Archiv der Kategorie: CILIP 061

(3/1998) Überwachungstechnologien II

‘Big-Brothers’-Oscars- Privacy International

Seinen Roman „1984“ schrieb George Orwell im Jahre 1948. 50 Jahre danach, am 26. Oktober 1998, versammelten sich in London 250 Gäste zu einem Galaabend mit dem britischen Komiker Mark Thomas als Conferencier. Zweck des Anlasses war die Verleihung des ersten ‘Privatsphären-Preises’. Organisiert wurde das ganze von ‘Privacy International’, finanziert von der ‘Killing Secrets’-Kampagne. Die Öffentlichkeit sollte den ‘Meistern der Überwachung’ die ihnen gebührende Ehre erweisen.

Die Idee zu dieser Preisverleihung wurde vor einigen Jahren auf einer Washingtoner Konferenz über Polizeitechnik geboren, bei der ein feister Technokrat im Armani-Outfit enthusiastisch die Vorteile amerikanischer Computertechnologie für die Polizeien Asiens pries. Die technischen Fortschritte, so prahlte der Mann, hätten das Smithonian Institute veranlaßt, der thailändischen Regierung einen glitzernden Pokal für ‘mutigen Technologieeinsatz’ zu verleihen. Bei einem Besuch in Thailand hatten Aktivisten von ‘Privacy International’ kurz zuvor erfahren, wie amerikanische Technik zur Verfolgung politischer GegnerInnen eingesetzt wird. Sie drohten dem zweifelhaften Helden an Ort und Stelle einen eigenen goldenen ‘Big-Brother’-Preis an.
‘Golden Big-Brother’-Preise in Form eines Stiefels, der auf ein Gesicht tritt, wurden nun erstmalig in fünf verschiedenen Kategorien an diejenigen verliehen, die im letzten Jahr ihr Bestes gegeben haben, um die Privatsphäre der BürgerInnen zu unterminieren: ‘Big-Brothers’-Oscars- Privacy International weiterlesen

Smile, you ‘re on camera – Flächendeckende Videoüberwachung in Großbritannien

von Clive Norris und Gary Armstrong

In keinem Land Europas haben sich Videoüberwachungssysteme so durchgesetzt wie in Großbritannien. Ohne rechtliche Schutzvorkehrungen hat sich in den 90er Jahren eine regelrechte Lawine von Überwachungskameras über U-Bahnen, Einkaufszentren und Straßen der Innenstädte ergossen. Der behauptete Nutzen für die Kriminalprävention ist zweifelhaft, die Gefahren für die Bürgerrechte liegen dagegen auf der Hand.

Vor 40 Jahren gab es in Großbritannien noch keine Videoüberwachungssysteme im öffentlichen bzw. öffentlich zugänglichen
Raum. Erst ab 1967, als ‘Photoscan’ als erste Firma die Installation von Kameras als Mittel gegen Ladendiebstahl vermarktete, wurden diese mehr und mehr zu einem gebräuchlichen Ausrüstungsgegenstand in Läden und Geschäften. In den beiden folgenden Jahrzehnten war der Einsatz von Videoüberwachungsanlagen im wesentlichen auf den Einzelhandelssektor beschränkt. Der erste dauerhafte und systematische Einsatz von Überwachungskameras für kriminalpräventive Zwecke außerhalb des Handels begann 1975, als die Londoner Verkehrsbetriebe Videoanlagen in zunächst drei U-Bahnhöfen einbauten, um ihre Angestellten gegen Raubüberfälle und andere Angriffe zu schützen. Auf den Straßen waren es eher Verkehrsstaus als Kriminalitätsprobleme, die ursprünglich den Anstoß zur Installation von Kameras gaben. 1974 wurden bei einem Versuch, den Verkehrsfluß in Londons Straßen zu beschleunigen, 145 Kameras zur Überwachung der großen Verkehrsadern der Hauptstadt aufgebaut. Allerdings realisierte die Polizei schnell, daß das System auch für die Kontrolle von politischen Demonstrationen verwendet werden konnte. [2] Dennoch blieben Videoanlagen im öffentlichen und semi-öffentlichen Bereich auch in den 80er Jahren eher Einzelerscheinungen, die auf spezifische lokale Probleme ausgerichtet waren. Smile, you ‘re on camera – Flächendeckende Videoüberwachung in Großbritannien weiterlesen

Das Arsenal des ‘Großen Bruders’ im Land der Freiheit- Überwachungstechnologien in den Vereinigten Staaten

von David Banisar

„Subtilere und weitreichendere Mittel zur Beeinträchtigung der Privatssphäre sind für die Regierung verfügbar geworden. Entdeckungen und Erfindungen haben es den Regierenden durch Mittel, die viel effektiver als die Streckbank sind, ermöglicht, vor Gericht herauszufinden, was im Hinterzimmer geflüstert worden ist“, so schrieb Richter Louis Brandeis vom US-Supreme Court im Jahre 1928. [1] Heute wäre er vermutlich sprachlos angesichts der neuen Überwachungstechnologien, die weit über das hinausgehen, was er sich damals vorstellen konnte.

Von Richter Brandeis’ Zeiten bis in die 60er Jahre war Überwachung in erster Linie eine handwerkliche Anstrengung, in der Automation oder Datenabgleich kaum möglich waren. Die Aktivitäten einer Person zu verfolgen, bedeutete, daß man ihr von Ort zu Ort praktisch auf dem Fuß folgen mußte und diejenigen auszufragen hatte, mit denen sie in Kontakt getreten war. Die Informationen wurden dann mit der Schreibmaschine protokolliert und in großen Aktenschränken verwahrt. Diese Vorgehensweise war sehr arbeitsintensiv und auf bestimmte Zielpersonen beschränkt. Ein umfassender Abgleich von Akten war unmöglich. Nur extremistische Regimes haben sich auf ausgedehnte Überwachungsmaßnahmen einlassen können – in der DDR beschäftigte die Staatssicherheit 10.000 Angestellte, um die Gespräche der Bürger abzuhören und zu transkribieren. Das Arsenal des ‘Großen Bruders’ im Land der Freiheit- Überwachungstechnologien in den Vereinigten Staaten weiterlesen

DNA-Analyse und DNA-Datenbanken – Der ‘genetische Fingerabdruck’ – eine erstaunliche Karriere

von Detlef Nogala

Die DNA-Analytik hat am Ende unseres Jahrhunderts den Stellenwert erhalten, den der gewöhnliche Fingerabdruck am Ende des vorigen hatte. Die Polizei scheint ein Instrument in der Hand zu halten, das die Ermittlung und Überführung von Straftätern nicht nur beschleunigt und ‘gerichtsfester’ macht, sondern gerade in schwierigen Fällen, wo es an konkreten Tatverdächtigen mangelt, eine Aufklärung erst aussichtsreich werden läßt. Diesem Gewinn an polizeilichem Aufklärungsvermögen stehen die verwaltungstechnischen und bürgerrechtlichen Kosten häufiger werdender Massenfahndungstests und forensischer DNA-Datenbanken entgegen.

Fast schon zum Allgemeinwissen des durchschnittlichen Zeitungslesers gehören die biologischen Tatsachen, auf denen der ‘genetische Fingerabdruck’ beruht: Uns ist – wie allen Lebenwesen – der Bauplan unserer Zellen und ihrer Funktionsstruktur in die jeweilige Desoxyribonukleinsäure (engl. Abk. DNA) eingeschrieben. Die DNA hat man sich als in sich verdrehte, strickleiterartige Verkettung vier verschiedener Aminobasen vorzustellen. Dieser Strang besteht aber nicht allein aus ‘Blaupausen’ für den jeweiligen Zellaufbau, sondern zu einem überwiegenden Teil (ca. 90%) aus Abschnitten, die aus heutiger Sicht als ‘nicht-codierend’, also ohne spezifische Erbinformation, angesehen werden. In diesen ‘blinden’ Abschnitten zwischen den Genen wiederholen sich bestimmte Kombinationen der Aminobasen in charakteristischer Weise – und zwar je nach Individuum unterschiedlich. Gelingt es nun, diese typischen Abschnitte aus dem DNA-Strang herauszulösen, kann man unter Anwendung bestimmter Nachweisverfahren quantifizieren, wieviel davon bei dem einen Individuum im Unterschied zu anderen vorliegt – und zwar anhand jeder Erbinformation tragenden Zelle des Körpers. 1985 ‘erfand’ die Arbeitsgruppe um den englischen Molekularbiologen Alec J. Jeffrey ein solches Nachweisverfahren und damit den ‘genetischen Fingerabdruck’ als Möglichkeit zur Identifizierung: Man konnte nun mit sehr großer Wahrscheinlichkeit sagen, welche (Körperzellen enthaltende) Spuren zu welchem Individuum ‘gehörten’. Zwar verwendete man zuvor in der Kriminalistik schon serologische Verfahren, mit deren Hilfe aus Spuren von Körperflüssigkeiten bestimmte Aussagen hinsichtlich der Wahrscheinlichkeit der Tatbeteiligung getroffen werden konnten. Aber mit der Entdeckung, daß außer dem ‘klassischen’ Fingerabdruck darüber hinaus jede Körperzelle ihren Träger (abgesehen von eineiigen Zwillingen) im Prinzip ‘individualisiert’, war eine neue Ära der polizeilich nutzbaren Identifizierungstechnik angebrochen. Am Tatort vorgefundene Blutstropfen, winzige Hautfetzen, Speichelreste (an Zigarettenkippen), Genitalsekrete oder Haare waren von nun an (unter günstigen Bedingungen) wichtige Beweisindizien oder gar potentielle Fahndungsmittel. DNA-Analyse und DNA-Datenbanken – Der ‘genetische Fingerabdruck’ – eine erstaunliche Karriere weiterlesen

Redaktionelle Vorbemerkung

von Heiner Busch

Eine Zeitschrift wie Bürgerrechte & Polizei hat selten die Chance, ihren Leserinnen und Lesern frohe Botschaften zu verkünden. Unser Publikum hat sich daran gewöhnt, Nachrichten über den fortschreitenden Ausbau polizeilicher Apparate, die Ausweitung polizeilicher Befugnisse und den Abbau von Betroffenenrechten entgegenzunehmen. Wir, die AutorInnen und Mitglieder der Redaktion, können nur darauf hoffen, daß die LeserInnen diese Entwicklungen nicht akzeptieren, sondern die hier veröffentlichten Informationen dazu benutzen, informiert und radikal für die Sache der Demokratie und der Grundrechte Partei zu ergreifen.
Die Themen dieses Heftes, des zweiten in Folge zum Thema Überwachungstechnologien, sind nicht dazu angetan, Freude und optimistische Zukunftserwartungen aufkommen zu lassen. Wie auch: Internationale Überwachungsnetze – so dokumentiert Steve Wright – funktionieren ohne jegliche Kontrolle. Das gilt nicht nur für das vom US-amerikanischen Geheimdienst NSA dominierte ECHELON, sondern auch für die gemeinsamen Überwachungspläne der EU und der USA, die sich vorwiegend auf die polizeiliche Kontrolle der Telekommunikation beziehen. Mindestens ebenso düster sind die Aussichten für den lokalen Bereich, etwa was die Nutzung von Video-Überwachungsanlagen betrifft, deren flächendeckender Einsatz in Stadtzentren Großbritanniens von Clive Norris und Gary Armstrong beschrieben wird. Redaktionelle Vorbemerkung weiterlesen

Summaries

DNA-fingerprinting and DNA-databanks
by Detlef Nogala
By the end of this century DNA-analysis is playing the role in forensics that fingerprinting has had at the end of the last one. Police seems to hold an instrument in their hands, that not only speeds up investigations and convictions, but makes it more likely to solve a crime even when an actual suspect is missing. The advantages expected by the police are contrasted by the costs of the new technology, both in financial as in civil liberties terms, when genetic mass searches and forensic DNA-databanks are becoming more common. Summaries weiterlesen