Archiv der Kategorie: CILIP 113

Wunderwaffe Deradikalisierung (September 2017)

Schatten der Vergangenheit – Kritischer Blick auf die Aussteigerprogramme für Neonazis

Interview mit Prof. Esther Lehnert

„Im Mittelpunkt der Aussteigerprogramme für Neonazis steht eine männliche Zielgruppe, die vor allem anhand ihrer Defizite gesehen wird: gewalttätig, kriminell, ideologisch radikal“, sagt Prof. Esther Lehnert, die an der Alice-Salomon-Hochschule in Berlin zu sozialpädagogischen Strategien im Umgang mit Rechtsextremismus forscht. Dirk Burczyk befragte sie nach Parallelen zwischen den Programmen für Neonazis und denen für djihadistisch/islamistische AkteurInnen.

In der Debatte um Strategien in der Auseinandersetzung mit islamistischen Strömungen und gewalttätigen „Djihadisten“ wird als ein Element neben polizeilichen und geheimdienstlichen Anti-Terror-Maßnahmen auch immer das Stichwort „Deradikalisierung“ genannt. Darunter werden insbesondere Aussteigerprogramme verstanden, wie es sie für den Rechtsextremismus schon lange gibt. Was waren die Ursprünge in Deutschland, was waren die ersten Ansätze der Aussteigerarbeit mit Neonazis? Schatten der Vergangenheit – Kritischer Blick auf die Aussteigerprogramme für Neonazis weiterlesen

Bekämpfung von Hass im Netz – Wie die Meinungsfreiheit geopfert wird

von Alexander Sander und Kirsten Fiedler

Ein wiederkehrendes Schema: IT-Konzerne sollen gegen alle möglichen illegalen oder unerwünschten Aktivitäten im Netz vorgehen – von Urheberrechtsverletzungen über Kinderpornographie bis hin zu Terrorismus und Hassbotschaften. Die Politik geht davon aus, dass die Reaktion der Unternehmen effektiv, verhältnismäßig und nachhaltig ausfallen wird.

In Deutschland ist das Thema insbesondere durch eine von Bundesjustizminister Heiko Maas lancierte Initiative gegen Hasskriminalität im Netz ins Blickfeld der Öffentlichkeit geraten. Im September 2015 wurde ein Arbeitskreis mit Internetanbietern und zivilgesellschaftlichen Organisationen ins Leben gerufen. Die Task-Force „Umgang mit rechtswidrigen Hassbotschaften im Internet“ wurde vor dem Hintergrund rechtsextremistischer und rechtsradikaler Äußerungen in Zusammenhang mit der Flüchtlingskrise gestartet, richtet sich aber ganz allgemein gegen „Hate Speech“. Bekämpfung von Hass im Netz – Wie die Meinungsfreiheit geopfert wird weiterlesen

Britische „Extremismusbekämpfung“ – Alltägliche Sanktionen und kollektive Selbstkontrolle

von Les Levidow

Das PREVENT-Programm hat mit der Verpflichtung öffentlicher Einrichtungen, mutmaßliche „ExtremistInnen“ zu melden, ein System der kollektiven Schnüffelei und Denunziation geschaffen. Das Ergebnis ist ein Klima der Angst und Stigmatisierung. Trotz erheblichen Protestes plant die Regierung eine weitere Verschärfung.

Bereits unter Premierminister Gordon Brown von der Labour Party hatte sich die britische Regierung von der martialischen Rhetorik des „Krieges gegen den Terror“ verabschiedet. Dennoch verlängerte sie dessen antidemokratische Ziele durch eine neue Agenda der „Extremismusbekämpfung“. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfungsstrategie CONTEST entwickelte die Regierung in den Jahren 2006/07 das Programm „Preventing Violent Extremism“ (PREVENT).[1] Britische „Extremismusbekämpfung“ – Alltägliche Sanktionen und kollektive Selbstkontrolle weiterlesen

In der „Terroristenabteilung“ Deradikalisierung in Haft – niederländische Versuche

von Willem de Haan

Damit sie andere Gefangene nicht beeinflussen, werden in den Niederlanden Terror­verdächtige oder wegen „terroristischer Straf­ta­ten“ Verurteilte seit 2006 in Sonderabteilungen der Haftanstal­ten „de Schie“ (Rotterdam) und Vught untergebracht. Rund 30 Men­schen sitzen derzeit dort ein. Deradikalisierung ist nicht das offi­zi­el­le Ziel der Haft; die Gefängnis-MitarbeiterInnen haben auch kaum Erfahrung damit. Der Autor war 2016 als erster Pres­se­ver­tre­ter einige Tage in der „Terroristenabteilung“ in Vught unterwegs.[1]

Im „Wohnzimmer“ der Unterabteilung „9F“ der „Terroristenabteilung“ der Haftanstalt Vught, sagt einer der einsitzenden „Terroristen“: „Wir haben radikale Gedanken und das ist nicht in Ordnung. Aber wir müssen als ungefährliche Menschen wieder nach draußen kommen können; das ist aber nicht vorgesehen.” In der „Terroristenabteilung“ Deradikalisierung in Haft – niederländische Versuche weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2016: Berliner Lücken – „statistisch als offen bewertet“

von Otto Diederichs

Wie bereits im Vorjahr ist auch 2016 die Zahl der Schusswaffeneinsätze gegen Personen und Sachen gestiegen. Davon endeten 13 Fälle tödlich.

Laut der offiziellen Schusswaffengebrauchsstatistik, die die Deutsche Hochschule für Polizei (DHPol) alljährlich im Auftrag der Innenministerkonferenz (IMK) auf der Basis der von den Ländern gemeldeten Zahlen zusammenstellt, kam es 2016 in insgesamt 52 Fällen zum Schusswaffengebrauch gegen Personen (2015: 41). Hinzu kamen 28 Fälle des Schusswaffeneinsatzes gegen Sachen (2015: 17), wobei es sich hier nicht selten um Schüsse auf Fahrzeuge – und somit indirekt auch auf Personen – handelt. Schüsse zur „Fluchtvereitelung bei Verdacht eines Verbrechens oder eines ‚gleichgestellten Vergehens‘“ bildeten mit 16 Fällen den Großteil des Schusswaffengebrauchs gegen Sachen.[1] Polizeiliche Todesschüsse 2016: Berliner Lücken – „statistisch als offen bewertet“ weiterlesen

Kriminalitätsbelastete Orte in Berlin: kein Auskunftsrecht

Louisa Zech

Umstrittene polizeiliche Maßnahmen rund um die Rigaer Straße beschäftigen weiter die Berliner Justiz. Ende Juni wies das Verwaltungsgericht Berlin eine Klage ab, mit der die Auskunft über die Grenzen eines Be­reichs begehrt wurde, den die Polizei als „kriminalitätsbelasteten Ort“ ausweist. Zwar sah diese sich Anfang Juni auf massiven Druck auch aus den Reihen der neuen Regierungskoalition gezwungen, eine Liste mit diesen bis dato geheim gehaltenen Zonen zu veröffentlichen, an denen die Polizei gemäß Berliner Sicherheits- und Ordnungsgesetz verdachtsunabhängige Identitätsfeststellungen sowie Durchsuchungen von Personen und Sachen durchführen darf. Kriminalitätsbelastete Orte in Berlin: kein Auskunftsrecht weiterlesen

Präventivhaft in Bayern

Louisa Zech

Für weitreichende Grundrechtseinschränkungen sorgt der Beschluss des Bayerischen Landtags vom 19. Juli 2017, der eine Verschärfung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) zur „effektiveren Überwachung“ nicht verurteilter „gefährlicher Personen“ durch präventivpolizeiliche Maßnahmen vorsieht.[1] Neben der Einführung der elektronischen Fußfessel, der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und weiterer eingriffsintensiver Maßnahmen, besteht die zentrale Änderung des Gesetzes in der Aufhebung der bisherigen absoluten Höchstdauer des Präventivgewahrsams von 14 Tagen. Aufgrund sehr weit gefasster Voraussetzungen können Personen künftig unbegrenzt im polizeilichen Präventivgewahrsam inhaftiert werden – ohne Verurteilung oder Anordnung einer Untersuchungshaft. Lediglich alle drei Monate muss der Fortbestand des Präventivgewahrsams richterlich überprüft, um um weitere drei Monate verlängert zu werden. Präventivhaft in Bayern weiterlesen

Unklare Daten im AZR zu Ausreisepflichtigen

Thomas Hohlfeld

Bundeskanzlerin Merkel rief Anfang 2017 öffentlich zu einer „nationalen Kraftanstrengung“ zur Abschiebung abgelehnter Asylsuchender auf. Im Mai 2017 beschloss der Bundesrat das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Dem lag die Annahme zugrunde, die Zahl der Ausreisepflichtigen in Deutschland würde infolge vieler Asylablehnungen drastisch ansteigen. In einer 1,8 Mio. Euro teuren Studie hatte die Beratungsfirma McKinsey Ende 2016 prognostiziert, bis Ende 2017 müsse mit „mindestens 485.000“ ausreisepflichtigen Personen gerechnet werden. Auch die Bundesregierung erwartete eine „erhebliche Steigerung der Zahl der Ausreisepflichtigen“. Unklare Daten im AZR zu Ausreisepflichtigen weiterlesen