Professor Dr. Fritz Sack: Feindstrafrecht – Auf dem Wege zu einer anderen Kriminalpolitik?

Professor Dr. Fritz Sack
Universität Hamburg

Feindstrafrecht – Auf dem Wege zu einer anderen Kriminalpolitik?[1]
Vortrag anlässlich der Verleihung des Werner-Holtfort-Preises 2005 an die Redaktion Bürgerrechte & Polizei/CILIP

1. Vorbemerkungen

Vor etwas mehr als zwei Jahren fand hier an gleicher Stelle eine Konferenz der FES, zusammen mit der HU, statt, an die ich eingangs erinnern möchte, um das Thema meiner nachfolgenden Überlegungen ein wenig zu präzisieren – ihm auch einen geringfügig anderen Akzent zu verleihen, als der vorangestellte und mittlerweile zur Reizvokabel avancierte Begriff des Feindstrafrechts spontan aufkommen lässt. Auf dieser Konferenz im März 2003 ging es um die Frage „Sicherheit vor Freiheit?“, mit dem Untertitel: „Terrorismusbekämpfung und die Sorge um den freiheitlichen Rechtsstaat“[2]. Einige von Ihnen werden sich noch an die ebenso wortgewaltige wie appellative, bis ins Sarkastische gesteigerte Analyse des Frankfurter Kollegen P.-A. Albrecht in seinem Auftaktreferat erinnern, die er unter den nachhallenden Titel stellte: „Die vergessene Freiheit“. In Ton, Titel und Temperament zurück genommener, in der Sache selbst jedoch kaum weniger zimperlich, sprach F. Roggan, im Rücken seine drei Jahre zuvor erschienene Monografie „Auf legalem Weg in einen Polizeistaat“[3], „Von den Gefährdungen in der Rechtsentwicklung“. Die zunehmende Bedrängnis des einst als rechtsstaatliche Errungenschaft gefeierten Datenschutzes durch die Polizeirechtsgesetzgebung der letzten 20 Jahre brachte der damals noch amtierende Schleswig-Holsteinische Datenschutzbeauftragte, H. Bäumler, zur Darstellung. Schließlich ist mir noch eine kaum widersprochene Formulierung des früheren Bundestagsvizepräsidenten B. Hirsch in der Schlussdiskussion der Veranstaltung im Gedächtnis, in der er von dem „freien Fall“ des Rechtsstaats Bundesrepublik in einen „Überwachungsstaat“ sprach.

Ebenso ist mir noch lebhaft die Aufnahme dieser von manchen sicher als „alarmistisch“ wahrgenommenen Texte durch die große Mehrheit der anwesenden Zuhörer im Ohr und in Erinnerung. Herr Albrecht hat viele zustimmende Begleitäußerungen und – in Parlamentsdokumenten würde es heißen: lang anhaltenden Applaus vom ganzen Hause – erfahren. Ob damals anwesende Politiker und Verantwortungsträger in diesen Applaus mit eingefallen sind, dafür kann ich mich heute nicht mehr verbürgen – wenn sie es getan haben, dann war es ein Fall von Selbstkritik, der die Grenzen der Selbstbeschimpfung tangierte.

Freilich, wovon damals – aus heutiger Sicht erstaunlich genug – noch nicht die Rede war, allerdings die seither fortgeführte Debatte um einige Töne schärfer und kontroverser hat werden lassen, bezieht sich auf das Titelstichwort meiner Überlegungen, nämlich das „Feindstrafrecht“. Erstaunlich war dieses Schweigen – man könnte es angesichts der inzwischen zu registrierenden Heftigkeit der Diskussion über dieses Konzept ein beredtes nennen. Und das aus mehreren Gründen. Der Allererste liegt darin, dass der Bezugstext, in dem dieses Konzept von seinem Autor sein Anstoß erregendes Profil erhielt, zur Zeit des eingangs erwähnten Kongresses bereits drei Jahre zuvor allgemein zugänglich und zu lesen war. Sodann stammt das Konzept aus der Feder eines Autors von eminenter wissenschaftlicher Prominenz und professioneller Reputation, nämlich dem langjährigen Bonner Strafrechtswissenschaftler G. Jakobs. Und dann ist es gewiss der Gehalt des Konzepts und der mit ihm verbundenen These, die gleich bei ihrer öffentlichen Geburt den Aufschrei hätte auslösen können oder sollen, den Konzept und These inzwischen erfahren haben.

Ihm gelten im Wesentlichen meine folgenden Überlegungen. Dabei möchte ich zwei Rahmenbedingungen meines „Standortes“ vorausschicken, von dem aus ich dieses Konzept behandeln und Ihnen präsentieren möchte. Die eine dieser Bedingungen soll meine disziplinäre Distanz zum Gegenstand unterstreichen. Wie einige von Ihnen wissen werden, kann ich mich nicht rühmen, Rechtswissenschaftler zu sein, obwohl ich die meisten Jahre meines aktiven beruflichen Lebens im institutionellen und professionellen Gehäuse der (einstufigen) Juristenausbildung verbracht habe. Ansonsten ist mein wissenschaftliches Fremdbild das eines Kriminologen, den es freilich in der bundesdeutschen Universitätslandschaft, anders als in vielen anderen westlichen Gesellschaften, als akademische Rundum- und Vollkarriere immer noch nicht gibt. Nicht nur deshalb, freilich, habe ich mir in Darstellung und Arbeitsweise das Selbstbild eines geformten Soziologen Kölner Herkunft und „Schule“ bewahrt.

Die zweite Rahmenbedingung meiner Überlegungen, die ich voranstellen möchte, hängt eng mit meiner professionellen Identität zusammen, verdient jedoch eine eigene Betonung. Die Kriminologie ist unter den sozialwissenschaftlichen Disziplinen in mehrerer Hinsicht eine Art Unikum. Ihr interdisziplinärer Anspruch verschleiert nur kurzfristig und unvollkommen ihren existentiellen Makel, nämlich eine weitgehend fremdbestimmte Wissenschaft zu sein – weder ihre Theorien noch ihre Methoden sind solche genuiner Eigenständigkeit; Image schädigender noch ist jedoch die Tatsache, dass sie ihren Gegenstand – die Kriminalität – aus den Händen und den Werkstätten eines fremden Herren erhält – dem Strafrecht und seinen institutionellen Erfüllungsgehilfen. Gegen diesen Sachverhalt opponiert sie zunehmend mit einer Strategie, der auch ich mich bedienen werde. Anders als das Strafrecht es gezwungenermaßen zu tun pflegt, werde ich mich in meinen Überlegungen nicht an nationale Grenzen und Gewissheiten halten, sondern diese in freier und manchmal vielleicht mutwilliger Weise überschreiten und missachten. Insbesondere werde ich dies in Richtung der angelsächsischen Welt und Länder tun. Eine zentrale Pointe meiner späteren Überlegungen bezieht sich gerade auf die von mir behauptete Konvergenz feindstrafrechtlicher Thematisierungen über solche nationalen und geografischen Grenzen hinweg. Es geht dabei konkret um eine Parallele zwischen Entwicklungen in den USA und in den europäischen Ländern – eine Parallele, die, nebenbei bemerkt, mal gerne gezogen, mal als abwegig zurück gewiesen wird.

2. Kriminalpolitischer Strukturwandel: Die Rückkehr des repressiven Strafrechts

Lassen Sie mich, bevor ich mich gezielter mit dem „Konzept des Feindstrafrechts“ beschäftige, zunächst auf den Untertitel meines Vortrags eingehen: „Auf dem Wege zu einer anderen Kriminalpolitik?“ Dieser erläuternde Zusatz zum vielfältig kritisierten Konzept des Feindstrafrechts löst sicherlich bei vielen von Ihnen einige Irritationen aus. Sicherlich, nämlich, werde ich auf Selbstverständlichkeiten und bei den meisten von Ihnen auf offene Ohren und Türen treffen, wenn ich einige Worte über den Sachverhalt verliere, der gleichsam das noch begrifflich unbehauene Rohmaterial der kriminalpolitischen Wirklichkeit darstellt, über die hier zu reden ist.

Denn dass die Kriminalpolitik in den letzten Jahren zu einem vorrangigen Politikfeld geworden ist, und zwar nicht nur aus der Sicht des Gesetzgebers, ebenso sehr unter dem Blickpunkt der öffentlichen Agenda und der medialen Tagesordnung, muss nicht umständlich empirisch – kriminologisch belegt werden. Dies ist evident auf eine Weise, die es erlaubt, diesen Sachverhalt lediglich mit einigen wenigen Stichworten zu vergegenwärtigen. Vielleicht allerdings bin ich auch etwas vorschnell mit meiner Vermutung und verallgemeinere zu leichtfertig meine Erfahrungen als mehrjähriges aktives Mitglied der ältesten deutschen Bürgerrechtsvereinigung, der Humanistischen Union. Da lässt sich ein Lied von der Strecke singen, die die Politik und der Gesetzgeber auf dem Wege der Inneren Aufrüstung und des Auf- und Ausbaus eines Sicherheitsstaates bereits zurück gelegt haben, auch wenn man gleich hinzuzufügen hat, dass die Anzahl derjenigen, die in dieses Lied einstimmen, schwindet und ihr Alter zulegt. Mehr noch, zunehmend macht man die Erfahrung, dass immer weniger der eigentlichen Adressaten diesem Lied zuhören mögen – bis hin zu dem Eindruck, man befinde sich als Bürgerrechtler in jener Situation, die die Älteren unter Ihnen aus der Zeit der Studentenbewegung und der außerparlamentarischen Opposition noch erinnern werden. Damals gab es in den Universitäten die sogen. Seminarmarxisten – Seminare, in denen Studenten und Interessenten Marx-Lektüre und – Exegese betrieben, dabei zu immer kleineren Häuflein zusammen schrumpften, schließlich zu geschlossenen Seminaren verkümmerten und Selbst-Exklusion praktizierten. Die Tendenz zu einer Art Seminar-Bürgerrechtler drängt sich einem zweifellos gelegentlich auf [4].

Lassen Sie mich nun aber zu den angekündigten Stichworten kommen, an denen sich die Richtung ablesen und bestimmen lässt, den der kriminalpolitische Weg eingeschlagen hat. Sie erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit, verzichten auch auf eine strafrechtliche, kriminologische oder sonstige Systematik. An vier Einzelaspekten möchte ich die Rückkehr des repressiven Strafrechts erläutern und illustrieren. Ich füge gleich hinzu, dass von „Rückkehr“ zu sprechen, zunächst nichts als ein bequemer Arbeitstitel sein soll, nicht schon die endgültige analytische Identifizierung des Vorgangs darstellt. An diesen vier Aspekten lässt sich zeigen, dass wir es mit einer rechts- und sicherheitspolitischen Entwicklung in der Bundesrepublik – und anderswo – zu tun haben, die vor noch gar nicht langer Zeit von kaum einem Experten für möglich gehalten worden ist, insbesondere von den sogenannten Abolitionisten unter Kriminologen und Rechtspolitikern nicht, die in den sechziger und siebziger Jahren zumindest im Bereich der Diskurse ein regelrechtes Hoch erlebten, als stünde die Abschaffung des Strafrechts unmittelbar bevor. Von solchen Träumen, die ja bis hinein in die Politik reichten und Kommissionen der Entkriminalisierung und Entpönalisierung zeitigten, kann heute keine Rede mehr sein. In den avancierten Gesellschaften der Moderne erleben wir auf der Ebene des „law in the books“ wie der „law in action“ eine ungeschminkte Wiedereinsetzung gerade der repressiven Seiten des alten Strafrechts in ihren vorherigen Stand – das unverhüllt, gewollt, ohne sonderlichen Begründungsaufwand, erneut Strafrecht pur und „sans phrase“.

1. Ich beginne mit der wohl spektakulärsten Manifestation dieser Entwicklung. Sie führt uns zunächst aus Deutschland heraus, und zwar in die USA, das sich auch auf dem Politikfeld der Inneren Sicherheit und der Kriminalitätskontrolle einer Art Vorreiter-, wenn auch für viele nicht Vorzeigerolle rühmen kann – und das nicht nur in Bezug auf und seit „zero-tolerance“, „community policing“, „elektronischer Fußfessel“ und privaten Sicherheitsunternehmen. Ich meine die Rückkehr zu dem Gefängnis als den Königsweg von Kriminalitätskontrolle und Sicherheitspolitik. Dieser Rückgriff auf das lange Zeit geschmähte und nicht nur kriminologisch diskreditierte Gefängnis ist in der Tat von einer Art und einem Ausmaß, die jeden europäischen Beobachter zu der Überzeugung nötigen oder auch Zuflucht nehmen lässt, vor einem derartigen Gang der Dinge bewahrten die Länder diesseits des Atlantiks ihre eigene Geschichte, ihre Tradition und die Bestandsfestigkeit ihrer kulturellen und rechtlichen Institutionen.

Innerhalb weniger Jahrzehnte, seit Mitte der siebziger Jahre, hat die Gefängnispopulation in den USA eine geradezu explosive Zunahme erfahren. Die Zahlen haben sich vervielfacht: von 1970 bis 1997 haben sie sich versechsfacht, im Jahre 2002 hat die Zahl der Insassen erstmals die Zwei-Millionen-Grenze überschritten, die Gefangenenquote beträgt mehr als 700 pro 100.000, ist 2003 erneut um 200.000 gestiegen – im Vergleich dazu: die Gefangenenquoten der europäischen Länder liegen um 100. Die Vereinigten Staaten liegen damit an der Spitze aller Länder, über die es solche Statistiken gibt. Die Zahlen fallen noch eindrucksvoller aus, wenn man sich vergegenwärtigt, dass diese Werte in den zurückliegenden Jahrzehnten auch in den USA zum einen relativ konstant waren, zum anderen nur geringfügig über dem europäischen Niveau lagen[5].

Es sind diese Zahlen und Zustände, die den bekannten norwegischen Kriminologen Nils Christie von „Gulags – Western style“ sprechen lässt: so der Untertitel seines provokanten Bestsellers „Crime Control as Industry“[6]. Selbst amerikanische Kriminologen haben die Entwicklung ihres Gefängnissystems bisher nicht schlüssig zu erklären und zu begreifen vermocht. Sie greifen zu sprachlichen Metaphern, um sich das Phänomen selbst überhaupt erst zu vergegenwärtigen: zwei kriminologische Autoren sprechen vom „American imprisonment binge“[7] – „binge“ ist ein Begriff aus der Welt des sinnlichen Exzesses: der Oxford Wordfinder gibt diese Erläuterung: „a period of uncontrolled eating, drinking etc.“

Den amerikanischen Rückgriff auf das Gefängnis hat das „Time magazine“ bereits im Jahre 1994 in einer Titelgeschichte auf den folgenden Nenner und Inbegriff der amerikanischen Kriminalpolitik der letzten Jahrzehnte gebracht: „Lock ‚em up and throw away the key“[8]; für diese Wende der Kriminalpolitik stehen weiter Stichworte wie diese: „sentencing guidelines“, „truth in sentencing“, „three strikes and you are out“, „life is life“ – Prinzipien, die gegen richterliche Unabhängigkeit und Spielräume stehen, die das Institut der Bewährung einschränken.

Das sind Dimensionen einer veränderten Kriminal- und Sicherheitspolitik, die sich in den europäischen Ländern zwar noch nicht nachweisen lassen, aber das Gefängnis und die Freiheitsstrafe stehen auch diesseits des Atlantiks nicht länger auf dem Index, weisen in den Ländern der europäischen Union seit etlichen Jahren wieder Wachstumsraten auf, was die Belegung selbst, was den Ausbau der Belegungskapazitäten angeht. Ein paar Zahlen nur als Beleg: im letzten Jahrzehnt – von 1992 bis 2002, stieg die Gefängnisrate in den Niederlanden um 90 %, in England um 55 %, Spanien folgt mit knapp 47,8 %, in der Bundesrepublik betrug der Zuwachs 38,8 %, lediglich in Frankreich fiel der Zuwachs mit 10,7 % niedriger aus. Sie alle wissen um die bundesweite Diskussion und Tendenz zur realen Wiedereinrichtung geschlossener Heime für Jugendliche[9].

Hinzugefügt zu diesen Zahlen gehört auch noch die Tatsache, dass ihre zunehmende Tendenz sich vor dem Hintergrund stagnierender, in den USA sogar erheblich sinkender Kriminalitätszahlen vollzieht.

2. Als zweites möchte ich darauf verweisen, dass die legislative und institutionelle Aufrüstung der Sicherheitsorgane vor allem den exekutiven Organen zugute kommt, der Polizei zuvörderst. Dies hat vor allem der bereits erwähnte Roggan detailliert und akribisch aufgezeigt, wobei er sich indessen mit vielen anderen Beobachtern einig weiß. Begriffe wie Schleierfahndung, Rasterfahndung, Großer und Kleiner Lauschangriff, Telefonüberwachung sind längst in die Umgangssprache eingegangen, belegen genau diese These und markieren doch nur die Oberfläche der gewachsenen Kompetenzen und Interventions- wie Ermittlungsinstrumente der Polizei[10], auch wenn es dem Bundesverfassungsgericht gelegentlich ein wenig zu weit geht. Insgesamt lässt sich über die Novellierungen auf dem Gebiet des polizei- und strafrechtlichen Verfahrens feststellen, dass sich eine deutliche Verschiebung zu Gunsten des Prinzips der Effektivität und zu Lasten desjenigen der Rechtsstaatlichkeit registrieren lässt. Dies zeigt sich nicht zuletzt am deutlichsten an dem bereits eingangs erwähnten Schicksal des Datenschutzes, der immer mehr zu einer Institution mit dem Rücken zur Wand geworden ist, über den weite Teile der Gesellschaft die bösartige Einschätzung teilen: „Datenschutz ist Tatenschutz“[11].

3. Als dritten Punkt möchte ich gesondert auf die Veränderungen auch im Bereich des Jugendstrafrechts verweisen. Einst als eine Art avantgardistisches Anti-Strafrecht hochgelobt und missverstanden, das „Heilen statt Strafen“ zum Motto hatte, dem verfehlte oder unterbliebene Sozialisation nachzuholen aufgegeben war, ist gerade dieser Prinzipien wegen ins Gerede geraten, zum Teil zum Gespött geworden. In allen betrachteten Ländern wird das Vollzugsziel „Resozialisierung“ von den rivalisierenden Zielen der Vergeltung, des „just desert“ bedrängt, wenn nicht sogar verdrängt. Auch bei uns in der Bundesrepublik bröckelt die Front der Jugendstrafrechtslobby. Auf dem letzten, 64. Deutschen Juristentag hat der kriminologische Direktor des Freiburger Max-Planck-Instituts in dem von ihm erbetenen Gutachten zur Frage: „Ist das deutsche Jugendstrafrecht noch zeitgemäß? Bedarf es und wenn ja welcher Veränderungen?“ unter Verweis auf sein Scheitern die lapidare Empfehlung ausgesprochen: „Das Erziehungsziel als Begründung des Jugendstrafrechts und als Leitlinie der Bemessung von jugendstrafrechtlichen Sanktionen hat zu entfallen“ (Ms. S. 113). Auch dies ist eine Entwicklung, übrigens, die sich zuerst in den USA zeigte, sich bald aber auch in anderen Ländern zu Wort meldete.

4. Als vierte Einzelerscheinung möchte ich auf ein strafrechtliches Einzeldelikt und seine Kontrolle verweisen, das sich nicht nur als Signatur, wenn nicht als Menetekel moderner Kriminalpolitik begreifen lässt, sondern dem auch eine geradezu globalisierte, entgrenzte Bedeutung zukommt. Ich meine den sexuellen Kindesmissbrauch. Dieser lässt sich gleichsam als Kristallisationspunkt ungezügelter Strafwut bezeichnen. Der staatlich-strafrechtliche Umgang mit diesem Delikt ist in der deutschen kriminologischen und strafrechtlichen Diskussion erst vereinzelt und ausnahmsweise Gegenstand analytischer und politischer Aufarbeitung und Auseinandersetzung. Auf die Ausnahme komme ich gleich noch zurück.

Dies ist anders im sonstigen westlichen Ausland, insbesondere in der angelsächsischen Welt. Vor allem kommt dem australischen Kriminologen J. Pratt das Verdienst zu, den veränderten Umgang mit Sexualstraftätern, insbesondere mit deren pädophiler Variante, zum Exempel und Paradigma der „new punitiveness“ gemacht zu haben[12]. Der polnisch-englische Soziologe Z. Bauman hat lynch- und mobartige Verfolgungen und Bedrohungen von Sexualstraftätern als Signum spätmoderner Sicherheitsgesellschaften und als Ausdruck aufgestauter und ventilloser Hassbedürfnisse des Menschen in modernen Gesellschaften interpretiert[13].

Ohne auf die novellierten Einzelheiten dieses Strafrechtssektors während der letzten Jahre in der Bundesrepublik einzugehen, möchte ich Ihnen die dazu formulierte Bilanz des Passauer Strafrechtslehrers B. Haffke vergegenwärtigen. Er hat sich nach meiner Kenntnis am nachhaltigsten und detailliertesten mit der gesetzlichen und richterlichen Entwicklung zum staatlichen Umgang mit diesem Delikt auseinander gesetzt, zuletzt auf dem diesjährigen Strafverteidigertag Anfang April in Aachen. Gerade ist von ihm im neuesten Heft der Kritischen Justiz ein weiterer Text dazu erschienen. Mit Bezug auf die Liberalisierung des Sexualstrafrechts aus dem Jahre 1973 durch das 4. Gesetz zur Reform des Strafrechts, dessen Grundgedanke – in den Worten Haffkes – “ zu einer weitgehenden Einschränkung der Strafbarkeit geführt hat“, resümiert er die Entwicklung der letzten Jahre so: „Welch ein Kehrtwandel der Kriminalpolitik innerhalb von nur dreißig Jahren“, spricht er von der „Wiedereinführung des alten Sicherheits- und Verwahrvollzuges und (dem) Tod des Resozialisierungsvollzuges“, sieht in den Einzelheiten der skizzierten Entwicklung schon mehr als nur eine Tendenz zur „Totalisierung der sozialen Kontrolle“ und formuliert insgesamt „eine Kritik an der Art und Weise des Zustandekommens einer Kriminalgesetzgebung, die die Straflust befördert und bestärkt anstatt sich ihr in ruhige Distanz zu setzen“[14].

Diese schon vor zwei Jahren gezogene Bilanz hat Haffke in seinen jüngsten Texten und Analysen nicht zu korrigieren Anlas gesehen[15] – im Gegenteil, er hat sie verschärft und radikalisiert angesichts der seitherigen Fortentwicklung der Diskussion und der Gesetzesaktivitäten insbesondere zu der Möglichkeit der nachträglichen Sicherungsverwahrung, die bekanntlich bundesgesetzlich im Jahre 2004 geregelt worden ist. Er spricht deutlicher noch als früher von der sich totalisierenden sozialen Kontrolle via Strafrecht (S. 27), von einem „Paradigmawechsel“ (S. 20) im Strafrecht und scheut nicht vor drastischen Formulierungen zurück, wenn er etwa einen „dramatischen Struktur- und Kulturwandel unseres Strafrechts“ konstatiert, der „… nach allem nicht zu leugnen und zu übersehen (ist)“ (31). Dass Haffke mittlerweile mit seiner Analyse hinsichtlich des symptomatischen Stellenwerts gerade der Sexualdelikte für Art und Richtung der gegenwärtigen Kriminalpolitik nicht alleine steht, belegt ein Aufsatz dreier Strafrechtslehrer in der NJW vom April letzten Jahres anlässlich des am 1.4.2004 in Kraft getretenen Gesetzes zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung etc. Dieses Gesetz quittieren die Verf. wie folgt: “ Die Sexualdelinquenz ist endgültig zum Motor der Kriminalpolitik geworden. … Insofern hat das Sexualstrafrecht den Paradigmenwechsel vom – limitierten – Rechtsgüterschutz hin zu einem polizeirechtlichen Interventionsrecht vollzogen“[16]

Erlauben Sie mir noch den etwas makabren Hinweis darauf, dass gerade mit Bezug auf die Behandlung dieser Straftäter das im Jahre 1933 von den Nationalsozialisten im sogen. Gewohnheitsverbrechergesetz eingeführte Institut der Sicherungsverwahrung die Chance seiner Rechtfertigung, Fortexistenz und demokratischen Instrumentalisierung erhalten hat. Dazu hat sich D. Rzepka ausführlich und kritisch geäußert[17].

5. Als letzte Einzelbemerkung liegt mir an der Feststellung, dass die beschriebene Tendenz keineswegs eine Erscheinung oder Konsequenz erst der terroristischen Anschläge von „nine – eleven“ gegen das World Trade Center und das Pentagon darstellt, vielmehr längst vorher zu beobachten war. In Sonderheit gilt dies auch für die Bundesrepublik[18].

Ich möchte damit die Einzelbelege für meine These einer Renaissance des klassischen repressiven Strafrechts abschließen. Meine Befunde beziehen sich auf mehrere Länder, nicht nur die USA, sondern eben auch auf die Bundesrepublik und andere europäische Länder. Mein Fazit lässt an der Triftigkeit der These keinen Zweifel, auch wenn sie nicht von allen Beobachtern und Experten geteilt wird. Raum und Zeit verbieten es, auf Gegeneinwände im Einzelnen einzugehen. Stattdessen möchte ich zum Abschluss meines Arguments einer Renaissance des repressiven Strafrechts zwei Stimmen zu Worte kommen, denen man aus unterschiedlichen Gründen eine besondere Autorität in dieser Frage zuerkennen muss – eine deutsche und eine englische Stimme.

Der derzeitige Vizepräsident des Bundesverfassungsgerichts, W. Hassemer, hat in einem denkwürdigen Vortrag vor bereits mehr als fünf Jahren unter dem Titel „Muss Strafe sein?“ diese Beobachtung gemacht: „Seit ich meine strafende Umwelt mit wachen Augen beobachten kann, habe ich nie soviel selbstverständliche Strafbereitschaft, ja: Straffreude wahrgenommen wie heute“. Die FR hat damals diesen Vortrag unter dem Titel „Die neue Lust auf Strafe“ dokumentiert[19].

Die englische Stimme ist die des britischen, derzeit an der New York University lehrenden Kriminologen D. Garland. In einer seither intensiv diskutierten monographischen Studie „The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society“ aus dem Jahre 2001 beschreibt er für die USA sowie für Großbritannien die Abkehr vom wohlfahrtsstaatlichen Strafrecht des 20. Jahrhunderts und die Hinwendung zu einem Strafrecht erneuter Repression und des Risikos[20]. Garlands Analyse wird uns gleich noch ausführlicher beschäftigen.

3. Strukturtypen von Sicherheit

Ein wesentlicher Teil meiner Titelfrage hinsichtlich des Wandels auf dem Feld der Kriminalpolitik dürfte mit den voranstehenden Ausführungen erledigt sein. Das Fragezeichen am Ende seiner Formulierung dürfte jedenfalls, um das Mindeste zu sagen, insoweit als rein rhetorisches oder dramaturgisches Stilmittel abgetan werden, als es sich um die rein neutrale Feststellung handelt, dass in der Tat in den letzten beiden Jahrzehnten eine Bewegung auf diesem Politikfeld zu beobachten ist, die erstens in Rhythmus und Tempo neuartig und ungekannt ist; zweitens dürfte ebenso unabweisbar die Beobachtung sein, dass die Richtung dieser Bewegung auf den ersten Blick eine Wiederbelebung von Medien und Mitteln strafrechtlicher Sozialkontrolle anzeigen, die einer vergangenen gesellschaftlichen Epoche und Formation angehören.

Ich möchte mich dieser Frage in dem folgenden Abschnitt etwas genauer und im zweiten Blick zuwenden. Die kriminal- und sicherheitspolitische Debatte wird gewöhnlich vor dem fast schon aphoristisch zu nennenden staatspolitischen Gegensatzpaar Freiheit vs. Sicherheit geführt. „Sicherheit vor Freiheit“, so fragte die eingangs erwähnte Tagung an dieser Stelle vor zwei Jahren; „die vergessene Freiheit“, so lauten Titel von Vorträgen, Aufsätzen und ein Buch des vielleicht wagemutigsten und wortgewaltigsten Anklägers einer Politik auf dem Feld von Kriminalitätskontrolle und Sicherheit, die er auf dem Auge der Freiheit schon nahezu erblindet wähnt, des bereits erwähnten P.-A. Albrecht; „Innere Sicherheit“ – und nicht etwa: Unsicherheit – „als Gefahr“ lautet der Buchtitel einer Textsammlung der HU zur kritischen Anfrage an dieses Politikfeld[21].

Und nicht nur dort findet man den Verweis auf und die gedankliche Anleihe an Benjamin Franklin, einen der großen Konstrukteure der amerikanischen Unabhängigkeit und Nation im 18. Jahrhundert gegen das britische Mutterland. Sein schon vor der amerikanischen Unabhängigkeit verbürgter großartiger Aphorismus „Der Mensch, der bereit ist, seine Freiheit aufzugeben, um Sicherheit zu gewinnen, wird beides verlieren“, ist gleichsam zum Fanal und Mantra der nicht nur bürgerrechtlichen Opposition gegen vermeintlich freiheitsfeindliche Sicherheitspolitik geworden. Die vorstehende deutsche Fassung dieses Zitats, übrigens, ist gegenüber dem englischen Original insofern noch abgeschwächt, als das eingetauschte Element dieses politischen Deals mit der Freiheit – die Sicherheit – als „little temporary safety“ bezeichnet wird[22]. Damit ist ein Moment dieses Antagonismus zwischen Freiheit und Sicherheit angesprochen, der in der gegenwärtigen Diskussion von den Kritikern der sich unaufhörlich drehenden Sicherheitsspirale immer wieder beschworen wird, dass nämlich der jeweils mit der Preisgabe eines Stückchens Freiheit erreichte Sicherheitsgewinn – wenn überhaupt – eine nur temporäre Errungenschaft darstellt, was die Suche nach neuen Sicherheitslücken keineswegs still stellt, sondern immer hektischer auf Trab hält. Das ist u.a. die Konsequenz einer eher wohlfeilen als handlungsmächtigen Einsicht, die man oft genug auch aus Politikermund hört, dass nämlich „absolute Sicherheit“ nicht zu haben sei, folglich – im Umkehrschluss – die Suche nach Sicherheitslücken allemal Erfolg verheißt, wenn man sie nur nachhaltig genug betreibt.

Diesen Zusammenhang und diese Dynamik hat B. Haffke in unmissverständlicher und drastischer Weise herauspräpariert und benannt. Die mehrfach wiederholte und dargelegte Quintessenz stellt er unter das Motto: „Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat“. Ich zitiere eine Passage, die diese Transformation deutlich macht und konkretisiert. Den bereits oben erwähnten „Paradigmawechsel erläutert er wie folgt: „vom freiheitlich verfassten Rechtsstaat, vom freiheitlich verfassten Schuldstrafrecht zum Sicherheitsstaat, zum präventiv und polizeilich orientierten Sicherheitsstrafrecht. Wenn das Strafrecht in den Sog dieser präventiven Sicherheitslogik gerät, also für Sicherheitszwecke instrumentalisiert wird, übernimmt es zwangsläufig die Struktur dieses Denkens und wird seinerseits maßlos, gibt also die ihm originäre rechtsstaatliche Freiheitslogik preis“[23]. Die Maß- und Grenzenlosigkeit der Sicherheitsdynamik bzw. -logik ist es, die die Freiheit bedrängt und letztlich abwürgt.

Lassen Sie mich diesem antithetisch formulierten Nullsummenspiel zwischen Freiheit und Sicherheit, wonach nahezu mechanisch der Sicherheit hinzugefügt wird, was der Freiheit genommen wird, allerdings einige differenzierende und auch entlastende Bemerkungen hinzufügen. Sie stammen von dem bereits erwähnten Soziologen Z. Bauman. Mehrere seiner jüngsten Bücher sind bestimmt von dem Problem der Sicherheit bzw. Unsicherheit, denen moderne Gesellschaften im Sog und in Konfrontation mit der Globalisierung zunehmend ausgesetzt sind.

Sein Buch über „Die Krise der Politik“ aus dem Jahre 2000 erschließt auf sprachliche Weise einen gleichsam dreigleisigen Zugang zum Problem der Sicherheit und steckt drei verschiedene Terrains der Sicherheit ab, die je eigenen Gesetzen und Logiken gehorchen, vor allem eine sehr unterschiedliche Widerständigkeit gegenüber politischer Gestaltung und staatlichem Zugriff aufweisen. „Im Fall von Sicherheit verfährt die deutsche Sprache untypisch sparsam“, wie Bauman notiert; „sie vermag hier komplexe Phänomene in einem einzigen Begriff unterzubringen, für deren Ausdruck das Englische mindestens drei benötigt – security, certainty und safety“[24]. (30) „Security“ bezieht sich auf die individuelle, vor allem berufliche und soziale Sicherheit in ihrer Konstanz und Beständigkeit, „certainty“ auf die Gewissheit, die wir in unser Urteil und in unsere Zukunft investieren können – und nur „safety“ trifft die Bedeutung des Begriffs Sicherheit im kriminal- und sicherheitspolitischen Sinn des staatlich zu gewährenden Schutzes. Die für unser Thema entscheidende Pointe besteht nun offensichtlich darin, dass das gesellschaftlich verbreitete Gefühl von Unsicherheit sich in ganz zentraler Weise aus denjenigen Teilterrains bzw. -komponenten der Sicherheit nährt, die nicht den staatlichen Schutz betreffen, sondern die existentielle Sicherheit und Gewissheit im umfassenderen Sinn.

Die daraus resultierenden Konsequenzen für die Politik dürften auf der Hand liegen. Der infinitiven, unbegrenzten Suche nach Lücken der Sicherheit entsprechend der etwa von Haffke aufgezeigten Sicherheitslogik nach Art eines „circulus vitiosus“ gesellt sich ein verstärkender Mechanismus hinzu, der sich aus der von Bauman analysierten Logik ergibt: „Angst ist unspezifisch“, wie Bauman sagt, „und die Furcht, die daraus entsteht, kann leicht den falschen Ursachen zugeschrieben werden und zu Aktionen führen, die für die wirkliche Ursache völlig irrelevant sind“[25]. Moderne Gesellschaften und ihre staatlichen Strukturen scheinen in zunehmenden Masse Opfer dieser Logik zu sein, zumal sie – noch immer – weitgehend im Monopolbesitz der Mittel und Zuständigkeit für die Gewährung von Schutz sind, während ihre Kompetenz für die Bereitstellung der Bedingungen existentieller Sicherheit und orientierender Gewissheit täglich mehr schwindet und weitgehend in die Hände nichtstaatlicher Akteure übergegangen ist.

4. Das Feindstrafrecht

Ich möchte mich nunmehr dem zentralen Titelstichwort meines Vortrages etwas genauer zuwenden, dem Feindstrafrecht. Bei der Transformation der Kriminalpolitik des rechtsstaatlichen Typs in eine solche sicherheitsstaatlicher Struktur handelt es sich um einen Vorgang und einen Diskurs, der sich bereits seit längerem etabliert hat und gleichsam bereits zur Routine juristischer Auseinandersetzung und politischer Kontroverse gehört. Ich selbst kann mich noch zurück erinnern an meine Zeit an der einstufigen juristischen Fakultät in Hannover, an deren Zustandekommen und Gelingen der Namensgeber der heutigen Veranstaltung, Werner Holtfort, ebenso erinnert wie – allerdings indirekt, weil damals von den Wissenschaftlern gewollt, von den Politikern verhindert – auch der Gründungsvater der in W. Holtforts Namen heute geehrten Zeitschrift CILIP, der Kollege W.-D. Narr. Unter dem plakativen und dem noch heute zu hörenden kassandrischen Motto von dem sich zu Tode schützenden Rechtsstaat wurde damals, in den siebziger Jahren, vor den Rechtsstaat schädigenden Rückwirkungen des Abbaus der Verteidigerrechte, der Beschneidung des Status und der Rechte des Beschuldigten im Strafverfahren wie im Strafvollzug gewarnt. Es war das „Ceterum censeo“ der sich so verstehenden Verteidiger des Rechtsstaats. Die damals entstandenen regionalen Strafverteidiger-Vereinigungen und deren Tagungen sowie der 1979 gegründete RAV legen davon Zeugnis ab.

Vor diesem Hintergrund mag man sich fragen, ob sich nach mehr als dreißigjährigem Schleifen und Abbau des Rechtsstaats und der Entwicklung hin zum Sicherheitsstaat noch sinnvoll von einem Rechtsstaat reden lässt. Ich sehe niemand, der ernsthaft behaupten würde, der Rubikon des Rechtsstaats sei überschritten – vielleicht irre ich mich. Mein Eindruck ist jedoch, dass die Zahl derjenigen, die vor diesem Überschreiten warnen, zwar abnimmt, aber jeder dieser wenigen Warner geht in seiner Diagnose der Situation in der Regel nur bis an die Grenze des Erlaubten, ohne diese jedoch zu verletzten. Es ist im Blick der meisten wenige Minuten oder auch Sekunden vor zwölf, nicht jedoch schon danach. In anderen Worten, der Abbau des Rechtsstaats ist in einer Weise zum Routinevokabular der Kritiker dieser Entwicklung geworden, die – bei aller Benennung von Einzelkriterien – zu einer leerformelhaften Attitüde abgeschliffen ist. Es gehört gleichsam zum Habitus für eine Gruppe von Juristen, Journalisten und Politikern, Strafverteidigern im Besonderen, Bedenkenträger im Sinne des rechtsstaatlichen Verfalls der Gesellschaft zu sein. Man bewegt sich damit immer noch im Rahmen und auf dem Boden rechtsstaatlicher Ordnung. Immer nachhaltiger aber, wenn sich Protest und Widerstand weiterhin ernst nehmen wollen, müssen sie die Marken und Kriterien bestimmen, an denen sie ihren eigenen Erfolg oder Misserfolg für sich und potentielle und zu werbende Verbündete ablesen können.

Nachträglicher Exkurs: Die vorstehenden, vielleicht allzu knappen Überlegungen vor allem waren es, mit denen ich einen Großteil meiner Zuhörer aufgebracht und verärgert habe. Deshalb möchte ich anlässlich dieser Endfassung meines Manuskripts einige erläuternde – und persönliche – Bemerkungen nachtragen. Zunächst glaubte ich mich aufgrund nicht nur der vorstehenden Ausführungen über die „repressive“ Wende der Kriminal- und Sicherheitspolitik, sondern auch einer Reihe früherer Aufsätze und Äußerungen gegen den Verdacht immun, ich würde, wie es einer der Zuhörer in der Diskussion formulierte, die Zuhörer wohl „für blöd halten“. Meine Absicht allerdings, das muss ich „selbstkritisch“ eingestehen, war es, die von mir ja hinreichend, wiederholt und affirmativ zitierten Kritiker von Albrecht bis Roggan eine weitere Stimme und zusätzliche Argumente hinzuzufügen, sie in ihrer Kritik und Wortwahl möglichst noch zu überbieten. Ich wollte keinen bloß akklamativen und „solidarisierenden“ Vortrag halten. Mir ging es darum, einen Prozess der Selbstreflexion darüber anzustoßen, zu beginnen und zu erproben, dass jahrzehntelanges anti-staatliches Engagement zur Verteidigung von Rechtsstaat und Freiheit durch zivilgesellschaftliche und bürgerrechtliche Institutionen, durch Resolutionen, Proteste und Aktivitäten weder die Entwicklung dieses Prozesses hat aufhalten können noch den Widerstand dagegen hat anschwellen lassen. Pathetisch, zudem unzeitgemäß formuliert, ging es mir um die Erinnerung an das berühmte Prinzip aus K. Marx Kritik der Hegelschen Rechtsphilosophie: „Die Waffe der Kritik kann allerdings die Kritik der Waffen nicht ersetzen…“[26]. Genau diese Selbstreflexion der Gegner und Kritiker – ich stehe nicht an, mich anhaltend dazu zu rechnen – der repressiven kriminalpolitischen Wende, des „punitive turn“ in den avancierten, neo-liberalen Gesellschaften erscheint mir dringend, ja unerlässlich zu sein. Und ich möchte mich auf ein zweites Zitat dieses immer wieder verdrängten, jedoch nicht tot zu kriegenden überragenden Analytikers kapitalistischer Logik berufen, das aus dem Revolutionsjahr 1848 stammt: „Wir haben es nie verheimlicht. Unser Boden ist nicht der Rechtsboden, es ist der revolutionäre Boden“[27]. Gewiss, von Revolution spricht heute niemand mehr, dass es eines „neuen Gesellschaftsvertrages“ bedarf, davon schon – und das von keinem Geringeren als R. Dahrendorf, der dies bereits vor mehr als zehn Jahren thematisierte[28]. Damit beschließe ich diesen Nachtrag als Reaktion und Antwort auf die Kritik, die ich mit meinen Überlegungen, vor allem auch den sich jetzt anschließenden bei einem Großteil der Zuhörer gestoßen bin.

Ganz anders verhält es sich mit dem Konzept des Feindstrafrechts – einem Konzept des emeritierten und angesehenen Bonner Strafrechtslehrers G. Jakobs, das wie kein anderes innerhalb kürzester Zeit zu einem Kristallisationspunkt von Ablehnung, Kritik – bis zur persönlichen Verunglimpfung geworden ist. „Feindstrafrecht“ markiert in der Tat eine Position bzw. Diagnose, die für die meisten Kritiker des Konzepts jenseits des rechtsstaatlichen Selbstverständnisses liegt. Dennoch – oder gerade deswegen – verwundert die Tatsache, dass, obwohl seine erstmalige Verwendung bereits zwei Jahrzehnte zurück liegt, es erst nach seiner Aktualisierung auf einer Tagung im Jahre 1999 die volle Aufmerksamkeit auf sich gezogen und weitgehend Zurückweisung erfahren hat – „hat dann jedoch wie eine Bombe mit Zeitzündung gewirkt“, wie es in einer Rezension des Tagungsbandes heißt[29]. Nach dem journalistischen Haupt der Rechtsstaatswächter von der SZ, H. Prantl, ist das Konzept allerdings „in der Strafrechtswissenschaft auf gar nicht so heftige Kritik (gestoßen), wie man erwarten könnte“[30]. Zwei kürzliche Tagungen, der Strafverteidigertag Anfang März in Aachen sowie die Tagung der deutschen Strafrechtslehrer Anfang Mai in Frankfurt/Oder, Jahres hatten den Autor dieses Konzepts zu Gast – die Kontroverse, wie Teilnehmer berichten, war heftig und maßlos.

Tatsächlich zeichnet sich die Reaktion durch eine deutliche Ambivalenz aus, die auf der Trennung der empirischen und der normativen Seite des Konzepts basiert. Typisch für diese Haltung ist eine Formulierung von B. Haffke in seinem Vortrag auf dem Aachener Strafverteidigertag, die ich Ihnen als Zitat wiedergeben möchte: Nach der ausdrücklichen Zustimmung der „unideologische(n) Wirklichkeitseinschätzung durch Jakobs“…, „daß das geltende Straf- und Strafverfahrensrecht deutliche feindstrafrechtliche Züge trägt“, formuliert Haffke seine gleichsam strafrechtspolitische Position wie folgt: “ Wenn ich mich hier gegen das – zugegebenermaßen brillante und empirisch gut fundierte – Jakobs’sche Konzept, von dem man nur hoffen kann, dass es nicht in falsche Hände gerät, ausspreche, dann ganz wesentlich deshalb, weil ich Sätze wie“ – es folgen zwei hier ausgelassene Zitate – „in ihrer normativen Wendung ganz fürchterlich finde“, um daran anschließend festzustellen, dass „eine sorgfältige und detaillierte wissenschaftliche Auseinandersetzung mit den Thesen von Jakobs … noch aus(stehe)“[31]. Dieser normative Kritikakzent findet sich auch in anderen Stellungnahmen und Diskussionen zu diesem Konzept, weshalb etwa ein Rezensent Jakobs gegen den Vorwurf in Schutz zu nehmen meint, mit seinem Konzept des Feindstrafrechts – gewollt oder ungewollt – totalitärer Herrschaft den Boden zu bereiten[32].

Ich möchte jedoch nachhaltig für eine größere Unbefangenheit und dafür werben, das Konzept des Feindstrafrechts in allen seinen Dimensionen und Implikationen auszuleuchten und sich nicht von der ebenfalls in der Diskussion geäußerten Frage davon abhalten zu lassen, „ob nicht bereits die kritisch gesinnte Diagnose von verfehlten Entwicklungen als Elemente eines Feindstrafrechts affirmierend wirkt und damit die Feinde erst auf den Plan ruft“[33]. Ein derartiges Argument der Einschüchterung verstellt entweder den Blick auf die Analyse oder verführt zu einem normativen Vorabbekenntnis, das sich selbst dadurch entwertet, dass es sich dem Verdacht einer Captatio benevolentiae, eines Gefälligkeitsbekenntnisses nach Art politischer Korrektheit schlechterdings nicht entziehen kann. Beiden Alternativen möchte ich widerstehen und einige Überlegungen an die Jakobs’sche Analyse anknüpfen, die mir wichtig erscheinen und denen ich in der bisherigen Diskussion kaum begegnet bin.

Dafür möchte ich jedoch zunächst den selektiven Ausschnitt der Position von Jakobs festhalten, der nach meiner Beobachtung in der Auseinandersetzung an vorderster und fast ausschließlicher Stelle steht. Die vorhin schon bemerkte Ambivalenz und die Betonung der ausdrücklichen oder impliziten normativen Affirmation und „Legitimierung“ der von Jakobs beschriebenen „feindstrafrechtlichen“ Tendenzen lässt kaum noch Raum für die rein phänomenologisch-empirische rechtstatsächliche Referenz, auf die sich seine rechtspolitischen Schlussfolgerungen beziehen. Diese möchte ich zunächst kurz vergegenwärtigen. Jakobs „operationalisiert“ in seinem Kongressbeitrag aus dem Jahre 1999 die empirische Grundlage seiner Analyse in zweifacher Hinsicht[34].

Zum einen benennt er vier Strukturmerkmale des Strafrechts, denen er die Zugehörigkeit zum rechtsstaatlichen „Bürgerstrafrecht“ abspricht und die er mit dem Etikett des Feindstrafrechts belegt. Stichwortartig sind dies (1) die „weite Vorverlagerung der Strafbarkeit“, (2) „keine der Vorverlagerung proportionale Reduktion der Strafe“, (3) der „Übergang von der Strafrechtsgesetzgebung zur Bekämpfungsgesetzgebung“ und (4) der „Abbau prozessualer Garantien“. Diese vier Aspekte resümierend formuliert er: „In dieser Sprache – vorverlagernd, mit harter Strafe bekämpfend, prozessuale Garantien einschränkend – spricht das Strafrecht nicht mit seinen Bürgern, sondern droht er seinen Feinden …“[35]

Zum anderen konkretisiert er auch den so adressierten Delikt- und Tätertypus in allgemeiner Form und in der Form exemplarischer Klammerdefinitionen. „Der Feind ist ein Individuum“, so heißt es bei Jakobs allgemein, „das sich in einem nicht nur beiläufigen Maß in seiner Haltung …, oder seinem Erwerbsleben … oder, hauptsächlich, durch seine Einbindung in eine Organisation , also jedenfalls vermutlich dauerhaft vom Recht abgewandt hat und insoweit die kognitive Mindestsicherheit personellen Verhaltens nicht garantiert und dieses Defizit durch sein Verhalten demonstriert“ Die von ihm beispielhaft genannten Delikte umfassen Wirtschaftskriminalität, organisierte Kriminalität, Rauschgiftdelikte, Sexualdelikte[36].

Soweit zunächst die Indikatoren, auf denen Jakobs Analyse basiert. Sie sind weitgehend unstrittig, was die gesetzespositiven Strukturmerkmale angeht.

Diese sind auch in den rechtsstaatskritischen Texten enthalten, die ich weiter oben dargestellt habe. Allerdings findet sich bei Jakobs eine entscheidende erweiternde Verallgemeinerung, wenn er mit seinem dritten Feindstrafrechtskriterium – „Bekämpfungsgesetzgebung“ statt „Strafrechtsgesetzgebung“ – darauf verweist, dass sich in dieser Rhetorik gleichsam eine feindstrafrechtliche Orientierung gegen „das Verbrechen überhaupt“ manifestiert. Ich halte dieses Kriterium, das sich alleine auf die Diskursebene bezieht und keine – wie die anderen drei Merkmale – Referenzen auf der Ebene von konkreten Gesetzesformulierungen aufweist, deshalb wohl in der allgemeinen, meist juristisch geführten Diskussion auch keinen Widerhall findet, für besonders bemerkenswert. Es verweist über die rein juristische Dimension hinaus und nimmt Bezug auf jene „hermeneutische“ Ebene des „Vorverständnisses“, die in den siebziger Jahren durch den Tübinger Rechtswissenschaftler J. Esser eine intensive Diskussion erfahren und mit diesem Konzept gleichsam einen Brückenschlag vom Recht zur Gesellschaft ermöglicht hat[37]. Jakobs verweist auf das „Bekämpfungs“vokabular, das der Gesetzgeber seit bereits den siebziger Jahren in wichtigen Gesetzesvorhaben offiziell verwendete, etwa im „Verbrechensbekämpfungsgesetz“ aus dem Jahre 1994 und in einer Reihe anderer auf spezifische Deliktgruppen bezogener Gesetze. Damit findet eine „Rahmung“ des Verständnisses und der Interpretation von Kriminalität und ihren Tätern statt, die in der Tat eher auf „Feinde“ als auf „Bürger“ der Gesellschaft verweist. Vor diesem Hintergrund mag man sich auf der rein analytisch-deskriptiven Ebene fragen, ob das Konzept des „Feindstrafrechts“ nicht den reinen Sachverhalt des Prozesses der Rechtsentwicklung angemessener und treffender beschreibt als etwa das des Sicherheitsstaates, obwohl letzteres zweifellos eine wichtige Dimension der Entwicklung benennt.

Jenseits dessen aber erhebt sich angesichts des weitgehenden Konsens in Bezug auf die gesetzespositiven Indikatoren der Wandlungen des Strafrechts und damit der Kriminal- und Sicherheitspolitik die Frage, wie sich denn die vehemente Kritik an dem Konzept des Feindstrafrechts ausweisen lässt. Ein Fußnotenhinweis von A. Eser in seinen Schlussbetrachtungen zu der besagten Tagung hält einen diesbezüglich interessanten Dialog zwischen ihm und Jakobs fest. Auf die kritische Einlassung Esers zu zwei Argumenten in Jakobs Beitrag, die ihm „buchstäblich angst machen“, habe sich Jakobs ganz lapidar „darüber verwundert, bislang noch nicht gehört zu haben, dass ‚Angst eine juristische Kategorie‘ sei.“ Diese Feststellung quittiert Eser seinerseits mit der Feststellung, „dass mir ein solcher Mangel an Folgenbewusstsein hinsichtlich rechtlich möglicherweise folgenreicher Auswirkungen einer Theorie nicht weniger angst machen“[38]. Kann Folgenorientierung, so frage ich in bloß rhetorischer Absicht, wirklich ein Kriterium sein, an dem sich die Triftigkeit und Öffentlichkeit einer Theorie messen lassen muss, zumal auch die jüngste Geschichte hinreichend lehrt, auf welch schwankenden Boden selbst die Welt der professionellen und wissenschaftlichen Experten gerade in Sachen von Prognosen und Folgenerkennung sich bewegen.

Ich halte deshalb diese Stoßrichtung der Kritik an dem Konzept von Jakobs für sehr partiell und ausgewählt – bis hin zur unterlassenen Kenntnisnahme und Auseinandersetzung mit einigen Aspekten der Position von Jakobs, denen ich mindestens den gleichen Rang einräumen würde als dem rein normativen. Ich sehe zwei Aspekte, die ich aus soziologischer und kriminologischer Sicht besonders herausheben möchte.

Die Tagung in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften im Jahre 1999, auf der Jakobs seine Anstoß erregende Position vorgetragen hat, stand unter dem von den Veranstaltern vorgegebenen Generaltitel „Die deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende – Rückbesinnung und Ausblick“. Das Unterthema, zu dem Jakobs um einen „Kommentar“ gebeten war, befasste sich mit dem “ Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft gegenüber den Herausforderungen ihrer Zeit“. An zwei Stellen seines Kommentars nimmt Jakobs den gewichtigen Begriff der Herausforderung selbst auf. Beiden möchte ich ein wenig nachgehen.

Die erste dieser Stellen betrifft die Funktion und Rolle der Strafrechtswissenschaft, nicht die des Strafrechts selbst. Ich möchte diese in meinen Augen äußerst bedeutsame, in der Diskussion und Kritik jedoch bisher kaum aufgenommene Passage in längerem Zusammenhang zitieren: „Damit ist die hauptsächliche Herausforderung an das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft bezeichnet: Sie hat das, was unter dem Namen des Strafrechts läuft, zu scheiden, also die Ergänzung des Strafrechts durch ein Feindbekämpfungsrecht zur Sprache zu bringen“. Ich überspringe einen Satz, auf den ich sogleich zurück komme und fahre im Zitat fort: „Wenn sie alles, was unter dem Namen ‚Strafrecht‘ läuft, gleich behandelt, kapituliert sie mit ihrem Distinktionsvermögen vor der Politik, gibt sich also selbst preis.“ Und jetzt der vielleicht umstrittenste letzte Satz dieser Passage: „So bleibt der Strafrechtswissenschaft, die das Ziel der Reise der Gesellschaft nicht bestimmen kann, die Aufgabe, immerhin die eingeschlagenen Richtungen zu benennen“[39].

Keine Frage, dass Jakobs damit ein neuralgisches Problem aufwirft, freilich nicht weiter ausführt und behandelt, eher apodiktisch und unterstellend für seine Argumentation verwendet. Es wird nicht nur die gehörige Portion narzisstischer Kränkung für viele juristische Praktiker und – affirmative wie kritische – Teilnehmer der Macht sein, die dafür verantwortlich ist, dass diese zentrale These bislang keinen Widerhall und keine Spuren in der Rezeption und Auseinandersetzung mit dem Feindstrafrecht gefunden hat. Ihre Relevanz ist freilich nach meiner Ansicht nicht zu leugnen. Allerdings, wenn man bereit ist, Dinge zusammen zu sehen, die nach der etablierten Ordnung auseinander zu halten sind – und dies ist keine schlechte Definition eines wichtigen Aspekts der Funktion von Wissenschaft – , dann findet man schon Anknüpfungspunkte für diese These des Funktionsverlusts von Recht und Strafrecht unter den Bedingungen spätmoderner Gesellschaften wie der unseren. Das Terrain, das dafür zu betreten wäre, wird bereits beackert unter Stichworten wie die zunehmende Entmachtung von Experten und Funktionseliten gerade auf dem Feld des Strafrechts und der Sicherheitspolitik und dem parallelen Vordringen des „Populismus“, wie es manchmal heißt, von Akteuren der Öffentlichkeit, der politischen, der medialen sowie der demoskopischen.

Zu diesem Thema, übrigens, schweigt auch Jakobs nicht. Und damit komme ich zu dem zweiten Zusammenhang, in dem er der Aufforderung zur Auseinandersetzung der Strafrechtswissenschaft – und wohl auch des Strafrechts – mit den „Herausforderungen ihrer Zeit“ nachzukommen bemüht ist. Hierzu komme ich zunächst auf den zuvor aus dem längeren Zitat überschlagenen Verbindungssatz zurück. Das Verfehlen der Strafrechtswissenschaft, „die Ergänzung des Strafrechts durch ein Feindbekämpfungsrecht zur Sprache zu bringen“, würde nach Ansicht von Jakobs für die Disziplin selbst nicht folgenlos bleiben. Er sagt es so: „Wenn sie ( die Strafrechtswissenschaft – FS) die Notwendigkeit des letzteren (das Feindbekämpfungsrecht – FS) nicht anerkennen will, wird sie von der wirtschaftlich dominierten Gesellschaft mangels Effektivität marginalisiert werden“[40].

Mir scheint, dass damit eine ganz zentrale Komponente der, wenn nicht überhaupt die Erzeugungsgrammatik der Jakobs’schen Argumentation bezeichnet ist. Dies ist keine projektive Feststellung eines disziplinär Außenstehenden, sondern findet in der gesamten Anlage und Ausführung des Textes vielfache Hinweise und Belege. So identifiziert Jakobs ziemlich zu Beginn seines Arguments als „die große Herausforderung der Gegenwart“ „die Dominanz des Wirtschaftssystems und in dessen Gefolge die Internationalisierung aller Institutionen“ (sprich: „Globalisierung“ füge ich hinzu.) Dieser Ausgangsfeststellung folgen einige prinzipielle Überlegungen zur Diskrepanz zwischen wirtschaftlicher und rechtlicher Logik, genauer noch: Überlegungen zu den spezifischen Erwartungen und Ansprüchen der Wirtschaft ans Recht. „Die Wirtschaft“, so Jakobs wörtlich, „honoriert nicht Wissen per se“, sondern einzig verwertbares Wissen, und zwar verwertbar für sie selbst … Für diese aber, die gewohnt ist, jährlich oder gar häufiger zu bilanzieren, ist nur ein Strafrechtswissen davon verwertbar, wie man einigermaßen kurzfristig die Lage der Gütersicherheit verbessert oder doch hält. Stichworthaft, verlangt wird Effektivität des Strafrechts“[41].

Ich will und kann diesen Gedanken hier nicht weiter verfolgen, aus Zeitmangel nicht, aber auch nicht aus Gründen der offenbar schwierigen und komplexen Zusammenhänge zwischen der Dominanz des Wirtschaftssystems bzw. in etwas anderer Terminologie der „Ökonomisierung der Gesellschaft“ und den daraus resultierenden Implikationen für die Gestalt und die Strukturen des Strafrechts. Dabei sind Überlegungen dieser Zusammenhänge natürlich nicht neu, auch wenn sie nicht immer in solch polemischer Zuspitzung daherkommen wie in einem Ferndialog bereits vor zehn Jahren zwischen dem Ökonomen der Universität Berkeley, I.Warde, und dem auch in Deutschland bekannten Lehrbuchverfasser zur „ökonomischen Analyse des Rechts“, R. A. Posner, einem Ökonomen und Juristen der berühmten neo-klassischen Chicago-Schule um seinen Begründer M. Friedman. Unter Bezugnahme auf einen Artikel in der New York Times mit dem Titel „From P.C. to E.C.“ – from political correctness to economical correctness – sprach Warde von der „Tyrannei des ‚ökonomisch Korrekten'“[42]- in Erwiderung eines Ausspruchs von Posner. Dieser hatte sich zu der Feststellung hinreißen lassen: „Ich verabscheue das Wort ‚Gerechtigkeit‘, es hat keine Bedeutung“ – und damit die Aufforderung an die Juristen verbunden, mit Hilfe der Ökonomie die „Tyrannei des Rechts“ zu brechen.

„Recht und Ökonomie als Widersacher“: diese Botschaft enthält auch die Analyse von Jakobs. Deshalb möchte ich es als sehr bemerkenswert festhalten, dass in der gesamten mir bislang bekannten Diskussion über und Auseinandersetzung mit dem Konzept des Feindstrafrechts die Behandlung der beiden „Herausforderungen“, denen sich die Gesellschaft einerseits, die Strafrechtswissenschaft anderseits konfrontiert sieht, nirgends und von niemand aufgegriffen worden ist. Fast gewinnt man den Eindruck, die laute Aufgeregtheit über das Konzept selbst und über die – zugegeben – resignative und resignierende Hilflosigkeit und Hinnahme der skizzierten Entwicklung durch Jakobs versperrt den Kritikern die Sicht auf die von mir herausgehobenen und mir wesentlich erscheinenden Aspekte seiner Argumentation.

Ich verlasse damit meine eigene Auseinandersetzung mit dem Konzept des Feindstrafrechts in der von Jakobs entwickelten Ausarbeitung. Wer in meiner Zurückhaltung, umstandslos in den wütenden und erregten Ton der meisten Kritiker mit einzufallen, anderes sieht als das Bemühen um die Ausschöpfung des vollen analytischen und inspirierenden Reichtums des Konzepts, bin ich geneigt, mit dem Wahlspruch des ältesten und höchsten britischen Ordens, des Hosenband-Ordens, zu antworten: „Honi soit qui mal y pense“ – „Verachtet werde, wer Schlechtes dabei denkt“.

5. Schlussbemerkung

Lassen Sie mich stattdessen meine Gedanken zur Frage des „Weges zu einer anderen Kriminalpolitik“ mit einem etwas ausführlicheren Hinweis auf die Analyse des oben schon erwähnten englischen, an der New York University lehrenden Kollegen Garland abschließen. Die Arbeiten von Garland, übrigens Jurist und Kriminologe, bilden nach meiner Ansicht einen ganz entscheidenden Brückenschlag und ein Verständnisscharnier zu den Überlegungen auch des Strukturwandels in der Kriminal- und Sicherheitspolitik, in Sonderheit auch des Konzepts des Feindstrafrechts. Ich möchte insbesondere auf seine bereits vor vier Jahren erschienene Monographie „The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society“[43] eingehen. Man kann Garland als Historiographen der Struktur und des Wandels der „penal regimes“ der Moderne bezeichnen, was die Kriminal- und Strafrechtspolitik genauso umfasst wie die ihr zugeordnete Kriminologie – vom klassischen Strafrecht des 19. Jahrhunderts zum Wohlfahrtsstrafrecht des 20. Jahrhunderts und vom Wohlfahrtsstrafrecht zu einem Strafrechtsregime, von dem er sagt, dass – ich zitiere ihn in seiner Sprache – „crime control over the last three decades has been almost exactly the contrary of that which was anticipated as recently as 1970″[44]. In dieser Ausdrücklichkeit und Bestimmtheit bezieht er seine Analyse des „punitive turn“, wie es in der angelsächsischen Diskussion verbreitet heißt, auf die USA und auf sein Herkunftsland England – die Kriminalpolitik beider Länder breitet er in Details und Tendenz kenntnisreich aus. Die von Garland ausgemachten gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Kräfte und Faktoren dieser Entwicklung in den beiden Untersuchungsländern sieht er jedoch auch präsent in „other late modern societies“, so dass er seine Befunde für verallgemeinerbar hält.

Was mich an Garlands Arbeit für das Thema des Feindstrafrechts besonders fasziniert hat, ist eine weitgehend parallele Perspektive zu den beiden Strukturtypen der Kriminalpolitik des Bürgerstrafrechts und des Feindstrafrechts. Diese Parallelität gibt in meinen Augen der Analyse von Jakobs eine ungewollte und deshalb um so nachhaltigere Plausibilität und Überzeugung. Frappierend ist diese Parallelität vor allem deshalb, weil es sich um zwei absolut von einer unabhängige Erkenntnisvorgänge handelt – beide Wissenschaftler kommen aus unterschiedlichen Disziplinen, kennen weder Namen noch Sprache des jeweils anderen Kollegen, publizieren ihre Ergebnisse praktisch zur gleichen Zeit – und ähneln sich verblüffend in ihren Ergebnissen und Konzepten.

Stichworte müssen auch hier genügen. Auch bei Garland stehen sich zwei kriminologische und kriminalpolitische Strategien anti-thetisch gegenüber: was bei Jakobs das Bürgerstrafrecht ist, heißt bei Garland „the criminology of the self“, die auf den rationalen, normalen Rechtsbrecher wie du und ich zielt; das Feindstrafrecht hat seine Entsprechung in der „criminology of the other“, die für den bedrohlichen outcast, den Furcht einflößenden Fremden, die Ausgeschlossenen und die Verbitterten stehen. Parallel lesen sich auch die psychologischen und persönlichen Profile der Täter: hier – im Falle des Bürgerstrafrechts bzw. der criminology of the self die kommunikative und kognitive Zugänglichkeit des Rechtsbrechers, dort – im Falle des Feinstrafrechts bzw. der „criminology of the other“ – fehlende kognitive und moralische Ansprechbarkeit. Schließlich auch eine weitgehende Deckung der kriminalpolitischen Strategien: normale sozialtechnologische bzw. „administrative“ Kontrolle von kalkulierenden Normbrechern mit dem herkömmlichen und „alternativen“ Sanktionsspektrum des Strafrechts, Wegsperren und „Unschädlichmachen“ („incapacitation“) für die Feinde bzw. „die Anderen“. Eine besonders drastische und plastische Formulierung für die Behandlung der „alien other“ gibt Garland von einem prominenten Vertreter der feindstrafrechtlichen Strategie wieder: „Let ‚em Rot“ war der Titel eines Artikels hierzu im Wall Street Journal[45] – Lasst sie verrotten“. Im gleichen Zusammenhang zitiert er das korrespondierende englische kriminalpolitische Motto, das von dem Thatcher-Nachfolger J. Major auf den Punkt gebracht wurde, dass es darum gehe, „to condemn more and to understand less“[46] – mehr Verurteilung, weniger Verständnis.

Dies mag ausreichen, um die Parallelität beider Analysen aufzuzeigen. Ausreichen auch, um dazu anzuregen, den Blick weiter zu schärfen, genauer noch hinzusehen und vor allem den Aspekt schärfer ins analytische Visier zu nehmen, der ebenfalls bei beiden Autoren nahezu deckungsgleich ist, jedoch bei Garland eine wesentlich intensivere Ausarbeitung erfährt als bei Jakobs: die strukturellen Veränderungen, denen moderne Gesellschaften insbesondere durch die Dynamik ökonomischer Prozesse ausgesetzt sind, neo-liberal organisierte Marktgesellschaften als Prototyp dieser Entwicklung. Das ist nach meiner Ansicht das Stichwort und der Pfad, die mich veranlassen, noch einmal auf den obigen Exkurs über die „Kritik der Waffen“ zurückzukommen.

Es geht darum, sich in aller Nüchternheit und „Rücksichtslosigkeit“ der Bedingungen zu vergewissern, die dazu beitragen und dafür verantwortlich sind, dass die rechtsstaatlichen und freiheitlichen Errungenschaften für viele Mitglieder in den modernen neo-liberalen Gesellschaften an Gebrauchs- und Tauschwert in einer Weise eingebüßt haben, die zunehmend ihrem Verzicht gleichkommt. Und dies gilt gleichermaßen für Akteure wie für die Adressaten und Beobachter dieses Verzichts. Jakobs wird von den meisten Kommentatoren in seiner Diagnose und Analyse nicht widersprochen und kritisiert, wohl in der Begrifflichkeit, die freilich so neu auch nicht ist. Einer seiner Kritiker verweist jedoch auf den Wandel der Jakobs’schen Position innerhalb „von eineinhalb Jahrzehnten“ von „einer analytischen Kategorie eines ’so nicht‘ zu einer Kategorie des ’so vielleicht schon‘ oder so ’notgedrungen schon‘ “ – Jakobs selbst verwahrt sich gegen eine solche Interpretation seiner Position[47]. Dieser Dissens ist hier nicht zu klären, vielleicht jedoch aufschlussreich. Könnte es sein, dass im Vertrauen auf die alltagsweltliche Ferne der dogmatischen Welt und Rhetorik, in die Jakobs seine erstmalige Analyse feindstrafrechtlicher Tendenzen in der Strafrechtsentwicklung im Jahre 1985 gekleidet hatte, auch diejenigen, die es hätten besser wissen müssen, einfach nicht richtig hingehört hatten? Und nunmehr – vielleicht ein wenig ertappt – aufschrecken, nachdem Jakobs Überlegungen realitätsnäher ausgefallen sind? Und ich möchte ketzerisch auch eine letzte Frage aufwerfen, um die Hürde einer allzu voluntaristischen Kritik und Abwehr der Jakobs’schen Position ein wenig anzuheben. Die bis zu Häme und Sarkasmus getriebene Kritik an Jakobs hat seine Feststellung ausgelöst, dass „… zu einem Feindstrafrecht keine heute ersichtliche Alternative (besteht)“[48]. Gerne würde man wissen wollen, ob diese Kritiker mit der gleichen Häme die schon zur Orthodoxie geronnene Überzeugung des alternativlosen Strukturwandels moderner Gesellschaften zu neo-liberalen Marktgesellschaften begegnen. Bekanntlich basiert ja Jakobs rechtssoziologische Analyse auf der Prämisse der „Ökonomisierung“ der Gesellschaft.

Dieses genauere Hinsehen sollte dennoch in einer Haltung und Überzeugung geschehen, die ich mir selbst immer wieder vergegenwärtige, wenn manche Gedanken und Folgerungen mir zu ausweglos erscheinen oder nach den Mühen eines Sisyphos verlangen. Ich finde sie in einem Zitat des französischen Historikers des Collège de France, Paul Veyne aufgehoben. Seine Gedanken möchte ich an den Schluss meines Vortrags stellen – würde sie auch an Günther Jakobs richten wollen: „es ist wichtiger, Ideen zu haben als Wahrheiten zu kennen … Und Ideen haben, das heißt auch, über eine Topik zu verfügen, sich das, was ist, zu vergegenwärtigen, es zu erklären und zu konzeptualisieren, es der Selbstverständlichkeit, der Fraglosigkeit, der Selbständigkeit zu entreißen. Es läuft darauf hinaus, der Naivität ein Ende zu setzen und zu begreifen, dass das, was ist, nicht zu sein brauchte. Das Wirkliche ist von einer unbestimmten Zone nicht-verwirklichter Möglichkeiten umgeben; die Wahrheit ist nicht der erhabenste Wert der Erkenntnis.“[49]

Anmerkungen

[1] Dieser Text ist im Wesentlichen identisch mit dem Vortrag, den ich anlässlich der Verleihung des Werner-Holtfort-Preises an die Redaktion der Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP gehalten habe. Ergänzt habe ich einen „Exkurs“ im vierten Kapitel „Feindstrafrecht“. Darin reagiere ich auf die z. Teil heftige Kritik, auf die meine Überlegungen gestoßen sind. Aus gleichen Erwägungen habe ich meine Schlussbemerkung gegenüber dem Vortragsmanuskript um einige Argumente erweitert. Den Vortragsduktus habe ich weitgehend beibehalten.
[2] Friedrich-Ebert-Stiftung (Hg.), Sicherheit vor Freiheit. Terrorismusbekämpfung und die Sorge um den freiheitlichen Rechtsstaat. Berlin 2003.
[3] F. Roggan, Auf legalem Wege in einen Polizeistaat, Bonn 2000.
[4] Dieses – eingeräumt – etwas zugespitzte Bild war möglicherweise ein Stein des Anstoßes, den mein Vortrag, wie die anschließende Diskussion zeigte, bei den meisten Diskussionsrednern ausgelöst hat.
[5] Vgl. hierzu: Fritz Sack, Kritische Kriminologie und Soziale Arbeit, in: Ulf Liedke und Günther Robert (Hg.), Neue Lust am Strafen? Umbrüche gesellschaftlicher und pädagogischer Konzepte im Umgang mit abweichendem Verhalten, Aachen: Shaker Verlag 2004, S. 17- 50, 31 (m.w.N.).
[6] Christie, Nils (1994), Crime Control as Industry. Towards GULAGS, Western Style?, London und New York. Diese Arbeit liegt inzwischen in dritter Auflage (2000) vor – seit der zweiten Auflage (1994) ist das Fragezeichen hinter dem provokanten und manchem Leser genanten Untertitel entfallen: Christie weist im Vorwort darauf hin.
[7] Es handelt sich um die mittlerweile in dritter, wesentlich erweit. Auflage erschienene Arbeit der beiden prominenten Kriminologen John Irwin und James Austin: It’s About Time. America’s Imprisonment Binge, Wadsworth (1993, 32000) über die Renaissance des Gefängnisses in der amerikanischen Kriminal- und Sicherheitspolitik – Irwin ist eine ehemalitger Gefängnisinsasse, Austin war lange Jahre in der Leitung des renommierten National Council on Crime and Delinquency tätig.
[8] Vgl. Time v. 7.2.1994: R. Lacayo, Lock ‚Em Up… With outraged Americans saying that crime is their No. 1 concern, politicians are again talking tough. But are they talking sense?; im gleichen Magazin vier Jahre später schreibt J. Cloud: A Get-Tough Policy That Failed. Mandatory sentencing was once America’s law-and-order panacea. Here’s wwhy it’s not working, Time c. 1.2.1999.
[9] Vgl. hierzu Anm. 5; sowie R. Walmsley, World Prison Population List (sixth edition), International Center for Prison Studies, King’s College London School of Law 2005 – web-Seite: www.prisonstudies.org.
[10] Belege und Literatur hierzu sind zahlreich. Wenn auch der Titel des Buches von Fredrik Roggan (2000) etwas alarmistisch, für manchen Leser auch empörend, wenn nicht gar denunziatorisch erscheinen mag, lohnt sich doch die Lektüre der akribischen Bilanz seiner Diagnose: „Auf legalem Wege in den Polizeistaat…“. Roggan hat diese Bilanz einige Jahre später fortgeschrieben (Roggan 2003).
[11] Der frühere Landespolizeipräsident Baden-Württembergs, Dr. Alfred Stümper, hat sich auf Podiumsdiskussionen gerne dieses Mottos bedient.
[12] J. Pratt, Sex crimes and the new Punitiveness, in: Behavioural Sciences and the Law, Vol. 18 (2000), S. 135-151.
[13] Vgl. Z. Bauman, Die Krise der Politik. Fluch und Chance einer neuen Öffentlichkeit, Hamburg 2000; Bauman stellt an den Ausgangspunkt seiner zeitdiagnostischen Analyse gegenwärtiger „Sicherheits“-Gesellschaften die Interpretation einer lynchartigen Verfolgung eines aus dem Gefängnis entlassenen „Pädophilen“ durch eine Reporterin des Guardian. Diese hatte u.a. geschrieben: „Es gibt nur noch sehr wenige Gruppen von Menschen, die man auf ehrenhafte Weise hassen darf. Pädophile sind genau das richtige“ (S. 20).
[14] Die vorstehenden Zitate entstammen sämtlichst einem unveröffentlichten Vortragsmanuskript von B. Haffke aus dem Jahre 2003.
[15] Die folgenden Zitate sind entnommen: B. Haffke, Vom Rechtsstaat zum Sicherheitsstaat?, in: Kritische Justiz, Jg. 38/1 (2005), S. 17-35:
[16] Vgl. G. Duttge, T. Hörnle und J. Renzikowski, Das Gesetz zur Änderung der Vorschriften über die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung, in: NJW 15/2004, S. 1065-1072, 1072.
[17] Vgl. D. Rzepka, Sicherheits- statt Rechtsstaat – Überblick und Anmerkungen zu bundes- und landesrechtlichen Konzepten einer nachträglichen Sicherungsverwahrung , Teil 1, in: Recht und Politik, Jg. 21/3 (2003), S. 127-144; Teil 2: daselbst, Jg. 21/4 (2003), S. 191-214.
[18] Vgl. hierzu F. Sack, Innere Sicherheit und offene Gesellschaft, in: D. S. Lutz, N. Paech, S. Scheerer u.a, Zukunft des Terrorismus und des Friedens, Hamburg 2002, S. 47-74.
[19] Der Vortrag von Hassemer, den er auf der „Großen Juristenwoche Nordrhein-Westfalen“ in Recklinghausen Ende 2000 gehalten hat, ist im Bd. 2 des „Jahrbuchs der Juristischen Zeitgeschichte“ erschienen: „Gründe und Grenzen des Strafens“, in: Thomas Vormbaum, Hrsg., Jahrbuch der juristischen Zeitgeschichte, Bd. 2 (2000/2001), Baden-Baden 2002, S. 458-484; außerdem in: Nestor Courakis (Hrsg.), Die Strafrechtswissenschaften im 21. Jahrhundert. Festschrift für Prof. Dr. Dionysios Spinellis, Athen 2001, S. 399-424; die Dokumentation in der Frankfurter Rundschau erfolgte am 20.12.2000, S. 16.
[20] Diese Publikation von Garland ist ein Pendant zu seiner Monographie „Punishment and Welfare“ (1984), in der er – inspiriert von und angelehnt an Foucaults „Überwachen und Strafen“ – die Transformation des klassischen Strafrechts des (viktorianischen England) zum modernen Wohlfahrtsstrafrecht des 20. Jahrhunderts englischen Entwicklung nachzeichnet; die neue Studie zeugt – grob gesagt – von der Reversibilität des in der ersten Monographie analysierten sozialen Prozesses. Zweifellos stellt diese Studie die bedeutendste, wenn auch nicht völlig unumstritten geblieben, Arbeit auf dem Gebiet der Kriminologie bzw. Kriminalsoziologie der letzten Jahre dar – davon zeugen die Reaktionen sowie Rezensionen: vgl. etwa die Beiträge von John Braithwaite und Malcolm M. Feeley in „Theoretical Criminology“, Vol. 7/1 (2003).
[21] Vgl. Humanistische Union e.V.(Hg.), Innere Sicherheit als Gefahr. HU-Schrift Nr. 23, Berlin 2003.
[22] Hier das englische Original: „Those who would give up essential Liberty, to purchase a little temporary Safety, deserve neither Liberty nor Safety.“
[23] B. Haffke (Anm. 15), S. 20.
[24] Z. Bauman (Anm. 13), S. 30.
[25] Ebda., S. 32.
[26] Karl Marx, Friedrich Engels, Werke (MEW), Band 1, Berlin 1958, S. 385.
[27] MEW, Band 6, S. 102.
[28] Vgl. R. Dahrendorf, Ein neuer Gesellschaftsvertrag, Stuttgart 1992.
[29] B. Schünemann, Die deutsche Strafrechtswissenschaft nach der Jahrtausendwende, in: Goldtammers Archiv für Strafrecht 2001, S. 205-225, 210.
[30] Vgl. H. Prantl, Bürger und Feinde. Strafrecht als Fortsetzung des Krieges mit anderen Mitteln – der Beschuldigte als militärisches Ziel, in: Süddeutsche Zeitung v. 28.4.2004.
[31] Vgl. B. Haffke, Vom Rechtstaat zum Sicherheitsstaat. Vortrag auf dem 29. Strafverteidigertag am 4.März 2005 in Aachen, zit. n. Ms., S. 12.
[32] Vgl. L. Schulz, „Die Deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende“. Bericht von einer Tagung und Anmerkungen zum Feindstrafrecht, in: ZStW 112/3 (2000), S. 653-664, 660 (Fn. 17); allerdings bezieht sich Schulz ausdrücklich auf einen Vortrag von Jakobs auf der Strafrechtslehrertagung 1985, in dem er erstmals feindstrafrechtliche Überlegungen geäußert hat.
[33] So auch L. Schulz (Anm. 32), S. 663/4.
[34] Im Folgenden beziehe ich mich auf G. Jakobs, Das Selbstverständnis der Strafrechtswissenschaft vor den Herausforderungen der Gegenwart (Kommentar), in: A. Eser, W. Hassemer und B. Burkhardt (Hg.), Die Deutsche Strafrechtswissenschaft vor der Jahrtausendwende. Rückbesinnung und Ausblick. Dokumentation einer Tagung vom 3.- 6.Oktober 1999 in der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, München 2000, S. 47-56.
[35] Ebda., S. 51/52.
[36] Ebda., S. 52.
[37] J. Esser, Vorverständnis und Methodenwahl in der Rechtsfindung, Frankfurt am Main 1970.
[38] Vgl. A. Eser, Schlussbetrachtungen, in: ders./Hassemer/Burkhardt (Anm. 34), S. 437-448, 445 (FN 3).
[39] Jakobs 1999 (Anm. 34), S. 53/54.
[40] Ebda., S. 54.
[41] Ebda., S. 49
[42] New York Times v. 12.1.1993: „From P.C. to E.C.“ , zit. n. „Le Monde diplomatique“.
[43] D. Garland, The Culture of Control. Crime and Social Order in Contemporary Society, Oxford 2001. Dieser Monographie würde ich eine baldige deutsche Übersetzung wünschen, wie übrigens auch dem ersten Band einer – wie Garland selbst sagt – Trilogie, in dem er die Tranformation des klassischen zum wohlfahrtsstaatlichen Strafrecht analysiert: Punishment and Welfare. A History of Penal Strategies, Aldershot 1985; dieser erste Band ist gerade als Kontrapunkt der Entwicklung interessant, der wir uns gegenwärtig konfrontiert sehen.
[44] Garland 2001, S. 1 : „Die Kriminalpolitik in den letzten drei Jahrzehnten war das fast genaue Gegenteil von derjenigen, die man noch um 1970 antizipiert hat“.
[45] J.J. DilLulio Jr., Let ‚em rot, in: The Wallstreet Journal, 26.1.1994, A14, zit. n. Garland 2001, S. 184, 272.
[46] Dies ist dokumentiert in The Sunday Times, 21.2.1993, zit. n. Garland 2001,S. 184, 272.
[47] Vgl. L. Schulz (Anm. 32), S. 659.
[48] Vgl. Jakobs 1999, S. 53.
[49] Vgl. P. Veyne, Die Originalität des Unbekannten. Für eine andere Geschichtsschreibung, Frankfurt a.M. 1988, S. 42.