Mehr digitale Polizeikooperation in Schengen-Staaten

Nach einer Einigung zwischen den EU-Mitgliedstaaten und dem Parlament vom November hat der Rat Ende Februar die neue „Verordnung über den automatisierten Datenaustausch für die polizeiliche Zusammenarbeit“ („Prüm II“) beschlossen.[1] Nach einem Vorschlag der Kommission von 2021[2] wird damit die bislang erlaubte Abfrage von Fingerabdrücken und DNA-Profilen auf Gesichtsbilder erweitert. So kann eine Polizeibehörde mithilfe von Gesichtserkennung erfahren, ob zu einer unbekannten Person in anderen Ländern Informationen vorliegen. Abfragen sollen zur „Verhütung, Aufdeckung und Untersuchung von Straftaten“, zur Suche nach vermissten Personen, zur Identifizierung menschlicher Überreste und bei Naturkatastrophen möglich sein. Voraussetzung ist, dass das nationale Recht eine solche Suche auch in eigenen Datenbanken erlauben würde. Mehr digitale Polizeikooperation in Schengen-Staaten weiterlesen

Neuer Schengener Grenzkodex

Der belgische Ratsvorsitz hat sich mit dem EU-Parlament Anfang Februar auf die Änderung des Schengener Grenzkodex geeinigt.[1] Unter anderem will die EU die Vorschriften im Zusammenhang mit der Wiedereinführung von Kontrollen an den Binnengrenzen neu regeln. Möglich ist dies bei „bei vorhersehbaren Bedrohungen“ für bis zu zwei Jahren plus einer zweimaligen Verlängerung um jeweils sechs Monate. Im Fall einer „unvorhersehbaren Bedrohung für die öffentliche Ordnung oder die innere Sicherheit“ können die Kontrollen für einen Monat unverzüglich eingeführt und um höchstens drei Monate verlängert werden. Neuer Schengener Grenzkodex weiterlesen

Fluchthelfer in Gefahr

Im Dezember haben die EU-Staaten und das Parlament den „Asyl- und Migrationspakt“ beschlossen und damit das Asylrecht in weiten Teilen eingeschränkt. Nun sollen auch Helfer*innen von Flüchtenden stärker verfolgt werden. Hierzu hat die EU-Kommission am 28. November ein Gesetzespaket zur „Bekämpfung des Menschenschmuggels“ vorgelegt.

Mit einer neuen Richtlinie sollen die Mitgliedstaaten verpflichtet werden, die Arbeit von Schleusern mit „speziellen Ermittlungsinstrumenten“ zu überwachen.[1] Außerdem soll der Strafrahmen in den EU-Staaten einheitlich hoch werden. Eine zusätzliche neue Verordnung soll Europol mehr operative und strategische Kompetenzen zur Verfolgung von „Schleusern“ geben.[2] Die EU-Polizeiagentur würde dann enger mit den 27 Mitgliedstaaten zusammenarbeiten. Fluchthelfer in Gefahr weiterlesen

„Einzelfälle“ mit System: Tödliche Polizeigewalt vor Gericht

Veranstaltung mit dem Solidaritätskreis Justice for Mouhamed (Dortmund) und der Initiative 2. Mai (Mannheim)

21. Februar, 19.30 Uhr
SO36, Oranienstraße 190, Berlin-Kreuzberg
Mit Verdolmetschung (EN/FR)
Eintritt frei

Auf Youtube (in deutscher Sprache)

Polizeigewalt gegenüber Menschen mit Rassismuserfahrung hat in Deutschland System: Überdurchschnittlich oft sind sie unter den Opfern tödlicher Polizeischüsse, tödlich verlaufender Einsätze und Tod im Gewahrsam. In rund drei Viertel dieser Fälle waren die Toten in einer psychischen Ausnahmesituation; ein zusätzlicher Gefährdungsfaktor ist die gesellschaftliche Ausgrenzung Armutsbetroffener. In der öffentlichen Darstellung setzt sich nach einem tödlichen Polizeieinsatz oft das Narrativ der Polizei durch, dass die Gewalt verharmlost und durch eine Täter-Opfer-Umkehr rechtfertigt. Nur selten führen Ermittlungen in solchen Fällen zur Anklage gegen die Täter*innen, noch seltener kommt es zu Verurteilungen. Deshalb ist von besonderer Bedeutung, dass momentan gleich mehrere Gerichtsprozesse wegen tödlicher Polizeigewalt unter solidarischer Prozessbegleitung stattfinden.

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Tödliche Polizeigewalt: Selektive Solidarität

Wer bei den Opfern von tödlicher Polizeigewalt nur nach rassistischer Diskriminierung fragt, verliert die Armut aus dem Blick. Eine Reflexion.

Death in Custody

Seit Mitte Dezember 2023 wird vor dem Dortmunder Landgericht über die Schuld von fünf Polizistinnen und Polizisten verhandelt. Sie waren mit weiteren Kollegen am 8. August 2022 an einem Einsatz beteiligt, der für den 16jährigen Mouhamed Lamine Dramé tödlich endete. Der junge Geflüchtete aus dem Senegal war mit mehreren Polizeischüssen regelrecht hingerichtet worden. Sein Tod hatte bundesweit für Aufsehen gesorgt. Zu dem Polizeieinsatz kam es, weil Mouhamed Dramé mit einem Messer im Hof der Dortmunder Jugendeinrichtung saß, in der er erst seit wenigen Tagen untergebracht war. Sein Betreuer befürchtete, er könne sich selbst verletzen und verständigte deshalb die Polizei. Wie so oft beruhigten die herbeigerufenen Beamten die Lage nicht, sondern eskalierten sie. Sie griffen Mouhamed Dramé mit Pfefferspray und Tasern an und erschossen ihn schlussendlich mit einer Maschinenpistole. Tödliche Polizeigewalt: Selektive Solidarität weiterlesen

Polizei und Justiz im Kapitalismus

CILIP Release-Veranstaltung zum Heft 133

Wenn die Polizei in Lützerath für einen Energiekonzern ein Dorf räumt, wird die herrschaftsstabilisierende Funktion des Gewaltmonopols überdeutlich. Das Verhältnis von Kapitalismus und Kontrolle hat jedoch viele Gesichter. Bisweilen ist es auch die Polizei, die z.B. RWE für die „Vollzugshilfe“ in Form bereitgestellter Firmen-LKWs bezahlt oder die selbst aktiv auf Eigentümer*innen für Zwangsräumungen von Wohnungen zugeht und im Vorfeld ermittelt. Im Kinderzimmer normalisieren neue Überwachungsgadgets die Selbstkontrolle und sichern die doppelte Erwerbstätigkeit der Eltern ab. Arme sind nicht nur häufiger eingesperrt, sie werden dafür auch individuell verantwortlich gemacht und erhalten weder übliche Einkommen noch Renten.

Samstag, 20. Januar 2024, 18 Uhr
Aquarium, Skalitzer Straße 6, Berlin
U-Bhf Kottbusser Tor

Dies alles und noch viel mehr thematisiert die CILIP im aktuellen Heft „Kontrolle im Kapitalismus“. Auf der Release-Veranstaltung geben wir einen theoretischen Überblick über den Zusammenhang von Kapitalismus und Kontrolle und beleuchten ausgewählte Aspekte wie Gefängnis und Armut und die Rolle von #Metoo, #BlackLivesMatter und der Klimabewegung.

Bernd Belina, Professor für Kritische Geographie an der Goethe-Universität in Frankfurt und Autor von „Gefährliche Abstraktionen – Regieren mittels Kriminalisierung und Raum“(Dampfboot 2023)

Christine Graebsch, Professorin an der Fachhochschule Dortmund und Expertin für Gefängnisse und deren Abschaffung sowie Täter-Opfer-Ausgleich, Crimmigration, Abschiebungen uvm.

Jenny Künkel, Postdoc in der Sozialen Arbeit an der Universität Duisburg-Essen; forscht zu Polizei und ihrer Abschaffung sowie Sexarbeit, Drogen, Sozialen Bewegungen, Carceral Feminism uvm.

Veranstaltet vom Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V./ Zeitschrift Bürgerrechte & Polizei/CILIP

Beitragsbild: Räumung in Lützerath (Pay Numrich, @fein_frisch)

Strafvollzug und Armutsspirale – Ungleich vor dem Gesetz und nach dem Urteil

von Christine Graebsch

Die meisten Haftstrafen haben einen Armutshintergrund. Zur „Resozialisierung“ wäre die Zahlung von gesetzlichem Mindestlohn und Rentenversicherungsbeiträgen auch hinter Gittern förderlich. Stattdessen ist der Strafvollzug Teil eines Systems individueller Zuschreibung von Armut.

In den letzten Jahren war in der Bundesrepublik Deutschland viel vom Bestrafen der Armen die Rede. Die weit über die Wissenschaft hinaus geführte Debatte ist maßgeblich durch das Buch von Ronen Steinke über „Die neue Klassenjustiz“ geprägt.[1] Strafvollzug und Armutsspirale – Ungleich vor dem Gesetz und nach dem Urteil weiterlesen

Kontrolle im Kapitalismus: Eine intersektionale Perspektive

Kapitalismus war lange Zeit out. Seit Finanzkrise und Pandemie widmen sich soziale Bewegungen mit unterschiedlichen Verhältnissen zum repressiven Staatsapparat sowie die Kritische Kriminologie, in der abolitionistische Traditionen aufleben, verstärkt der kapitalistischen Vergesellschaftung. Der Beitrag umreißt, welche Fragen gestellt und künftig bearbeitet werden sollten.

Kontrolle im Kapitalismus zu betrachten, ist seit jeher das Metier der marxistisch inspirierten Kritischen Kriminologie. Schon die sogenannten „Neuen Sozialen Bewegungen“ und parallele Theorieentwicklungen seit den späten 1960er Jahren rückten bekanntermaßen Herrschaftsverhältnisse jenseits des Widerspruchs von Kapital und Arbeit verstärkt in den Blick. In Fortentwicklung und zugleich Kritik der Kritischen Kriminologie entstand etwa eine feministische Kriminologie, die Themen wie Abtreibung, Sexarbeit oder Vergewaltigung in den Blick nahm. Seit den 1990er Jahren sorgte die Verbreitung poststrukturalistischer Ansätze in der Wissenschaft und den sozialen Bewegungen für einen Perspektivwechsel. Kriminolog*innen und Aktivist*innen problematisierten nicht mehr „nur“ materielle Gegebenheiten wie die kapitalismusstabilisierende Wirkung des Strafjustizsystems, die ideologischen Hintergründe und materiellen Effekte einer geschlechtsblinden Klassenjustiz oder die „Definitionsmacht“[1] einer Polizei, die als strukturkonservative Institution oft auf der Basis traditioneller Vorstellungen von z. B. Frauen oder Migrant*innen agiert. Vielmehr wurden die Kategorien selbst grundlegend hinterfragt und das Verständnis von Macht erweitert. Bereits in den 1960er und 70er Jahren hatte der „labeling approach“[2] in der Kriminologie deutlich gemacht, dass Kriminalität schlicht das ist, was die Gesellschaft als solche versteht. Nun setzte sich die Erkenntnis durch, dass auch „Frau“ oder „Schwarzer“ keine natürlichen Tatsachen sind, sondern gesellschaftlich hervorgebracht werden – wobei die Subjekte nicht nur durch staatliche Ver- und Gebote sowie Ideologie reguliert werden, sondern durch die machtvollen Anrufungen auch hervorgebracht und tagtäglich in die Machtverhältnisse verwickelt sind, wie es Foucault und Autor*innen der Gouvernementalitätsstudien betonten.[3] Kontrolle im Kapitalismus: Eine intersektionale Perspektive weiterlesen

Institut für Bürgerrechte & öffentliche Sicherheit e.V.