitsrisiko“. Das war mitten im „Deutschen Herbst“. Ein geradezu radikaler Mangel an Augenmaß wurde kund, sowohl auf seiten der RAF und ihrer insgesamt kleinen Anhängerschar: als ob ein „revolutionärer Wandel“ der herrschenden Verhältnisse durch „demaskierende“ Aktionen, die nur auf Mord offizieller Vertreter hinausliefen, herbeigeführt werden könne, als auch auf seiten der etablierten Politik und Öffentlichkeit, die schon auf die demonstrativen Akte der Studentenbewegung reagiert hatte, als drohten Chaos und Gewalt. Seinerzeit wurde das „System Innerer Sicherheit“ aus der Taufe gehoben. Daß es zu einem ‘System’ wurde, ist nicht zuletzt der technischen Entwicklung zu verdanken, die den Sicherheitsbehörden neue Möglichkeiten bot.

Das „System Innerer Sicherheit“ wurde 1972 zum ersten Mal offiziell in den Verkehr gebracht. Die Überlegungen, die zu ihm führten, waren nicht primär auf den „antiterroristischen Kampf“ zurückzuführen. Sie wurden jedoch durch letzteren erheblich begünstigt und intensiviert. An erster Stelle stand der Versuch einer präventiven Kehre der Politik innerer Sicherheit. Statt nur auf begangene Taten zu reagieren, wollte man kriminellen Taten zuvorkommen. „Wir Bürger als Sicherheitsrisiko“ – Rückblick und Ausblick weiterlesen

Vierzehn Thesen zur Inneren Sicherheit – Vom eminent praktischen Sinn grundsätzlicher Überlegungen

In unsicheren Zeiten hat der ‚Ruf nach Sicherheit und Ordnung‘ Konjunktur. Ohne Umschweife werden dann die Sicherheitsexperten ins Spiel gebracht: Von ‚durchgreifenden Maßnahmen‘ ist schnell die Rede; schärfere Gesetze und eine Polizei, die der Unsicherheiten Herr werden soll, werden gefordert. Diese schlichten Formeln aus dem Standardrepertoire populistischer Politik dienen den Interessen der Sicherheitsbürokratien. Sie zielen auf einen die Gesellschaft überziehenden Schleier staatlicher Sicherheitsvorkehrungen, der Sicherheit verspricht, aber neue Unsicherheiten produziert.

Theoretische Grundlagen sind ebenso wie Begriffe oder wie Werte nicht unmittelbar praktisch. Aus ihnen können in der Regel keine direkten Schlußfolgerungen in Richtung dessen gezogen werden, was zu tun sei.
Will man sich indes nicht in hektischer Betriebsamkeit erschöpfen, sollen sterile Aufgeregtheiten vermieden werden, soll nicht nur das Lob der politischen Routine gesungen werden – dann ist praktisch gerichtete Theorie Voraussetzung aller Praxis. Daß theoretische Einsichten nicht umstandslos ‚praktikabel‘ sind, mag gegen diese Einsichten sprechen. Sie mögen zu abstrakt, zu ‚akademisch‘ sein. Der umgekehrte Fall ist gleicherweise denkbar und angesichts heutiger Politik ungleich häufiger: Weil die Praxis so miserabel ist und weil diejenigen, die sie betreiben, zukunftslos im gegenwärtigen Interessensumpf stecken, lassen sich andere, die Probleme vermutlich besser lösende Theorien nicht umsetzen. Vierzehn Thesen zur Inneren Sicherheit – Vom eminent praktischen Sinn grundsätzlicher Überlegungen weiterlesen

Der CASTOR-Transport 1997 – Demonstrationen und Polizeieinsätze

Das ‚Komitee für Grundrechte und Demokratie‘ hat mit mindestens einem Dutzend Teilnehmenden den dialektischen Prozeß zwischen Castor-Transport, Polizei und Demonstrierenden vom 28.2. bis zum 5.3.97 beobachtet. (1) Über deren Beobachtungen hinaus stützt sich die folgende Analyse auf Presseerklärungen des Direktors der Polizei bei der Bezirksregierung Lüneburg; auf die Presseberichterstattung während des einschlägigen Zeitraums; auf Berichte von Pastorinnen und Pastoren in Lüchow-Dannenberg (2) und auf Beobachtungen und Auskünfte von Anwältinnen und Anwälten, die sich z.T. vermittelnd in das zwischen Demonstrationsteilnehmerinnen und -teilnehmern und Polizeibeamtinnen und -beamten wogende Geschehen einmischten.

In aller Regel dürfen Auseinandersetzungen zwischen Polizei und Bürgerinnen und Bürgern anläßlich einer Demonstration nicht aus dem demonstrativen Geschehen und den darauf bezogenen Aktionen und Re-Aktionen der Polizei beurteilt werden. Man muß die Voreinstimmungen kennen, wie sie in Äußerungen von Vertretern staatlicher Institutionen, von Politikern, von Polizeiverantwortlichen, von seiten derjenigen, die zur Demonstration aufgerufen haben, von Kommentaren u.s.w. kenntlich werden. Man muß darüber hinaus wissen, worum es den Demonstrierenden geht und wie es zu dem Ereignis, dem Vorfall, dem Ärgernis oder dem Problem, um dessetwillen demonstriert wird, gekommen ist. Die Unmittelbarkeit demonstrativen Geschehens kann also nur zureichend beobachtet und beurteilt werden, wenn auch der mittelbare Kontext bekannt ist und sozusagen in den beobachtenden Blick, in die Dioptrienzahl der beobachtenden Brille miteingehen kann. Gerade angesichts gewalthafter Vorfälle im Umkreis von Demonstrationen wird die konstitutive Bedeutung des vermittelnden Kontextes bis hin zu rechtlichen Einstimmungen und speziellen Verboten oder Begrenzungen von Demonstrationen durch sog. Allgemeinverfügungen oft vergessen oder unterschlagen. Dies führt zu verzerrten Wahrnehmungen der Ereignisse und zu falschen Beurteilungen. Der CASTOR-Transport 1997 – Demonstrationen und Polizeieinsätze weiterlesen

Polizeitransformation als bürgerrechtliches Problem – Erfahrungen aus zwei deutschen Systemveränderungen

Deutschland – wie wir es heute kennen – hat (in relativ kurzer Zeit) bereits zwei politische Veränderungen mitgemacht: Zunächst die Transformation vom Nazi- Deutschland und seinen westlichen Besatzungszonen 1945-49 in die Bundesrepublik bis 1990. Dann, nach deren Zusammenbruch, die Integration der ehemaligen DDR – dem anderen deutschen Nachfolgestaat der nationalsozialistischen Herrschaft, der, auf ‚realsozialistisch‘ getrimmt, in Form von fünf neuen Bundesländern in die BRD überführt wurde.

Auch diese ‚Einigung‘ hat das gesamte Deutschland verändert – selbst wenn der westliche Teil dies beharrlich verdrängt. Zu den persönlichen, wissenschaftlich reflektierten Erfahrungen gesellen sich jahrelange, demokratietheoretische, bürgerrechtliche und polizeiforscherische Analysen und Aktivitäten. Beide Erfahrungen und Kompetenzen begründen meine nachhaltige Skepsis gegenüber all dem, was meist allzu schnell und begriffsfertig als Transformation gefeiert oder, gerade so als habe man es mit einem einigermaßen klaren und eindeutigen Vorgang zu tun, als Transformation ‚erforscht‘ wird. Polizeitransformation als bürgerrechtliches Problem – Erfahrungen aus zwei deutschen Systemveränderungen weiterlesen

Parlamentarische Kontrolle der ‚Dienste‘ – Einige thesenförmige Erwägungen

Die Frage, wer kontrolliert die Kontrolleure, begleitet alle Herrschaften von Anfang an. Quis custodiet custodem – wer soll denn wie über die Wächter wachen – fragten schon die verfassungskundigen Römer. Für den modernen Staat gilt diese alte Frage in besonderem Maße. Er, dieser moderne Staat beansprucht das „Monopol legitimer physischer Gewaltsamkeit“ (Max Weber) als ureigenes Instrument; er empfängt aus der inneren und äußeren Sicherheitsleistung seine hauptsächliche Legitimation. Handelt es sich bei diesem Staat auch noch um einen demokratischen Verfassungsstaat, muß er die dringliche Frage in seiner Verfassung normativ und verfassungswirklich klar und deutlich beantworten.

Dieses Erfordernis wächst, wenn der Schutz, den der Staat seinen Bürgerinnen und Bürgern angedeihen läßt, im Dunkeln geschieht. Wie kann gewährleistet werden, daß aus solchem Dunkel nicht staatlich selbstproduzierte Gefahren für bürgerliche Rechte und bürgerliche Sicherheit erwachsen, das Instrument der Sicherung selbst zur Gefahr für das zu Sichernde wird? Parlamentarische Kontrolle der ‚Dienste‘ – Einige thesenförmige Erwägungen weiterlesen