Archiv der Kategorie: CILIP 113

Wunderwaffe Deradikalisierung (September 2017)

Britische „Extremismusbekämpfung“ – Alltägliche Sanktionen und kollektive Selbstkontrolle

von Les Levidow

Das PREVENT-Programm hat mit der Verpflichtung öffentlicher Einrichtungen, mutmaßliche „ExtremistInnen“ zu melden, ein System der kollektiven Schnüffelei und Denunziation geschaffen. Das Ergebnis ist ein Klima der Angst und Stigmatisierung. Trotz erheblichen Protestes plant die Regierung eine weitere Verschärfung.

Bereits unter Premierminister Gordon Brown von der Labour Party hatte sich die britische Regierung von der martialischen Rhetorik des „Krieges gegen den Terror“ verabschiedet. Dennoch verlängerte sie dessen antidemokratische Ziele durch eine neue Agenda der „Extremismusbekämpfung“. Im Rahmen der Terrorismusbekämpfungsstrategie CONTEST entwickelte die Regierung in den Jahren 2006/07 das Programm „Preventing Violent Extremism“ (PREVENT).[1] Britische „Extremismusbekämpfung“ – Alltägliche Sanktionen und kollektive Selbstkontrolle weiterlesen

In der „Terroristenabteilung“ Deradikalisierung in Haft – niederländische Versuche

von Willem de Haan

Damit sie andere Gefangene nicht beeinflussen, werden in den Niederlanden Terror­verdächtige oder wegen „terroristischer Straf­ta­ten“ Verurteilte seit 2006 in Sonderabteilungen der Haftanstal­ten „de Schie“ (Rotterdam) und Vught untergebracht. Rund 30 Men­schen sitzen derzeit dort ein. Deradikalisierung ist nicht das offi­zi­el­le Ziel der Haft; die Gefängnis-MitarbeiterInnen haben auch kaum Erfahrung damit. Der Autor war 2016 als erster Pres­se­ver­tre­ter einige Tage in der „Terroristenabteilung“ in Vught unterwegs.[1]

Im „Wohnzimmer“ der Unterabteilung „9F“ der „Terroristenabteilung“ der Haftanstalt Vught, sagt einer der einsitzenden „Terroristen“: „Wir haben radikale Gedanken und das ist nicht in Ordnung. Aber wir müssen als ungefährliche Menschen wieder nach draußen kommen können; das ist aber nicht vorgesehen.” In der „Terroristenabteilung“ Deradikalisierung in Haft – niederländische Versuche weiterlesen

Polizeiliche Todesschüsse 2016: Berliner Lücken – „statistisch als offen bewertet“

von Otto Diederichs

Wie bereits im Vorjahr ist auch 2016 die Zahl der Schusswaffeneinsätze gegen Personen und Sachen gestiegen. Davon endeten 13 Fälle tödlich.

Laut der offiziellen Schusswaffengebrauchsstatistik, die die Deutsche Hochschule für Polizei (DHPol) alljährlich im Auftrag der Innenministerkonferenz (IMK) auf der Basis der von den Ländern gemeldeten Zahlen zusammenstellt, kam es 2016 in insgesamt 52 Fällen zum Schusswaffengebrauch gegen Personen (2015: 41). Hinzu kamen 28 Fälle des Schusswaffeneinsatzes gegen Sachen (2015: 17), wobei es sich hier nicht selten um Schüsse auf Fahrzeuge – und somit indirekt auch auf Personen – handelt. Schüsse zur „Fluchtvereitelung bei Verdacht eines Verbrechens oder eines ‚gleichgestellten Vergehens‘“ bildeten mit 16 Fällen den Großteil des Schusswaffengebrauchs gegen Sachen.[1] Polizeiliche Todesschüsse 2016: Berliner Lücken – „statistisch als offen bewertet“ weiterlesen

Kriminalitätsbelastete Orte in Berlin: kein Auskunftsrecht

Louisa Zech

Umstrittene polizeiliche Maßnahmen rund um die Rigaer Straße beschäftigen weiter die Berliner Justiz. Ende Juni wies das Verwaltungsgericht Berlin eine Klage ab, mit der die Auskunft über die Grenzen eines Be­reichs begehrt wurde, den die Polizei als „kriminalitätsbelasteten Ort“ ausweist. Zwar sah diese sich Anfang Juni auf massiven Druck auch aus den Reihen der neuen Regierungskoalition gezwungen, eine Liste mit diesen bis dato geheim gehaltenen Zonen zu veröffentlichen, an denen die Polizei gemäß Berliner Sicherheits- und Ordnungsgesetz verdachtsunabhängige Identitätsfeststellungen sowie Durchsuchungen von Personen und Sachen durchführen darf. Kriminalitätsbelastete Orte in Berlin: kein Auskunftsrecht weiterlesen

Präventivhaft in Bayern

Louisa Zech

Für weitreichende Grundrechtseinschränkungen sorgt der Beschluss des Bayerischen Landtags vom 19. Juli 2017, der eine Verschärfung des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) zur „effektiveren Überwachung“ nicht verurteilter „gefährlicher Personen“ durch präventivpolizeiliche Maßnahmen vorsieht.[1] Neben der Einführung der elektronischen Fußfessel, der Quellen-Telekommunikationsüberwachung und weiterer eingriffsintensiver Maßnahmen, besteht die zentrale Änderung des Gesetzes in der Aufhebung der bisherigen absoluten Höchstdauer des Präventivgewahrsams von 14 Tagen. Aufgrund sehr weit gefasster Voraussetzungen können Personen künftig unbegrenzt im polizeilichen Präventivgewahrsam inhaftiert werden – ohne Verurteilung oder Anordnung einer Untersuchungshaft. Lediglich alle drei Monate muss der Fortbestand des Präventivgewahrsams richterlich überprüft, um um weitere drei Monate verlängert zu werden. Präventivhaft in Bayern weiterlesen

Unklare Daten im AZR zu Ausreisepflichtigen

Thomas Hohlfeld

Bundeskanzlerin Merkel rief Anfang 2017 öffentlich zu einer „nationalen Kraftanstrengung“ zur Abschiebung abgelehnter Asylsuchender auf. Im Mai 2017 beschloss der Bundesrat das Gesetz zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht. Dem lag die Annahme zugrunde, die Zahl der Ausreisepflichtigen in Deutschland würde infolge vieler Asylablehnungen drastisch ansteigen. In einer 1,8 Mio. Euro teuren Studie hatte die Beratungsfirma McKinsey Ende 2016 prognostiziert, bis Ende 2017 müsse mit „mindestens 485.000“ ausreisepflichtigen Personen gerechnet werden. Auch die Bundesregierung erwartete eine „erhebliche Steigerung der Zahl der Ausreisepflichtigen“. Unklare Daten im AZR zu Ausreisepflichtigen weiterlesen

„Interoperabilität“ – Bericht der Expertengruppe

Im April vergangenen Jahres präsentierte die EU-Kommission eine Mitteilung über „über solidere und intelligentere Informationssysteme für das Grenzmanagement und mehr Sicherheit“, in der sie eine umfassende Neuordnung des Dateienwesens der EU in diesem Bereich propagierte. Die bereits bestehenden von der Agentur für IT-Großsysteme (eu-LISA) geführten Datenbanken (Eurodac, Visa-Infomationssystem – VIS, Schengener Informationssystem – SIS) sollten ausgebaut werden. Neue sollten entstehen (Ein- und Ausreisekontrollsystem EES, Reiseinformations- und Genehmigungssystem ETIAS, Strafregister für Drittstaatsangehörige ECRIS-TCN). DrittausländerInnen sollten nicht mehr unerfasst in die EU einreisen können, Lücken seien zu schließen, lautete die Parole.[1] Zwei Monate später berief die Kommission eine „Hochrangige Expertengruppe Interoperabilität und Informationssysteme“ (HLEG), an der u.a. VertreterInnen der Mitgliedstaaten sowie der EU-Anti-Terror-Koordinator und der EU-Datenschutzbeauftragte beteiligt waren.[2] „Interoperabilität“ – Bericht der Expertengruppe weiterlesen

Mit Geheimhaltung gegen Geheimdienstkontrolle

Seit einem Jahr arbeitet das Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) mit europäischen Inlandsgeheimdiensten in Den Haag in einer „operativen Plattform“ zusammen. Die Anlage ist beim niederländischen Geheimdienst AIVD angesiedelt. Sie gehört jedoch zur „Counter Terrorism Group“ (CTG), die wiederum ein Ableger des „Berner Clubs“ ist, einem Zusammenschluss von Inlandsgeheimdiensten der EU-Staaten, Norwegens und der Schweiz. Die nunmehr operative Zusammenarbeit der CTG wurde im Sommer 2016 in einer eilig gezimmerten Vorschrift des Bundesverfassungsschutzgesetzes geregelt. Das Bundesinnenministerium (BMI) hält alle Details zu der „operativen Plattform“ weiter geheim. Diese Heimlichtuerei ist jedoch laut einem Gutachten des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags rechtlich bedenklich und erschwert die parlamentarische Kontrolle.[1] Mit Geheimhaltung gegen Geheimdienstkontrolle weiterlesen

(Keine) Parlamentarische Kontrolle von Europol

Mit der geänderten Europol-Verordnung (EU 2016/794) wurde im Mai 2016 ein neuer gemeinsamer parlamentarischer Kontrollausschuss für Europol geschaffen (Joint Parliamentary Scrutiny Committee, JPSC). Zur Zusammensetzung und Arbeitsweise des JPSC sagt die Verordnung jedoch nichts, sie musste zwischen den nationalen und dem Europäischen Parlament(EP) festgelegt werden. Das JPSC soll nun bis zu vier VertreterInnen je nationalem Parlament und bis zu 16 Mitglieder des EP umfassen. Zur Arbeitsweise des JPSC hatte der Bundestag eine Reihe von Vorschlägen wie die Einrichtung ständiger Ausschüsse u.a. zur Haushaltskontrolle und zur Aufsicht über die operative Tätigkeit von Europol gemacht. Da jedoch schon die Aushandlung der Zusammensetzung viel diplomatisches Hin und Her ausgelöst hatte, wurde auf solche Festlegungen zunächst verzichtet. Klar ist somit nur, dass der Ausschuss sich zweimal im Jahr – in Brüssel und im Land der Ratspräsidentschaft – treffen wird. (Keine) Parlamentarische Kontrolle von Europol weiterlesen

Summaries

Thematic focus: Silver bullet “de-radicalisation“

“De-radicalisation” as embedded prevention
by Dirk Burczyk

For the purpose of combating terrorism states do not only criminalise activities well in advance of a terrorist act. They also rely increasingly on interventions aiming to prevent or reverse “radicalisation”. Though the concept is contested, the prevention of “radicalisation” has become a testbed for censorship, propaganda and the co-optation of civil society engagement for a governmental rationale. Summaries weiterlesen