Archiv der Kategorie: CILIP 111

Die neue Fremdenpolizei (Oktober 2016)

Die Herstellung von Abschiebbarkeit: die bayerischen Ankunfts- und Rückführungszentren

von Stephan Dünnwald

Für die Ankunfts- und Rückführungszentren (ARE) in Manching und Bamberg wurde mit Verfahrensbeschleunigung geworben. Nach Schweizer Vorbild sollte die Präsenz aller zustän­digen Behörden vor Ort für ein nahtloses Inein­ander­greifen der verschiedenen Instanzen sorgen. Es gibt Beschleunigung, aber vor allem stehen diese Zentren für einen Ausreisedruck, der durch Isolation, Schäbigkeit und fehlende Unterstützung herbeigeführt wird.

Anfangs waren die ARE für die Flüchtlinge aus den sogenannten sicheren Herkunftsstaaten Südosteuropas gedacht. Schon im Winter 2014/2015 waren erhöhte Zuwanderungszahlen vor allem aus Serbien, Kosovo, Mazedonien und Albanien zu verzeichnen. Seit Frühjahr 2015 wurden Asylsuchende aus diesen Staaten im politischen Diskurs regelmäßig als unberechtigte „Armutsflüchtlinge“ disqualifiziert, die den „echten“ Flüchtlingen den Platz streitig machten. Im Sommer 2015 diskutierte man zunächst über die von der CSU propagierten grenznahen „Transitzentren“, in denen Flüchtlinge beschleunigten Verfahren unterzogen werden sollten. Schließlich wurden aber im September zwei ehemalige Kasernen in Manching bei Ingolstadt und in Bamberg als Ankunfts- und Rückführungseinrichtungen eröffnet. Hier sollten zentrale Aus­länderbehörden, AnhörerInnen und EntscheiderInnen des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (BAMF) und das Verwaltungsgericht direkt im Lager die Verfahren zügig abwickeln. Im Regelfall sollten nach der Ablehnung als „offensichtlich unbegründet“ mit verkürzter Einspruchsfrist ein schnelles Urteil des Verwaltungsgerichts und die Durchsetzung der Ausreise bzw. Abschiebung stehen. Die Herstellung von Abschiebbarkeit: die bayerischen Ankunfts- und Rückführungszentren weiterlesen

Die Polizei in der Flüchtlingsaufnahme: Verschwimmende Aufgaben

Als im Sommer 2015 die Zahl der ankommenden Geflüchteten stieg, übernahm die Polizei zahlreiche Aufgaben der Asyl- und Sozialbehörden. PolizistIn­nen halfen, Geflüchtete zu registrieren, unterzubringen und zu versorgen – an der Grenze, an Bahnhöfen, in den Ländern und Kommunen. Die Polizei mit ihrer eigenen Logik, Organisationsweise und ihren Arbeitsstrukturen prägt seither auch die Flüchtlingsaufnahme.

In der Sommerausgabe 2016 des Mitarbeitermagazins der Bundespolizei (BPol) konnten sich die BeamtInnen über ihre persönlichen „Beschwerden …, familiären Probleme, Ängste und die Frage nach dem Sinn des einen oder anderen Einsatzes … im Migrationseinsatz“ äußern. Viele klagten über ihre starke Belastung infolge der Fluchtmigration. Die Polizei in der Flüchtlingsaufnahme: Verschwimmende Aufgaben weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2015: Überwiegend psychisch Erkrankte betroffen

von Otto Diederichs

Für 2015 verzeichnet die von der Deutschen Hochschule für Polizei (DHPol) erstellte Schusswaffengebrauchsstatistik insgesamt zehn Fälle mit tödlichem Ausgang, drei mehr als im Vorjahr.[1]

Statt wie üblich im Mai oder Juni ist die von der DHPol im Auftrag der Innenministerkonferenz erstellte Statistik dieses Mal erst Mitte September erschienen. Polizeiliche Todesschüsse 2015: Überwiegend psychisch Erkrankte betroffen weiterlesen

Enzyklopädie des Polizeirechts: Das Urteil des Verfassungsgerichts zum BKA-Gesetz

von Fredrik Roggan

Über sechs Jahre waren seit der Erhebung der ersten Verfassungsbeschwerde vergangen, bis das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) am 20. April 2016 sein Urteil zum BKA-Gesetz verkündete. Die Anti-Terror-Maßnahmen des BKA fanden also während eines langen Zeitraums auf der Basis teilweise verfassungswidriger Regelungen statt. Die Entscheidung versteht sich als Grundsatzentscheidung in Sachen Polizeirecht.

Mit Gesetz vom 25. Dezember 2008 hatte das BKA die Aufgabe der Abwehr von Gefahren des internationalen Terrorismus einschließlich entsprechender Befugnisse erhalten.[1] Das Gesetz war sowohl im Grundsätzlichen wie auch im Detail umstritten und wurde mit mehreren Verfassungsbeschwerden angegriffen.[2] Enzyklopädie des Polizeirechts: Das Urteil des Verfassungsgerichts zum BKA-Gesetz weiterlesen

Das zweite Jahr der Krise: Kein Weg zurück zur Schengener Normalität

Die Geflüchteten sollen vor den Toren Europas oder allenfalls an seinen Rändern bleiben. Auch im zweiten Jahr der „Asylkrise“ setzt die EU alles daran, die Schengener und Dubliner Ordnung wiederherzustellen.

„Die anhaltenden und nicht nachlassenden irregulären Migrationsströme entlang der Westbalkanroute geben nach wie vor Anlass zu ernster Besorgnis und erfordern … ein Ende der ‚Politik des Durchwinkens’ und der unkoordinierten Maßnahmen entlang der Route …“ So heißt es in den Schlussfolgerungen der Staats- und Regierungschefs der EU zum Thema Migration vom 18. Februar 2016.[1] Praktisch war dies die Ansage, dass die Balkanroute nun demnächst geschlossen würde. Erste Schritte in diese Richtung hatte es schon im Herbst 2015 gegeben. Das zweite Jahr der Krise: Kein Weg zurück zur Schengener Normalität weiterlesen

Die Kölner Silvesternacht: Polizeiversagen, ihre Opfer und NutznießerInnen

In einer späteren Bilanzierung wird das Bundeskriminalamt von 900 Sexualdelikten berichten, die zum Jahreswechsel 2015/16 auf öffentlichen Plätzen in deutschen Städten an rund 1.200 Frauen begangen wurden. Mehr als die Hälfte dieser Taten geschah im Umfeld des Kölner Hauptbahnhofs. Die Kölner Silvesterübergriffe sind deshalb zum Synomym geworden: für offenkundiges Versagen der Polizei wie für Projektionen jedweder Couleur.

Betrachtet man die Kölner Ereignisse mit den Begriffen der Strafverfolgung, so zeigte sich Anfang September 2016 folgendes Bild: 1.201 Anzeigen waren insgesamt eingegangen, davon bezogen sich 505 auf sexuelle Übergriffe, zu denen auch 27 Verfahren wegen versuchter oder vollendeter Vergewaltigung zählten. Die Kölner Silvesternacht: Polizeiversagen, ihre Opfer und NutznießerInnen weiterlesen

Vollzugsphantasien:  Rechtslage und Praxis von Abschiebungen in Deutschland

von Maximilian Pichl

Die Forderung nach härteren und schnelleren Abschiebungen ist derzeit wieder besonders laut und schlägt sich in zahlreichen Asylrechtsverschärfungen nieder. Tatsächlich kann von „Vollzugsdefiziten“ keine Rede sein. Denn ausgeblendet werden tatsächliche Gründe, die gegen Abschiebungen sprechen.

 „Es werden immer noch zu viele Atteste von Ärzten ausgestellt, wo es keine echten gesundheitlichen Abschiebehindernisse gibt. Es kann nicht sein, dass 70 Prozent der Männer unter 40 Jahren vor einer Abschiebung für krank und nicht transportfähig erklärt werden.“ Mit diesen Worten im Interview mit der Rheinischen Post provozierte Bundesinnenminister Thomas de Maizière (CDU) eine öffentliche Debatte über ein angebliches „Vollzugsdefizit“ von Abschiebungen in Deutschland.[1] Freilich basierten die vom Minister genannten Zahlen auf keiner validen Basis. Nach kritischen Rückfragen musste sein eigenes Ministerium eingestehen, dass die Zahlen nicht gedeckt waren. Zurückzuführen waren die Zahlen auf einen Bericht der „Arbeitsgruppe Vollzugsdefizite“, einer Unterarbeitsgruppe der „Bund-Länder-Arbeitsgruppe Rückführung“ (AG Rück), die aus leitenden BundespolizistInnen und LandesbeamtInnen besteht und seit einigen Jahren „geheime Berichte“ an Medien lanciert. In den Berichten bemängelt die Arbeitsgruppe lasches Verwaltungshandeln, fehlenden politischen Willen und insbesondere die Interventionen aus der Zivilgesellschaft, die zur Verhinderung von Abschiebungen führen würden. Vollzugsphantasien:  Rechtslage und Praxis von Abschiebungen in Deutschland weiterlesen