Archiv der Kategorie: CILIP 063

(2/1999) Jugend – Kriminalität – Polizei

Risiko Prävention – Zur polizeilichen Vorbeugung von Jugendkriminalität

von Christine Hohmeyer

„Wer Musikschulen schließt, gefährdet die innere Sicherheit“ – für diesen Satz seiner Amtseinführungsrede bekam Innenminister Otto Schily Beifall aus allen Bundestagsfraktionen.[1] Die breite Zustimmung zu der pointierten These zeigt eine Tendenz, die derzeit die politischen Diskurse überzieht: Angesichts leerer Kassen werden Bildungs- und Sozialpolitik, die für eine ökonomische Verwertung nicht taugen, auf ihren Nutzen für Sicherheit und Ordnung abgeklopft. Kriminalitätsbekämpfung wird zum dominierenden Zweck, Prävention zum Schlagwort. Die neue Legitimationsformel verändert nicht nur das Selbstverständnis kultureller und sozialpädagogischer Arbeit, sie stärkt auch den Einfluß der Polizei auf ehemals polizeiferne Bereiche.

Die „Prävention zur Verhinderung von Fehlentwicklungen Jugendlicher“[2] steht offensichtlich im Mittelpunkt der einschlägigen Debatte. „Jugendkriminalität muß ursachenorientiert bekämpft werden: das ist das A und O …“, lautet mittlerweile auch der Anspruch der Polizei.[3] Bei solcher Rede gerät leicht aus dem Blick, daß eine ursachenorientierte Prävention dem Einflußbereich der Polizei entzogen bleibt – nicht allein, weil diese die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen nicht verändern kann, sondern auch, weil die Fülle von Phänomenen, die der Begriff „Jugendkriminalität“ faßt, schlichtweg nicht auf generelle Ursachen zurückzuführen ist. Was bleibt, sind isolierte Maßnahmen zur Tatverhinderung, Resozialisierung und Beeinflussung von Einzelnen oder Gruppen sowie eine Rhetorik, die den Nutzen von Prävention voraussetzt, Risiken und Nebenwirkungen aber nahezu unerwähnt läßt. Risiko Prävention – Zur polizeilichen Vorbeugung von Jugendkriminalität weiterlesen

Polizeiliche Bekämpfung von Jugendkriminalität – Ambivalente Strategien zwischen Prävention und Repression

von Martina Kant und Christine Hohmeyer

Bereits Ende der 70er Jahre wurden in zahlreichen Städten sogenannte Jugendpolizeien ins Leben gerufen.[1] Nach massiver Kritik an der Vermischung von sozialpädagogischer und polizeilicher Arbeit gaben die meisten Bundesländer ihre Jugendpolizeien wieder auf. Seit Anfang der 90er Jahre ist jedoch eine Renaissance zu beobachten. Jugendkommissariate, Jugendbeauftragte und spezielle Ermittlungsgruppen wurden in nahezu allen größeren Kriminalpolizeidienststellen eingerichtet. Zwar betont die Polizei ihren präventiven Ansatz, jedoch verbirgt sich hinter der zuweilen fortschrittlichen Rhetorik oftmals knallharte Repression.

Die Bearbeitung von „Jugendsachen“ wurde in den 70er Jahren bundesweit durch die Polizeidienstvorschrift (PDV) 382 geregelt. Sie ist Richtlinie für alle polizeilichen Maßnahmen in Jugendsachen, d.h. bei (Ermittlungs-)Fällen, an denen Minderjährige oder Heranwachsende beteiligt sind. „Prävention geht vor Repression“, lautet der Grundsatz polizeilicher Jugendarbeit, „schädliche Eingriffe strafrechtlicher Sozialkontrolle in den Prozeß des Erwachsenwerdens“ sollen vermieden werden.[2] Nach der PDV 382 müssen daher in Jugendsachen besonders geschulte Polizeibeamte, sogenannte Jugendsachbearbeiter, eingesetzt werden. Außerdem gefordert wird im präventiven und repressiven Bereich eine ständige Kooperation der Jugendsachbearbeiter mit anderen Institutionen, die sich mit Jugendfragen befassen. Doch die Organisation der Polizeien in den Bundesländern zur Bekämpfung der „Jugendkriminalität“ ist insgesamt recht unterschiedlich. Sie reicht von den Jugendbeauftragten über eine spezialisierte Sachbearbeitung in zentralen Jugendkommissariaten bis hin zu operativen Einsatzgruppen, die gezielt bestimmte Jugendgruppen wie etwa Sprayer oder Hooligans überwachen. Polizeiliche Bekämpfung von Jugendkriminalität – Ambivalente Strategien zwischen Prävention und Repression weiterlesen

Die Drohung mit der Jugend – Mystifizierende Statistik und öffentliche Moralisierung

von Oliver Brüchert

Wenn von Kriminalität die Rede ist, geht es um Täter oder um Statistiken. Die wissenschaftliche Begleitmusik bildet die Frage, was die Täter zu ihren Straftaten antreibt. Insbesondere die angeblich ständig steigende Jugendkriminalität läßt Raum für Spekulationen über falsche Erziehung, mangelnde Werteorientierung und soziale Zerrüttung. Diese Perspektive soll hier umgedreht werden: Mit ihrer zur Schau gestellten Sorge um die Jugend (und den Schaden, den sie anrichtet) verbreiten die öffentlichen Moralunternehmer ihre eigene Vorstellung, wie die Gesellschaft einzurichten sei und wer welche Ansprüche anzumelden habe. Der Mythos Jugendkriminalität und die eigenwillige Interpretation der Statistiken sind geeignet, junge Menschen aus der Konkurrenz um politische und ökonomische Teilhabe auszuschließen.

Einmal im Jahr veröffentlicht das Bundeskriminalamt (BKA) die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS). In den folgenden Tagen kann man in allen Zeitungen lesen, wie es mit der Kriminalität im Lande steht, welche Delikte häufiger begangen wurden und welche Gruppen von DelinquentInnen sich im vergangenen Jahr besonders hervorgetan haben. Trotz ihres mißverständlichen Untertitels – „Die Kriminalität in der Bundesrepublik Deutschland“ – würde bereits ein kurzer Blick in die ersten Kapitel der PKS genügen, um festzustellen, daß sie nur wenig über Kriminalität aussagt. Gleich zu Beginn wird erklärt, daß die PKS ausschließlich die der Polizei bekanntgewordenen Straftaten enthält. Bekannt werden Straftaten der Polizei vor allem durch Anzeigen aus der Bevölkerung. Nur bei wenigen Deliktgruppen, vor allem bei „Delikten ohne Opfer“ (Drogen, Asyl- und Ausländerrecht), hängt das Bekanntwerden nicht von Anzeigen, sondern von der eigenen Kontroll- und Überwachungstätigkeit der Polizei ab. Ansonsten ist die PKS also als Statistik des Anzeigeverhaltens der Bevölkerung bei der Polizei zu verstehen. Sie sagt nichts darüber aus, ob die angezeigten Vorfälle tatsächlich stattgefunden haben, ob sie nach geltendem Recht eine Straftat darstellen und vor allem nichts über Fälle, in denen keine Anzeige erstattet wurde, die sogenannte Dunkelziffer. Der Begriff „Dunkelziffer“ weckt Assoziationen an heimliche, verborgene Winkel, die der Aufhellung bedürften. Wenn man davon ausgeht, daß die Menschen in vielen Fällen Probleme anders lösen als mit Hilfe von Polizei und Strafanzeige, ist das ebenfalls eine irreführende Bezeichnung. Man könnte sie dann treffender die „zivile Beilegungsziffer“ nennen. Die Drohung mit der Jugend – Mystifizierende Statistik und öffentliche Moralisierung weiterlesen

Zunehmende Lust auf Jugend, Gewalt und Kriminalität – Die aktuelle kriminalpolitische Jugenddebatte

von Helga Cremer-Schäfer

Die Täter würden „immer mehr, immer jünger, immer brutaler“, verkünden die Zeitungen. Die Formulierung ist nicht mehr frisch. Sie wurde schon in den 70er Jahren der Elterngeneration der heutigen Jugend entgegengehalten und löste schon damals Beunruhigung aus. Die Reaktionen auf den Befund der „steigenden Kinder- und Jugendkriminalität“ und „zunehmenden Gewaltbereitschaft“ bilden eine „Mischung aus Strenge und ausgestreckter Hand“.[1]

Das heutige öffentliche Reden über die „steigende Kinder- und Jugendkriminalität“ ist wie kein anderes über Massenmedien vermittelt.[2] Einfache „law-and-order-Kampagnen“ expandierten zu einem „Dramatisierungsverbund“. An diesem Spiel beteiligen sich in unterschiedlichen Rollen Polizei, Politik, Soziale-Probleme-Professionen, konservative, sozialdemokratische und liberale Fraktionen der Kulturkritik, Medien und Wissenschaft. Sie spielen gegeneinander und konstituieren so das gemeinsame Spiel der „steigenden Kinder- und Jugendkriminalität“.

Das Reden und Schreiben über „Kriminalität“ und „Gefahren“ erfüllt zwar viele Unterhaltungsaufgaben. Kriminalitätsdiskurse und vor allem solche über „die Gewalt“ definieren aber stets bestimmte Gruppen als ein „Problem“, als „Risiko“ und „Gefahr“. Im Extremfall werden „Feindbilder“ erzeugt, „Sonderbehandlung“ und damit Formen sozialer Ausschließung legitimiert. Zunehmende Lust auf Jugend, Gewalt und Kriminalität – Die aktuelle kriminalpolitische Jugenddebatte weiterlesen

Redaktionelle Vorbemerkung

von Heiner Busch

„Schily nennt Situation ‚sehr bedenklich‘“, heißt es im Untertitel eines Artikels der Süddeutschen Zeitung vom 26. Mai dieses Jahres. Der Innenminister stellt gerade die Polizeiliche Kriminalstatistik (PKS) für das vergangene Jahr vor und hätte eigentlich Grund zur Freude. Die Zahl der gemeldeten und von der Polizei erfaßten Delikte ist zurückgegangen, die Aufklärungsquote ist die höchste seit 1966. Statt eines freude-strahlenden blickt uns aber ein sehr bedenklich dreinschauender Minister von der Zeitungsseite entgegen.

Schily hat die Jugendkriminalität wieder entdeckt und will deshalb trotz der „positiven Entwicklung“ nicht von einer Entspannung der Lage sprechen. Das Ritual der PKS-Vorstellung, das die Innenminister des Bundes und der Länder jährlich begehen, darf nicht getrübt werden. Zu diesem Ritual gehört es aber, daß zumindest irgendetwas an der „Lage“ nicht entspannt ist. Jugend in ihren diversen Ausprägungen hat sich für dieses Fehlen der Entspannung immer wieder geeignet. Redaktionelle Vorbemerkung weiterlesen

Summaries

Growing Attractiveness of Youth, Violence and Criminality
by Helga Cremer-Schafer
Once again “experts” are calling for a mixture of toughness and the “outstretched hand” for juveniles and adolescents who are becoming increasingly prone to criminal behavior and violence. The author traces the contours of the perennially recurring moral panic. By defining juveniles as a dangerous group at risk of becoming criminals the proponents of such arguments are actively contributing to the de-politicization and personalization of social problems, as the author demonstrates. Summaries weiterlesen

Schweiz: Über den Seiteneingang nach Schengen

Ohne eine Verbindung zu Schengen und zu Europol werde die Schweiz zu einer „Insel der Unsicherheit“, so lautet seit Jahren das Credo des Eidgenössischen Justiz- und Polizeidepartements, des schweizerischen Justizministeriums. Die Schweiz wird zwar auch mittelfristig nicht der EU beitreten. Dem polizeipolitischen Ziel ist man jedoch einiges näher gekommen. Polizeikooperations- und Rückübernahmeabkommen mit Frankreich und Italien wurden 1998 geschlossen und vom schweizerischen Parlament im Frühjahr ohne viel Federlesen ratifiziert. Die am 27. April 1999 unterzeichneten Polizei-Verträge mit Deutschland und Österreich schließen vorerst den Reigen der bilateralen Abkommen mit den EU-Nachbarstaaten.[1] Schweiz: Über den Seiteneingang nach Schengen weiterlesen

Tampere-Gipfel

Das am 15. und 16. Oktober stattfindende Gipfeltreffen der EU-Staats- und Regierungschefs sowie Außenminister im finnischen Tampere wird auch für die Innen- und Justizpolitik zentrale Bedeutung haben. Wie einem Kurzbericht des Bundesinnenministeriums vom 31. Mai über die zwei Tage vorher stattgefundene Ratstagung zu entnehmen ist, beträfen die inhaltlichen Schwerpunkte des Tampere-Gipfels „die Bereiche Asyl/ Migration, Kriminalitätsbekämpfung und Angleichung von Rechtsvorschriften.“ Unter diesen Allgemeinplätzen verbirgt sich z.B. folgendes: Tampere-Gipfel weiterlesen