Archiv der Kategorie: CILIP 044

(1/1993) Rechtsextremismus, Rassismus und polizeiliche Reaktionen

Ausländerbeauftragte bei der Potsdamer Polizei – Mut zur Entpolizeilichung

von Frauke Postel

Nach den Rostocker Pogrom-Nächten führte eine Überprüfung der Asylbewerberheime in Brandenburg zu der erschreckenden Erkenntnis, daß die Sicherheitsmaßnahmen hier bei weitem nicht ausreichend waren. In der Folge entstand in Potsdam, einem der fünf Polizeipräsidien Brandenburgs, ein unerwartetes Konzept: Mit den Asylbewerbern sollte eine Zusammenarbeit zustande kommen, die es diesen erlaubte, Vertrauen in die Polizei zu entwickeln. Deshalb wurden Sicherheitsberater gebraucht, die – und das läßt aufmerken – als Ansprechpartner auch für die gefährdeten Asylbewerber Beratung anboten. Zudem sollte der Versuch unternommen werden, Asylbewerber über Verhaltensweisen aufzuklären, die gegen die Normen und Ordnungsvorstellungen ihrer deutschen Umgebung verstoßen, um damit zu einer besseren Akzeptanz beizutragen.

Entwickelt wurde das Konzept vor ungefähr einem halben Jahr von dem Potsdamer Polizeipräsidenten Detlef von Schwerin und seinem Leiter ‚Einsatz (E)‘, dem Leitenden Polizeidirektor Peter Schultheiß. Ausländerbeauftragte bei der Potsdamer Polizei – Mut zur Entpolizeilichung weiterlesen

Sonderkommission Rechtsextremismus: „Soko Rex“ – Polizeiliche Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen

von Otto Diederichs

Polizeiliche Sonderdezernate oder -arbeitsgruppen zur Bekämpfung des Rechtsextremismus gibt es mittlerweile in nahezu allen Bundesländern. In den meisten Fällen handelt es sich dabei jedoch um nicht sehr viel mehr als reinen Aktionismus. Lediglich die beim sächsischen Landeskriminalamt (LKA) in Dresden eingerichtete ‚Soko Rex‘ hat bislang beachtenswerte Erfolge vorzuweisen. Wenn man Konzept und Arbeit der seit eineinhalb Jahren arbeitenden ‚Soko Rex‘ indes etwas genauer betrachtet, hat auch ihr Vorgehen einige Schönheitsfehler.

„14 Tage vor meinem Kommen wurde Jorge Gomondai aus der Straßenbahn geprügelt, daß er zu Tode kam. Vor mir breitete sich ein rechtsorientiertes Gewaltphänomen aus: Das kann ja wohl nicht sein!, sagte ich mir. Es galt konsequente Strafverfolgung aufzuziehen, damit die Täter nicht ermuntert wurden. Hier mußten Spezialisten ran, die wußten, wie man mit diesem Klientel umgeht“,[1] beschreibt der Präsident des LKA Sachsen und geistige Vater der ‚Soko Rex‘, Peter Raisch, den Ursprung der Sonderkommission. Alles weitere ging dann erstaunlich schnell. Am 15. April 1991 übernahm Raisch die Leitung des Aufbaustabes für das LKA, schlug dem Innenministerium die Einrichtung einer Sonderkommission zur Bekämpfung des Rechtsextremismus vor, und bereits am 1. Juli wurde die ‚Soko Rex‘ gegründet. Zwei Wochen später begann sie ihre Arbeit.[2] Als Aufgaben wurden ihr die „Durchführung der Strafverfolgung im deliktspezifischen Bereich sowie Vorbereitung von Präventionsmaßnahmen“[3] zugewiesen. Sonderkommission Rechtsextremismus: „Soko Rex“ – Polizeiliche Bekämpfung des Rechtsextremismus in Sachsen weiterlesen

Das Einsatzkonzept ‚LEO ELBE‘ – Etikettenschwindel in Sachsen-Anhalt

von Otto Diederichs

Nach dem Überfall von ca. 40-60 Skinheads auf eine Party von Punkern am 10. Mai 92 in der Magdeburger Gaststätte ‚Elbterrassen‘, bei dem ein 23jähriger Punker getötet wurde, machte man sich in Sachsen-Anhalt Gedanken darüber, wie man künftig auf derartige Situationen besser reagieren, insbesondere schneller und ausreichend Polizeikräfte einsetzen könne. Herausgekommen ist dabei u.a. das Einsatzkonzept ‚Landeseinsatzorganisation Elbe (LEO ELBE)‘.

„Nach Ansicht von Innenminister Hartmut Perschau ist die Polizei in Sachsen-Anhalt diejenige Institution, die besonders intensiv und offensiv die Auseinandersetzung mit dem gewalttätigen rechten Spektrum führt“, beginnt die Pressemitteilung, mit der der Öffentlichkeit das neue Konzept im November letzten Jahres vorgestellt wurde.[1] Damit solle es künftig möglich werden, „zügig geschlossene Einheiten zu bilden, sie regional zur Verfügung zu stellen und ohne großen Zeitverlust als ‚Alarmeinheiten‘ einzusetzen“.[2] Das Einsatzkonzept ‚LEO ELBE‘ – Etikettenschwindel in Sachsen-Anhalt weiterlesen

Polizei und Rassismus in Großbritannien – Altes Lied mit neuer Melodie

von Tony Bunyan

Das Thema Polizei und Rassismus reicht in Großbritannien zurück bis weit zur Jahrhundertwende und muß sich somit im Rahmen dieses Beitrages einer eingehenderen Betrachtung entziehen. Um die gegenwärtige Beziehung zwischen der Polizei und der ‚black community‘ (dieser Begriff umfaßt alle nichtweißen Gruppen) richtig zu verstehen, bedarf es zumindest jedoch eines Rückblickes auf die 80er Jahre. Nur so läßt sich nachvollziehen, was sich seitdem auf diesem Gebiet weiterentwickelt hat.[1]

Die Geschichte dieser Periode beginnt im April 1979 in Southall im Westen Londons, als die dortige asiatische Bevölkerung und ihre UnterstützerInnen gegen ein Treffen der faschistischen ‚National Front‘ protestierten. Zehntausende blockierten die Straßen. Die Polizei reagierte mit einem Angriff auf die DemonstrantInnen und verhaftete mehr als 350 Personen. Im Verlauf dieser Auseinandersetzungen tötete ein Mitglied der ‚Special Patrol Group‘ (SPG), einer paramilitärischen Einheit zur Aufstandsbekämpfung (heute: ‚Territorial Support Group‘), den weißen Lehrer Blair Peach. In St. Pauls in Bristol formierten sich daraufhin Jugendliche gegen die Polizei und sperrten über Stunden den gesamten Bezirk, bis die Polizei aus umliegenden Revieren Verstärkung erhielt. Polizeifahrzeuge wurden mit Brandsätzen angegriffen und umgestürzt. Die Polizei reagierte darauf mit einer zusätzlichen Ausbildung nicht nur für die Sondereinsatzgruppen, sondern für alle Einheiten. Diese Ausbildungselemente zur Aufstandsbekämpfung sind unterdessen Bestandteil der regulären Ausbildung geworden und werden durch regelmäßige Fortbildungen aufgefrischt. Polizei und Rassismus in Großbritannien – Altes Lied mit neuer Melodie weiterlesen

Rassistische Polizei in Frankreich? Polizeiliches Einsatzverhalten und dessen Konsequenzen

von Hartmut Aden

Wer weißer Hautfarbe und gut gekleidet ist, wird wesentlich seltener von der Polizei kontrolliert als Schwarze und AraberInnnen. Das ist eine kaum zu bestreitende Alltagserfahrung mit der französischen Polizei. Verhalten sich französische PolizistInnen deshalb rassistisch? Wenn ja, wo liegen die strukturellen Ursachen, und welche Maßnahmen können dagegen ergriffen werden? Inwieweit handelt es sich um ein typisch französisches, inwieweit um ein internationales Problem?

Diese Fragen sind in letzter Zeit in zwei interessanten Diskussionsbeiträgen aufgegriffen worden: In einem Bericht der Internationalen Liga für Menschenrechte (Fédération Internationale des Droits de l`Homme, FIDH)[1] und in einer Analyse, die eine Arbeitsgruppe unter Leitung des Soziologen Michel Wieworka für das zum Innenministerium gehörende Institut des Hautes Etudes de la Sécurité Intérieure (IHESI) erstellt hat.[2] Rassistische Polizei in Frankreich? Polizeiliches Einsatzverhalten und dessen Konsequenzen weiterlesen

Tödlicher Schußwaffeneinsatz der Polizei 1974 – 1992: Vorsichtige Korrektur einer These

von Falco Werkentin

Obwohl seit 1990/91 mit der Vereinigung Deutschlands nicht nur die Bevölkerungszahl der Bundesrepublik, sondern auch die Zahl der polizeilichen Waffenträger erheblich gewachsen ist, stagniert die Zahl der Fälle polizeilichen Schußwaffeneinsatzes mit Todesfolge. Wie bereits 1991 gab es auch 1992 nur 9 Todesfälle. Damit scheint sich ein Trend zu stabilisieren, der von CILIP seit längerem beobachtet und dokumentiert wird.

Seit den ersten Ausgaben hat CILIP Jahr für Jahr die Fälle tödlichen polizeilichen Schußwaffeneinsatzes in der BRD dokumentiert und analysiert.[1] Dahinter stand der Gedanke, daß es für die innerstaatliche Gewaltfähigkeit und -bereitschaft keinen besseren, keinen härteren und keinen so gut erfaßbaren Indikator gibt wie den polizeilichen Schußwaffeneinsatz mit Todesfolge. Zudem gingen wir in den 70er Jahren von der These aus, daß mit dem Auf- und Ausbau polizeilicher Spezialeinheiten – von Präzisionsschützenkommandos (PSK) über Sondereinsatzkommandos (SEK) bis zu den Mobilen Sondereinsatzkommandos (MEK) – sich als Trend die Zunahme tödlicher Lösungen bei Einsätzen gerade dieser Spezialeinheiten durchsetzen würde.
Tödlicher Schußwaffeneinsatz der Polizei 1974 – 1992: Vorsichtige Korrektur einer These weiterlesen

Die Bereitschaftspolizei in Brandenburg – Ein vernünftiges Konzept ohne große Chancen

von Otto Diederichs

Bereitschaftspolizeien gehören seit Anfang der 50er Jahre zur festen Einrichtung der Polizeien der Länder. Durch ein „Verwaltungsabkommen über die Errichtung von Bereitschaftspolizeien der Länder“ hatten sich diese seinerzeit verpflichtet, eine solche „besondere Polizeieinheit“ zu unterhalten. Nachdem im November 1991 die neue Polizeiorganisationsstruktur des Landes Brandenburg durch ministeriellen Erlaß errichtet wurde, trat man auch dort dem Abkommen bei und begann mit dem Aufbau einer eigenen Bereitschaftspolizei. Dabei ging das Land jedoch von Anbeginn einen anderen Weg, als es bisher beim Aufbau derartiger Formationen üblich war.

Weil er eine „historische Chance“ sah, im benachbarten Brandenburg beim Aufbau einer „bürgernahen Polizei“ mitzuwirken, hatte sich der damalige Berliner Polizeioberrat (POR) Volker Pfarr im Sommer 1990 ins Nachbarland abordnen lassen. Das Konzept der „Brandenburger Linie“ das Pfarr und seine Kollegen (zumeist aus Nordrhein-Westfalen, das die ‚Patenschaft‘ für Brandenburg übernommen hat) entwickelt haben, trägt durchaus Züge, die es wert wären, auch von den übrigen Länderpolizeien aufmerksam betrachtet und für die eigene Organisation übernommen zu werden. Die Chancen dafür stehen indes nicht gut. Die Bereitschaftspolizei in Brandenburg – Ein vernünftiges Konzept ohne große Chancen weiterlesen

Chronologie

zusammengestellt von Kea Tielemann

November 1992

03.11.: Die ehemaligen RAF-Mitglieder Peter-Jürgen Boock und Christian Klar werden vom Stuttgarter Oberlandesgericht unter Einbeziehung früherer Strafen zu lebenslangen Gesamtstrafen verurteilt. Das Gericht spricht sie wegen eines Überfalls mit Todesfolge auf eine Züricher Bank und wegen Mordversuchs schuldig. Die Verurteilten verbüßen wegen anderer Straftaten bereits lebenslange Haftstrafen. Sowohl Generalbundesanwalt von Stahl als auch die Anwälte legen gegen das Urteil Revision ein.

04.11.: Der Schalck-Untersuchungsausschuß legt nach 17monatiger Arbeit den ersten Zwischenbericht vor, der hauptsächlich aus Akten der STASI und der „Kommerziellen Koordinierung“ besteht. Ein Großteil der über eine Million Dokumente sei bislang nicht annähernd ausgewertet.
Für einen im September begangenen Brandanschlag auf das Asylbewerberheim in Ketzin wird ein 21jähriger Täter zu sieben Jahren Haft verurteilt; ein 20jähriger Mitangeklagter erhält eine vierjährige Jugendhaftstrafe. Am 6.11. legt die Potsdamer Staatsanwaltschaft beim Bundesgerichtshof Revision ein, da sie härtere Strafen fordert. Chronologie weiterlesen