von Wolfgang Wieland
Vor dem Anschlag in Mölln hatte sich die Öffentlichkeit an Anschläge von Rechtsaußen gewöhnt wie an die tägliche Wasserstandsmeldung: 1992 1.600 Gewalttaten von Rechts, darunter 500 Brand- und Sprengstoffanschläge. 800 Verletzte und 13 Tote. Noch nach Rostock geschahen in diesem Zusammenhang 10 Straftaten täglich. Ca. 40.000 Neo-Nazis führten den Rechtsstaat offenbar nach Belieben vor. Politiker verharmlosten, gaben Stichworte oder sympathisierten offen mit dem Terror. Angefangen mit dem Kanzlerwort vom „Staatsnotstand“ angesichts von 420.000 Flüchtlingen im Jahr 1992 – was nicht einmal ein Prozent der Bevölkerung ausmacht – war man eifrig bemüht, eine Stimmung des ‚Not kennt kein Gebot‘ aufkommen zu lassen. Die nächtlichen Brandleger mußten sich geradezu anerkannt fühlen, in einer Art ‚Amtshilfe‘ für den überforderten Staat zu handeln. „Es ist, als würde man die Leute ermuntern, mehr Brandsätze zu werfen: Täglich können sie ihre Erfolge an immer verrückteren Vorschlägen zur Asylpolitik ablesen“,[1] so Ignatz Bubis, der Vorsitzende des Zentralrats der Juden in Deutschland. Es waren die Politikerworte von Asylantenfluten, Schmarotzern und Betrügern, die da zu Steinen und Brandsätzen wurden. Der Asyl- und Schutzbegehrende als Vogelfreier in der öffentlichen Wahrnehmung, dies war das verheerende Resultat einer politischen Kampagne, ohne die das Phänomen des explosionsartigen Terrors von Rechts nicht zu verstehen ist.
Nun hört indes nach Mölln die Asyldebatte nicht auf. Auch mit der Grundgesetzänderung und der Abschottung der Bundesrepublik gegen Flüchtlinge wird sie wohl nicht verschwunden sein, sondern als Debatte über dann illegal hier Aufhältliche fortgesetzt werden. Wenn dennoch seit Mölln die Welle rechtsradikaler Gewalt spürbar und zählbar zurückgegangen ist, muß dies andere Gründe haben. Zuerst ist dabei die gesellschaftliche Gegenbewegung zu nennen, die Lichterketten, Demonstrationen, Rockkonzerte. Sie kam allerdings mit unfaßbarer Verspätung. Daneben spielte auch repressives staatliches Eingreifen eine Rolle, aber nur subsidiär und an zweiter Stelle. Dies soll nicht vergessen werden. Der weggetauchte Staat – Staatliche (Nicht-)Reaktionen auf rassistische Gewalttaten weiterlesen →