Archiv der Kategorie: CILIP 127

Polizeirecht – Entgrenzung und Protest (Dezember 2021)

Am Ende der „neuen deutschen Welle“? Ein Rückblick auf fünf Jahre Verschärfungen im Polizeirecht

von Eric Töpfer und Marius Kühne

Deutschland hat aufgerüstet. Am 20. Juli 2021 hat der bayerische Landtag die vorerst letzte Novelle des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) beschlossen und damit den vorläufigen Schlusspunkt in einer Reihe von Polizeirechtsverschärfungen gesetzt, die 2017 ihren Anfang nahm. Zeit für einen Rückblick.

Am Anfang der „neuen deutschen Welle“ von Polizeirechtsänderungen steht das Gesetz zur Neustrukturierung des Bundeskriminalamtgesetzes.[1] Es sollte nicht nur das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum alten BKA-Gesetz (BKAG) und die Richtlinie (EU) 2016/680 umsetzen,sondern war auch Startschuss für das Projekt „Polizei 2020“, mit dem die IT-Architektur des BKA massiv umgebaut werden soll. Weiteres Novum: die Einführung von Aufenthaltsvorgaben, Kontaktverboten und elektronischer Aufenthaltsüberwachung durch §§ 55 und 56 des neuen BKAG.„Im Eiltempo“, so der damalige Bundesinnenminister Thomas de Maizière, habe man damit in den zwei Monaten nach dem Terroranschlag vom Berliner Breitscheidplatz Befugnisnormen zum Umgang mit „Gefährdern“ geschaffen, an denen sich auch die Länder orientieren sollten.[2] Am Ende der „neuen deutschen Welle“? Ein Rückblick auf fünf Jahre Verschärfungen im Polizeirecht weiterlesen

Literatur

Zum Schwerpunkt

Gesetze werden nicht für die Ewigkeit geschaffen. Dass sie geändert werden, wenn die Dinge, die sie regeln sollen, sich ändern, das ist trivial und gilt selbstverständlich auch für die Polizeigesetze in Deutschland. Was hingegen bemerkenswert ist, sind zwei Umstände: Erstens wird das Polizeirecht seit fünf Jahrzehnten einer unendlich scheinenden Zahl von Novellierungen unterworfen; kaum ist eine Neuerung etabliert, wird die nächste bereits vorbereitet. Zweitens kennt das Polizeirecht nur eine Entwicklung: Immer geht es um die Erweiterung von Befugnissen, um die Legalisierung neuer Polizeimethoden, um die Einschränkung von Grund- oder den Abbau von Schutzrechten (nur sehr vereinzelt gab/gibt es temporäre Abweichungen von diesem Trend). Hinzu kommt der Umstand, dass die deutsche „Polizeiverfassung“ neben den beiden Bundesgesetzen zum Bundeskriminalamt (BKA) und zur Bundespolizei (und zum Zoll als aufstrebender Quasi-Polizei) sechzehn Landespolizeigesetze kennt, über die die Novellierungswellen in unterschiedlicher Geschwindigkeit und Intensität hinwegrollen. Ein im Detail unübersichtliches Feld, in ständiger Bewegung. Literatur weiterlesen

Summaries

Thematic Focus: Police Laws – Eroding Boundaries and Protest

Five Years of Toughening Up Police Laws in Review
by Eric Töpfer and Marius Kühne

Germany has upgraded. On July 20, 2021, the Bavarian state parliament passed the last amendment to the Bavarian Police Tasks Law (for the time being), marking the provisional end to a series of measures toughening up police law that began in 2017 with the amendment to the Federal Criminal Police Law. This not only involved new powers to combat “dangerous persons”, but also the expansion of surveillance and dragnet searches, as well as an expansion of the arsenal of weapons. The updates to subjects’ rights and data protection that were implemented simultaneously did not compensate for this increase in power. Summaries weiterlesen

Eurodac für die Balkanregion? Ausgelagerte Datenbanken im Dienst der Migrationswehr

von Sophie-Anne Bisiaux und Lorenz Naegeli

Die Europäische Kommission finanziert unterschiedliche Datenerfassungssysteme für Migrant*innen auf dem Balkan. Recherchen zur biometrischen Datenerfassung in den Nicht-EU-Staaten werfen die Frage auf, ob der Dublin-Mechanismus über die EU-Grenzen hinaus ausgeweitet werden soll. Das wäre ein weiterer Schritt zur Externalisierung der Migrationskontrolle.

„Wir werden die Dublin-Verordnung abschaffen und sie durch ein neues europäisches System zur Steuerung der Migration ersetzen … Es wird einen neuen starken Solidaritätsmechanismus geben“.[1] Das sagte Ursula von der Leyen im September 2020, eine Woche vor der Vorstellung des neuen Europäischen Pakts zu Migration und Asyl. Die Abschaffung von „Dublin“ und mehr Solidarität: zwei verlockende Versprechen in einem Europa, das sich in einer Aufnahmekrise befindet. Doch bei der Lektüre der vorgeschlagenen Verordnungen des „Pakts“ klingt die von der Chefin der europäischen Exekutive versprochene Solidarität seltsam. Ein Eckpfeiler des neuen Vorhabens ist der „verpflichtende Solidaritätsmechanismus“. Er eröffnet den Mitgliedstaaten, die sich gegen jede Form der Aufnahme wehren, die Möglichkeit, die Ausweisung von „irregulären“ Personen in deren Herkunftsländer zu „unterstützen“.[2] Die Regierungen sollen sich ihrer Aufnahme­verantwortung zusätzlich entziehen können, indem sie einem anderen Mitgliedstaat beim Ausbau seiner Grenzkontrollkapazitäten und seiner Zusammenarbeit mit Drittländern in diesem Bereich helfen. Es ist damit gleichsam die Zusammenfassung der EU-Migrationspolitik: Solidarität gibt es nur zwischen europäischen Ländern. Ziel ist es nicht, Migrant*innen in würdiger oder gar fairer Weise aufzunehmen, sondern primär, sie von den europäischen Grenzen fernzuhalten. Eurodac für die Balkanregion? Ausgelagerte Datenbanken im Dienst der Migrationswehr weiterlesen

#BlackLivesMatter in den USA: Von rassistischer Unterdrückung zum Black Capitalism?

Interview mit Margit Mayer

Hierzulande gaben #blm und #DefundThePolice zumindest Impulse, Abolitionismus konsequent antirassistisch zu denken und liberale Racial-Profiling-Kritik antikapitalistisch zu reformulieren. In den USA erscheinen große Teile der Bewegung zunehmend parteinah und zielen auf Schwarzes Unternehmertum statt auf gesellschaftliche Transformation. Wir sprachen mit der Bewegungsforscherin Prof. Margit Mayer über Hintergründe und Alternativen. Sie beobachtete das massive Anwachsen von Fördergeldern von Großkonzernen und liberalen Stiftungen, die in den USA eine ethnienübergreifende Klassenpolitik durch Black-Unity-Ansätze verhindern. Statt der Anrufung singulärer Identitäten plädiert sie für intersektionale Herrschaftskritik.

#blm wird von hiesigen Linken sehr gefeiert. Deine Analyse der Situation in den USA fällt nüchterner aus.[1] Du sagst, ähnlich wie frühere Black-Power-Bewegungen droht #blm, letztlich v. a. (der Förderung von) Schwarzen Eliten zu dienen. Dabei entzündete sich die Bewegung doch grade an der Polizeigewalt gegen Schwarze, die über wenig ökonomische Mittel verfügen …

Margit: Mehr noch, #blm entstand vor dem Hintergrund der verstärkten Prekarisierung gerade von People of Color (POC) und Migrant*innen in den USA. Diese wurde durch das Zusammenfallen von Pandemie und Wahlkampf 2020 deutlich sichtbar und auch skandalisierbar. Im Gefolge der 2008er Hypothekenkrise und Rezession bedeutete die Pandemie für Massen von Geringverdiener*innen, und insbesondere für rassifizierte Gruppen, Job- und damit oft Krankenversicherungs- oder gar Wohnungsverlust. Für die meisten im Niedriglohnbereich oder in der Gig-Economy Arbeitenden war eine COVID-Prävention durch „Home Office“ ebenso wenig möglich wie für Obdachlose, die trotz Gesundheitsrisiken an ihren Arbeitsplätzen erscheinen und in überfüllten Bussen und U-Bahnen pendeln mussten – falls sie das „Glück“ hatten, dass ihre Arbeitsplätze nicht der Coronakrise zum Opfer fielen. #BlackLivesMatter in den USA: Von rassistischer Unterdrückung zum Black Capitalism? weiterlesen

Erfolgreiche Mobilisierung – wenig erreicht? Das Bayrische Polizeiaufgabengesetz und Gegenprotest

von Frederick Heussner

Drohende Gefahr, Unendlichkeitshaft und Staatstrojaner: Im Jahr 2018 brachte die bayerische Staatsregierung eine drastische Verschärfung des Polizeiaufgabengesetzes (PAG) auf den Weg. Die Zivilgesellschaft hielt mit Protest dagegen – auch weil die Verschärfung Ausdruck des allgemeinen Rechtsrucks war und ist.

Am 10. Mai 2018 fand eine aufsehenerregende Großdemonstration in München statt, für die das Bündnis gegen das bayrische Polizeiaufgabengesetz – besser bekannt unter #noPAG – mehrere zehntausend Menschen mobilisiert hatte. Sie blieb kein isoliertes Ereignis sondern wurde zum Ausgangspunkt einer Dynamik, in deren Rahmen von Frühjahr bis Herbst 2018 in München und bundesweit Hunderttausende mobilisiert wurden. Im Fokus standen dabei nicht nur die Initiativen verschiedener Bundesländer zur Verschärfung der jeweiligen Polizeigesetze, sondern auch der Widerstand gegen einen allgemeinen gesellschaftlichen Rechtsruck. Dieser kam außer in den Verschärfungen der Polizeigesetze in geflüchtetenfeindlichen Parolen und Gesetzesänderungen und dem wachsenden Einfluss extrem rechter Akteur*innen auf den politischen Diskurs zum Ausdruck. Erfolgreiche Mobilisierung – wenig erreicht? Das Bayrische Polizeiaufgabengesetz und Gegenprotest weiterlesen

EU-Datenschutz und Polizei: Die JI-Richtlinie im deutschen Polizeirecht

von Clemens Arzt[1]

Weitgehend unbeachtet neben der EU-Datenschutz-Grundverordnung landete die sogenannte JI-Richtlinie[2] auf den Tischen der Legislative und bedurfte der Umsetzung in nationales Recht. Die Bundesländer sind dabei sehr unterschiedliche Wege gegangen. Eine ambitionierte Neuausrichtung des in die Jahre gekommen Rechts der polizeilichen Datenverarbeitung ist dabei ausgeblieben.

Mit der JI-Richtlinie (JI-RL) wird erstmals die rein innerstaatliche Datenverarbeitung durch Polizei und Strafjustiz direkt von europarechtlichen Vorgaben berührt. Frühere Regelungen betrafen allein den Datenaustausch zwischen den Mitgliedstaaten. Die JI-Richtlinie ist Teil der Novelle des EU-Datenschutzrechtes und steht gleichsam als „kleine Schwester“[3] neben der allseits bekannten Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO). Bis zum 6. Mai 2018 sollte die Richtlinie in nationales Recht umgesetzt werden. In Deutschland haben sowohl Bund als auch Länder diese Frist überschritten, obgleich die Notwendigkeit seit April 2016 bekannt war. EU-Datenschutz und Polizei: Die JI-Richtlinie im deutschen Polizeirecht weiterlesen

Hamburger Polizei scannt Fingerabdrücke per Handy

Franziska Rau

Die Hamburger Polizei setzt mit der App „mDakty“ eine Software ein, die Fingerabdrücke per Handykamera einscannt. Sie ist Teil des Projektes „MobiPol“, das Diensthandys mit umfangreichen Funktionen ausstattet.[1] Aktuell werden Personen, deren Fingerabdrücke aufgenommen werden sollen, zu einer Polizeiwache gebracht, etwa um Beweise zu sichern oder die Identität von unbekannten Personen festzustellen. Mit der App entfällt die Prozedur.

Die Diensthandys gibt es bereits seit April 2020, derzeit sind 3.400 iPhones in Hamburg im polizeilichen Einsatz. Weitere Funktionen sind das Anlegen von Vorgängen und Aktenzeichen, das Abrufen von Informationen aus Polizeidatenbanken und ein sicherer Messenger. Hamburger Polizei scannt Fingerabdrücke per Handy weiterlesen