Archiv der Kategorie: CILIP 037

(3/1990) 2 Jahre Rot/Grün: Bilanz; Koalitionsbruch: Hausbesetzer; Berliner „Erstreckungsmodell“; CN/CS-Gutachten; CN-Urteil; Berliner Datenschutzgesetz

Das Ende der Volkspolizei – Chronologie des Zerfalls

Ungeachtet der Ereignisse vom Sommer, als Tausende DDR-Bürger ihre Ausreise erzwangen, und ohne Rücksicht auf die allgemeine Stimmung im Volk führt die Staatsführung der DDR im Oktober ihre 40-Jahre-Feiern durch.

Im Zuge dieser Feiern kommt es in verschiedenen Städten zu Protestkundgebungen und Schweigemärschen, ihren Höhepunkt erreichen diese Proteste am 08. Oktober 1989 in Ostberlin. Mehrere tausend Menschen ziehen vom Alexanderplatz zum Palast der Republik, wo der sowjetische Staatspräsident und Parteichef Gor-batschow am Abschlußempfang der „Feierlichkeiten“ teilnimmt. Das Ende der Volkspolizei – Chronologie des Zerfalls weiterlesen

Vom Zerfall der alten und der Freude über eine neue Staatsmacht

Wie immer man den plötzlichen Zerfall der DDR und den geschwinden Vereinigungsprozeß in der Folge auch beurteilen mag, zu den erfreulichsten Erfahrungen des letzten Jahres zählt, daß, wenn die historische Situation reif geworden ist, selbst jene Sicherheitsapparate in Agonie verfallen können, die über Jahrzehnte dafür aufgebaut und gedrillt wurden, als letzte Instanz das politisches Regime unter Einsatz aller verfügbaren Mittel und Waffen zu stützen.

Hatte die STASI ihrem obersten Chef, dem Genossen Erich Mielke, bereits seit September letzten Jahres gemeldet, daß die Einsatzbereitschaft der Kampfgruppen der Arbeiterklasse zu wünschen übrig lasse, die Genossen Kämpfer massenweise aus den Kampf-gruppen austreten und andere ankündigen würden, daß sie gegen die eigene Bevölkerung nicht vorgehen würden, so zeigte sich alsbald, daß auch die brutalen Einsätze der Volkspolizei und der STASI in den „Tagen und Nächten des 07. – 09. Oktober“ ’89 nur noch ein letztes, halbherziges Aufbäumen waren. Vom Zerfall der alten und der Freude über eine neue Staatsmacht weiterlesen

CHRONOLOGIE DER POLITIK DER INNEREN SICHERHEIT IN DER DDR

JANUAR

10.1. Generalmajor Dirk Bachmann wird neuer Polizeipräsident von Ost-Berlin. Bachmann löst den am 19.12. zurückgetretenen Friedhelm Rausch ab. Dieser war im Zusammenhang mit den Ereignissen am 7. und 8. Oktober und den Übergriffen der Volkpolizei stark kritisiert worden. (Tsp 11.1.90)
Generalmajor Dieter Wunderlich wird von Innenminister Ahrendt zum Chef der Deutschen Volkspolizei ernannt.. Erstmals wird dieses Amt nicht vom Innenminister ausgeübt. (SZ 11.1.90)

13.1. In Potsdam wird die Deutsche Volkspolizeigewerkschaft (DVPG) gegründet. Zum Vorsitzenden wird Jürgen Meier gewählt. Sie wird organisatorisch von der Deutschen Polizeigewerkschaft im Beamtenbund unterstützt. (TAZ 4.1.90)
20.1. In Ost-Berlin gründen 648 Delegierte die Gewerkschaft der Deutschen Volkspolizei (GdVP). Sie vertreten ca. 77.000 eingeschriebene Mitglieder. Zum Vorsitzenden wird auf dem ersten Gewerkschaftskongreß am 31. März in der Offiziersschule Aschersleben Guido Grützemann gewählt. Nach Gründung der GdVP soll sich die Deutsche Volkspolizeigewerkschaft aufgelöst haben. (TAZ 25.1.90), Gleichwohl wird am 3.7 in der TAZ über eine Vereinigung beider Interessenvertretungen berichtet. (TAZ 3.7.90)
24.1. Einige hundert Volkspolizisten demonstrieren in Leipzig aus Solidarität mit der Bürgerbewegung. (MoPo 25.1.90)

FEBRUAR

11.2. Der West-Berliner Polizepräsident Schertz trifft seinen Ost-Berliner Amtskollegen Bachmann in Ost-Berlin. (Mopo11.2.90)
14.2. Dem Demonstrationsaufruf der GdVP für bessere Arbeitsbedingungen und ge-gen das schlechte Ansehen der Polizei in der Bevölkerung folgen 3000 Volkspolizisten und Feuerwehrmänner.
17.2. Das DDR-Innenminsiterium baut aufgrund von zunehmenden Bombendrohungen angeblich eine Spezialeinheit der Polizei auf. In Ost-Berlin existiert bereist eine solche Einsatzgruppe von 10 Beamten. (MoPo 18.2.90)

MÄRZ

2.3. Das Bundesinnenministerium veröffentlicht vorläufige Grundsätze für den deutsch- deutschen Datenaustausch. Nach dieser Vereinbarung dürfen nur solche Informationen ausgetauscht werden, die „für den Empfänger zur Abwehr erheblicher Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung und zur Verhütung und Verfolgung von Straftaten erforderlich sind.“ Die Informationen dürfen nur zum angegebenen Zweck benutzt werden. Empfänger sind ausschließlich Polizei, Staatsanwaltschaft oder Gerichte. (TAZ 3.3.90)
15.3. Bei der Ost-Berliner Kripo wird ein neues Dezernat „Extremismus“ mit 30 Beamten aufgebaut. (Mopo 15.6.90) In allen 15 Bezirken werden bei der Kripo Sonderdezernate „Extremismus“ gebildet. (Mopo 4.5.90)
30.3. 45 ehemalige Mitarbeiter des Amtes für Nationale Sicherheit sind jetzt bei der Ost-Berliner Kripo beschäftigt. (Tsp 30.3.90)
31.3. Das DDR-Innenministerium baut derzeit in Ost-Berlin und in anderen Städten Spezialeinheiten zur Terrorismusbekämpfung auf. Ihnen gehören auch 100 Spezialisten des aufgelösten STASI an. (FR 31.3.90)

APRIL

6.4. Der Ost-Berliner Polizeipräsident Bachmann teilt mit, daß 506 ehemalige Bedienstete des Staatssicherheitsdienstes von der Ost-Berliner Volkspolizei übernommen worden sind. Keiner soll nach Angaben von Bachmann eine leitende Funktion erhalten haben. (TAZ 7.4.90)
12.4 Von der Volkskammer der DDR wird die Regierung unter Ministerpräsident de Maiziere (CDU) vereidigt. Stellvertretender Ministerpräsident und Innenminister wird Dr. Peter Michael Diestel (DSU).
17.4. Günter Voß wird neuer Chef der Ost-Berliner Verkehrspolizei. (Tsp 18.4.90)
18.4. DDR-Innenminister Diestel und Bundesinnenminister Schäuble(CDU) treffen zu einem ersten Meinungsaustausch in Bonn zusammen. Beide vereinbaren sich zukünftig mindestens einmal im Monat zu treffen. Der pensionierte BKA-Chef Boge wird die DDR Regierung zukünftig in „Sicherheitsfragen“ und bei der „Verbrechensbekämpfung“ beraten, insbesondere in Fragen des Personenschutzes. Diestel bittet Schäuble um weitere Berater für Fragen der Inneren Sicherheit. (FR19.4.90)
Diestel und Schäuble vereinbaren außerdem, daß die Nachrichtendienste (BND, BfV) ihre Arbeit im anderen Teil Deutschlands einstellen. Die Innenminsiter kündigen eine enge Zusammenarbeit der Polizeibehörden der beiden deutschen Staaten an. Zur Bekämpfung des Terrorismus, der Organisierten Kriminalität und der Rauschgiftkriminalität sollen Arbeitsgemeinschaften mit Beamten beider Ministerien gebildet werden. (SZ 19.4.90)
Bis zum Sommer wollen die beiden Staaten die innerdeutschen Grenzkontrollen abschafffen, um dann alle Maßnahmen an die Außengrenzen zu verlagern. Hierzu soll die Ausländer- und Visumspolitik gegenüber Drittländern harmonisiert werden. Die 100.000 Volkspolizisten sollen in ein förderatives Polizeimodell nach bundesdeutschem Vorbild integriert werden. (TAZ 19.4.90)
20.4. DDR Innenminsiter Diestel widerspricht Meldungen, wonach er den Aufbau eines neuen Geheimmdienstes plant. (TAZ 21.4.90)
Nach einem Fußballspiel kommt es in Ost-Berlin zu schweren Auseinandersetzungen zwischen rechtsradikalen Skins und der Polizei. (TAZ 23.4.90, Tsp 22.4.90) Die Polizei nimmt später in einem von Rechtsradikalen besetzten Haus in der Weitlingsstr. 19 Personen fest, die an den Ausschreitungen beteiligt gewesen sein sollen, unter den Verhafteten soll sich auch der Parteivorsitzende der Nationalen Alternative befinden. (Tsp 28.4.90)
23.4. Nach Angaben des „Spiegel“ sind in den vier Monaten der Modrow-Regierung 3000 ehemalige MfS-Angehörige vom DDR-Innenministerium übernommen worden. Innenminsiter Diestel ist nach eigenen Aussagen auf die Fachkompetenz dieser Leute angewiesen. (Spiegel 23.4.90) Er erklärte ausdrücklich seine Bereitschaft, mit allen Fachleuten seines Ministeriums zusammenzuarbeiten.
Diestel beruft den bisherigen Innenminister Lothar Ahrendt zu seinem Berater. Ahrendt leitete das Ressort unter der Übergangsregierung Modrow und war seit 1984 stellvertretender Innenminister. (SZ 24.4.90)
25.4.. Bei einem Treffen zwischen Diestel und Bayerns Innenminister Stoiber in Ost-Berlin vereinbaren beide Seiten eine enge Zusammenarbeit zwischen den Polizeibehörden der Südbezirke der DDR und Bayern. Die DDR und Bayern wollen Polizeibeamte austauschen; höhere Polizeioffiziere sollen an Fortbildungsmaßnahmen in Bayern teilnehmen, z.Zt. sind die vier Polizeichefs der Südbezirke in Bayern zur Fortbildung. (Mopo 28.4.90) Stoiber kündigte außerdem an, Diestel eine Beratergruppe aus erfahrenen Beamten zur Verfügung zu stellen. Beide Minister wollen sich zukünftig regelmäßig treffen. (SZ 27.4.90)
26.4. Es wird bekannt, daß Sonderabteilungen der Kriminalpolizei in der DDR für die STASI gearbeitet haben. Unter dem Namen K1 sollen diese Abteilungen auch nach der Auflösung der STASI weiter Informationen gesammelt und an Abteilungen der StASI weitergegeben haben. (Tsp 27.4.90)
27.4. Innenminister Diestel trifft den West-Berliner Innensenator Pätzold. Bei diesem Treffen standen Fragen im Zusammenhang mit dem bevorstehenden 1. Mai im Mittelpunkt der Gespräche, Volkspolizeibeamte und West-Berliner Beamte sollen hierfür ausgetauscht werden und ein wechselseitiger Informationsausstausch wird vereinbart.. Weiterhin wurde die Sondersitzung der Bundesinnenministerkonferenz am 5. Mai in Ost-Berlin vorbereitet. (Tsp 28.4.90, 27.4.90)
Es wird bekannt, daß Diestel von ehemaligen STASI-Mitarbeitern bewacht wird.(FR 28.4.90)
Nach Heinrich Boge wird nun auch der Polizeipräsident von Baden-Württemberg, Alfred Stümper, Berater von Diestel. Stümper soll sich hauptsächlich mit Fragen der Reorganisation der Volkspolizei nach bundesdeutschem Vorbild beschäftigen.

MAI

1.5. Die militärischen Dienstränge der Volkspolizei, der Feuerwehr und der Strafvollzugsbeamten werden durch zivile Dienstrangbezeichnungen ersetzt. (FR 30.4.90)
2.5. Die Grenztruppen der DDR und der Zivilschutz, die früher dem Verteidigungsministerium unterstanden, werden künftig dem Innenminsiterium unterstellt. Diese Vereinbarung treffen Verteidigungsminister Eppelmann und Inneminister Diestel. (Tsp 3.5.90)
4.5. Die IMK tagt in West-Berlin. (FAZ 5.5.90)
Die NVA hat für den Aufbau eines Militärischen Abwehrdienstes eine Gruppe von 30 ehemaligen STASI Beamten als sogenannte Berater in ihre Dienste übernommen. (Tsp 5.5.90)
5.5. Auf Einladung von Innenminister Diestel und Minister Preiß (Regionales und Kommunales) kommmt die IMK zu einer Sondersitzung in Ost-Berlin zusammen.Bei diesem Treffen wird vereinbart ausgewählte Experten der Führungsebene zur Beratungshilfe auf den Gebieten Rechtsgrundlagen, Organisation und Arbeitsweise der Polizei für den Aufbau förderativer Strukturen in die DDR zu entsenden. Ferner werden Fortbildungsveranstaltungen für polizeiliche Führungskräfte der DDR in der BRD vereinbart sowie Informationsaufenthalte bei Polizeidienststellen auf allen Führungsebenen. Weiterhin wird eine Arbeitsgruppe zur Intensivierung der operativen Zusam-menarbeit gegründet. Folgende Schwerpunkte soll die AG vorrangig bearbeiten:
– zum einen konkrete Maßnahmen für die Herstellung unmittelbarer Kontakte zu den Polizeidienststellen vorbereiten, zur Erleichterung der
* Fahndung nach Personen und Sachen,
* Identitätsfeststellung von Personen,
* Identifizierung unbekannter Toter,
* Suche nach Zeugen von Straftaten, sowie
– zum anderen die Verbesserung des Informationsaustausches und die Zusanm-menarbeit in der Kriminalitätsbekämpfung und der Gefahrenabwehr, inbesondere in den Bereichen
* Organisierte Kriminalität,
* Rauschgiftkriminalität,
* Wirtschaftskriminalität,
* Terrorismus,
* Umweltkriminalität,
* Großveranstaltungen, Demonstrationen etc. vorbereiten.
Damit die entsprechenden Meldedienste wechselseitig einbezogen werden können, sollen die elektronischen Kommunikationsmöglichkeiten verbessert werden. Auf dieser Konferenz erbittet Diestel auch eine Aufrüstungshilfe von rund 44 Mio. DM (900 Pistolen, 250 Maschinenpistolen, 8000 durchsichtige Schutzschilder, 230 Videoanlagen und 300 Handfuksprechgeräte). (FAZ 5.5.90, Mopo 6.5.90, TAZ 7.5.90, FR 7.5.90, Die Polizei Zeitung Baden-Württtemberg Mai 1990, Pressemitteilung der IMK 11/90-5.5.1990, Spiegel 14.5.90)
Zum 1.Juli übernimmt der DDR-Zoll die Strukturen der bundesdeutschen Zollverwaltung, hierfür werden die 11.000 DDR-Zöllner in vierwöchigen Lehrgängen umgeschult. (Tsp 6.5.90)
5.5. In der DDR gibt es 8000 Kriminalbeamte, Chef der Kripo ist Roland Wittig. Nach Angaben von Wittig hat er ohne Bedenken 500 ehemalige STASI Mitarbeiter übernommen. Das Innenminsiterium hat ihm zu Folge eine Spezialeinheit vom der StASI übernommen, die nun gegen Links- und Rechtsextremisten eingesetzt werden soll. (MoPo 6.5.90)
In der Nacht zum Sonntag kommt es vor einem Ausländerwohnheim in Ost-Berlin zu schweren Auseinadersetzungen zwischen der Polizei und etwa 400 Jugendlichen. (TAZ 7.5.90)
10.5. Das DDR-Inneministerium widerspricht Meldungen, das zentrale Kriminalamt bereite den Aufbau einer Spionageabwehr vor. (TAZ 11.5.90)
15.5. Nachdem Innenminsiter Diestel Dankwart Brinksmeier (SPD) als Staatssekretär wegen „mangelnder Fachkenntnissen“ am 6.5. abgelehnt hat, ernennt Diestel den ehemaligen Polizeipräsidenten von Karl-Marx-Stadt , Peter Müller, zu seinem Staatssekretär, der aber sein Amt aufgrund von Vorwürfen im Zusammenhang mit den Ereignissen im letzten Oktober nicht antritt. (Mopo 9.5.90, FAZ 16.5.90, Tsp 23.5.90)
Es wird bekannt, daß das Inneministerium einen Bericht zu den Ereignissen am 9. November erarbeitet hat, indem der Polizeiführung maßgebliche Fehler bescheinigt werden. (Mopo 15.5.90)
16.5 Weil seit einigen Wochen zunehmend Rumänen und Bulgaren nach Ost-Berlin einreisen, will der neue Staatssekretär im Inneneministerium Müller die Einreisebeschränkungen der BRD übernehmen, diese Einreisbeschränkungen werden am 18.5. von der DDR-Regierung beschlosssen. (TAZ 17.5.90, Tsp 18.5.90)
Die Ost-Berliner Volkspolizei hat für alle zukünftigen Tagungen der Volkskammer eine Bannmeile um das Parlamentsgebäude im Stadtzentrum verfügt. (Tsp 17.5.90)
21.5. In Bayern beginnt ein einwöchiges Seminar für Führungskräfte der Volkspolizei. (TAZ 21.5.90)
In der Polizeifachschule Villingen-Schwenningen (Baden Württemberg) beginnt der erste Lehrgang für 20 Polizeiführungskräfte aus Sachsen. (TAZ 22.5.90)
Bis zum 30.4. sind nach Angaben aus dem DDR-Innenminsiterium 196 Mitarbeiter des Ministeriums und 4295 Bedienstete untergeordneter Stellen entlassen worden, darunter 20 Generäle. Drei Vizeminister hätten andere Aufgaben erhalten, 39 Leiter von Kreisämtern seien entlassen oder versetzt worden, einem Direktor der Volkspolizei werde im Mai gekündigt.(FR 22.5.90)
22.5. Die DSU-Fraktion der Volkskammer entzieht Innenminister Diestel das Ver-trauen und fordert ihm zum Rücktritt auf. Diestel bleibt weiter im Amt.(SZ 23.5.90)
25.5. Nach Angaben des DDR-Innenministeriums sind von den derzeit 149 Mitglie-dern der neuen Anti – Terror – Einheit nur 40 aus den Reihen der Volkspolizei, 109 Beamte kommen aus einer Sondereinheit des MfS. (Tsp 26.5.90)
26.5. Nach Informationen des „Spiegel“ soll der BGS nach der Vereinigung auch auf den gesamtdeutschen Bahnstrecken und auf den drei internationalen Flughäfen der DDR Kontrollen durchführen. (Tsp 27.5.90)
Nach einem Fußballspiel kommmt es erneut zu Auseinadersetzungen zwischen Ju-gendlichen und der Polizei. Zu Füßen des Marx-Engles Denkmals wird ein großes lebendes Hakenkreuz errichtet. (FR 28.5.90)

JUNI

5.6. Das DDR-Innenministerium legt einen Ausländergesetzentwurf vor, der fast wörtlich mit dem umstrittenen Ausländergesetz der BRD übereinstimmt.(SZ 6.6.90)
Am Pfingstwochende kommt es in Ost-Berlin erneut zu Auseinandersetzungen zwi-schen der Polizei und Rechtsradikalen. (SZ 5.6.90)
6.6. Den 84.000 ehemals hauptmatlichen Mitarbeitern der Stasi soll ihre Dienstzeit für die Rente anerkannt werden.(FR 6.6.90)
Der Streit um die Hoheitsrechte über die Ost-Berliner Polizei zwischen Stadtrat Krüger und Innenminister Diestel endet mit einem vorläufigen Kompromiß. Die rechtlichen und organisatorischen Voraussetzungen zur Schaffung einer Polizeizuständigkeit für Gesamtberlin sollen baldmöglichst geschaffen werden. Bis dahin werden die Aktivitäten der Polizei durch ein Dreier-Gremium – jeweilis ein Vertreter aus Senat, Magistrat und DDR-Innenministerium – koordiniert.(TAZ 7.6.90)
Im Ost-Berliner Bezirk Mitte will die Polizei eine 120 Mann starke Sondereinheit aufbauen, die gezielt gegen Rechtsradikale und Schwarzhändler auf dem Alexanderplatz vorgehen soll. (TAZ 7.6.90, Tsp 10.6.90)
Aufgrund der zunehmenden Übergriffe von Rechtsradikalen bietet die VoPo-Inspektion in Ost-Berlin Friedrichshain den Hausbesetzern in der Mainzer Str. eine Sicherheitspartnerschaft an. Starke Volksspolizeieinheiten beschützen daraufhin die gefährdeten Häuser vor möglichen rechtsradikalen Übergriffen. (TAZ 7.6.90)
7.6. Studenten demonstrieren vor der Volkskammer für bessere Lebensbedingungen. Aufgrund dieser Demonstration will der Ost-Berliner Polizeipräsident Bachmann verstärkt die Bannmeile um den Palast der Republik durchsetzen.(Tsp 8.6.90)
Ulrich Gähner, West-Berliner Landesvorsitzender des BdK, lehnt eine Übernahme von Volkspolizisten in den höheren Dienst nach einer Vereinigung ab. (Tsp 8.6.90)
8.6. Nach Angaben des Ost-Berliner Polizeipräsidenten sind bei der Volkspolizei 730 Planstellen nicht besetzt. (Tsp 9.6.90)
Der Ost-Berliner Innenstadtrat Krüger schlägt im Zusammenhang mit der Diskussion über den wachsenden Autoritätsverfall der Volkspolizei gegenüber den Bürgern das Amt eines Polizeibeauftragten vor. Am 10.7. wird Ibrahim Böhme (SPD) vom Magistrat zum Polizeibeauftragten berufen. Er ist direkt Innenstadtrat Krüger unterstellt.
10.6. Der Ost-Berliner Polizeipräsident hat sich in einem Interview für die Übernahme des in der BRD geltenden Vermummungsverbots ausgesprochen. (SZ 11.6.90)
Es wird bekannt, daß nach einem Polizeigesetzentwurf aus dem DDR-Innenministe-rium die Volkspolizei weitreichende Befugnisse erhalten soll. Bürger sollen nach diesem Entwurf ohne richterliche Kontrolle bis zu 24 Stunden in Gewahrsam genommen werden dürfen, Wohnungsdurchsuchungen sollen ebenfalls ohne richterliche Kontrolle erfolgen können.. (FR 11.6.90)
Ministerialrat Hermann Friker von der Polizei-Abteilung des Bay. Innenministerums wird wahrscheinlich in Ost-Berlin beratend bei der Reform der Sicherheitsbehörden mitwirken. Drei Beamte aus dem Bay. Innenministerium arbeiten bereits in Ost-Berlin. (SZ 11.6.90)
12.6. Nach der Festnahme von Susanne Albrecht sollen angeblich Zielfahnder des BKA auf dem Gebiet der DDR nach weiteren RAF-Mitgliedern suchen. (TAZ 13.6.90)
13.6. Zusammen mit der Wirtschafts-, Währungs- und Sozialunion soll zum 1. Juli auch eine Fahndungsunion geschaffen werden, hierzu legte die Bundesregierung dem Bundestagsinnenausschuß einen entsprechenden Zusatzartikel zum ersten Staatsvertrag vor. Geplant ist neben der Übernahme der ausländerrechtlichen Regelungen der BRD und der engen Zusammenarbeit von Polizei- und Zollbehörden der beiden Staaten, die Übermittlung personenbezogener Daten und eine grenzüberschreitende Polizeifahndung. Die Volkspolizei wird ans INPOL-System angeschlossen, hierfür werden zwei Terminals beim Zentralen Kriminalamt und ein weiteres Gerät bei der Zolldirek-tion der DDR installiert. Datenschutzrechtliche Bestimmungen sind nicht vorgesehen. Dieses Zusatzabkommen wird am 15.6. vom Bundestagsinnenausschuss zunächst abgelehnt und am 18.6. ohne größere Diskussionsmöglichkeit von der Mehrheit des Ausschusses gebilligt, nachdem die grenzüberschreitende Fahndung vorerst auf Fälle von Schwerkriminalität eingegenzt wird. (FAZ 14.6.90, Tsp 14.690, FR16.6.90, FAZ 18.6.90, Tsp 21.6.90)
15.6. Aufgrund der zunehmenden Auseinandersetzungen zwischen Rechtsradikalen und der Polizei fordert der Ost-Berliner Polizeipräsident Bachmann eine „Bürgerfront gegen den Extremismus“. Diese Äußerung wird nachfolgend von verschiedenen Seiten heftig kritisiert, die GdP fordert seinen Rücktritt, weil sie diese Forderung als Aufforderung für die Bildung von Bürgerwehren interpretiert. (TAZ 16.6.90)
17.6. Der Bundestagsabgeordnete Hermann Fellner (CSU) ist als Staatssekretär im DDR-Innenministerium im Gespräch. (FR 18.6.90)
21.6. Es wird bekannt, daß 338 ehemalige STASI-Mitarbeiter von der Volkspolizei in Ost-Berlin eingestellt wurden. Von den Bewerbern übernahm die Polizei 47 als Offiziere, 236 als Wachmeister und weitere 55 als Zivilbeschäftigte. (Tsp 22.6.90)
Der West-Berliner Landesvorsitzende der GdP, Walsleben, fordert, daß die neuzubildenden Ost-Berliner Polizeidirektionen von West-Berliner Beamten geleitet werden. (Mopo 21.6.90)
23.6. 2 Abteilungsleiter der STASI-Hauptabteilung XXII (Terrorimus) arbeiten jetzt in der Anti-Terror-Einheit des DDR-Innenministeriums. (Tsp 24.6.90)
23.6. Nach einer Demonstration gegen Neo-Nazismus und Ausländerfeindlichkeit kommt es im Ost-Berliner Bezirk Lichtenberg zu schweren Auseinandersetzungen zwischen Demonstranten und der Polizei, als etwa 400 jugendliche Demonstranten versuchen, die Zentrale der rechtsextremen „Natioanlen Alternative“ in den besetzten Häusern in der Weitlingsstr. zu stürmen.
Innenminister Diestel fordert daraufhin ein neues Polizeigesetz. Diese Forderungen werden vom Innenstadtrat Krüger abgelehnt. (Tsp 26.6.90, TAZ 26.6.90)
24.6. Auf einer Klausurtagung der Vorstände der Berliner Landesverbände der GdP und der GdVP wird der Zusammenschluß zu einem einheitlichen Landesverband vorbereitet. (Tsp26.6.90)
25.6. Ein 19 jähriger sowjetischer Soldat wird von Sondereinheiten der Volkspolizei bei einer Geiselnahme erschossen. Acht Beamte der der Anti-terrror Einheit der VoPo des Bezirkes Magdeburg waren an der blutigen Geiselbefreiung beteiligt. Die Geiseln überlebten. (Mopo 27.6.90)
26.6. In Ost-Berlin wird bekannt, daß in den letzten Monaten 30 Beamte für den Aufbau einer Anti-Terror Einheit nach dem Vorbild der bundesdeutschen SEK ausgebildet worden sind. (MoPo 27.6.90)
In der Polizeifachschule Villingen Schwenningen (Baden-Württemberg) werden Führungskräfte der Volkspolizei ausgebildet. (FR27.6.90)
29.6. Die IMK beschließt auf ihrer Tagung in Bonn weitere Maßnahmen zur Verwirklichung der Fahndungsunion. Das Zentrale Kriminalamt (ZKA) wird künftig vom BKA über Erkenntnisse mit terror. Hintergrund ständig informiert. Das ZKA erhält weiter die Möglichkeit Informationen über die Suche nach Personen und Diebesgut bei bundesdeutschen Stellen über INPOL abzufragen. Die Polizeidienststellen der DDR werden an das Datennetz der bundesdeutschen Polizei angeschlossen. Die Bundesländer sollen mit mit den Ländern und Regionen der DDR wie folgt zusammenarbeiten:
– Schleswig-Holstein, Hamburg, Bremen, Nordrhein-Westfalen – Mecklenburg-Vor-pommern
– Hamburg – Dresden und Umland
– Niedersachsen – Sachsen-Anhalt
– Nordrhein-Westfalen, saarland – Brandenburg
– Hessen, Rheinland-Pfalz, Bayern – Thüringen
– Baden-Württemberg, Bayern – Sachsen
– West-Berlin – Ost-Berlin und Umland
– Nordrhein-Westfalen – Leipzig und Umland
Es wird eine Deutsch-deutsche Arbeitsgruppe zur Intensivierung der Polizeilichen Zusammenarbeit unter Vorsitz des noch amtierenden Polizeipräsidenten von Baden-Württemberg, A. Stümper, gebildet. Der AG gehören neben Baden-Württemberg ferner die Länder Bayern, West-Berlin, Hessen, Niedersachsen, Saarland und Schleswig-Holstein sowie Vertreter des Bundes und der DDR an.
Unter Vorsitz des Inspekteurs der Polizei Baden-Württemberg, Helmut Griebert, wird eine Arbeitsgruppe installiert, die die Koordinierung der polizeilichen Zusammenarbeit zwischen Baden-Württemberg und den Bezirken Leipzig, Dresden, und Chemnitz organisieren soll.
(Tsp 30.6.90, SZ 30.6.90, Die Polizeizeitung Baden-Württemberg 6/90)
Die West-Berliner GdP fordert aufgrund der zunehmenden Ausschreitungen von Ju-gendlichen eine Verbesserung der Polizeibekleidung für ihre Ost-Berliner Kollegen. (Tsp 29.6.90)
30.6. Inneminister Diestel verläßt nach längeren innerparteilichen Auseinandersetzungen auf dem Parteitag der DSU die Partei und wechselt später zur CDU. (TAZ 2.7.90)
Am Aufbau einer neuen sächsichen Landesverwaltung wird sich Baden-Württemberg mit 151 Beamten beteiligen. Die gesamte Hilfe an Personal- und Sachmitteln aus BaWü wird sich 1991 auf 52,5 Mio DM belaufen. (SZ 30.6/1.7.90)

JULI

1.7. Bundesinnenminsiter Schäuble und Innenminister Diestel unterzeichnen am Grenzübergang Neustadt-Sonennberg das Abkommen über den Wegfall der Grenz-kontrollen und die Fahndungsunion. (Tsp 3.7.90)
Im West-Berliner Bildungszentrum „Joachim Lippschitz“ beginnen die Fortbildungs- und Ausbildungsseminare für Ost-Berliner Volkspolizisten. (Mopo 29.7.90)
Nach der Einführung der Währungs-, Wirtschafts- und Sozialunion und mit dem Wegfall der Personenkontrollen an der innerdeutschen Grenze wird in der Polizei verstärkt eine weitere Zunahme der Kriminalität in der DDR diskutiert, Rauschgift- und Organisierte Kriminalität sind hierbei die zentralen Themen. (Tsp 3.7.90)
4.7. Die bundesdeutsche Gewerkschaft der Polizei (GdP) und die entsprechende DDR Gewerkschaft (GdVP) wollen sich im September auf einem gemeinsamen Gewerk-schaftskongreß vereinigen. Die Gewerkschaft wird nach der Fusion ca. 240.000 Mitglieder vertreten.(Tsp 5.7.90)
6.7. Der Bund Deutscher Kriminalbeamter (BdK) und der Verband der Kriminalisten (VdK) mit insgesamt 17.000 Mitgliedern wollen sich ebenfalls organisatorisch zusammenschliessen. .(Tsp 7.7.90)
10.7. Das erste private Wachschutzunternehmen nimmt seine Arbeit in Ost-Berlin auf. Zehn der insgesamt 30 Mitarbeiter konmmen von der STASI. geleitet wird das Unternehmen von zwei ehemaligen Volkspolizisten. (SZ Magazin ohne Datum)
12.7. Einige hundert Volkspolizisten demonstrieren in Ost-Berlin Weißensee gegen Einkommenskürzungen in Folge der Währungsunion. (MoPo 13.7.90)
Nach Ansicht des West-Berliner GdP Landesvorsitzenden, von Walsleben, ist das Amt des Polizeibeauftragten „völlig überflüssig“. (Mopo 12.7.90)
19.7. Ca. 1000 Volkspolizisten demonstrieren vor der Volkskammer für ein Rationalisierungsabkommen und eine Ausgleichszahlung, sowie für die Erhaltung ihrer Arbeitsplätze.(FR 20.7.90, TAZ 20.7.90)
23.7. Acht Stabsmitgleider und Kompaniechefs der DDR Volkspolizei lassen sich in Würzburg auf ihre künftigen Aufgaben in Sachsen vorbereiten. Ab September sollen die ersten sächsischen Bereitschaftpolizei-Einheiten den bayerischen Einheiten organisatorisch angeglichen werden. Z-Zt. rekrutiert sich die DDR-Berreitschaftspolizei noch aus Wehrpflichtigen. (SZ 24.7.90)
24.7. Im Rahmen der Fortbildungs- und Ausbildungsvereinbarungen werden im Herbst rund 200 Polizebeamte aus Brandenburg einen sechswöchigen Lehrgang in NrW besuchen, um auf die künftigen Aufgaben vorbereitet zu werden.(TAZ 25.7.90)
26.7. Der vom Dienst suspendierte Staatssekretär im DDR-Innenminsiterium,(Bis jetzt konnte keine Bestätigung für die Suspendierung von Müller gefunden werden) Peter
Müller, wird von Innenminister Diestel wieder in sein Amt eingesetzt. Es wird weiter bekannt, daß zahlreiche höhere Polizeioffiziere der alten Garde von Innenminsiter Diestel übernommen worden sind. Generalinspekteur Schmalfuß, früher stellvertretender Minister unter Innenminister Dickel, ist jetzt für Fragen der inneren Führung zuständig. Ihm untersteht Chefinspekteur Simon, jetzt verantwortlich für den Strukturwandel im DDR-Innenministerium. Chefinspekteur Winderlich, ihm unterstand früher als stellvertretender Minister der gesamte Strafvollzug, ist jetzt Leiter der Abteilung für die Zusammenarbeit mit Bund und Ländern. (Mopo 27.7.90)

Zusammengestellt von Manfred Walter aus der Berliner Morgenpost (Mopo), Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Frankfurter Rundschau (FR), Süddeutsche Zeitung (SZ), Tagesspiegel (Tgs) und der Tageszeitung (TAZ).

Literatur: Rezensionen und Hinweise

Bücher und Zeitschriftenartikel zur DDR

Krüger, Waltraud:
Ausreiseantrag, im PULS-Verlag, Magdeburg, 1990
Beschrieben wird die Entfremdung zwischen einer Frau aus der DDR und „ihrem Staat“ sowie die daraus folgende Leidensgeschichte bis hin zur Ausreise im Jahre 1981. Diese Entfremdung beginnt, als die Familie der Frau bei einem Autounfall Reisenden aus dem Westen hilft. Diese Hilfe wird von der STASI als „feindliche Kontaktaufnahme“ ausgelegt. Bei ihren Ausreiseanträgen erhält die Autorin Unterstützung aus dem Westen: von Löwenthals ZDF-Magazin, „Hil-ferufe von drüben“ und der Interna-tionalen Gesellschaft für Menschen-rechte. Die entsprechenden Presse-kampagnen in den Westmedien haben die Ausreise sicher nicht beschleunigt, eher die ansonsten auf Diskretion bedachten Bemühungen der Bundesre-gierung und des Rechtsanwalts Vogel behindert. Doch aus der naiven Perspektive der Autorin stellen sich die Anstrengungen der kalten Krieger als einziger Rettungsanker dar. Und in der Tat: die Repression der STASI, bis hin zu psychiatrischer Einweisung und „medizinischer“ Folter sind un-entschuldbar, ganz gleich in welcher politischen Konstellation. Wohl ist das Buch, das zuerst 1989 im Kölner Markus Verlag erschien, ein authentisches Dokument gravierender Men-schenrechtsverletzungen, doch das Vorwort des Figaro-Journalisten Pica-per, die abgegriffene Polemik der Bildunterschriften und das relativ spä-te Erscheinen zu einem politisch „günstigen“ Zeitpunkt schwächen sei-ne Glaubwürdigkeit. Um so dringli-cher ist es heute, die Vorwürfe gegen die Bezirksgewaltigen in Magdeburg wenigstens im Nachhinein zu klären. (BG) Literatur: Rezensionen und Hinweise weiterlesen